Die AfD vor der Bundestagswahl

Es ist sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, dass mit der AfD im Herbst eine neue Partei rechts von CDU/ CSU in den Bundestag einzieht. Wie in anderen europäischen Ländern ist dieser Vorgang Ausdruck von Veränderungen, teilweisem (Italien, Frankreich) Verfall des bisherigen Parteiensystems. Am rechten Rand entwickelt sich eine Strömung, die von bürgerlichen PolitikerInnen und ihnen nahestehenden Medien als »rechtspopulistisch«[1] bezeichnet wird. In Gruppierungen der Linken (im weitesten Sinne) wird häufig der Begriff »faschistisch« zur Kennzeichnung der Positionen der AfD verwendet. Nachdem es in der Geschichte der BRD zwar eine Reihe von rechtsextremen Gruppierungen und Parteien (SRP – Verbot 1952, NPD – knapp gescheitert in der BT-Wahl 1969, Rep etc.) gegeben hatte, diese aber nie in den Bundestag gelangt waren und nach einem gewissen Aufstieg in der öffentlichen Wahrnehmung einen Wiederabstieg erlebt hatten, scheint sich mit der AfD (mittlerweile in dreizehn Landtagen vertreten) eine dauerhafte Präsenz abzuzeichnen, die auch einen starken Flügel faschistischer Kräfte umfasst.

Wo steht die AfD?

Es ist offensichtlich, dass die AfD viele Einzelpersonen und einige Strömungen in sich trägt, auf die die Bezeichnung »faschistisch« zutrifft. Darin drückt sich die tendenzielle Gefahr aus, die von dieser Partei ausgeht. Andererseits ist die Partei nicht in ihrer Gesamtheit faschistisch: Sie bewegt sich nicht in einem dafür passenden Umfeld und sie hat in ihrem jetzigen Entwicklungsstadium weder den Charakter einer Massenbewegung noch die konsequente Zielsetzung der gewaltsamen Zerschlagung der Gewerkschaften und der diktatorischen Abschaffung der Rechte der Lohnabhängigen und des Sozialstaates (vgl. Kasten »Grundzüge des Parteiprogramms«). Das ist für die Gegenwart so festzustellen, für eine fernere Perspektive sagt das noch nichts. Da die AfD eindeutig autoritäre Lösungen propagiert, rassistische Auffassungen verbreitet und den Anspruch erhebt, in dieser Weise den ordnungspolitisch noch akzeptierten Parlamentarismus vor sich herzutreiben, ist ihre ideelle Geistesverwandtschaft mit faschistischen Kräften nicht zu leugnen. Sie vermeidet unter den gegenwärtigen Umständen, mit dem tabuisierten Nationalsozialismus identifiziert zu werden. Sie möchte möglichst breite Schichten des unzufriedenen Teils der Bevölkerung ansprechen. Der AfD gelingt das bisher in einem Ausmaß wie keiner anderen Gruppierung in der Geschichte der BRD. Das macht ihre Gefährlichkeit unter gegenwärtigen Bedingungen aus.

Ökonomische, soziale und politische Voraussetzungen

Die Auflösung der Sowjetunion und ihres sozialistischen Lagers haben die Welt grundlegend verändert und die Klassenverhältnisse auch auf nationaler Ebene neu positioniert. Der strukturpolitische Sieg des Kapitalismus über die bisherige Form sozialistischer Vergesellschaftung, der von den Herrschenden als »alternativlos« hingestellt wird, hat auch in bisher systemoppositionellen Kreisen zu großer Resignation geführt. Dazu kommen Entwicklungen und Veränderungen in der kapitalistischen Ökonomie selbst: Auflösung der Großbetriebe in kleinere Einheiten, Tarifflucht der Unternehmer und ihrer Verbände, Schaffung eines Niedriglohnsektors mit gesetzlichen Mitteln und ökonomischem Druck, Anpassung der Gewerkschaften an diese Bedingungen statt des Versuchs, gegenzuhalten usw. Die SPD als Regierungspartei und die Vorstände der Gewerkschaften haben sich den Kapitalisten zur Verfügung gestellt, um die Folgen der globalen Umbrüche und der Zurichtungen der nationalen Arbeitsmärkte auf die Lohnabhängigen abzuwälzen. Der zentrale Umbruch wurde von der SPD-Grüne-Koalition mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen vorgenommen. Seitdem haben sozialpolitische Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Rente usw.) nicht mehr die Aufgabe, den Lebensstandard auch unter Bedingungen ohne Erwerbsarbeit halbwegs zu sichern. Sie werden vielmehr als Instrumente zur Verarmung und Disziplinierung der Lohnabhängigen genutzt. Die Schere bei den Einkommen und Vermögen in der Bevölkerung ging seitdem immer weiter auseinander. Untere Lohngruppen und Langzeitarbeitslose wurden mehr und mehr abgehängt und in dieser Lage gefangen. Die Verbitterung darüber wuchs.

