Kundgebung in Kiel gegen die Folgen der Corona-Pandemie für die Beschäftigten

Am Sonnabendnachmittag, 6. Juni 2020 beteiligten sich etwa 150 Menschen (nach Angaben der Veranstalter) an einer Kundgebung gegen die Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Folge der Corona-Krise in der Kieler Innenstadt.

Zur Aktion riefen die verschiedensten linken Gruppen, Initiativen und Gewerkschaften, etwa die „Perspektive Solidarität Kiel (PSK), die Turboklimakampfgruppe (TKKG) Kiel, das Rote Kollektiv Kiel (RKK), der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus sowie ein Zusammenschluss aus dem Chefduzen-Stammtisch und dem Jour Fixe der Gewerkschaftslinken aus Hamburg. Weitere Initiativen schlossen sich dem Protest an. Die zumeist jüngeren Teilnehmer wollten offensichtlich nicht länger zusehen, wie die Pandemie auf breiter Front die Lebens- und Arbeitsbedingungen verschlechtere und die Gewerkschaftsapparate passiv blieben. „Die haben einen fetten Apparat und kriegen seit Wochen nix gebacken…“ wurde das Stillhalten der Gewerkschaften kritisiert.

Arbeitsmigranten sind keine Menschen zweiter Klasse. Gleiche Rechte und gleiche Löhne für alle!

Aufhänger für die Protestaktion waren die haarsträubenden Zustände auf den Schlachthöfen Schleswig-Holsteins.

140 Beschäftigte hatten sich mit dem Corona-Virus in Schleswig-Holstein infiziert, nicht nur Rumänen, sondern auch staatliches Hygienepersonal. Als Ende des vorigen Jahres die öffentliche Kritik an den Arbeits- und Wohnbedingungen der osteuropäischen Wanderarbeiter auf den Schlachthöfen immer lauter wurde, sah sich der nordrheinwestfälische Arbeitsminister Joseph Laumann veranlasst, die Schlachthöfe in NRW umfassend zu überprüfen. Mehr als 5800 Arbeitszeitverstöße wurden dabei festgestellt, Arbeitszeit von über 16 Stunden am Tag, die Ruhezeit von 11 Stunden und die Pausenregelung wurde nicht eingehalten. Fast 300 technische Arbeitsschutzmängel mit teilweise hohem Gefährdungspotential und 100 Mängel in der Arbeitsschutzorganisation (Betriebsanweisungen in der Sprache der Beschäftigten usw.) konnte das Ministerium auflisten. Doch die naheliegende Forderung der Initiativen in Schleswig-Holstein, ähnliche Kontrollen auch für SH zu veranlassen, ignorierte die Landesregierung schlicht.

Wieder einmal verspricht die Politik Abhilfe: Ab Anfang 2021 sollen Werkverträge in der Fleischindustrie laut Bundeskabinett verboten werden. Zusätzlich will die Regierung stärkere Kontrollen veranlassen. Die Arbeitszeit soll digital erfasst werden und die Bußgelder für Arbeitszeitverstöße sollen auf 30 000 Euro verdoppelt werden. Die SPD-SH fordert darüber hinaus als Sofortmaßnahme Arbeitsschutzkontrollen vor Ort und mehr Kontrollen bei der Unterbringung. „Dass das Personal dafür knapp ist, weiß auch die SPD“, so Fraktionschef Ralf Stegner.

Doch viele Arbeitsrechtler und Initiativen bleiben skeptisch, ob sich wirklich etwas ändert. Sie haben den Verdacht, es handelt sich wieder einmal um reine Symbolpolitik, allenfalls für einen kleinen Industriebereich werde eine Sonderlösung geschaffen. Probleme der Wander- und Saisonarbeitern in anderen Bereichen (Landwirtschaft, Baugewerbe, Werften, Logistik etc.) werden außer Acht gelassen.

Noch zu gut in Erinnerung haben viele die Nacht- und Nebelaktion des Bundestages vom 1. Juni 2017. Nachts um 1:55 Uhr wurde ein Gesetz zur „Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch)“ beschlossen, versteckt hinter einem Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes. Union und SPD wollten damit angeblich den Missbrauch von Werkverträgen per Gesetz stoppen und die großen Schlachtkonzerne in die Pflicht nehmen. Aus Sorge, dubiose wie einflussreiche Größen der Fleischindustrie könnten das Gesetz noch verhindern, war nur eine Handvoll Abgeordnete eingeweiht. Das Resultat dieser „mutigen Großtat“ blamierte sich in der Coronakrise endgültig.

Das neue Gesetz ist noch nicht einmal verabschiedet, da zeigt der „Verband der Fleischwirtschaft“ bereits seine juristischen Krallen. Das Verbot sei eine „willkürliche Benachteiligung“ der Fleischwirtschaft, weil in anderen Bereichen ja mit Werkverträgen gearbeitet werden dürfe. Beobachter zweifeln auch, ob sich Bundesarbeitsminister Heil mit seinen Vorstellungen durchsetzen kann, sind doch die Kompetenzen des Bundes in der Angelegenheit begrenzt, Arbeitsschutz ist Ländersache, andere Kompetenzen mit Bezug auf die Schlachtfabriken halten die Kreise und Kommunen.

Es ging auf der Kundgebung aber nicht allein um die Schlachthöfe.

Im ersten Block der Kundgebung kamen auch Vertreter der SDAJ, des Roten Kollektiv Kiel, von ver.di Kiel-Plön und der Gewerkschaft NGG mit Beiträgen zu den sich verschlechternden Arbeitsbedingungen im Gesundheits- und Pflegesektor, in den Callcentern, in der Gastronomie und der Lebensmittelindustrie zu Wort.

Im zweiten Teil der Kundgebung wurden antirassistische und antifaschistische Inhalte gebündelt, …

… um die aktuelle Situation in den Geflüchtetenlagern an den Grenzen Europas zur Sprache sowie Solidarität mit den antirassistischen Aufständen in den USA zum Ausdruck zu bringen. Vertreter der Seebrücke Kiel, des Netzwerks Antirassistische Aktion (nara), der Sinti und Roma u. a. kamen hier zu Wort. Spontan trat eine Gruppe des „Afrodeutschen Vereins“ auf und wies auf ihre kommende Veranstaltung hin.

Die geringe Zahl der Teilnehmer erklären sich die Organisatoren mit der viel zu kurzfristigen Mobilisierung, als besonderen Erfolg verbuchen sie das solidarische Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Sozial- und Umweltbewegungen und dem Kreis aktiver Gewerkschafter.


Fotos: chefduzen.de Forum der Ausgebeuteten


aus Arbeiterpolitik Nr. 3/4 2020

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