Metalltarifrunde 2022: Der passgenaue Abschluss

Der Tarifabschluss vom 18.11.22 beinhaltet finanzielle Verbesserungen für die 1,9 Mill. tarifgebundenen Beschäftigten:
  • Die Entgelte steigen tabellenwirksam ab 1.6.23 um 5,2 %, ab 1.5.24 um weitere 3,3 %.
  • Eine steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie in Höhe von 3000 € wird zu jeweils 1500 € bis März ‘23 und März ‘24 gezahlt (Auszubildende je 550 im Januar 2023 und 2024).

Differenzierungen sind möglich beim seit 2018 vereinbarten jährlichen Zusatzbetrag (ZUB), der ab 1. Januar 2023 auf die EG 7 (Baden-Württemberg) bezogen von 12,3 % auf 18,5 % (von 400 auf 600 €) erhöht wird. Aus wirtschaftlichen Gründen kann die Auszahlung dieses Betrages um bis zu 6 Monate nach hinten verschoben werden. Das Transformationsgeld (auf der Basis des regelmäßigen Monatseinkommens) wird statt der in 2022 festgelegten 27,6 % zu weiterhin 18,4% im Februar 2023 gezahlt, kann allerdings in kriselnden Betrieben auf Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung verwandt werden. Der Tarifvertrag läuft bis zum 30.September 2024. Die Betriebsparteien können per Betriebsvereinbarung andere Auszahlungszeitpunkte der Inflationsprämie festlegen, 750 € müssen allerdings im Januar 2023 ausgezahlt werden.

Weitere Vereinbarungen sehen ein Verfahren bei einem Energienotstand vor sowie verpflichtende Gespräche für die im Zuge der Transformation und Digitalisierung perspektivisch notwendig werdenden Arbeitsplatzveränderungen. Nach Ausrufung des Energienotstandes werden innerhalb von 2 Tagen Verhandlungen über Abweichungen von Flächentarifverträgen aufgenommen.

Der Pilotabschluss aus Baden-Württemberg wurde inzwischen von allen Bezirken übernommen, ein ähnlicher Haustarifvertrag bei VW abgeschlossen.

Zu Beginn der Tarifrunde hatte die Befragung der Betriebsräte von 3400 Betrieben der Metall- und Elektroindustrie ein positives Bild der wirtschaftlichen Lage ergeben: Auftragsbücher voll, Umsätze eher gut, Gewinne gut bis sehr gut. Nur von einer 2 %igen Minderheit der Betriebe wurden Probleme wegen Lieferengpässen und Preissteigerungen berichtet. Zum Zeitpunkt der Forderungsaufstellung von 8 % Ende August lag die Inflationsrate bei etwa 10 %, sodass hier schon ein nomineller Reallohnverlust vorgegeben war.

Von Ende Oktober bis zum Tarifabschluss wurden an die 900000 Warnstreikende gezählt, davon allein fast 300000 in Baden-Württemberg, in NRW über 126000. Mit den üblichen Aufgeregtheiten und der Ankündigung einer Eskalation im Vorfeld, falls die Arbeitgeber kein verhandlungsfähiges Angebot vor der entscheidenden Runde in Ludwigsburg abgäben, konnte die Kapitalseite nicht beeindruckt werden. Die meisten Funktionäre waren wohl sehr zufrieden mit dem Abschluss und, nach Angaben aus dem Sekretärsbereich, haben auch erleichtert reagiert, weil eine ausreichende Bereitschaft zum Vollstreik nicht erkennbar gewesen sei. Außerdem scheint das Inflationsprämienangebot zusätzlich deaktivierend gewirkt zu haben.

Jörg Hofmann hob die faktischen finanziellen Verbesserungen hervor, die für einen Facharbeiter 7000 € ausmachen können, allerdings eben inklusive der Inflationsprämie und auf die Laufzeit bis zum 30.9.2024 berechnet. Größere Proteste gegen den Tarifabschluss wurden nicht bekannt, offensichtlich bedeutet er für die allermeisten Mitglieder ein erträgliches Ergebnis.

Vor dem Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie war schon ein ähnlich strukturierter in der Chemieindustrie erfolgt, auch hier mit den 3000 € der Konzertierten Aktion. Dabei sollen bis zu 12,5 % ‘Nettoentlastung’, für untere Entgeltgruppen bis zu 15 % möglich sein. Die Tarifentgelte steigen dort jeweils um 3,25 % am 1. Januar 2023 und 1. Januar 2024. bei einer Laufzeit von 20 Monaten bis zum 30. Juni 2024.

