Griechenland nach der Wahl:
Kahlschlags-Diktat abgewählt
– doch der Kampf hat erst begonnen

Bei den vorgezogenen Neuwahlen am 25. Januar 2014 wurde SYRIZA mit Abstand die stärkste Partei. Die faschistische »Goldene Morgenröte« zog zwar wieder mit über 6 Prozent ins Parlament ein, ihr weiterer Aufstieg konnte allerdings zunächst gebremst werden. Dennoch, sie wurde zur drittstärksten Partei im Parlament und wartet auf ein Scheitern der neuen Regierung, wovon sie sich einen gewaltigen Auftrieb erhofft.

Während sich in Mittel- und Nordeuropa die politischen Kräfteverhältnisse nach rechts verschieben, gab es in Griechenland einen kräftigen Linksruck. Dies ist in erster Linie den zahlreichen Initiativen der Selbsthilfe und den Aktivitäten der Basisgewerkschaften zu verdanken. Ohne die gelebte Solidarität, beispielsweise in den sozialen Gesundheitszentren, ohne die vielfältigen Formen des Widerstandes wären sicherlich mehr verarmte und enttäuschte WählerInnen den faschistischen Demagogen auf den Leim gegangen. Syriza verdankt seinen Wahlerfolg wesentlich dem unermüdlichen Einsatz der unzähligen AktivistInnen aus dem sozialen und politischen Widerstand im ganzen Lande.

Mit der Bildung der neuen Regierung werden die vielfältigen Initiativen der sozialen Selbst- und Nachbarschaftshilfe und des politischen Widerstandes nicht überflüssig. Ganz im Gegenteil – ihre Möglichkeiten der politischen und außerparlamentarischen Mobilisierung entscheiden mit darüber, ob Syriza dem Druck ihrer äußeren und inneren Feinde standhalten kann. Dieser Druck ist enorm, wie die Reaktionen auf die ersten Beschlüsse der neuen Regierung zeigen. Die EU-Administration in Brüssel und die große Koalition in Berlin beharren auf der Erfüllung der Abmachungen, die man der alten Samaras-Regierung so reibungslos diktieren konnte. Sie drohen dem verschuldeten Land mit ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Erpressungsinstrumenten. Zeitgleich werden wir Zeuge einer medialen Hetzkampagne gegen die unbotmäßige Regierung. Das griechische Beispiel soll auf keinen Fall Schule machen.

Mit den ersten Maßnahmen versucht die durch Syriza geführte Regierung die ärgsten Folgen der sozialen und demokratischen Demontage zu beseitigen. Die Tarifautonomie, d.h. das Tarifvertragswesen, wird wieder hergestellt. Die Privatisierung zahlreicher öffentlicher Betriebe und Leistungen wurde ausgesetzt. Die Gesundheitsversorgung für alle, auch für die drei Millionen aus jeglicher Sozialversicherung gedrängten Menschen, soll wieder in Kraft treten. Der Mindestlohn und die Minirenten sollen angehoben werden. Dies ist ein glatter Bruch mit der Austeritätspolitik (Kahlschlags-Diktat), wie sie den Regierungen der EU auf Betreiben der Bundesregierung verordnet wurde.

Die Konstrukteure und Nutznießer der Austeritätspolitik – in Griechenland als auch in Europa – werden alles daran setzen, dem griechischen linken Aufbruch ein Ende zu bereiten bevor er in Spanien, Portugal, Italien oder anderen Staaten der EU Nachahmung findet. Die herrschende Klasse in Griechenland, an deren Spitze ein gutes Dutzend Familien steht (Reedereien und Bauunternehmen), kontrolliert über ihre privaten Medien nicht nur die Presselandschaft. Ihre engen Beziehungen in den Staatsapparat – in Justiz, Polizei, Militär, Geheimdienst, als auch in die Steuerbehörden – wird sie nutzen, um ihre bisherigen Privilegien zu sichern. Bisher waren diese Familien entweder von Steuerzahlungen befreit, wie beispielsweise die Reeder, oder sie blieben von der Steuerfahndung verschont. Die Privilegien, die Steuerhinterziehung und die Korruption will die neue Regierung bekämpfen. Umgekehrt wird die griechische Oligarchie alles daran setzen, eine Regierung, die ihre Macht beschneidet, möglichst rasch zu beseitigen.

Syriza: Hoffnungsträger oder alter Wein in neuen Schläuchen?

Der Wahlsieg von Syriza wird innerhalb der europäischen Linken völlig unterschiedlich bewertet: Von Sieg und Aufschwung für die Linke in ganz Europa bis hin zur Einschätzung, es handele sich um eine neue sozialdemokratische Partei, die auch nur ihre Leute mit einem Posten im Staatsapparat versorgen werde, reicht das Spektrum. Kritisieren die einen das fehlende revolutionäre Programm, sehen die anderen mit Syriza den Weg zu einem demokratischen, sozialen oder sogar revolutionären Europa beginnen.

