Die Voraussetzungen der Tarifrunde 2021

 

Neu bei dieser Tarifrunde war die spürbare Inflation, die insbesondere die Kaufkraft von Bezieher*innen niedriger und mittlerer Einkommen deutlich reduziert. So lag im Oktober 2021 der harmonisierte Verbraucherindex laut Statistischem Bundesamt 4,6 % über dem des Vorjahresmonats. Nach herrschender und leider auch von ver.di geteilter Einschätzung wird davon ausgegangen, „dass die Preise in den kommenden Jahren wieder sinken. So prognostizieren auch die führenden Wirtschaftsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose für 2022 2,5 Prozent und für 2023 1,7 Prozent.“[1] Für 2021 rechnete ver.di mit einer Inflation von voraussichtlich 3 Prozent. Auch dies ist mittlerweile überholt. So rechnet die Bundesbank in ihrer jüngsten Prognose mit einer Inflationsrate von 3,2 Prozent in diesem Jahr und 3,6 Prozent im kommenden Jahr.[2]

Für die Länder und ihren Zusammenschluss in deren Arbeitgeberverband, der Tarifvereinigung deutscher Länder (TdL), war und ist der ausgeglichene Haushalt wichtiger er als die Einkommensentwicklung ihrer Beschäftigten, die den Laden tagtäglich für sie schmeißen. In der Tat stieg die Verschuldung der Länder 2020 gegenüber 2019 vorwiegend um Firmen, die aufgrund des Lockdowns ihre Tätigkeit einstellen mussten, zu unterstützen und sie vor der Insolvenz zu bewahren. Die Steuerschätzung von November 2021, veröffentlicht am 11.11.2021, hatte zum Ergebnis, dass „die Steuereinnahmen bis einschließlich 2025 … im Vergleich zur Schätzung im Mai 2021 durchschnittlich jährlich um gut 35 Mrd. Euro und damit um knapp 180 Mrd. Euro höher (liegen).“[3] Allein für die Länder ergibt der Vergleich für den gleichen Zeitraum ein Plus von 76,8 Mrd. €, davon für 2021 22,5 Mrd. € und 2022 16,9 Mrd. €. Klar ist, dass es sich dabei um Schätzungen der Bundesregierung unter Berücksichtigung der Zuwachsraten des BIP handelt und die reale Entwicklung den Schätzungen einen Strich durch die Rechnung machen kann.

Neu war aber auch, dass die TdL mit einer eigenen Forderung, den Arbeitsvorgang zum Kernthema zu machen, in die Tarifauseinandersetzung ging.

Bevor wir auf die Forderung der TdL eingehen, werfen wir einen Blick auf das Ergebnis der Tarifrunde 2019…

… da hier trotz des guten Ergebnisses der Entgelterhöhungen auch die Voraussetzung für das von der TdL geforderte Kernthema geschaffen wurde…

… Die Entgelterhöhung der Tarifvereinbarung vom 02. März 2019 ist trotz der langen Laufzeit vom 01. Januar 2019 bis zum 30. September 2021 – also 33 Monate – erwähnenswert, da es der Verhandlungsgemeinschaft der Gewerkschaften mit dem DBB erstmals gelungen war, einen spürbaren Anstieg der unteren Lohngruppen durch die Realisierung eines Mindestbetrages durchzusetzen.

Die Entgelttabelle des TV-L umfasst 15 Entgeltgruppen (EG). Dabei ist die EG 1 die niedrigste. Die EG 2 bis 15 umfassen 6 Stufen. In der Stufe 1 werden in der Regel die Beschäftigten eingestellt, bei denen keine einschlägige Berufserfahrung vorliegt. Nach einer bestimmten Zeit steigt der Beschäftigte in die nächste Stufe der EG und bekommt dann mehr Entgelt. Bei der Einstellung in der EG 1 erfolgt diese in der Stufe 2.

Die Tarifvereinbarung 2019 besagte, dass rückwirkend zum 01. Januar 2019 die Stufe 1 der EG 2 bis 15 um 4,5 Prozent und die übrigen Stufen in den EG um 3,2 Prozent, jedoch mindestens um 100 € erhöht wurden. Zum 01. Januar 2020 wurde die Stufe 1 der EG 2 bis 15 um 4,3 Prozent und die übrigen Stufen in den EG um 3,2 Prozent, jedoch mindestens um 90 € erhöht. Am 01. Januar 2021 erfolgten eine Erhöhung der Stufe 1 der EG 2 bis 15 um 1,8 Prozent und der übrigen Stufen in den EG um 1,4 Prozent, jedoch mindestens um 50 €.

