Widersetzen – gemeinsam gegen
Verdrängung und Mietenwahnsinn

Korrespondenz

Trotz des nasskalten Wetters versammelten sich unter diesem Motto am 14. April wenigstens 25.000 Menschen am Potsdamer Platz. Es waren mehr als doppelt so viele wie von den Organisatoren erwartet und ursprünglich angemeldet. Es wurde die größte Demonstration gegen Immobilienspekulation, Verdrängung seit zwei Jahrzehnten. Aufgerufen hatten über 250 Initiativen, Gruppierungen und Organisationen. Das zeigt die Breite der Initiativen, die sich in den letzten Jahren in den einzelnen Stadtteilen herausgebildet haben. Sie alle wehren sich mit unterschiedlichen Mitteln und Aktionen gegen die Praktiken ihrer Vermieter, seien es internationale Investoren, private oder auch kommunale Wohnungsbaugesellschaften, oder gegen die absehbare Verdrängung, wie beispielsweise durch den geplanten Google- Campus an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. Bisher arbeiteten die einzelnen Initiativen relativ getrennt voneinander. Sie waren höchstens auf der Ebene einzelner Stadtteile lose vernetzt, wo sie sich – wie beispielsweise in Nord-Neukölln oder Kreuzberg – auf meist monatlichen Kiezversammlungen trafen.

Deshalb hieß es im Aufruf zur Demonstration u.a.: »Lasst uns zu Tausenden zeigen, dass wir aus allen Kiezen der Stadt stark und vielfältig sind! […] Wir wollen gemeinsam in einem breiten gesellschaftlichen Zusammenschluss auf die Straße gehen, denn Verdrängung und Mietenentwicklung gehen alle Menschen an, denen ein solidarisches Miteinander in der Stadt wichtig ist. […] Die Demonstration wird vorbereitet von vielen Initiativen, in denen sich Nachbar*innen außerparlamentarisch zusammenschließen. Wir möchten auf der Demo keine Parteifahnen und -symbole oder Partei-Blockbildungen. Wir organisieren gemeinsam eine Demo, die uns allen trotz und gerade wegen des Ernsts der Lage Spaß machen soll. Alle sollen sich wohlfühlen können, ganz gleich ob im Rollstuhl unterwegs, mit Kinderwagen oder nicht-so-gut-zu-Fuß.«

Die gemeinsame Demonstration –
vielfältig und kreativ

So zog am Nachmittag des 14. April ein langer Demonstrationszug vom Potsdamer Platz in Berlin Mitte durch Kreuzberg und Schöneberg vor das »Drugstore«, dem ersten, selbstverwalteten Jungendzentrum im damaligen Westberlin. Das Drugstore wurde 1972 gegründet und steht als Symbol für die Miet- und Hausbesetzerbewegung in den 70er und 80er Jahren. Auch das Drugstore ist zum Ende des Jahres von der Verdrängung bedroht.

»’Es war wirklich überwältigend‘, sagt Susanna Raab auch Tage später noch. Sie engagiert sich im ‚Mieterprotest im Kosmosviertel‘ am südöstlichen Stadtrand. Beeindruckt hatte sie nicht nur die schiere Anzahl der Demonstranten, sondern auch die Vielfalt. Neben Mieterinitiativen seien auch Sozialverbände und Gewerkschaften vertreten gewesen. ‚Sogar beide großen Mietervereine waren da, ich weiß gar nicht ob es das jemals schon gab‘, berichtet sie. Auch Senioren, viele Familien mit Kindern und selbstorganisierte Flüchtlinge seien zu sehen gewesen. Viele Teilnehmer seien das erste Mal auf so einer großen Demonstration gewesen. ‚Der große Widerhall in der Gesellschaft macht mir Mut‘, erklärt Raab.« (ND vom 18.042018)