Was ist tatsächlich passiert? Am 25. Januar 2015 fanden in Griechenland Wahlen statt, bei denen eine Partei der Linken mehr Stimmen bekam als die anderen Parteien. Durch die Besonderheiten des griechischen Wahlrechts erreichte sie trotz eines Stimmenanteils von nur etwas über 36% fast die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Umgerechnet auf die Wahlbeteiligung von 63,9% wurde Syriza aber von weniger als einem Viertel aller Wahlberechtigten gewählt. Von einem überwältigenden Wahlerfolg kann also erst mal nicht die Rede sein.

Syriza war nicht mit einem revolutionären Programm angetreten (das hatte die kommunistische Partei, KKE, die 5,5 Prozent bekam), sondern mit einem Sofortprogramm gegen die soziale Not und mit dem Versprechen, das Spardiktat der Troika zu brechen, aber innerhalb der Eurozone zu bleiben. Damit stimmt die Mehrheit der Bevölkerung überein, was insbesondere Umfragen in den Wochen nach der Wahl zeigen. Die Bevölkerung war also weit von einer revolutionären Stimmung entfernt, als gewählt wurde.

»Syriza hat uns unsere Würde zurück gegeben«

Dieses Gefühl drücken sehr viele GriechInnen nach der Wahl aus. Die Demütigungen insbesondere in der deutschen Presse (»faule Griechen«, »Pleitegriechen«) und durch das Diktat der wie eine Besatzungsmacht empfundenen Troika hatten sehr viele tief getroffen und verletzt. Auf dieser Basis eines verletzten Nationalstolzes durch ausländische Mächte (an der Spitze Deutschland) konnte Syriza eine Koalition mit den rechtsnationalen »Unabhängigen Griechen « bilden, die ebenso vehement die Spardiktatur der Troika ablehnen. Ein Bündnis auf einer Klassengrundlage war nicht möglich, weil die KKE mit ihrem nicht unerheblichen Anhang in der Arbeiterschaft jegliche Zusammenarbeit mit Syriza ablehnt.

Die neue Regierung löste alleine durch die Ankündigung, einige besondere Härten der Austeritätspolitik der letzten Jahre zurückzunehmen sowie der Ankündigung, nicht vor den EU-Institutionen zu kapitulieren, Großdemonstrationen zugunsten der Regierung aus – ein für Griechenland und andere Staaten unerhörter Vorgang. Gleichzeitig waren die Demonstrationen auch eine Warnung an die griechische Verhandlungsdelegation, nicht zurückzuweichen. Dabei ist jetzt schon klar, dass diese Ankündigungen nur umgesetzt werden können, wenn der Druck der Volksbewegung weiter anhält bzw. sich steigert. Ein soziales Not- und Minimalprogramm braucht zur Durchsetzung schon außerparlamentarische oder revolutionäre Mittel!

Syriza hat also nur eine Wahl gewonnen. Dass sie »an die Macht gekommen« sei, wie manche fabulieren, verkennt die tatsächlichen Verhältnisse. Die Machthabenden sind weiterhin die reichen Eigentümer der Unternehmen, die privaten Eigentümer von Presse und Fernsehstationen, die von Polizei und Militär geschützt werden – da darf man sich nichts vormachen. Ohne die Unterstützung der Solidaritätsstrukturen, der Menschen in Betrieben und Stadtteilen, ihre massenhafte Organisierung und Mobilisierung, ihre Einmischung und ohne Unterstützung in anderen europäischen Ländern wird die Syriza-Regierung auf verlorenem Posten stehen.

Die Austeritätspolitik ist gescheitert – was kommt, ist offen

Die Weltwirtschaftskrise nach 2008 wurde bislang dadurch »überwunden«, dass die Staaten und die Zentralbanken durch eine enorme Aufblähung der Schulden und durch eine Schwemme neuen Geldes die Vernichtung großer Teile des Banken- und industriellen Kapitals und damit die Auslösung einer katastrophalen weltweiten Depression verhinderten. Die zu Grunde liegenden Probleme – gewaltige industrielle Kapazitäten einerseits, beschränkte Konsumtionsfähigkeit andererseits –, die sich immer mehr angehäuft hatten, blieben dadurch aber bestehen. Dem nur die Oberfläche sehenden Betrachter stellte sich diese Politik als »Bankenrettung« dar, tatsächlich handelt es sich um den Versuch der kapitalistischen Systemrettung. Das Ergebnis war eine enorme Ausweitung der Staatsverschuldung. Doch diese Kredite bewähren sich kapitalistisch nur, wenn sie verzinst werden. Die Kehrseite dieser »Rettungspolitik« innerhalb der gemeinsamen Eurozone ist die unter Führung der deutschen Regierung betriebene Sparpolitik sowohl nach innen mit der »Schuldenbremse« (um die Schulden wieder zu reduzieren) wie nach außen durch die Diktate der Troika gegenüber den zahlungsunfähigen Eurostaaten Griechenland, Spanien, Portugal, Irland. Insbesondere in Griechenland führte diese Politik zur Verelendung breiter Teile der Bevölkerung und zu einer Vertiefung der Krise, die Griechenland 2008 besonders hart getroffen hatte (siehe Arpo 2,3,4/2012, 3/2013, 1/2014, 3,4/2014 ).