Ohne eine Erklärung, wie diese Entwicklung mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise zusammenhängt, befinden sich viele von sozialem Abstieg betroffene oder sich davon bedroht fühlende Menschen in Orientierungslosigkeit. Sie vertrauen der Sozialdemokratie und den anderen bürgerlichen Parteien nicht mehr, auch den Gewerkschaften nicht. Die antikapitalistische Linke ist für viele ebenfalls derzeit keine Option. So kann es kommen, dass frühere treue Wählerschichten der SPD, der französischen SP und KP usw. heute zur AfD bzw. zum Front National laufen. Man sollte sich aber nicht täuschen: Den Zulauf und die Wahlerfolge rechter Parteien nur aus der sozialen Lage und angeblicher Alternativlosigkeit zu erklären, wäre zu einfach. Es müssen konkrete politische Bedingungen hinzukommen.

Der Aufstieg der AfD ist nicht ohne die letzte Weltwirtschaftskrise (2007/8) zu verstehen. Diese Krise ging so tief, dass die Herrschenden eine gewisse Zeit lang sogar bereit waren, die Anwendung keynesianischer Methoden zu akzeptieren: Der Staat sollte eingreifen, damit der Schaden für die Gesamtwirtschaft nicht noch größer würde. Ein Beispiel war etwa die sogenannte »Abwrackprämie«, eine Subvention für die Autoindustrie. Der Kern der staatlichen Rettungsmaßnahmen war die bisher beispiellose Bankenrettung, bei der der Staat mit Hunderten von Milliarden einsprang, um das System zu retten. Diese war zwar im strengen Sinne nicht keynesianisch, wurde aber in weiten Teilen der Öffentlichkeit so dargestellt (Hetze gegen die »faulen Griechen«, denen sie angeblich zugute komme; bekanntlich sah aber die arbeitende und erwerbslose griechische Bevölkerung von den »Hilfspaketen« so gut wie nichts). Wirtschaftsliberale Kräfte wandten sich nach wie vor dagegen. Sie propagierten nach wie vor ihr sozialdarwinistisches Weltbild, wonach ein Kapitalismus ohne Pleiten nicht möglich ist (soweit muss man als Linker sogar zustimmen, wenn auch natürlich mit ganz anderen Schlussfolgerungen) und daher das ökonomisch Schwache und Unterlegene nicht überlebensfähig ist. Aus dieser Welt konservativ-liberaler Wertvorstellungen kommt eben auch die AfD mit ihrem ursprünglich dominanten Lucke-Flügel. Es ist vor allem die Welt des Mittelstandes und der Mittelschicht, in der in der Krise entsprechende Abstiegsängste entstehen und rechtspopulistisch organisierbar sind. Die AfD wendet sich gegen sozial schwächer Dastehende und gegen fremd erscheinende Minderheiten.

