Die gesellschaftliche Funktion des rechtsnationalen Populismus

»Menschen in Not, den Kriegsflüchtlingen muss man helfen, aber wir können nicht alle, die zu uns kommen, aufnehmen.« So lässt sich wohl die Meinung in der Mehrheit der Bevölkerung kurz zusammenfassen. Aber der Anteil derjenigen wächst, die den Parolen der AfD folgen. Das oft vorgebrachte Argument: »Seit Jahrzehnten haben die Politiker auf unsere Kosten gespart, jetzt, nachdem die Grenzen für die Flüchtlinge geöffnet wurden, ist auf einmal Geld vorhanden.«

Unzufriedenheit, Wut und Ängste, hervorgerufen durch das Gefühl der Ohnmacht über eine Entwicklung, die die Betroffenen nicht aufhalten und beeinflussen konnten, suchen sich ein Ventil. Mit der Wahl der AfD fanden deren Wähler*innen ihr Ventil und konnten »es denen da oben mal zeigen«. Und darin liegt die Funktion des nationalistischen Populismus. Er lenkt ab von den gesellschaftlichen Ursachen und deren Profiteuren. In den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte rücken die »Verantwortlichen« – »Merkel muss weg« – und die scheinbar einfachen Lösungen zu Lasten der Geflüchteten und anderer Minderheiten, aller, die sich zum Feindbild der AfD und anderer Rechtspopulisten eignen.

Mit den Wahlerfolgen der AfD prägen rassistische Vorurteile und nationalistische Losungen immer stärker die öffentlichen Debatten, wie sie sich in den Talkshows und der Auswahl ihrer Gäste als auch in der Berichterstattung der privaten und öffentlichen Medien widerspiegeln. Fast wöchentlich »wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben“. Ängste werden beständig geschürt und bedient – siehe die monatelangen Schlagzeilen über die sexuellen Übergriffe auf der Kölner Domplatte, die Diskussionen über das Verbot von Kopftüchern, als Symbol der »Frauenfeindlichkeit« und »politischen Intoleranz des Islam« und der »Terrorgefahr« durch »Hassprediger« und »Gefährder“. Sie wären von Merkel ins Land geholt worden und lebten auf unsere Kosten von staatlichen Sozialleistungen. Nach dem Muster verlief auch die sogenannte BAMF-Affäre, bei der sich bald herausstellte, daß die Bremer Außenstelle juristisch korrekt gearbeitet hatte. Die AfD bestimmt immer stärker den gesellschaftspolitischen Diskurs.

Der Rechtspopulismus ist in der Mitte der Gesellschaft abgekommen

Das damit geschaffene gesellschaftliche Klima drängt die Berichterstattung über andere Ereignisse an den Rand. Nicht die Linke (im weitesten Sinne) oder die Sozialverbände und Gewerkschaften, sondern die AfD gibt die Themen der öffentlichen Debatten vor. Die übrigen Parteien agieren nicht, sondern reagieren – vor allem die Koalitionsparteien, zu deren Lasten die Erfolge der AfD gehen. Kaum noch ein Politiker aus Union und Sozialdemokratie – von der rechtsnationalen FDP brauchen wir in diesem Zusammenhang nicht zu reden – wagt es, sich offen gegen Volkes Stimme und Stimmung zu stellen. Das Asylrecht, die Genfer Flüchtlingskonvention und die allgemeinen Menschenrechte bleiben auf der Strecke, gehen mit der zunehmenden Anzahl ertrunkener Flüchtlinge im Mittelmeer unter. Die Empörung darüber scheint der Gewohnheit gewichen oder verhallt rasch, während die Pläne zum Ausbau der inneren Sicherheit (Polizeigesetze der Bundesländer) und zur militärischen Sicherung der europäischen Außengrenzen (Frontex) vorangetrieben werden.

Die CSU (jedenfalls ihre Führungsriege Söder, Dobrindt, Seehofer) bedient sich nicht nur der Rhetorik der AfD. Sie hat sich mit Übernahme von deren Forderungen im »Masterplan Migration« in der Koalition weitgehend durchgesetzt (siehe Artikel »Die CSU setzt weitere Rechtswende in der Regierungskoalition durch«). Die Versuche von CSU und Teilen der CDU, der AfD damit den Wind aus den Segeln zu nehmen, wird das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken. Es macht die AfD in breiteren Wählerkreisen salonfähig und die Leute, die aus Wut und Unzufriedenheit den Volksparteien den Rücken gekehrt haben, wählen lieber das Original.

Die Regierungsvertreter der SPD enthielten sich weitgehend einer inhaltlichen Kritik an den CSU-Plänen zur Migration und warteten den Ausgang des Machtkampfes zwischen den Unionsparteien ab. Danach billigten sie deren Kompromiss mit dem Versprechen für ein Einwanderungsgesetz. Die Fragen von Flucht, Einwanderung und Migration wollen sie nicht zum öffentlichen Zankapfel, zu einer Koalitionsfrage machen – auch im Hinblick auf die Abwanderung vieler ihrer Wähler zur AfD und auf die öffentliche Stimmung.

Auch innerhalb der Grünen (Kretschmann, Palmer) und der Linkspartei (Wagenknecht) mehren sich die Stimmen für eine Begrenzung der Migration. Die offiziellen Positionen in der Migrationsfrage, festgehalten in Programmen und Parteitagsbeschlüssen, spielten und werden in zukünftigen Koalitionsverhandlungen keine Rolle spielen. Sie wurden und werden wohl als erstes der angestrebten Regierungsbeteiligung geopfert.

