Am 3. März einigten sich die Gewerkschaften (GEW, GdP, IG BAU, ver.di und der Beamtenbund) mit dem hessischen Innenminister Beuth auf einen Tarifabschluss für die Beschäftigten des Landes Hessen. Seit Hessen 2003 unter dem damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch aus der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) austrat, gibt es in Hessen einen eigenen Tarifvertrag für die Landesbeschäftigten und separate Verhandlungen dazu. Dem Austritt folgte eine Phase tariflosen Zustands, den die Landesregierung nutzte, um für neu Eingestellte die Arbeitszeit zu verlängern und die Löhne durch Gesetz festzusetzen. Dies brachte für hessische Landesbeschäftigte gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern zum Teil erhebliche Nachteile. Erst seit 2009 gibt es wieder Tarifverhandlungen.
Der Abschluss vom 3. März bleibt bezüglich der prozentualen Erhöhung leicht hinter dem für die anderen Bundesländer vereinbarten Vertrag zurück: Zum 1.1.2017 gibt es eine Lohnerhöhung von 2 Prozent und ein Jahr später von 2,2 Prozent. Allerdings erhalten die Landesbediensteten die Möglichkeit, den Öffentlichen Nahverkehr in Hessen kostenfrei nutzen.
Burka-Verbot:
Tabubruch und Blaupause für Zusatzforderungen
In den Verhandlungen wurde die Gewerkschaftsseite mit einer speziellen Forderung des Landes konfrontiert: In den Tarifvertrag sollte das Verbot der Vollverschleierung während des Dienstes aufgenommen werden. Derzeit gibt es ein solches Verbot nur für Beschäftigte mit Kundenkontakt. Die CDU will dies schon länger ausweiten, hat dafür aber keine Mehrheit. Die Burka ist seit längerer Zeit das Schreckgespenst islamophober Strömungen am rechten Rand und hier wollte CDU-Mitglied Beuth wohl einige verloren gegangene Stimmen zurückgewinnen.
Die Gewerkschaften fanden dies zunächst völlig abwegig. Jochen Nagel (GEW) nannte es »völligen Unsinn« und auch nach Auffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hätte »so ein Thema« in einem »Tarifvertrag eigentlich nichts zu suchen«. Auch die Oppositionsparteien im Landtag kritisierten den Vorstoß der CDU. Die SPD-Abgeordnete Nancy Faeser nannte den Vorschlag »völlig absurd«. »Man regelt da ein Problem, was es gar nicht gibt«. Die hessische CDU wolle im Wahlkampf wohl zu alter Form zurück und die Hardliner-CDU spielen. Hermann Schaus, Abgeordneter der Linken im Landtag, meinte: »Das ist purer Rechtspopulismus und einfach nur bizarr«.
Jochen Nagel behauptete noch am Tag vor dem Abschluss in der hessenschau: »Gewerkschaften werden sich auf so schmutzige Geschäfte nicht einlassen«. Jürgen Bothner, Landesvorsitzender von ver.di zeigte sich hier schon aufgeschlossener: »Die Frage ist: Was bekommen wir dafür«.
Für diesen Auftritt in der hessenschau erhielt Jürgen Bothner ein empörtes Schreiben von Jürgen Johann, dem Vorsitzenden des ver.di-Bezirks Hessen-Süd. Er warf ihm vor, sich mit dem hessischen Innenminister gemein zu machen, den er als »üblen Typen« bezeichnete. Außerdem habe er für diesen Auftritt »keinerlei Mandat« erhalten.
In seiner Kritik kann sich Jürgen Johann durch den Arbeitsrechtler Peter Wedde von der Frankfurt University of Applied Sciences unterstützt sehen. Für ihn ist die Regelung ein Tabubruch und eine Blaupause für weitere Zusatzforderungen der Arbeitgeber an die Gewerkschaften. »Nach dem Motto: Wir geben euch ein bisschen mehr Geld, dafür wollen wir etwas anderes haben, was wir aus eigener Kompetenz nicht regeln wollen, weil es uns zu heikel und zu riskant ist«. Das findet Wedde »fatal«.
ver.di-Jugend ruft auf, mit »Nein« zu stimmen
Trotz der Kritik aus einigen Gewerkschaften wurde aber schon am nächsten Tag der Tarifkompromiss gefunden und er beinhaltete das umstrittene Burka-Verbot. Dies sei für das Land eine Bedingung gewesen für den erfolgreichen Tarifabschluss. In der ver.di-Tarifkommission gab es nur eine Gegenstimme. Nun steht eine Befragung der Mitglieder an. Die ver.di-Jugend Südhessen fordert die betroffenen Mitglieder auf, hierbei mit »Nein« zu stimmen. Der Vorstand der Jugendorganisation hält es für ein »fatales Signal«, »wenn ver.di einen Tarifabschluss hinlegt, in dem rassistische Ressentiments, die in der Politik keine Mehrheit finden, verankert werden«. Die Gewerkschaft dürfe sich »nicht als Vehikel für eine solch populistische Politik« hergeben. Kritik gab es hier auch am materiellen Ergebnis der Verhandlungen: Der Abschluss sei hinter den Minimalforderungen zurückgeblieben. »Und das nachdem wir für einen solch schäbigen Kompromiss unsere Ideale verkauft haben.«
aus: Politnetz Darmstadt, 11.03.2017
ver.di Südhessen verlangt von ver.di-Clearing Stelle die Prüfung des Punktes »Verbot der Vollverschleierung«
»… die VL Vollversammlung der Beschäftigten des Landes Hessen des ver.di Bezirks Südhessen hat in ihrer Sitzung am 13.3.2017 einstimmig beschlossen, euch zu bitten, die Tarifeinigung (…) hinsichtlich ihrer Zulässigkeit auf unsere Satzung und unsere tarifpolitischen Grundsätze zu prüfen. Der Streit bzw. die inhaltliche Bandbreite der Diskussionsstränge bewegt sich in der Positionierung von Berufsverbot für Frauen, bis zu inhaltlicher Übereinstimmung mit dem Verschleierungsverbot. Einigkeit besteht am ehesten in der Position, dass eine solche Regelung in einem Tarifvertrag nichts zu suchen hat. (…) Was für zusätzlichen Ärger sorgt, ist die Tatsache, dass auf andere Tarifbereiche, z.B. die TU Darmstadt, von Arbeitgeberseite aus Druck ausgeübt wird, diesen Punkt in den Haustarifvertrag zu übernehmen…«
Aus dem Schreiben der ver.di Südhessen vom 13. März 2017 an die Clearing Stelle der ver.di, das uns vorliegt.
aus: labournet
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