Italiens Krise und der Euro

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Die Angst vor dem Monster des Populismus greift um sich in Europa und erhält immer neue Nahrung. Die Bildung der neuen Regierung in Italien aus zwei sehr gegensätzlich erscheinenden populistischen Richtungen verstärkt die Diskussionen um einen möglichen weiteren Zerfall des Euro und der EU. Die Komplexität dieser Verhältnisse können wir in einem einzigen Artikel nicht wiederspiegeln. Wir beschränken uns hier vielmehr auf einige Thesen, um unsere Grundsatzpositionen zu diesen Fragen darzustellen. Die Aufgeregtheit, die wir in bürgerlichen und linken Lagern derzeit wahrnehmen, teilen wir so nicht, wollen aber auch nichts verharmlosen. Ob und wann wir hier angerissene Themen in eigenständigen Artikeln später vertiefen, wird sich zeigen.

I.

Wir können feststellen, dass Italien nicht einfach ein Super-Griechenland ist. Zwar ist die Angst vor einer vergleichbaren Krise in Italien deshalb so stark, weil Italien die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist und der Euro-Rettungsschirm ESM daneben aussieht wie eine Portokasse. Mit 2,3 Bio. Euro hat Italien zwar den absolut höchsten, mit 132% des BIP (Bruttoinlandsprodukt) den relativ zweithöchsten Schuldenberg in der EU. Demgegenüber beträgt das gezeichnete Gesamtkapital des ESM ca. 700 Mrd. Euro, das tatsächlich eingezahlte 80,5 Mrd.Euro. Aber die Verschuldung Italiens ist spezifisch, d.h. überwiegend bei den »eigenen Bürgern« (italienischen Banken, Pensionsfonds), weniger im Ausland (wie im Falle Griechenland). Zwar hat die EZB (Europäische Zentralbank) im Zuge ihrer Anleihekäufe auch 340 Mrd. Euro italienischer Papiere erworben, doch die liegen formal bei der italienischen Zentralbank. Was das rechtlich heißt, ist offen. Insgesamt folgt aus all dem, dass zwei Drittel der Schulden im Inland gehalten werden. In Griechenland dagegen standen französische und deutsche Banken als Inhaber griechischer Anleihen auf dem Spiel. Die sogenannte »Ansteckungsgefahr«, anders formuliert, die Interessen auswärtiger europäischer Banken und Firmen wären also im Falle Italiens erheblich weniger betroffen. So schreibt der österreichische »Standard« (5. Juni 2018): »Insgesamt kann man aber davon ausgehen, dass Italien nicht aufgefangen wird, weil es zu groß ist und es nicht wirklich nötig hätte. Dazu kommt, dass die Ansteckungsgefahr in der Eurozone weitaus geringer geworden ist. Die Regeln des Maastricht-Vertrags würden hier daher wohl zur Anwendung kommen. Wenn Italien Zahlungsschwierigkeiten drohen (durch Umsetzung der Regierungspläne, Anm. d. Verf.), werden die Renditen auf die Staatsschulden rasant steigen, was die Probleme weiter verschärft. Ein Horrorszenario, das die Regierung in Rom rasch beenden kann: indem es (sic!) auf die Steuer- und Ausgabenpläne verzichtet.«

II.

Deshalb gibt es natürlich einerseits Erwartungen, dass »nichts so heiß gegessen wie gekocht« wird, dass also im Falle, wenn Lega und M5S ihre Mondprogramme tatsächlich durchziehen und die Renditen italienischer Staatsanleihen durch die Decke schießen, schon irgendwer die Reißleine zieht (wie der Staatspräsident in der ersten Phase der Regierungsbildung). Andere verweisen darauf, dass diese Parteien ihre Wähler bedienen müssen. Wir wissen nicht, was letztlich überwiegen wird. Die »rechtspopulistische« Koalition in Rom könnte sich ebenso an Brüsseler Forderungen anpassen wie schon andere (etwa die »links«, nämlich von Syriza geführte Regierung in Athen). Ein Nachgeben oder gar Rücktritt Salvinis und di Maios könnte dann wieder ihren Anhängern recht geben, dass italienische Politiker nichts mehr gegen Brüssel, Berlin oder die Macht der Märkte bestimmen können. Erste Anzeichen gab es ja: die (Teil-) Rücknahme der Personalie Savona und der Verzicht auf den Euro-Austritt. Umgekehrt könnte eine harte Haltung gegen Brüssel dann zum Austritt Italiens aus der EU und dem Euro führen und eine große (finale?) Krise des gesamten Staatenverbundes auslösen. Andererseits führen die Schwierigkeiten des »Brexit« in Großbritannien den Populisten jedoch vor, dass der Abschied aus EU und Euro doch nicht so einfach ist. Alle diese Optionen liegen auf dem Tisch, doch sicher ist nichts davon.

III.

