Wirkungslose Proteste gegen die AfD

Vor der Landtagswahl in Hessen bildeten sich in allen größeren Städten Bündnisse, die den Einzug der AfD in den Landtag verhindern oder doch zumindest erschweren sollten. So heißt es in einem Aufruf »Keine AfD im Landtag«, der vor allem im gewerkschaftlichen Spektrum verbreitet wurde: »Gegen die AfD und die akute Bedrohung von rechts braucht es ein breites gesellschaftliches Bündnis. Der Kampf gegen Rassismus und die AfD ist Aufgabe aller, die eine offene und solidarische Gesellschaft anstreben.« In einer Erklärung eines Wiesbadener Bündnisses heißt es: »Überall dort, wo es große, bunte Gegenproteste gibt, schneidet die AfD am schlechtesten ab und rechte Hetze bekommt am wenigsten Raum.«

Nach dieser Logik gab es in Hessen kaum eine Veranstaltung der AfD, die nicht von Protesten begleitet worden wäre. An diesen Protesten nahmen zum Teil unerwartet viele Menschen teil. Die Aufrufe zu den Gegenveranstaltungen waren vor allem durch eine moralische Ablehnung der AfD-Postionen bestimmt. Der Rechtspartei wird Rassismus und Antifeminismus vorgeworfen. Vielfalt, Solidarität und Antifaschismus sollten dieser Haltung entgegengesetzt werden. Es ging vor allem darum, die kulturellen Differenzen zum Rechtspopulismus herauszustellen.

Auswirkungen hatten diese Proteste allenfalls auf die CDU. Explizit oder implizit richteten sich die Demonstrationen auch gegen die Versuche von Innenminister Seehofer und anderen, die CDU weiter nach rechts zu drängen. Auch viele CDU-WählerInnen sehen darin eine Gefahr. Der Erfolg der Grünen, die der CDU 108.000 Stimmen abnehmen konnten, dürfte hierin eine Ursache haben.

In Bezug auf die AfD müssen wir jedoch feststellen, dass diese Haltung den Aufstieg der AfD nicht stoppen konnte. Sie ist jetzt auch in den letzten Landtag eingezogen und das mit über 13 Prozent. Sie legte nicht nur gegenüber der Landtagswahl 2013 zu (damals scheiterte die noch im Aufbau begriffene Partei an der Fünf-Prozent-Hürde), sondern Prozentual auch gegenüber der Bundestagswahl 2017.

Wer die AfD prozentual stoppen oder auch nur bremsen will, müsste sich zuerst einmal fragen, warum diese Partei in den letzten Jahren so stark geworden ist. Das aber wird überhaupt nicht geleistet. Es scheint, als wäre eine Horde übler Menschen plötzlich in eine heile Welt eingefallen und wolle alles Positive zerstören. Dabei konnte schon seit etlichen Jahren festgestellt werden, dass sich viele Menschen vom politischen System abwenden, sich von Wahlen nichts mehr versprechen und nicht mehr daran teilnehmen. Aus diesen NichtwählerInnen konnte die AfD viele ihrer Stimmen gewinnen.

Prekäre Lebensverhältnisse und Niedergang der Volksparteien …

Viele Menschen, die zuvor CDU oder SPD gewählt hatten, müssen seit etwa zwei Jahrzehnten die Erfahrung machen, dass die Volksparteien nicht mehr in der Lage sind, ihnen eine lebenswerte Perspektive zu geben. Prekäre Arbeitsverhältnisse, Abbau des Sozialstaats, unbezahlbare Mieten, Abstiegsängste und drohende Altersarmut prägen das Leben von immer mehr Menschen. Um den Profit des Kapitals zu sichern muss die internationale Konkurrenzfähigkeit hergestellt werden und dafür müssen sie Opfer bringen.

Die Zustimmung zu den etablierten Parteien schwindet und die Unzufriedenheit wächst. Politischer oder gewerkschaftlicher Widerstand gegen die Angriffe des Unternehmerlagers und den Sozialabbau waren bisher meist erfolglos. Die Betroffenen sahen dieser Entwicklung ohnmächtig zu und konnten ihre Interessen nicht wirksam vertreten.

… führen zum Aufstieg der AfD

Der Zustrom von Flüchtlingen aus Kriegs- und Hungergebieten wurde vor diesem Hintergrund von vielen als Bedrohung aufgefasst und die Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Verhältnissen bekam ein Ventil. Die bei vielen schon immer latent vorhandenen, fremdenfeindlichen Vorurteile bekamen ein anderes Gewicht, sie wurden salonfähig und mit der AfD erschien eine Partei, die dieses Thema zum Schwerpunkt ihrer Propaganda machte.

In den Demonstrationsaufrufen waren die wirtschaftlichen und sozialen Probleme aber allenfalls ein Randthema. Die Politik der AfD wurde fast ausschließlich als Problem für Flüchtlinge, Lesben, Schwule und Transsexuelle dargestellt. Die politische Funktion des Rassismus wird ausgeklammert. Er dient nämlich auch dazu, den von Sozialabbau Betroffenen einen Sündenbock zu präsentieren und von den tatsächlichen Ursachen dieser Entwicklung abzulenken.