Die Auszubildenden wurden jedoch unterschiedlich behandelt. So wurden die Monatsentgelte der Auszubildenden nach dem Tarifvertrag TVA-L Gesundheit zum 1. Januar 2019 um 45,50 € und zum 01. Januar 2020 um 50 € erhöht. Bei allen anderen Auszubildenden und Praktikant*innen wurden die Monatsentgelte zum 01.januar 2019 um 50 € und zum 01. Januar 2020 um weitere 50 € erhöht.

Das insbesondere für die niedrigeren Entgeltgruppen gute Ergebnis erfuhr jedoch einen Rückschlag. Vereinbart wurde nämlich auch, dass die Jahressonderzahlung von 2019 bis einschließlich 2022 auf dem materiellen Niveau des Jahres 2018 eingefroren wird. Ferner finden erst „nach dem Jahr 2022 wirksam werdende allgemeine Entgelterhöhungen … auch auf die Jahressonderzahlung Anwendung.“[4]

Das Kernthema Arbeitsvorgang

In den Verhandlungen 2019 war es den Arbeitgebern wichtig, die seit den 1970er Jahren bestehenden Grundlagen der Eingruppierung zum Thema zu machen. Darauf ließ sich die Verhandlungsgemeinschaft der Gewerkschaften nicht ein, da sie Herabgruppierungen befürchtete. Sie erklärte sich jedoch dazu bereit, mit den Arbeitgebern Gespräche zum Arbeitsvorgang unmittelbar nach der Redaktion (nach dem endgültigen Tarifabschluss) aufzunehmen. In diesen Gesprächen sollte es darum gehen, dass die differenzierte Eingruppierung „anhand des zeitlichen Umfangs, in dem eine bestimmte Anforderung (z. B. Schwierigkeit, Verantwortung) innerhalb der auszuübenden Tätigkeiten erfüllt sein muss (Hierarchisierung)“[5], sichergestellt wird. Gespräche zwischen TdL, ver.di und dbb fanden statt. Der bereits von der TdL 2019 neu formulierte Text zur Eingruppierung wurde von dbb und ver.di rundweg abgelehnt, da damit das bestehende Eingruppierungssystem gefährdet ist.

Eingruppierung / Arbeitsvorgang

Die tarifvertragliche Vereinbarung im § 12 TV-L sieht vor, dass der/die Beschäftigte entsprechend der Entgeltgruppe (EG) entlohnt wird, in die er/sie eingruppiert wurde. Die Eingruppierung richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Entgeltordnung. Dabei erfolgt die Eingruppierung der Beschäftigten in der EG, deren Tätigkeitsmerkmale der gesamten, nicht nur der vorübergehend auszuübenden Tätigkeit entsprechen. Zeitlich muss mindestens die Hälfte der Arbeitsvorgänge anfallen, die den Anforderungen mehrerer oder eines Tätigkeitsmerkmals dieser EG entsprechen.

Tarifvertraglich handelt es sich bei den Arbeitsvorgängen um „Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten) die, bezogen auf den Aufgabenkreis der/des Beschäftigten, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen…Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.“[6]

Was trieb die TdL dazu, das bestehende System in Frage zu stellen und ändern zu wollen? Die Eingruppierung Beschäftigter war und ist häufig Streitpunkt zwischen Personalvertretungen und Arbeitgebern und auch bei Tarifverhandlungen, z.B.: dem Sozial- und Erziehungsdienst 2015.