Für eine EU-konforme Lösung der aktuellen Schieflagen und damit Weiterentwicklung im Sinne eines »handlungsfähigen Europas« gibt es eine ganze Reihe von strategischen Vorschlägen, darunter die des französischen Staatspräsidenten Macron (die zumeist nicht so neu sind, wie gerne vorgegeben wird, sondern eine Bündelung von früheren Vorstößen dieser Art). Maßgeblich gehören dazu eine Art Länderfinanzausgleich (wie innerhalb Deutschlands üblich) und eine Neuorganisation der Migrationsproblematik (Verteilung der Flüchtlinge, bisher einseitig nach dem Dublin-Abkommen). Eine wirkliche Lösung käme dabei freilich nicht heraus, sondern bestenfalls ein effektiverer und konsensfähiger »Lastenausgleich« unter den Mitgliedstaaten. Dies würde einerseits einhergehen mit einer stärkeren Zentralisierung, andererseits würden sich wie bisher die Mitgliedstaaten die letzte Entscheidung selbst vorbehalten, um nicht einfach »Macht an Brüssel« abtreten zu müssen. Selbstverständlich reicht das nur bis zur nächsten Krise.

IV.

Sollte Italien aus dem Euro austreten? Maßgebend für uns sind die Interessen der Lohnabhängigen – überall in Europa –, an denen wir unsere Kritik und unsere Stellungnahmen ausrichten. Weil die EU ein Verband von bürgerlichen Nationalstaaten ist, verhält sie sich auch als solcher. Ihre politische, soziale, ökonomische Organisation entspricht den Kapitalinteressen. Soziale Belange der Lohnabhängigen werden nur so weit berücksichtigt, wie es notwendig ist, die Gesellschaft beieinander und funktionsfähig zu halten. Im Moment scheint es zur EU drei Haltungen zu geben, über die man reden muss: 1) Zustimmung zur EU, weil sie immerhin eine »Friedensordnung« (relativ gesehen zu den Jahrhunderten der vorherigen Geschichte) für Nachkriegseuropa darstellt; 2) eine Reform der EU; 3) Austritt aus der EU (bezogen auf ein Land) bzw. Auflösung der EU.

Zu 1): Es ist nicht der politische, ökonomische, soziale Charakter der EU, der dem Kontinent Europa eine lange und bisher stabile »Friedensordnung« beschert hat. Diese blieb auch nicht ohne Ausnahmen (Nordirland, Jugoslawien, Ukraine). Nach dem Zweiten Weltkrieg war das kapitalistische Europa zunächst am Ende und bedurfte zum Wiederaufbau und zur Stabilisierung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung des Schutzes der USA. Das sozialistische Lager im Osten Europas war der Garant für Begrenzung der imperialistischen Machtansprüche. Mit dessen Ende kamen neue weltweite Bedrohungslagen auf. Die ökonomischen und sozialen Widersprüche nahmen im weltweiten Maßstab zu. Insofern bedeutet »Europa« keine »Friedensordnung«, sondern trägt als Verband imperialistischer Staaten im Bündnis mit den USA zu den Kriegs- und Migrationsgründen weltweit bei. Andererseits ist es falsch, der EU dabei eine weit größere treibende Rolle zuweisen zu wollen, wie es in großen Teilen der Linken geschieht. Militärisch und politisch ist die EU dazu nicht in der Lage, auch keiner ihrer größeren Mitgliedstaaten. Sie ist ein hervorgehobener Teil der kapitalistischen Weltordnung, von der sie besonders profitiert und zu deren Fortbestand sie einen zentralen Beitrag leistet.

Zu 2): Für eine Reform der EU gilt prinzipiell dasselbe wie beim bürgerlichen Nationalstaat. Es mag bestimmte Verbesserungen geben, für die es sich zu kämpfen lohnt und die – für sich genommen – nicht gering geschätzt werden sollten. Aber sie verändern nicht die kapitalistische Grundlage, aus der immer wieder die Probleme entstehen, die eine Ausbeuterordnung und eine planlose, von egoistischen Motiven angetriebene Ökonomie mit sich bringen.

Zu 3): Ist es deshalb nicht besser, die EU zu verlassen (wie es ja im Falle Griechenlands diskutiert wurde)? Aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass man so vom Regen in die Traufe kommt; schlimmer noch: Es ist die schlechteste aller schlechten Lösungen. Man kann nicht ernsthaft glauben, auf nationaler Ebene das durchsetzen zu können, was man im internationalen Rahmen nicht schafft. In all den Staaten, die sich jetzt schon von der EU weg entwickeln (Polen/Ungarn/ Tschechien/Großbritannien) geht es den Arbeitern und den Linken schlechter als bisher. Die einzelstaatliche Orientierung ist unter gegenwärtigen Umständen in Europa eine des Nationalismus. Gerade das können wir nicht brauchen, gerade das schlägt auf uns zurück, wenn wir dem nachgeben. Populisten aller Länder sind letztlich nichts anderes als Nationalisten. Für sie ist Chauvinismus im Schulterschluss mit der Bourgeoisie angesagt, nicht Klassenkampf gegen die Herrschenden.

F.D. 7. Juni 2018


aus Arbeiterpolitik Nr. 2/3 2018

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