Interview mit Kintto Lucas,
ehemaliger Vizeaußenminister Ecuadors

Bananen, eine der wichtigsten landwirtschaftlichen Exportgüter Ecuadors – Quelle: wikimedia.org
Rückblickend, welche Entwicklung führte zur Wahl Correas?

Die politische, soziale und ökonomische Krise der vorherigen zehn Jahre führte zu einer Krise der Glaubwürdigkeit, Legitimität und Repräsentationsfähigkeit des politischen Systems. Correa wurde in dieser Situation als jemand gesehen, der von außerhalb des Systems kam und deshalb in der Lage war, den bisherigen Lauf der Dinge zu verändern.

Welche Gruppen/Schichten der Bevölkerung standen hinter der Wahl Correas?

In der ersten Runde der Wahlen von 2006 waren es vor allem die Mittelschicht, einige Teile der ärmeren Schichten und wenige Vertreter der Bourgeoisie. In der zweiten Runde dehnte sich seine Wählerschaft auf andere Bereiche aus, denn viele befürchteten, dass mit einem Sieg von Correas Gegner, Alvaro Noboa, die Krise sich verschärfen würde.

Was erhofften sie sich davon?

Viele erwarteten die Entstehung einer sozialdemokratischen Regierung mit wenigen Angriffen auf die Besitzstände des Bürgertums. Organisierte Gruppierungen erwarteten tiefergehende Veränderungen, angefangen mit einer verfassungsgebenden Versammlung.

In welcher Weise gelang es der Correa-Regierung diese Hoffnungen zu bedienen?

Nach der verfassungsgebendenVersammlung wurde eine stärkere Umverteilung erreicht, unter anderem durch soziale Maßnahmen, eine Neuverhandlung der Ölverträge und der Staatsverschuldung, eine Ausweitung der öffentlichen Arbeiten.

Die reichsten und unternehmerischen Sektoren zeigten sich misstrauisch gegenüber diesen Veränderungen, aber erzielten trotzdem beachtliche Umsätze und blieben ökonomisch stabil.

Was führte zur Gründung der Alianza País (AP)? Welche Hoffnungen verband Correa damit?

Correa hatte keine stabile Partei, die ihn unterstützte. Verschiedene Bereiche verbündeten sich nach und nach, bis die AP gegründet wurde. Dies war eine Front sowohl von rechten wie linken Bereichen, die aus verschiedenen Klassen zusammengesetzt waren. Die AP hatte nur ein minimales politisches Programm und wurde vor allem durch Correas Führung zusammengehalten. Man erwartete, dass die politische Organisation landesweit stärker werden könnte.

Haben sich diese Hoffnungen erfüllt?

Sie wurden nicht erfüllt. Die Festigung einer solchen Organisation ist nicht gelungen und es gab Zusammenhalt nur unter einer starken Führung.

Welche Gründe führten dazu, dass die Unterstützung für die Alianza País abnahm?

Es gibt mehrere Gründe. Zum einen die Erschöpfung der Regierungsvertreter, die Konflikte mit Bevölkerungsgruppen, die die natürlichen Verbündeten hätten sein müssen wie die Indigenen, die gescheiterte Herstellung von Strukturen, die über den lokalen und nationalen Zusammenhang hinausgingen und die vor allem aber von Correas Führung unabhängig gewesen wären. Trotzdem, wenn Correa nochmal kandidiert hätte, hätte er mehr Stimmen bekommen als Moreno.

Gab es je den Versuch den Einfluss der Großgrundbesitzer, der Großbourgeosisie, der Medienkonzerne zu beschneiden?

Ja. Die Neuverhandlungen der Ölverträge veränderten zutiefst das Verhältnis zwischen den Ölkonzernen, welche früher über 80% des Gewinns bekamen, und dem Staat, der weniger als 20% behielt. Dieses Verhältnis wurde komplett umgedreht. Die Steuererhöhung für Unternehmen und Banken stellte auch einen Verlust für die Bourgeoisie dar. Es fehlte allerdings eine gründliche Reform auf dem Land.