In der Demonstration spiegelte sich die Breite und Unterschiedlichkeit der politischen Vorstellungen wider. Von eher linksradikalen, autonomen Projekten, wie der Kiezladen »Friedel 54« oder »Zwangsräumungen verhindern«, bis hin zu Initiativen, die ihre Hoffnungen eher auf die Politik der aktuellen Senatskoalition setzen. So nahmen auch Politiker von SPD, Linkspartei und Grünen teil. Die Taktik der Koalitionsparteien: Die Ziele der Demonstration verbal unterstützen und die Verantwortung auf den Bund schieben mit dem Hinweis auf die begrenzten Möglichkeiten des Senats, die voll ausgeschöpft würden. Dass dem nicht so ist, zeigt der Redebeitrag der Bezirksgruppe Neukölln der Berliner MieterGemeinschaft. (Siehe: »bauen, bauen, bauen – sozial und kommunal!«)

Die Initiativen mussten in den letzten Jahren die Erfahrung machen, dass alle von der Bundesregierung und dem Berliner Senat beschlossenen Gesetze und Maßnahmen, die vorgeblich den Anstieg der Mieten bremsen sollten, keine Wirkung zeigten. Die vom Bundestag und Bundesrat beschlossene und im Juni 2015 in Kraft getretene Mietpreisbremse konnte weitere Mieterhöhungen nicht verhindern. Im Gegenteil, seither sind die Mieten in Berlin noch stärker gestiegen als in den Jahren vorher. Ähnlich verhielt es sich mit den Verordnungen der Berliner Bezirke zum Milieuschutz. Auch sie blieben weitgehend wirkungslos gegen Verdrängung und Umstrukturierung. Durch zahlreiche Ausnahmeregelungen und Schlupflöcher konnten die Immobilienbesitzer die entsprechenden Gesetze und Verordnungen umgehen. Vor allem aber enthielten sie keinerlei Regelungen, welche die Eigentums- und Verfügungsrechte wirksam einschränkten. Der Berliner Wohnungsmarkt blieb ein Eldorado für die Finanzinvestoren.

Das schlug sich auch in der Stimmung der Berliner*innen nieder, von denen 84% in Mietwohnungen leben. »74% befürchten durch Mieterhöhungen ihre Wohnung zu verlieren. 64% haben Anspruch auf eine geförderte Wohnung im sozialen Wohnungsbau – nur die Wohnungen gibt es nicht. Um 76% stiegen die Mieten in neu vermieteten Wohnungen seit 2008. 79% sehen das Risiko, wegen steigender Mieten in Armut zu geraten. 47% aller Berliner*innen befürchten, sich ihre Wohnung in den nächsten zwei Jahren nicht mehr leisten zu können.« (aus dem Aufruf zur Demonstration von »Mietenwahnsinn.info«)

Die Zeit war also reif für eine gemeinsame Aktion der zahlreichen, vielfältigen und unterschiedlichen Mietinitiativen. Die Organisierung und Mobilisierung war aber kein Selbstläufer, sondern Ergebnis wochenlanger Arbeit und Absprachen. So fanden in den letzten zehn Tagen vor der Demo in zahlreichen Stadtteilen Mobilisierungsaktionen statt, z.B. Kiezspaziergänge, Versammlungen oder Kundgebungen vor den entsprechenden Spekulationsobjekten. Träger der Mobilisierung waren nicht die üblichen linken Organisationen und Parteien, sondern ein Verbundprojekt, bei dem viele mieten- und stadtpolitische Gruppen aus Berlin zusammenarbeiten. Beteiligt waren u.a.: »Bündnis Zwangsräumung verhindern«, »GloReiche Nachbarschaft«, »Unser Block bleibt!« und der »Berliner Mieterverein e.V.«.