Zur Gründungsgeschichte der AfD

Die AfD kommt ursprünglich aus wirtschaftsliberalen Zusammenhängen. Von Beginn an galt sie als eindeutig marktliberal in der Nachfolge der FDP, in den soziokulturellen Fragen als rechts von CDU/CSU. In ihrer Gründungszeit war sie professoral geprägt (Bernd Lucke, ursprünglich CDU) und wies als besonderes Markenzeichen eine wirtschaftswissenschaftlich hergeleitete Gegnerschaft gegen den Euro auf. Von Anfang an waren aber auch Nationalkonservative wie Alexander Gauland und Konrad Adam dabei, und Vertreter rechtspopulistischer und faschistischer Strömungen, denen die AfD als ein neuer Kristallisationsfaktor erschien, sprangen auf den Zug auf. Dabei war, entsprechend dem Weltbild ihrer Gründer, der Weg der AfD nach rechtsaußen von Anfang an vorgezeichnet. Nachdem durch die sogenannten Rettungspakete für Griechenland der Euro-Krise in der deutschen Öffentlichkeit die Spitze genommen worden war, trat vorübergehend ein Niedergang in der Entwicklung der Mitgliedschaft und der Umfragewerte der AfD ein.

Im Sommer 2015 trat ein neuer Faktor auf, in dem das ganze rechte Spektrum eine Gefährdung für den nationalen Zusammenhalt Deutschlands erblickte: die verstärkte Zuwanderung von Flüchtlingen aus überwiegend islamisch geprägten Kriegsgebieten. Die AfD wurde zum Sammelpunkt und Sprachrohr derer, die der Bundesregierung für deren taktisch flexible und von rationaler Staatsräson bestimmte Flüchtlingspolitik Rechtsbruch (vorübergehende Aussetzung des Dublin-Abkommens) und Verstoß gegen angeblich deutsche Interessen vorwarf. Der Richtungswechsel zeigte sich im Juni 2015 durch die Wahl von Frauke Petry anstelle Luckes zur Vorsitzenden. Dieser verließ daraufhin mit seinem Anhang die AfD.

Grundzüge des AfD-Programms

Zum Programm der AfD wäre viel zu sagen, doch reicht hier der Platz dafür nicht aus. Im Endeffekt kommt es darauf an, was die Partei in der Richtung, die sie verfolgt, durchsetzen kann – auf die beschriebene indirekte Weise, indem parlamentarische Parteien ihre Forderungen aufgreifen, oder irgendwann durch eigene Regierungsbeteiligung. So oder so muss sich unser Widerstand dagegen richten.

Die Grundzüge des Programms sind nationalistisch, völkisch, neoliberal, antiemanzipatorisch. Es ist gegen die Rechte und soziale Absicherung der Lohnabhängigen, gegen die Rechte der Frauen und der ethnisch definierten Minderheiten gerichtet und leugnet menschengemachte Ursachen des Klimawandels. Im einzelnen:

  • In der Steuer- und Finanzpolitik sollen Kapitalsteuern reduziert (Gewerbesteuer) oder abgeschafft (Erbschaftssteuer), im Grundgesetz analog zur „Schuldenbremse“ eine „Steuerbremse“ eingeführt werden; Stärkung der mittelständischen Wirtschaft; auf europäischer Ebene Wettbewerb um die niedrigsten Steuern.
  • Sozialversicherungen sollen zerschlagen werden (»nicht mehr zeitgemäß«); »Zuwanderung in unsere Sozialsysteme« soll abgewehrt werden; Abschaffung des gesetzlichen Rentenalters; Abschaffung der Arbeitsagenturen, Jobvermittlung nur noch durch kommunale Jobcenter.
  • Nach internen Auseinandersetzungen entschied sich die AfD, den gesetzlichen Mindestlohn beizubehalten, denn angeblich erlaube der Mindestlohn (derzeit 8,84 €) »eine Existenz jenseits der Armutsgrenze und die Finanzierung einer, wenn auch bescheidenen, Altersversorgung«, wovon natürlich keine Rede sein kann.
  • Das Erneuerbare-Energien-Gesetz soll abgeschafft, die Förderung erneuerbarer Energien eingestellt werden;
  • In der Geschlechterpolitik fordert die AfD eine »aktivierende Familienpolitik«, also: Sanktionierung von Alleinerziehenden und von Menschen, die keinen Nachwuchs zeugen und gebären, über die Steuer-, Sozial- und Rentenpolitik, im übrigen mit dem Ziel, Akademikerkinder statt Arbeiterkinder zu fördern; Fortsetzung und Verschärfung der Verfolgungsbetreuung bei Hartz IV.
  • Verschärfungen in der Straf- und Sicherheitspolitik: Strafmündigkeitsalter auf zwölf Jahre senken; »kriminelle Migranten« ausweisen.
  • Grundrecht auf Asyl an „Nützlichkeit“ anpassen, Familiennachzug unterbinden; Integration als »Bringschuld« des Migranten; Verbot der Schächtung von Tieren (Motto: »Islam gehört nicht zu Deutschland“).
  • Erhalt des gegliederten Schulsystems; Verbot von Islamunterricht an Schulen.
  • Alkohol- und Drogenabhängige sowie psychisch Kranke in »Sicherungsverwahrung« (d. h. Lager) unterbringen.
  • Nationalstaat stärken, ggf. aus Euro und EU austreten.
  • Wehrpflicht wiedereinführen und aufrüsten; deutsche Interessen durchsetzen.