Mit der ‚Inflationsprämie’ wurde schon vor den eigentlichen Tarifrunden der wichtigsten Industriebranchen durch staatliches Entgegenkommen Druck herausgenommen und die Arbeitgeberseite vor zu hohen Forderungen geschützt. Hinzu kamen die mit ähnlich sozial befriedender Funktion ausgestatteten Entlastungspakete, an deren Zustandekommen die DGB-Gewerkschaften sehr aktiv mitgearbeitet hatten.

Die Unsicherheiten durch die Transformation im Automobilbereich und die ggf. weiteren Kriegsfolgekosten für die Arbeitnehmer dürften bei der Akzeptanz des Tarifergebnisses eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben. Berücksichtigt worden sind sicherlich auch die Probleme kleinerer Betriebe, die bekanntermaßen keine Jahresergebnisbeteiligung zahlen (können) wie Mercedes in 2/22 in Höhe von 6000 €. In Untertürkheim wurde der Abschluss dann auch auf einer Vertrauensleutevollversammlung am 21.11.22 abgelehnt.

Trotz des vielfach bemühten Arbeitskräftemangels hat für den durchschnittlichen Metallarbeiter die Absicherung des gegenwärtigen Lebensstandards bzw. eine für ihn kalkulierbare und somit überschaubare Verschlechterung eine herausragende Bedeutung. Für weitergehende tarifpolitische Forderungen gab es somit auch keine ausreichenden Kräfte im IGM-Organisationsbereich. Unterm Strich wurde nach 5 Jahren ohne tabellenwirksame Erhöhungen ein Abschluss mit nominell 4,25 %igem Zuwachs pro Jahr festgeschrieben. Richtigerweise spricht die IGM in ihren Verlautbarungen von „mehr Geld“ oder „Entlastungen“, nicht aber über den fortgesetzten und markanten Reallohnverlust in einer Schlüsselindustrie.

Nur auf der Warnstreikveranstaltung in Hanau am 17.11.22 (vgl. den gesonderten Bericht in dieser Zeitung) wurde ein Zusammenhang zwischen der aktiven deutschen Kriegspolitik und sozialpolitischen Forderungen und Umverteilungsnotwendigkeiten hergestellt. Dies kann als insgesamt sicherer Beleg gelten für die aktive Unterstützung sowohl der bürgerlichen Koalition von CDU/CSU bis zu großen Teilen der LINKEN im (Wirtschafts-)Krieg gegen Rußland als auch der Konkurrenz- und Profitbedingungen des deutschen Kapitals.

Seit Jahrzehnten liegt der gewerkschaftliche Focus auf der individuellen finanziellen Absicherung, nicht aber auf der strukturellen Verbesserung oder gar Veränderung der Konkurrenzsituation aller abhängig Beschäftigten. Die naheliegende Erklärung muss in der weitgehend kritiklosen Übernahme der Grundstruktur kapitalistischer Konkurrenz durch die Arbeitenden als alternativloser Wirtschaftsform gesehen werden. Ebenso darf die im internationalen Maßstab aus seiner Sicht recht solide Situation des durchschnittlichen deutschen Facharbeiters nicht gefährdet werden. Weil also die Arbeitgeber ihre „Mitarbeiter“ in den Kernbereichen der industriellen Produktion materiell recht gut ausstatten können, fehlt eine zentrale Bedingung für eine über das normale sozialpartnerschaftliche Agieren hinausgehende Kraft.

Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen ist zudem sehr stark fraktioniert und eher auf einzelbetriebliche Auseinandersetzungen begrenzt, die sich nicht oder nur sehr beschränkt zu gesamtgewerkschaftlichen Konflikten weiterentwickeln lassen. Stattdessen werden ganz überwiegend individuelle Lösungen gesucht.

Die wesentliche Grundlage für die geringe Kampfkraft und die dementsprechenden Tarifergebnisse mit Reallohnverlusten muss in der faktischen Macht und umfassenden Wirksamkeit der kapitalistischen Rahmenbedingungen verortet werden, der gegenüber jeder Widerstand von vornherein für viele vergeblich und kontraproduktiv scheint. Der sozialdemokratische Interpretationskorridor erlaubt somit – im Sinne der Mitglieder zu Recht – nur die filigrane Abstimmung mit und ganz überwiegend zugunsten der Kapitalseite. Mit diesem Abschluss wird die Umverteilung von unten nach oben fortgeschrieben, und die Konkurrenz der verschiedenen Beschäftigtengruppen untereinander wird weiter verschärft werden.

16.01.2023


 

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