Die politischen Ziele rücken in den Vordergrund;
Immobilienkonzerne enteignen

Eine beliebte und immer häufiger praktizierte Methode ist, die Mieten über Modernisierungen in die Höhe zu schrauben und so die Mieter*innen zu vertreiben. Bisher hatten die einzelnen Initiativen versucht, sich gegen die Vorhaben ihrer jeweiligen Vermieter zu wehren. Erfolge blieben oft aus. So ließ der rot-rot-grüne Senat im Juni 2017 den Kiezladen in der Neuköllner Friedelstraße 54 von der Polizei brutal räumen.1 In einzelnen Fällen gelang es die Folgen der Modernisierungen für die Betroffenen abzufedern oder abzumildern – beispielsweise die anvisierten Mieterhöhungen zu reduzieren. Unberührt blieben die Eigentumsverhältnisse und damit auch die Gefahr, dass die Immobilienbesitzer ihre Renditeerwartungen mit anderen Mitteln und Methoden erneut versuchen durchzusetzen. Und bei einem möglichen Verkauf an einen neuen Investor droht dann das gleiche Spiel von vorne zu beginnen. Selbst die gesetzlich möglichen »normalen« Mieterhöhungen von 15% in drei Jahren sind für zahlreiche Berliner*innen kaum noch aufzubringen.

Die Initiativen hatten für eine Aktivierung und den Zusammenschluss der Mieter*innen in den einzelnen Immobilienobjekten und deren örtlicher Umgebung gesorgt. Mit der Demonstration vom 14. April brachten sie ihre gemeinsamen politischen Ziele zum Ausdruck. Im Vordergrund standen neben den Forderungen nach einer wirksamen gesetzlichen Deckelung der Mieterhöhungen, beispielsweise nach Modernisierungen, vor allem die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse an Grund, Boden und Immobilien. Unter der Überschrift »Jetzt wird’s radikal« schrieb die ‚taz‘ am 16. April 2018: »Der Kampf gegen den Mietenwahnsinn geht nach der Großdemo weiter. Aktivisten wollen streiken, enteignen und politische Änderungen erzwingen. Die Enteignung des größten Immobilienkonzerns der Stadt, der börsennotierten Deutsche Wohnen, mag eine absurd-unrealistische Forderung sein. Fakt ist, sie wird die wohnungspolitische Debatte der Stadt bald prägen. […] Mehr als 110.000 Wohnungen hat der Konzern in der Stadt, die Mehrzahl war bis zur Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaften Gehag und GSW im städtischen Besitz. Betroffene Mieterinnen sind seit Langem organisiert, auf der Demo am Samstag bildeten sie einen eigenen Block.« Inzwischen wurde ein Bündnis gegründet mit dem Ziel, einen Volksentscheid zur Enteignung des Immobilienkonzerns einzuleiten – das Motto: Spekulation bekämpfen! Deutsche Wohnen & Co enteignen!2

Diskussionen über Mietstreik und Mietergewerkschaft

Ein Vorschlag, der innerhalb der Initiativen diskutiert wird, ist der Mietstreik. Zwar haben bisher in einzelnen Objekten die Hausgemeinschaften versucht, sich kollektiv zu wehren. Doch dem sind enge Grenzen gesetzt. Sie können über Versammlungen, Kundgebungen und Öffentlichkeitsarbeit ihren jeweiligen Vermieter moralisch und politisch anprangern. Aber ein wirtschaftliches Druckmittel fehlt. Wenn, wie häufig, die Auseinandersetzungen auch juristisch ausgetragen werden müssen, bleiben die Mietparteien auf sich allein gestellt. Das Mietrecht ist ein Individualrecht, bei dem die Mieterorganisationen zwar den Rechtsschutz übernehmen können. Ihnen fehlt aber ein kollektives Schutz- und Klagerecht. In Berlin existieren zwei Mieterorganisationen: Der sozialdemokratisch ausgerichtete Mieterverein (ca. 160.000 Mitglieder), der eher als Lobbyverband gegenüber den Parlamentariern auftritt, und die Berliner Mietergemeinschaft (ca. 22.000 Mitglieder). Sie versteht sich als linke Alternative zum Mieterverein, die auch außerparlamentarisch aktiv wird. Mit ihrer monatlich erscheinenden Mitgliedszeitschrift, dem »Mieter Echo«, informiert sie über die Entwicklungen auf dem Mieten- und Wohnungsmarkt, berichtet über aktuelle Urteile zu Mietenfragen, gibt rechtliche Tipps und informiert, von einem marxistischen Grundverständnis, über die gesellschaftlichen Ursachen von Immobilienspekulation und Mietenwahnsinn.