Auf dieser Woge gelangte die AfD in immer mehr Landtage. Hier kam es erneut zu dem Effekt, dass die von einer relativ doch recht kleinen, entschlossenen Gruppierung geschürte Proteststimmung in Teilen der Bevölkerung die parlamentarischen Parteien vor sich her trieb. Als besonders aktiv erwies sich dabei die CSU, die sich mit der AfD einen Schaukampf um die weitestreichende Radikalität lieferte. Auf der Straße spielte diese Rolle PEGIDA. Widerwärtige Höhepunkte lieferte die AfD in dem von Petry und Storch geforderten Schießbefehl auf Flüchtlinge an der Südostgrenze der EU, dem Umgang mit einem Holocaustleugner in ihrer Fraktion im baden-württembergischen Landtag und immer wieder Björn Höcke mit seinen Äußerungen und seinen Kontakten in offen faschistische Kreise.

Nach all dem wird die AfD meist als radikale Mittelschichts- und Mittelstandspartei aufgefasst, deren Wählerschaft bis untere Einkommensschichten reicht. Bei Parlamentswahlen wird sie Studien zufolge zu jeweils hohen Anteilen von Männern mit geringen Bildungsabschlüssen, ArbeiterInnen und Arbeitslosen gewählt. Andere widersprechen und bezeichnen sie als Partei des gehobenen Mittelstandes. Sicher ist, dass aus diesem jedenfalls ihre wichtigsten Funktionäre kommen. Viele ehemalige Anhänger der FDP wählten die AfD. Das gleiche gilt aber auch für ehemalige Wähler der Partei DIE LINKE. Solche Angaben sind mit Vorsicht zu genießen. 60 % der AfD-Wähler gaben an, nicht aus Überzeugung, sondern aus Enttäuschung über die anderen Parteien die AfD gewählt zu haben. Hier ist vor allem zu berücksichtigen, dass auch DIE LINKE aus der Sicht vieler WählerInnen als Protestpartei (nicht unbedingt Ausdruck weltanschaulicher Positionierung) und in diesem Rahmen als austauschbar gilt. Mit der alten Mär von »rot = braun«, die noch nie gestimmt hat, hat eine solche Wählerwanderung nichts zu tun. Es muss natürlich zu Debatten Anlass geben darüber, wie die Inhalte der sozialen Frage in nachvollziehbarer Weise in Wahlkämpfe eingebracht werden müssen.

Nach dem Kölner Parteitag

Die Flügelauseinandersetzungen in der AfD spiegeln Grundpositionen um den weiteren Kurs der Partei wider. Soll sie den »realpolitischen Weg einer bürgerlichen Volkspartei« (Petry) gehen oder eine »fundamentaloppositionelle Strategie« (Höcke) verfolgen? Auf dem Kölner Parteitag, der die Strategie für die Bundestagswahl festlegte, wurde die Petry-Variante mit Pauken und Trompeten (einschließlich der Beschädigung der Vorsitzenden) abgelehnt. So dürfte deren Weg, die AfD quasi als eine Art bundesweite CSU im parlamentarischen System zu integrieren, vorläufig unterbunden sein. Mit dem neuen Spitzenduo Gauland-Weidel sind die Karten offenbar neu gemischt und die Koordinaten noch weiter nach rechts verschoben.