Die Verlierer der kapitalistischen Modernisierung sind für die AfD von wachsender Bedeutung. Entsprechend heiß werden soziale Themen zwischen dem wirtschaftsliberalen und dem sozialreaktionären Flügel der Partei diskutiert. Doch die AfD wird die sozialen Belange ihrer WählerInnen niemals ernsthaft vertreten können. Dazu müsste sie den Kampf gegen die Herrschenden aufnehmen. Das aber wäre verpönter Klassenkampf und widerspräche ihrer völkischen Ideologie.

Klassenstandpunkt statt moralischer Appelle

Klassenkampf wäre aber eine notwendige Perspektive für einen linken Widerstand gegen die Entwicklung nach rechts. Rassistische Vorurteile lassen sich nicht durch Ächtung und auch nicht durch noch so gut gemeinte Aufklärung allein überwinden. Allenfalls individuell kann es hier Erfolge geben. Wir werden es nicht schaffen, alle Menschen zu aufgeklärten, weltoffenen Menschen zu machen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bestimmen aber nicht zwangsläufig das ganze politische Denken. Es gibt andere Themen und Erfahrungen, die diese Ressentiments in den Hintergrund drängen können. Wichtig wäre es daher daran zu arbeiten, andere Themen auf die Tagesordnung zu setzen, damit die tatsächlichen Ursachen sozialer Unsicherheit in den Mittelpunkt rücken. Wenn sich die Betroffenen nicht mehr mit ihrer Opferrolle zufrieden geben und gegen Mietwucher und schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen, dann machen sie neue Erfahrungen und der Gegensatz von Oben und Unten gerät wieder stärker ins Bewusstsein.

Dies gelingt aber nicht, wenn sich in breiten Bündnissen der Widerstand gegen rechts darauf beschränkt, die bestehenden Verhältnisse zu verteidigen oder gar zu beschönigen. Diese sind schon jetzt für viele Menschen unerträglich. Dies wird sich noch verschärfen, wenn die derzeitige Konjunktur einmal zu Ende gehen wird. Dann wird es wieder Massenentlassungen geben, steigende Arbeitslosigkeit, Defizite in den Sozialkassen und weitere Angriffe auf den Sozialstaat. Bloß moralische Appelle gegen den Rassismus der AfD werden noch weniger fruchten.

Viele Linke beschränken sich heute auf die »Identitätspolitik«, z.B. auf die Verteidigung der Rechte von Frauen, Homo- und Transsexuellen oder auf den Kampf gegen den Rassismus. Die soziale Frage und die Klassengegensätze werden ignoriert. Auch die Anti-AfD-Demonstrationen standen meist unter diesem Motto. Den Grünen fällt es leicht, solche Proteste für sich zu vereinnahmen und sich als die Partei darzustellen, die die proklamierten Werte am wirkungsvollsten verteidigen kann. Radikale Linke, die diese Proteste zum Teil mit viel Aufwand organisiert haben, machen sich somit zum Steigbügelhalter einer Partei, die schon vielfach bewiesen hat, dass ihr soziale Fragen gleichgültig sind. Auch in Zukunft wird sie somit zum Aufstieg der Rechten beitragen.

Gewerkschaften: Durch Weltoffenheit und kulturelle Vielfalt zu wirtschaftlichem Erfolg

Auch für die Gewerkschaften ist der Kampf gegen rechts losgelöst von sozialen und betrieblichen Konflikten. So verabschiedete die IG Metall im Bezirk Mitte gemeinsam mit den Metallarbeitgebern eine Erklärung »Gegen Rassismus und Gewalt, für Menschenwürde und Solidarität in Betrieben und Gesellschaft«. Darin heißt es: »Weltoffenheit und kulturelle Vielfalt sind feste Bestandteile der Kultur unserer Unternehmen und tragen wesentlich zum Erfolg unserer Wirtschaft bei.« Und weiter: »Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und der Wert einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft für alle begreifbar wird. Dazu leistet unser gemeinsames Handeln einen wichtigen Beitrag.«

Welchen Beitrag das Kapital zu einer »solidarischen Gesellschaft« leisten soll, bleibt ein Geheimnis. Die Realität in den Betrieben bleibt ausgespart, die von den Unternehmern betriebenen Spaltungen der Belegschaften werden ignoriert. Dabei ist die Situation am Arbeitsplatz für viele Beschäftigte ein Grund für die Wahl der AfD (Studie: »Wer wählt Rechtspopulisten? Erfahrung von Unsicherheit und Kontrolle im Arbeitsleben sowie Zukunftssorgen wichtige Faktoren«). Diese Probleme anzugehen wäre wesentlich wichtiger als inhalts- und folgenlose Aufrufe gemeinsam mit den Arbeitgebern.

R.D. 16.11.18


aus Arbeiterpolitik Nr. 5/6 2018

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