Der Vorschlag des Mietstreiks wurde von der FAU eingebracht. Selbst die um ihr linkes Image bemühte Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) griff die Idee auf. Sie fordert ein Streikrecht für Mieter*innen. »Denn, so ihre Argumentation in einem Gastbeitrag für die taz: ‚Wenn kein Geld mehr fließt, sind Vermieter schnell bereit, sich auf Augenhöhe mit den Mietenden an einen Tisch zu setzen.‘ Nötig dafür seien Mietergewerkschaften, die sowohl die Verhandlungen führen können als auch die Mietzahlungen während eines Streiks auf einem Treuhänderkonto bündeln und nur im Falle einer Einigung ausbezahlen.’« (taz, 16.04.2018)

Die Idee, Bestandteile des kollektiven Arbeitsrechts auf das Mietrecht zu übertragen, klingt plausibel. Aber solche Rechte werden uns von Regierungen und Parlamenten nicht geschenkt. Das Streikrecht und die Anerkennung der Gewerkschaften existieren nur, weil in der Geschichte der Gewerkschaften sich Beschäftigte diese Rechte nahmen, trotz Verbot und Verfolgung. Es kommt also darauf an, nicht allein an den Gesetzgeber zu appellieren, sondern zu gucken, ob und wo es Bedingungen dafür gibt, dass Mieter*innen sich diese Rechte nehmen.

Die »Berliner Linie« – Polizei räumt besetzte Häuser

Nur wenige Wochen nach der großen Demo fanden die Aktionen gegen den Mietenwahnsinn ihre Fortsetzung. Am Pfingstsonntag, den 20. Mai um 14.00 Uhr, wurden insgesamt neun Objekte besetzt. Die Besetzungen wurden in Kleingruppen vorbereitet und durchgeführt. Über Twitter, Facebook etc. wurden Unterstützer*innen und Sympathisant*innen aufgerufen, sich vor den besetzten Häusern zu versammeln. Während in sieben Häusern nur Transparente auf den Leerstand aufmerksam machten, gab es in zwei Projekten den Versuch einer dauerhaften Besetzung. Eine leerstehende Parterrewohnung in der Reichenberger Straße (Kreuzberg) sollte dem vor einem Jahr geräumten Kiezladen Friedel 54 als Exil dienen.

Politisch besonders brisant war die Besetzung des Seitenflügels in der Bornsdorfer Straße 37 (Neukölln). Das Haus gehört der städtischen Wohnbaugesellschaft »Stadt und Land«. Seit Jahren steht der Seitenflügel leer. Im Parterre befand sich eine Kita. Dort wollten die Besetzer*innen ein soziales Zentrum einrichten, die oberen Stockwerke sollten wieder als Wohnraum genutzt werden. Am Nachmittag begannen Verhandlungen mit Ingo Malter, Geschäftsführer der »Stadt und Land«. Die Verhandlungen, in die sich auch Baustaatssekretär Sebastian Scheel (LINKE) eingeschaltet hatte, wurden durch den Einsatz der Polizei beendet, die um 20.30 Uhr begann das Haus zu räumen. »Am Ende sind die Gespräche gescheitert, weil es für uns Bedingung war, dass die illegalen Besetzer das Gebäude verlassen, um dann weiter zu verhandeln«, sagte der Stadt-und-Land-Geschäftsführer im Gespräch mit der Berliner Zeitung. »Die Besetzer wollten aber erst die Garantie, dass sie im Haus bleiben können. Über diese Hürde sind wir nicht hinweggekommen.« (Berliner Zeitung, 22.05.2018) Die Besetzer*innen weigerten sich verständlicherweise aufgrund vager Absichtserklärungen, die Besetzung zu beenden und als politisches Druckmittel aus der Hand zu geben. (siehe Kasten)