Die Bundestagswahlen werden weiteren Aufschluss dazu geben. Hierzu erinnern manche Kommentare daran, dass die NPD 1969 schon einmal nahe daran war, in den Bundestag einzuziehen, das dann jedoch äußerst knapp verpasste. Ein derartiger Vergleich hinkt schon wegen des großen Zeitabstandes und der ganz anderen Verhältnisse in der Gesellschaft und in der NPD der damaligen Zeit. Die AfD bietet heute einen sehr viel gefestigteren Eindruck aufgrund der Brückenfunktion zwischen dem national- und wertkonservativen Lager und den rechtsextremen Kräften sowie der taktischen Verarbeitung früherer Erfahrungen, mittels derer die AfD ihre aktuelle Strategie formuliert.

»Arbeitnehmerorganisationen« in der AfD

In der AfD gibt es zwei sogenannte Arbeitnehmerorganisationen: AVA (Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer e. V.) und AidA (Arbeitnehmer in der AfD). Das erinnert an ähnliche Organisationsversuche faschistischer Parteien (NSBO = Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation), deren Funktion nicht daran besteht, »Arbeitnehmerinteressen« gegenüber dem Kapital und dem bürgerlich-demokratischen Staat zu vertreten. Erst recht sollen sie keine Eigenständigkeit in der faschistischen Partei und gegenüber dem faschistischen Staat besitzen. Ihre Funktion besteht darin, die Arbeiter und Angestellten von der gewerkschaftlichen Organisation und sozialistischen/kommunistischen Parteien abzubringen, um sie wehrlos zu machen und in die Anhängerschaft der faschistischen Partei einzureihen, um für deren Ziele einzutreten. Analog ist das bei den beiden AfD-Vereinigungen zu sehen.

Die AfD-»Arbeitnehmerorganisationen« sind erst frisch gegründet und daher noch ohne Profil. Das Wenige, das über sie bekannt ist, scheint typisch für die derzeitigen Zeitumstände zu sein. Im Führungskader finden sich ehemalige SPDler und Gewerkschaftsfunktionäre der mittleren und unteren Ebene. Sie gehörten dort den rechten, standorttreuen, wirtschaftsfriedlichen und managementtreuen Zusammenhängen an. Sie spiegeln Abstiegsängste wider, fürchten sich – dies natürlich zu Recht – vor der Stigmatisierung durch Hartz IV, wenden sich damit aber nicht gegen Staat und Unternehmer, sondern gegen vermeintliche „Sozialschmarotzer“, Flüchtlinge und angeblich »Arbeitsscheue«. Sie fordern gewisse Verbesserungen im Sozialsystem, bspw. Verlängerung der Bezugsdauer von Alg I (AidA) oder Hartz IV als gestaffelte Geldleistung für langjährig Beschäftigte, von der »in die Sozialsysteme ‚Zugewanderte’« auszuschließen seien (AVA). Sie bekämpfen Betriebsräte, wenn die allzu selbstbewusst und konfliktbereit gegen Unternehmensleitungen auftreten. Sie hoffen, durch Betonung persönlicher Rechtschaffenheit und Orientierung auf Sozial- und Volksgemeinschaft das erhalten zu können, was das Kapital ihnen rein ökonomisch nicht mehr zu gewähren bereit ist.