Hat man sich zu sehr darauf verlassen, dass die Preise für die Exportprodukte Ecuadors hoch bleiben würden?

Nein, aber man hat auch nicht gedacht, dass der Sturz so drastisch sein würde, vor allem beim Erdölpreis.

Quelle: statista.com
Was steckt hinter dem Bruch in der Alianza Pais?

Es gibt zwei politische Positionen und Interessen, die in Konflikt zueinander stehen. Was geschah, war vorauszusehen, wenn man sich den Entstehungsprozess der AP anschaut: Die Differenzen explodierten, als Correas Führung nicht mehr da war.

Ist ein Auseinanderfallen der Partei und ein Ende des Correa-Projekts zu erwarten?

Die AP wurde durch Morenos Gruppe übernommen, aber ist faktisch eine tote Partei, ohne jegliche politische oder soziale Möglichkeit, obwohl sie eine neue Führung hat und an den nächsten Wahlen teilnehmen wird. Dazu kommt, dass die Regierung sich für eine rechte, neoliberale Politik entschieden hat, wodurch die Handlungsmöglichkeiten der AP noch mehr eingeschränkt werden, weil sie eigentlich eine linke Partei ist. Außerdem hat die AP immer weniger Chancen gegen mächtige Gruppen der Bourgeoisie, die durch die Maßnahmen der jetzigen Regierung, die Rücknahme der Maßnahmen der vorherigen Regierung und die Koalition mit der traditionellen Rechten gestärkt wurden. Correas Umfeld erhält trotzdem immer noch eine beachtliche Unterstützung im Parlament, aber auch bei der Bevölkerung in verschiedenen Bereichen der Küste und des Berglands, vor allem in ärmeren Schichten. Correa könnte politisch überleben und sich profilieren. Das aber nur, wenn er an zukünftigen Wahlen teilnehmen darf, denn die Wahlbehörde wird alle Hürden in dem Weg stellen, um dies zu behindern. Die Regierung befürchtet dass er eine große Unterstützung bekommen könnte. Die Tatsache, dass er möglicherweise bei den Wahlen nicht teilnehmen darf, begrenzt seine Möglichkeiten wieder Präsident zu werden.

Welche Kräfte stehen nach wie vor hinter diesem Projekt und wie stark sind sie?

Die jetzige Regierung repräsentiert bereits ein Bündnis der ganzen Rechten und mancher Gruppen der traditionellen Linken. Aber die maßgebenden Entscheidungen kommen von der Christlich-Sozialen Partei, die die politischen und ökonomischen Veränderungen unauffällig aus dem Hintergrund leitet. Diejenigen, die Correa unterstützen, bestehen noch aus einigen sozialen Gruppen und Sektoren links von der Mitte. Nur die Zukunft wird zeigen, ob dieses Projekt sich als eine Alternative herausbilden kann. Correa selbst hat immer noch viel Unterstützung bei den ärmeren Teilen der Bevölkerung.

Gibt es Kräfte aus dem linken Spektrum, die in mittelfristiger Perspektive eine Alternative entwickeln können?

Nein. Die traditionellen politischen Kräfte der Linken sind zerstört, unterwerfen sich den Rechten und haben fast gar keine Organisation, keine Macht, um soziale Gruppen zu mobilisieren, und keine Chancen bei den Wahlen. Dasselbe geschieht in den Gewerkschaften, die sich dieser Linken unterordnen, die früher wenig Einfluss hatten und jetzt gar keinen mehr haben. Zurzeit findet sogar eine Unterordnung der Gewerkschaften unter Unternehmerverbände statt, was noch nie passiert ist. Es gibt auch eine Schwächung in der Organisation der CONAIE (Bündnis der indigenen Völker Ecuadors), die sich der Regierung unterwirft um einige wenige politische Posten zu bekommen und dabei eine Politik unterstützt, die sie früher bekämpft hat. Sie hat auch keine Mobilisierungsmöglichkeit.


aus Arbeiterpolitik Nr. 1 / 2019

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