Die »Berliner Linie« gerät zunehmend in die Kritik

Die »Berliner Linie« wurde 1981, auf dem Höhepunkt der Hausbesetzungen, vom damaligen Westberliner Senat unter Hans-Jochen Vogel (SPD) beschlossen. Sie besagt, dass Hausbesetzungen innerhalb von 24 Stunden polizeilich zu räumen seien. Der Regierende Bürgermeister Müller und sein Innensenator Geisel (beide SPD) haben sich mit der Umsetzung der »Berliner Linie« in der Koalition gegen zaghaft formulierte Bedenken, vor allem aus den Reihen von Grünen und Linkspartei, durchgesetzt. Zwar konnte nicht verhindert werden, dass die Häuser geräumt wurden; der Druck auf den Senat ist aber weiter gewachsen, ein politischer Erfolg der Besetzer*innen.

Unter der Berliner Bevölkerung und in den regionalen und auch überregionalen Medien fanden Besetzungen und polizeiliche Räumungen ein breites Echo. »Eine neue Umfrage zeigt überraschend deutlich, wie radikal viele Berliner inzwischen denken, wenn es um die Wohnungsknappheit in der Stadt geht. 53 Prozent der befragten Bürger halten mittlerweile gesetzwidrige Hausbesetzungen für ein legitimes Mittel, um auf das Thema Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa im Auftrag der Berliner Zeitung. Besonders deutlich für derart illegale Aktionen sprechen sich Linke-Anhänger (83 Prozent) und potenzielle Grünen-Wähler (77 Prozent) aus. Doch immerhin auch die Hälfte der SPD-Anhänger (49 Prozent) unterstützt ein solches Vorgehen.« (berliner-zeitung.de, 03.06.2018)

Vier Bemerkungen von einigen Besetzer*innen der Borni vom 21.05.2018
  • Das »Angebot«, darin war sich das Plenum drinnen einig, war ein Witz. Etwas nach 20 Uhr kamen unsere Anwält*innen ins Plenum und kommunizierten den Stand von draußen. Angeboten wurde, eine handschriftliche Absichtserklärung zu unterzeichnen, nachdem alle Besetzer*innen das Haus verlassen und damit jegliche Verhandlungsposition vorab aufgegeben hätten. Die Absichtserklärung sollte ein unverbindliches »Vorzugsrecht« signalisieren, Teile des Hauses – minus die für öffentliche Veranstaltungen nutzbaren Räume im Erdgeschoss, also den interessanteren Teil – nach »kooperativer« Instandsetzung (heißt, wir sollen die Bude großteils in unbezahlter Arbeit für Stadt und Land schick machen?) für 6 Euro pro Quadratmeter anmieten zu dürfen. […]
  • Unsere Entscheidung […] wurde entgegen vorheriger Beteuerungen nicht abgewartet. Die Polizei stürmte gegen 20:30 Uhr das Gebäude und begann eine brutale Räumung, bei der Menschen die Treppen hinuntergetreten wurden und mehrere Personen später ins Krankenhaus mussten. Ein Polizist bemerkte grinsend: »Tja, war halt eine Finte.« Nicht mit uns war nicht zu reden, sondern mit Linkspartei, »Stadt und Land« und – welch Wunder – den Bullen.
  • Eine brutale Räumung durchzudrücken, während mensch sich gleichzeitig für die Besetzungen und ihre politischen Ziele ausspricht, ist natürlich auch einer der ältesten Schachzüge linker Regierungsparteien. Hier halt bemerkenswert plump aufgezogen.
  • Das muss Konsequenzen haben. Ob die Linkspartei-Elite sich hier von der SPD die Agenda aufzwingen lässt oder einfach längst selbst den Standpunkt der SPD einnimmt, während sie noch dreist linke Bewegungsarbeit für sich zu vereinnahmen sucht, – jetzt gilt es, dieses Verhalten auf allen Ebenen richtig unangenehm für die Verantwortlichen zu machen. Wir setzen auf den Einfallsreichtum solidarischer Strukturen, um dafür zu sorgen, dass sie sich die nächste Räumung zweimal überlegen.