Kampf gegen rechts

Gewerkschaften wenden sich in Stellungnahmen scharf gegen die AfD. Sie bieten auf ihren Internetseiten Argumentationshilfen an (z. B. »21 Gründe, warum Gewerkschaften Rechtspopulisten wie AfD, Pegida und Co. ablehnen«, DGB Nordrhein-Westfalen). Sie haben verstanden, dass die Programmatik der AfD sich gegen Rechte von Lohnabhängigen und Erwerbslosen richtet, weil sie a) die Spaltung der Arbeiterklasse in In- und Ausländer betreibt, b) Sozialleistungen verringern, Sozialversicherungen teilweise privatisieren will, c) gegen Betriebsräte vorgeht, die sich im Betrieb konfliktbereit zeigen, und d) auch Gewerkschaften selbst in diesem Sinne angreift (vgl. Kasten). In diesen Stellungnahmen äußert sich aber vor allem ein staatstragendes sozialdemokratisches Bewusstsein, das das traditionelle sozialstaatliche Kapitalismusmodell gegen neoliberale Angriffe schützen will. Da sich die AfD mit den nationalistischen, völkischen, rassistischen Teilen ihrer Programmatik aus dem geltenden bundesdeutschen Parteienkonsens heraushebt, sind die gewerkschaftlichen Abgrenzungen nach außen und innerorganisatorisch sehr deutlich, führen aber nicht zu weitergehenden Einsichten über die derzeitigen Realitäten im Kapitalismus und die Rolle der AfD in der bürgerlichen Politik. Deshalb stört das nicht die Sozialpartnerschaft mit den Unternehmern, im Gegenteil, es gibt auch gemeinsame Erklärungen mit diesen im Interesse der »Wirtschaft«, des Standorts, der EU, des Euro usw. Gewerkschaftliche Aufrufe warnen vor der Stimmabgabe für »rechtsextreme und rechtspopulistische« Parteien wie die AfD.

In der Praxis ergibt sich ein anderes Bild. Es gibt auch regionale Gliederungen des DGB und der Einzelgewerkschaften, die Diskussionsveranstaltungen zur AfD organisieren, zum Widerstand gegen PEGIDA aufrufen etc., aber selbstverständlich ist das nicht. Mittlerweile ist die Furcht vor Auseinandersetzungen z. B. in Belegschaften von Betrieben verbreitet, wenn etwa aktive und kritische KollegInnen sich plötzlich als AfD-Sympathisanten oder -Mitglieder/-Funktionäre outen. Es ist nicht auszuschließen, dass rechtsorientierte Kräfte sich engagieren, wo es um berechtigte soziale Interessen geht, und damit Zustimmung und Anhang auch für ihre Ideologie gewinnen. Schon in der Weimarer Republik haben Teile der völkischen Parteien und der NSDAP bewusst an der Vertretung von Arbeiterinteressen angeknüpft, um die KollegInnen den Sozialdemokraten und Kommunisten zu entziehen. Damals war die Arbeiterbewegung gespalten, aber potenziell stark. Unter den heutigen Verhältnissen hat sie ein sehr viel schwächeres Bewusstsein. Dies lässt sich auch in Parlamentswahlen ablesen, in denen die AfD auch unter Gewerkschaftsmitgliedern einen ähnlich hohen Anteil hat wie in der Gesamtgesellschaft.

Dagegen müssen klassenkämpferische gewerkschaftliche Tarifpolitik und antikapitalistische Sozialpolitik gesetzt werden. Unter beiden ist zu verstehen eine Orientierung und eine Konfliktbereitschaft, die keine Rücksicht nehmen auf die Profitinteressen des Kapitals oder die Lage der öffentlichen Haushalte, sondern die Interessen und Bedürfnisse der Lohnabhängigen und Erwerbslosen in den Mittelpunkt stellen. Dies schließt nicht aus, dass am Ende aus Rücksicht auf reale Kräfteverhältnisse Kompromisse zu schließen sind. Doch es macht einen entscheidenden Unterschied in der Motivierung und Positionierung in den Auseinandersetzungen, welche Ziele zu Beginn gesetzt werden und ob ein Durchsetzungswille dahinter steht. Viele Menschen haben nach Jahrzehnten des Lohn- und Sozialabbaus und der system- und staatstragenden Begründungen ein Gefühl der Ausweglosigkeit. Es fehlt eine glaubwürdige und eindeutige Orientierung, und dieses Bedürfnis kann von der falschen Seite genutzt werden.