Der Wahlsieg von Syriza zeigt nun, dass diese Form der Krisenrettungspolitik am Ende ist. Diese Politik setzte nämlich darauf, dass das Diktat der kapitalistischen Eigentumsrechte (wer Schulden hat, muss sie zurückzahlen, auch wenn er dabei kaputt geht) über die jeweiligen nationalen Regierungen und Parlamente »demokratisch« umgesetzt wird. Als erstes haben nun die Griechen nein gesagt, als nächstes werden es vermutlich die Spanier sein und dabei wird es nicht bleiben. Der Erdrutsch hat begonnen und lässt sich nicht aufhalten.

Die Krise aber bleibt – es gibt aus ihr auf der Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise keinen Ausweg. Konkret für Griechenland gesprochen: Die Vorstellung von Syriza, mit einem dem griechischen Wirtschaftswachstum angepassten Schuldenrückzahlungsprogramm die Situation meistern zu können, ist illusionär. Woher soll das Wachstum kommen bei einem sowieso schon von Überproduktion verstopften Weltmarkt? Die Schulden sind unbezahlbar. Es gibt keinen »angenehmen« sozialdemokratischen oder keynesianischen Ausweg für Syriza, die Gläubiger werden auch nicht auf die Rückzahlung ihrer Kredite freiwillig verzichten. Wenn es diesen Ausweg gäbe, könnten die linken Kritiker von Syriza vermutlich Recht bekommen, dass Syriza auch nichts anderes sei als eine Systempartei.

Aber ein Haus auf einem Erdrutschhang kann man nicht nach den Tapeten beurteilen. Man muss die Entwicklung sehen und die ist momentan völlig unbestimmbar. Syriza, die Bevölkerung, Griechenland werden sich völlig verändern. Es kann durchaus sein, dass über kurz oder lang die Regierung vor der Alternative stehen wird: weiterhin sich den Forderungen der Gläubiger zu beugen oder sich zu verweigern. Es gab schon einmal eine Situation, in der eine griechische Regierung vor der Wahl stand zu kapitulieren oder sich zu verweigern. Das war im Oktober 1940, als das faschistische Mussolini-Italien die griechische Regierung aufforderte italienische Besatzungstruppen ins Land zu lassen oder angegriffen zu werden. Der rechtsnationale Diktator Metaxas sagte aufgrund des innenpolitischen Drucks nein, Italien griff an, Griechenland wurde zu einem Kampfplatz des 2. Weltkriegs mit damals unvorstellbaren Folgen. Zunächst gelang es den militärisch eigentlich unterlegenen griechischen Truppen die italienischen Angreifer zurückzuschlagen. Mit dem Überfall der Nazi-Wehrmacht begann dann eine dreijährige Besetzung mit Hunderttausenden von Toten. Bis heute ist dieser Oktobertag als »Ochi-Tag« (Tag des Neins) in Griechenland Nationalfeiertag.

Die Veränderung wird nicht nur Griechenland erfassen, sondern alle europäischen Länder. Es liegt an den Widerstandsbewegungen der sozialen Bewegung auch hierzulande, auf diese Veränderung einzuwirken.

2. März 2015


Nachtrag vom 9. März 2015

Die bisherigen Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den »EU-Institutionen« zeigen Folgendes:
Die von der deutschen Regierung mit Schäuble voran geführte Mehrheit zeigt, dass sie ihre Lektion gelernt hat: Man hat sich als Regierung den kapitalistischen Marktgesetzen zu unterwerfen, getreu dem Tucholsky zugeschriebenen Satz, dass die Regierungsparteien nicht an der Macht, sondern nur an der Regierung seien. Die griechische Tsipras-Regierung habe das zu lernen, mit Wünschen könne man nicht regieren, sondern man müsse die Realität begreifen.
Deshalb werden die finanziellen Daumenschrauben angezogen und unverhüllt gedroht: Akzeptiert ihr nicht unsere Bedingungen, lassen wir euch bankrottgehen und ihr seid politisch erledigt. Die Bedingungen sind dabei klar: Fortsetzung des sozialen Kahlschlags und der Privatisierungen, d.h. des Ausverkaufs des Staatseigentums.

Die von Syriza geführte griechische Regierung kann sich aber nur unterwerfen um den Preis des Untergangs von Syriza. Auch wenn vielleicht manche in der Partei sich dem Diktat beugen möchten, so ist Syriza viel zu sehr mit den sozialen Bewegungen verbunden, als dass sie das Spiel mitmachen könnte wie andere Regierungen in anderen Ländern zuvor, als letzte die Hollande-Regierung in Frankreich.Das zeigen jetzt die aktuellen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei und das Erstarken des linken Flügels. Es ist der Parteiführung schon nicht mehr möglich die Vereinbarung mit den Gläubigern der griechischen Schulden im Parlament abstimmen zu lassen, weil sie keine eigene Mehrheit zusammen brächte. Das heißt, der Kampf auf der Straße und die Auseinandersetzungen mit den EU-Vertretern beginnt erst richtig.


aus Arbeiterpolitik Nr. 1/2 2015

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