Der aktuellen Gangart der TdL liegt jedoch mehr zugrunde. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) folgte am 28.02.2018 in seiner Entscheidung 4 AZR 816/16 der Klage einer Geschäftsstellenverwalterin beim Bundesgericht auf eine höhere Eingruppierung. Dieses stellte fest, dass es sich bei der Führung einer Geschäftsstelle um einen Arbeitsvorgang, bestehend aus verschiedenen Arbeitsschritten, handelt. Die ver.di Fachgruppe Justiz NRW empfahl den Justizbeschäftigten in den Serviceeinheiten und Geschäftsstellen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften Antrag auf Feststellung einer höheren Eingruppierung zu stellen. Davon wurde dann auch Gebrauch gemacht. In weiteren Entscheidungen des BAG vom 09.09.2020 wurde die Sichtweise des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg, dass auch innerhalb eines einheitlichen Arbeitsvorgangs eine zeitliche bzw. prozentuale Betrachtung schwieriger Tätigkeiten erfolgen müsse, nicht geteilt. Hingegen wurde festgestellt, dass die gesamte Tätigkeit von Beschäftigten einen Arbeitsvorgang bildet. Das war dann auch Wasser auf die Mühlen der Gewerkschaft. Das BAG verneinte auch den im TV-L bestimmten zeitlichen Anteil der schwierigen Tätigkeiten innerhalb des Arbeitsvorganges.

Die Gewerkschaften wurden durch diese Urteile in ihrer Auffassung, dass der Arbeitsvorgang, wie im Tarifvertrag festgehalten, nicht aufgespalten werden darf, bestärkt. Nach Auffassung ver.dis ist die bestehende Systematik auch für die unteren Entgeltgruppen von Bedeutung. Das Ziel der Gewerkschaften besteht darin, „diesen Angriff abzuwehren und jede Form der Schlechterstellung von Beschäftigten zu verhindern.“ [7] Die von ver.di gemachten Vorschläge über die von der TdL als problematisch bezeichneten Entwicklungen im Justizbereich zu sprechen, lehnte die TdL rundweg ab.

Die öffentlichen Arbeitgeber befürchten Mehrausgaben, da „eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes im Falle eines Beschäftigten im Justizwesen (lautet d. Verf.), dass bereits 15 Prozent höherwertige Tätigkeit ausreichen, damit eine Höhergruppierung erfolgt. Das bedeutet für den Arbeitgeber drohende Mehrausgaben. Allein in NRW sprechen wir von rund 10.000 Fällen. “ [8] Das den Gewerkschaften vorliegende Forderungspapier der TdL zur Veränderung der Grundlagen der Eingruppierung birgt „Verschlechterungen für alle Beschäftigten. Zum anderen droht die Atomisierung aller Tätigkeiten. Das heißt: Jeder einzelne Arbeitsschritt wird im Detail betrachtet und am Ende zusammengerechnet… Das würde dem zentralen Aspekt des Tarifvertrages an sich untergraben… Es geht um eine ganz grundsätzliche Frage. Die TdL fühlt sich in der Tarifautonomie eingeschränkt und hat Verfassungsbeschwerde gegen das BAG-Urteil eingelegt.“[9] Über die Verfassungsbeschwerde wurde bisher noch nicht entschieden.

Reinhold Hilbers, der Vorsitzende der TdL, brachte in dem Interview mit dem Handelsblatt am 06.10.2021[10] zum Ausdruck, dass sie niemandem etwas wegnehmen wollen. Sie wollen „nur den Konsens wiederherstellen, den es bei der Bewertung des Arbeitsvorgangs lange gab.“ Er erinnert an eine angeblich jahrzehntelange Einigkeit mit den Gewerkschaften dergestalt, „dass der Arbeitsvorgang in möglichst kleine Bewertungseinheiten zerlegt werden soll.“ Angriffspunkt für ihn ist jetzt nicht mehr die Verhandlungsgemeinschaft, sondern das Bundesarbeitsgericht, das „nun aber inzwischen regelmäßig (annimmt), dass das gesamte Aufgabengebiet eines Beschäftigten ein großer einheitlicher Arbeitsvorgang ist.“ Das bedeutet, wenn schon „darin nur wenige anspruchsvolle Tätigkeiten enthalten sind, muss das Entgelt nach der Spitzengruppe bezahlt werden. Das ist für die Länder nicht nur mit erheblichen Mehrkosten verbunden, sondern hemmt auch die Entwicklung der Beschäftigten.“ Unter der Prämisse für einfache Tätigkeiten viel mehr bezahlen zu müssen, „nur weil sie den Beschäftigten ab und zu eine komplexere Aufgabe anvertrauen, … werden sie eher alle einfachen Arbeitsplätze von komplexen Aufgaben entrümpeln, als mehr Geld zu bezahlen.“

Die Gewerkschaften und ihre Zuständigkeiten

Wie schon erwähnt, bilden die DGB-Gewerkschaften ver.di, GEW, GdP und IG BAU mit dem DBB eine Verhandlungsgemeinschaft. In allen Gewerkschaften und dem DBB sind Tarifbeschäftigte und Beamt*innen der Länder organisiert. Aus der folgenden Aufstellung lässt sich die Verteilung der Personengruppen (Tarifbeschäftigte und Beamte) auf ausgewählte staatliche Aufgabenbereiche[11] entnehmen. Es handelt sich dabei um die Beschäftigten aller 16 Bundesländer. Die Angaben stehen für den 30.06.2020.