 

Das doppelte Spiel der Koalitionsparteien

Unmittelbar nach den Hausbesetzungen hatte die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) erklärt: »’Die Aktion zeigt, dass es in großen Städten wie Berlin für Menschen mit niedrigen Einkommen immer schwerer wird, eine Wohnung zu finden.‘ Vor diesem Hintergrund sei die Motivlage der Besetzerinnen und Besetzer, ‚ein deutliches politisches Zeichen zu setzen, nachvollziehbar‘. Trotzdem stelle die Besetzung von Gebäuden einen Eingriff ins Eigentumsrecht dar und könne strafrechtliche Konsequenzen haben.« (berliner-zeitung.de, 22.05.2018)

In den folgenden Tagen rückte die Linke, angesichts der Stimmung unter den eigenen Anhängern und Wählern, von dieser doppeldeutigen Haltung zunächst verbal ab. »Die Linkspartei fordert inzwischen eine Abschaffung der Berliner Linie. Sie schlägt vor, stattdessen Besetzungen im Einzelfall zu prüfen, das heißt, die Gründe für den Leerstand des Hauses und die nötigen Maßnahmen, den Wohnraum wieder herzustellen, zu klären. ‚Wohnungen sind zum Wohnen und nicht zum Leerstehen da‘, heißt es in dem Beschluss. Besetzungen könnten nach Sicht der LINKEN ‚ein wirksames Instrument gegen Leerstand sein‘. Um diesen zu bekämpfen fordert die Partei außerdem einen Aktionsplan, eine Sonderermittlungsgruppe und ein landesweites Leerstandsmonitoring.« (ND, 25.05.2018) Auch aus den Reihen der Grünen, vornehmlich aus den Bezirken Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg, kamen Sympathiebekundungen mit den Besetzer*innen und die Forderung nach einer Abkehr von der »Berliner Linie«.

Selbst in den Reihen der Sozialdemokraten wuchs das Unbehagen und fand seinen Niederschlag auf dem Landesparteitag der SPD. Der Regierende Bürgermeister Müller fuhr sein schlechtestes Ergebnis bei der Wahl zum Parteivorsitz ein. Er wurde mit nur 65 Prozent wiedergewählt. Der Tagesspiegel vom 3. Juni berichtet über einen Beschluss des Landesparteitages u.a.: »’Es war der größte organisierte zivile Ungehorsam gegen Verdrängung und Spekulation seit vielen Jahren. […] Die Besetzer wollten mit ihrer Aktion auf die dramatische Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt aufmerksam machen.‘ Spekulativer Leerstand, die Umwandlung in Eigentumswohnungen oder Scheinsanierungen auf Kosten der Mieter zeigten, ‚dass die Politik viel zu lange eine wachsende Stadt gefeiert hat, ohne die richtigen Weichen zu stellen. […] Die Kritik der Besetzer an der aktuellen Situation auf dem Wohnungsmarkt teilen wir.‘ Heute herrsche große Einigkeit, dass insbesondere der Westteil Berlins ohne die Hausbesetzerbewegung der 80er Jahre anders aussehen würde.«

Welche Bedeutung verbal-radikale Sympathieerklärungen, Resolutionen und Beschlüsse von Parteitagen haben, wurde zwei Tage später deutlich. »Der Koalitionsausschuss hat sich auf einen Kompromiss zum Thema Hausbesetzungen und Leerstand geeinigt. Nach Informationen der Berliner Zeitung will Rot-Rot-Grün spekulativen Leerstand stärker bekämpfen, möglicherweise auch mit verschärften Gesetzen. Zugleich bleibt es aber bei der Berliner Linie, nach der Hausbesetzungen innerhalb von 24 Stunden notfalls durch die Polizei beendet werden.« (berliner-zeitung.de, 05.06.2018)

Die Mitglieder und Anhänger von SPD, Grünen und Linke spielen die Statisten. Sie dürfen auf Versammlungen und Parteitagen sagen, was sie wollen. Aber was sie sagen, hat nichts zu sagen. Die Senatspolitik wird auch weiterhin vom Schutz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und den Renditeerwartungen der Immobilienbesitzer bestimmt werden. Es gilt daher, den Druck auf die Koalitionsparteien aufrecht zu erhalten und zu verstärken. Die politische Stimmung unter der Bevölkerung, deren wachsende Sympathie für die Aktionen der Initiativen gegen den Mietenwahnsinn bieten gute Voraussetzungen dafür.