Ein Beispiel für die Widersprüchlichkeit und Halbherzigkeit, mit der Gewerkschaftsvorstände mit der Lage umgehen, ist die Rentenpolitik [2], die immer mehr in den Mittelpunkt von Auseinandersetzungen rückt. Die Gewerkschaften haben sich auf eine Vorlage der IG Metall für eine Kampagne geeinigt. Auffällig ist nun zweierlei: Sie hat kaum praktische Bedeutung, weil so gut wie keine Aktionen und Mobilisierungen organisiert werden, von dem bundesweiten Aktionstag am 31. Mai einmal abgesehen. Der zweite Punkt ist die Begrenzung in der wirksamen Reichweite der Forderungen: Die Gewerkschaften wollen das Rentenniveau (Verhältnis der sogenannten Standardrente zum Bruttodurchschnittsverdienst nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge, aber vor Steuern) von derzeit ca. 48 % »stabilisieren«, in einem weiteren Schritt auf 50 % anheben. Sie haben dazu ein Bündnis »Netzwerk für eine gerechte Rente«, z. B. mit Wohlfahrtsverbänden, gegründet. Abgesehen davon, dass »Gerechtigkeit« im Kapitalismus eine Chimäre ist, handelt es sich hier für immer mehr Menschen um Armutsrenten (aktueller Durchschnittswert: 823 Euro). Die Linkspartei hat 53 % sowie eine Mindestrente von 1050 € in ihrem Wahlprogramm. Aktivisten des Bündnisses »Rente zum Leben« fordern die Rückkehr zu den Grundsätzen der Rentenreform von 1957, als das erklärte, zeitweise auch erreichte Ziel darin bestand, die Durchschnittsrente auf 70 % des Nettolohns zu bringen (nach heutiger Rechnung wären das 59 % vom Bruttolohn).

Mit solchen Beispielen wäre fortzufahren in allen Bereichen der Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Wohnungspolitik. Für die naheliegende Frage der Finanzierung ist auf die Besteuerung von Profiten, hohen Einkommen und großen Vermögen zu verweisen. Die Solidarität mit Migranten und Flüchtlingen wäre einzubeziehen. Dazu gehört auch, dass die Linke die Ursachen von Krieg und Flucht klar benennt, dass es eben nicht »der Islam« ist, der uns bedroht, sondern die Destabilisierungs- und Kriegspolitik der USA, der EU und der NATO. Wir werden nicht durch Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, um unsere Arbeits- und Lebensbedingungen gebracht, sondern durch das Kapital, das dafür sorgt, dass in einer instabilen Arbeitswelt immer mehr Menschen in prekäre Lebensverhältnisse gedrückt werden, ohne die Chance, jemals wieder aus diesen herauszukommen. Bedroht werden wir von ökologischen Katastrophen wie dem Klimawandel, dem die herrschenden Klassen nichts als hohles Geschwätz entgegensetzen. Das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem bietet der Menschheit keine Zukunft mehr. Das wird immer deutlicher. Die AfD ist eine reaktionäre Antwort darauf, die mit Scheinversprechen an Mittelschichten und Lohnabhängige heranzukommen versucht.

14.6.2017


[1] Der Begriff des Rechtspopulismus ist für die exakte politische und wissenschaftliche Analyse unbrauchbar. Er wird insbesondere von bürgerlichen PolitikerInnen und Medien verwendet, um Bedrohungen des bürgerlich-parlamentarischen Systemkonsenses abzuwehren. Dies gilt in deren Logik für »rechts« wie »links«, die Bezeichnungen »Rechts-« und »Linkspopulisten« erlauben ihnen eine Gleichsetzung von rechts und links. Etwas anderes ist der Gebrauch als grober Sammelbegriff, ohne den manche Diskussion nicht auskommt. Letztlich sind »rechtspopulistische« Parteien doch recht ähnlich. Die Wählerbasis ist untere Mittelschicht, bis in die Facharbeiterschaft reichend, wobei Männer mittleren Alters dominieren. Durchgängig alle diese Gruppierungen wenden sich gegen Ausländer, Flüchtlinge und diejenigen, die sie als »Gutmenschen« begreifen.

[2] vgl. Arbeiterpolitik 3/2016, Das programmierte Rentendesaster, S. 26 ff.


aus Arbeiterpolitik Nr. 3/4 2017

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