Aufgabenbereiche Insgesamt Beamt:*innen Tarifbeschäftigte (TB) Anteilig TB
Allgemeine Dienste 775.515 558.825 216.690 27,9
dar. Polizei 286.015 245.955 40.470 14,1
dar. Rechtsschutz 178.530 116.790 61.740 34,6
Allgemeinbildende u. berufl. Schulen 854.830 640.085 214.740 25,1
Öffentl. Hochschulen 347.500 54.780 292.720 84,2
Krankenhäuser, Heilstätten inkl. Uniklinika 258.445 3.210 255.235 98,8
Soziale Sicherung, Familie u. Jugend 33.550 6.260 27.290 81,3
Ernährung, Landwirtschaft u. Forsten 35.615 11.630 23.985 67,3
Übrige Bereiche 187.855 37.230 150.630 98,8
Insgesamt 2.493.310 1.312.020 1.181.290 47,4

Die Mitglieder der Verhandlungsgemeinschaft sind in den Aufgabenbereichen verankert. Die GdP wird ausschließlich zuständig sein für die Beschäftigten bei der Polizei. Die GEW wird vorwiegend für die pädagogischen Fachkräfte in den allgemeinbildenden & beruflichen Schulen, die Lehrkräfte an den Hochschulen sowie für die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst der Stadtstaaten. Die IG BAU ist zuständig für die Beschäftigten bei den öffentlichen Forstämtern der Länder. Ver.di ist für die Beschäftigten in den Krankenhäusern inkl. der Uni-Kliniken, den Allgemeinen Diensten mit Ausnahme der Polizei, den nicht-lehrenden Beschäftigten in den Hochschulen und denen in den übrigen Aufgabenbereichen zuständig. Der DBB wird in allen Bereichen tätig sein.

Von dem Tarifvertrag sind ohne Hessen rund 1,1 Mill. Tarifbeschäftigte und rund 48.000 Auszubildende betroffen. Die von der Verhandlungsgemeinschaft zeit- und inhaltsgleich geforderte Übertragung betrifft ohne Hessen 1,2 Mill. Beamt*innen und rund 880.000 Versorgungsempfänger*innen bei den Ländern sowie 175.000 Beamt*innen bei den Kommunen und 120.000 Versorgungsempfänger*innen im Bereich der Kommunen.

Siegen 21.01.2022


[1] ver.di: Ergebnis in Zeiten von Rekord-Inflation, 01.12.2021
[2] vgl. Carona-Pandemie, dpa vom 23.12.2021
[3] Scholz:“Steuerschätzung bestätigt unseren Kurs und macht Mut für die Zukunft“ Ergebnisse der 161. Steuerschätzung, Bundesfinanzministerium vom 11.11.2021
[4] Tarifeinigung in den Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder vom 2. März 2019
[5] Tarifeinigung in den Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Länder vom 2. März 2019
[6] Protokollerklärung zu § 12 Absatz 1, Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vom 12. Oktober 2006 in der Fassung vom 02. März 2019, S. 22
[7] Wir halten den Laden am Laufen. Handeln. Für morgen., ver.di, Berlin, August 2021, 24-25
[8] „Wir erwarten wenig Gutes“ Verdi-Vizevorsitzende Christine Behle warnt vor schwierigen Tarifverhandlungen mit den Ländern, neues deutschland, 08.10.2021
[9] w. v.
[10] Interview Länder-Arbeitgeberchef Reinhold Hilbers: “Wir wollen niemandem etwas wegnehmen“, Handelsblatt 06.10.2021
[11] Die Zusammenstellung erfolgt auf Grundlage der Fachserie „Finanzen und Steuern – Personal des öffentlichen Dienstes“, Statistisches Bundesamt 2021


aus Arbeiterpolitik Nr. 1/2 2022

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*