Eine soziale und außerparlamentarische Bewegung von links könnte zugleich eine Barriere gegen die weitere Rechtsentwicklung bilden. Sie zeigt – im Gegensatz zur plumpen Propaganda von den fehlenden Arbeitsplätzen und Wohnungen durch Zuwanderung – die gesellschaftlichen Ursachen von Verdrängung durch steigende Mieten auf. Welche Wähler*innen wissen schon, dass die AfD in sozialen Fragen ein strikt neoliberales Konzept vertritt? »Die AfD hebt sich von den meisten anderen Parteien darin ab, dass sie nicht noch mehr Gesetze zum Schutz der Mieter fordert. Im Gegenteil. ‚Wir verzichten auf planwirtschaftliche Eingriffe und lehnen scheinbar mieterschützende Maßnahmen wie die Mietpreisbremse strikt ab«, heißt es im Programm.‘ (berliner-zeitung.de, 14.09.2016) Im Kampf gegen den wachsenden Einfluss der Rechtspopulisten sind die Aktionen gegen den Mietenwahnsinn genau so wichtig wie die Kundgebungen und Demonstrationen gegen den AfD-Aufmarsch in Berlin vom 27. Mai dieses Jahres.

Allerdings, wenn die realen sozialen Verhältnisse – nicht zuletzt auf dem Wohnungsmarkt – ihre Wirkung entfalten, wenn eine rot-rot-grüne-Regierung als derzeit im Parlament „linkeste“ Option nicht in der Lage und Willens bzw. gezwungen ist, an den prekären Verhältnissen etwas zu ändern, dann werden einzelne Initiativen und Demonstrationen kaum einen weiteren Wahlerfolg der AFD verhindern – sowohl bundes- als auch landespolitisch. Voraussetzung wäre, dass aus den Einzelinitiativen und Aktionen eine Bewegung mit Anziehungskraft erwächst. Dann können sich auch politische Alternativen jenseits von Parlamentarismus und sozialer Partenerschaft herausbilden.

A.B. 13.06.2018

Redebeitrag: Bauen, bauen, bauen – sozial und kommunal!

Hallo, ich möchte hier ein Thema ansprechen, welches unseres Erachtens kaum ernsthaft debattiert wird. Auch wenn es heißt, es würde soviel über das »bauen, bauen, bauen« geredet werden – de facto wird wenig gebaut und schon gar nicht bezahlbare Wohnungen – dies wäre aber von großer Dringlichkeit! Denn in der Stadt herrscht eine akute Wohnungsnot. In den letzten fünf Jahren ist die Bevölkerung von Berlin um über 330.000 Menschen angewachsen – das entspricht der Bevölkerung von Städten wie Bochum, Wuppertal oder Münster. Über 150.000 Wohnungen fehlen heute und die Verschärfung des Problems ist absehbar. Die Deutsche Bank Research spricht angesichts des beschleunigten Mietanstiegs 2017 von einem Berliner Superzyklus, der weit über das Jahr 2020 andauern könnte. Das scheint nicht ganz unrealistisch!

Angetrieben wird diese Entwicklung durch den Mangel an preiswerten Wohnungen, extrem steigenden Mietspiegelwerten sowie durch Mieterhöhungsmöglichkeiten, insbesondere der Umlage von Modernisierungskosten, die die Verdrängung von MieterInnen nach sich zieht. Der Schutz der BestandsmieterInnen beginnt folglich bei der überfälligen Streichung des § 559 BGB (Modernisierungsumlage) sowie einer Mietpreisbremse, die diesen Namen verdient. Das dringlichste Problem des Wohnungsmarktes ist der akute Mangel an Wohnungen und die Neubauzahlen sind ernüchternd. Gebaut werden in erster Linie hochpreisige Wohnungen; nur hier lohnen sich die Investition für private BauherrInnen und gewinnorientierte Gesellschaften und allein hier funktioniert der »Markt« mit seiner Behauptung, die Nachfrage bestimme das Angebot.