Die parlamentarischen Parteien in der BRD, die auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft stehen und sich zu ihren Regeln bekennen, können den Nährboden für Rassismus und Nationalismus nicht trocken legen, weil sie deren Ursachen nicht beseitigen können. Zunehmende Zukunftsängste sind aktuell eine Begleiterscheinung der kapitalistischen Entwicklung (Stichwort Globalisierung). Die Deregulierung erfasst nicht nur den Arbeitsmarktes (Agenda 2010), sondern auch den Wohnungsmarkt und zahlreiche Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge, die zunehmend dem Konkurrenzdruck des Marktes ausgesetzt wurden. Die Ängste, das Gefühl der Ohnmacht – am Arbeitsplatz, auf dem Wohnungsmarkt, gegenüber den Repressionen der staatlichen Sozialbürokratie – haben eine reale Grundlage. Damit verknüpft ist die Abwendung von den bisherigen parlamentarischen Vertreten, von denen sie sich verkauft fühlen, und die Suche der (AfD)-Wähler*innen nach der starken Hand, nach der Autorität, die ihren Wünschen und Anliegen Geltung verschafft. Reaktionäre und repressive Lösungen, wie von den Rechtspopulisten gefordert, werden von den Regierungsparteien aufgegriffen und umgesetzt. Ihnen bleibt nichts anderes übrig

Antirassistischer/antifaschistischer und sozialer Widerstand

Zwischen den zunehmenden Krisenerscheinungen im Kapitalismus und dem Erstarken nationalistischer und faschistischer Kräfte besteht zwar ein unmittelbarer Zusammenhang, aber kein Automatismus. Aber allein mit Aufklärung und den besseren Argumenten, so wichtig und hilfreich sie auch sind, ist dem Erstarken des Rassismus nicht beizukommen. Auch die zahlreichen Aktionen gegen die Parteitage und Aufmärsche der AfD, um ihr nicht die Straße zu überlassen, konnten nicht verhindern, dass sie an Zuspruch und Einfluss gewann. Ohnmachtsgefühle und Ängste, die den Erfolgen der AfD zugrunde liegen, die sie bedient und weiter schürt, lassen sich nicht wegdiskutieren und -demonstrieren. Solange sich die überwältigende Mehrheit der Lohnabhängigen als Opfer sieht, die keinen Einfluss auf ihre Lebensbedingungen nehmen kann, wird sich am Zulauf für nationalistische, rassistische und reaktionäre Populisten wenig ändern. Vereinzelung und Ohnmacht lassen sich nur durch kollektives Handeln für die eigenen Interessen überwinden. Das reaktionäre gesellschaftliche Klima lässt sich nur durch breite soziale Bewegungen wenden, wenn es ihnen gelingt, ihre Themen und Forderungen in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatten zu rücken.

Eine breite soziale Bewegung fehlt zur Zeit. Umso wichtiger ist es, die vereinzelten und schwachen Aktionen des sozialen Widerstandes zu unterstützen, ohne die sich solche Bewegungen nicht herausbilden können. »Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!« Seit über hundert Jahren besungen, zeigt diese Erkenntnis: Das Kräfteverhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital lässt sich nur durch den Klassenkampf von unten zu Gunsten der arbeitenden und erwerbslosen Menschen verschieben. Auf der parlamentarischen Ebene spiegelt sich dieses Kräfteverhältnis nur wieder – momentan durch ein Erstarken der AfD und einen Rechtsruck, der sich durch alle parlamentarischen Parteien zieht.

26.07.2018

Rassismus, Nationalismus und seine Ursachen: die Arbeitskraft als Ware

Die kapitalistische Gesellschaft treibt die Menschen auf allen Ebenen in eine zunehmende Konkurrenz: Die Mieter*innen bei der Wohnungssuche, die Erwerbslosen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, die Belegschaften zum Erhalt ihres Standortes, die Beschäftigten der einzelnen Ländern, wie es in der Losung »Sicherung des Standortes Deutschland« zum Ausdruck kommt.

Der Kapitalismus hat nicht nur die natürlichen Ressourcen und die Produkte menschlicher Arbeit, er hat die Arbeitskraft selbst zu einer Ware gemacht, sie den Gesetzmäßigkeiten seines Marktes unterworfen. Ohne diese Voraussetzung kann die kapitalistische Gesellschaftsordnung nicht existieren. Den abhängig Beschäftigten gelang es und kann es gelingen, möglichst günstige Bedingungen beim Verkauf der Arbeitskraft zu erkämpfen. Sie konnten dem freien Markt über Tarifverträge und die Sozialgesetzgebung Schranken setzen. Drei Faktoren sind dabei ausschlaggebend:

  1. die Entschlossenheit und Bereitschaft der Lohnabhängigen, über den Kampf die eigene Lage zu verbessern;
  2. die Kraft der Gegenseite, des Unternehmerlagers, dies abzuwehren oder rückgängig zu machen;
  3. der kapitalistische Arbeitsmarkt selbst, die Entwicklung von Angebot und Nachfrage.

Wir erleben seit über zwei Jahrzehnten, wie die Schranken auf den kapitalistischen Märkten schrittweise abgebaut werden – vor allem von den Parteien, die, wie die SPD, für diese sozialpolitischen Erfolge standen. Der Widerstand dagegen kann, wenn er möglichst breite Schichten unter den Lohnabhängigen erfasst (dazu gehören selbstverständlich auch die Erwerbslosen), den Aufstieg des nationalistischen Rechtspopulismus bremsen. Die Ursache beseitigen kann er nicht. Das wäre nur durch die Abschaffung der Lohnarbeit als solcher möglich, d.h. mit der Beseitigung der kapitalistischen Eigentumsordnung, die aus der Arbeitskraft eine Ware gemacht hat.


aus Arbeiterpolitik Nr. 4 / 2018

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