Der Neubau preisgünstiger Wohnungen? Fehlanzeige. In den Jahren 2015 und 2016 sind gerade einmal 234 geförderte Wohnungen entstanden, d.h. mit Mieten ab 6,50 Euro – ein Tröpfchen auf den heißen Stein. Somit verschärft sich die Konkurrenz um die wenigen – noch bezahlbaren – angebotenen Wohnungen und begünstigt die Entstehung diskriminierender Vergabepraktiken. Unten auf der Leiter stehen grundsätzlich die Menschen mit wenig verfügbarem Einkommen und darunter noch diejenigen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe rassistisch ausgegrenzt werden. Wohnungssuchende Menschen oder Träger der sozialen Arbeit wissen ein Lied davon zu singen. In dieser Situation sollte sich also gar nicht die Frage stellen, ob gebaut werden muss, sondern wie es möglich ist, dass die öffentliche Hand für die Berliner Bevölkerung zügig und effektiv gute und bezahlbare Wohnungen in angemessener Anzahl errichtet.

Eine völlig inakzeptable Lösung hat uns der Berliner Senat Ende März präsentiert, als verkündet wurde, dass nun 25 Standorte für sogenannte MUFs (Modulare Flüchtlingsunterkünfte) festgelegt worden seien, in denen jeweils bis zu 500 Menschen verwahrt werden sollen. Nur am Rande, diese Schlichtbauten kosten uns über 400 Millionen Euro. Die Senatorin für Soziales, Elke Breitenbach, sowie die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnungsbau, Katrin Lompscher, erfreuen sich einhellig daran, dass diese Unterkünfte »später auch den Berlinerinnen und Berlinern zur Verfügung stehen« würden. Der Senat etabliert auf diese Weise ein Wohnungssegment des Substandards und orientiert damit auf eine residuale Versorgung der Armutsbevölkerung dieser Stadt. Der arme »Restbestand« der Gesellschaft soll faktisch den Anspruch auf eine gute Wohnung verlieren.

Was wir tatsächlich benötigen, ist ein integraler, d.h. integrierender Wohnungsmarkt, der allen hier Lebenden unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe und inklusive der Einkommensarmen gute Wohnungen zur Verfügung stellt. Dies ist keine fixe Idee, wie die historischen Erfahrungen aus England und Wien der Nachkriegszeiten belegen. Was hier und heute fehlt, ist der politische Wille! Es benötigt erheblich mehr Geld zur Stärkung der Objektförderung, d.h. mehr Geld für den Bau guter Wohnungen, die den aktuellen Bedürfnissen entsprechen. Dafür muss das öffentliche Vermögen an Baugrund und Steuermitteln genutzt werden. Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften müssen raus aus den betriebswirtschaftlichen Zwängen und nicht mehr gewinnorientiert wirtschaften. Vielmehr sind diese Gesellschaften auf das Grundrecht auf gute Wohnungen und darauf, das Mietenniveau in Berlin nach unten zu korrigieren, zu verpflichten. Der durch öffentliche Finanzierung errichtete Wohnraum muss stetig erweitert werden und dauerhaft in öffentlichem Eigentum verbleiben, um diese Aufgaben nachhaltig zu realisieren.

Deshalb sagen wir: bauen, bauen, bauen – sozial und kommunal!

Bezirksgruppe Neukölln
der Berliner MieterGemeinschaft


  1. Wir berichteten darüber in der Arbeiterpolitik 3/4, 2017
  2. Siehe auch Arbeiterpolitik Nr. 5, 2017, S.6, »Verdrängung auf dem Wohnungsmarkt«

aus Arbeiterpolitik Nr. 2/3 2018

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