Alle im Bundestag vertreten Parteien – von der AfD über CDU/CSU bis hin zu SPD und Grünen – sind sich in ihrer Solidarität gegenüber dem Staat Israel einig. Sie haben sich auf eine Antisemitismus-Erklärung verständigt, mit der die Kritik am Staat Israel als „Israel bezogener Antisemitismus“ verboten und verfolgt wird. Alle Institutionen, auch in Forschung und Lehre, sollen der „deutschen Staatsräson“ verpflichtet werden.
Als der Antrag: „Antisemitismus, Repression und Zensur bekämpfen – Jerusalemer Erklärung umsetzen, tragfähiges Fundament schaffen!“auf dem Parteitag zur Abstimmung stand, rief dies seine innerparteilichen Gegner auf den Plan, bzw. ans Rednerpult.
Tatsächlich wurde auf dem Parteitag auch über Antisemitismus diskutiert – insbesondere darüber, wie Antisemitismusvorwürfe durch Politik und Institutionen instrumentalisiert werden, um Menschen mundtot zu machen, die israelische Kriegsverbrechen anprangern. Überraschend verabschiedeten die Delegierten kurz vor dem Ende der Konferenz eine Resolution zum Thema. Die Mehrheit dafür war knapp: 213 Delegierte stimmten dafür, 181 dagegen, 48 enthielten sich. […] Jan van Aken empfahl eine Ablehnung des Antrags, weil sich der Parteitag im Oktober in Halle ausdrücklich auf keine Antisemitismusdefinition festgelegt habe. »Ich bin dagegen, dass wir qua Parteitagsbeschluss eine wissenschaftliche Debatte beenden, das können wir nicht tun«, sagte er. (ND vom 12. Mai 2025.)
Wie kann man etwas beschließen, was eine Angelegenheit von Wissenschaft & Analyse ist? Wie kann man durch Mehrheit versuchen, etwas zu bestimmen, was Angelegenheit von Haltung ist? Wer Israel auslöschen und Juden vernichten oder vertreiben will, der ist Antisemit! (Bodo Ramelow auf Instagram)
Kurz gesagt: Bevor nicht sogenannte Wissenschaftler oder Experten sich auf eine Definition über Antisemitismus geeinigt haben, müssen wir uns aus dem Konflikt zwischen Israel und Palästina heraushalten. Die Empfehlung der beiden zitierten Vorstandsmitglieder, den Antrag abzulehnen, läuft auf eine Unterstützung der staatstragenden Erklärung über Antisemitismus hinaus und trägt die darauf basierenden Repressionsmittel mit. Dahinter steht das Bestreben, sich mit möglichen Koalitionspartnern nicht anzulegen. Die offensichtlichen Menschenrechts- und Kriegsverbrechen müssen zurückstehen, wenn es um das Existenzrecht Israels geht. Das gehört bekanntlich zur deutschen Staatsräson und das Bekenntnis dazu gilt als Voraussetzung für eine mögliche Koalitions- und Regierungsbeteiligung.
Die Jerusalemer Erklärung: Was ist Antisemitismus, und was nicht?
Die ‚Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus‘ vom 26. März 2021 wurde von etwa 20 Akademiker:innen erstellt und von rund 359 weiteren unterzeichnet (https://jerusalemdeclaration.org/). Laut Präambel verfolgen sie ein „doppeltes Ziel:
- den Kampf gegen Antisemitismus zu stärken, indem wir definieren, was Antisemitismus ist und wie er sich manifestiert, und
- Räume für eine offene Debatte über die umstrittene Frage der Zukunft Israels/Palästinas zu wahren“.
Wir heben hier nur das Wesentlichste heraus:
„Das Spezifikum des klassischen Antisemitismus ist die Vorstellung, Jüd:innen seien mit den Mächten des Bösen verbunden. … , dass sie die Banken besitzen, die Medien kontrollieren, als ‚Staat im Staat‘ agieren und für die Verbreitung von Krankheiten verantwortlich sind. … Es ist antisemitisch, den Holocaust zu leugnen oder zu verharmlosen … .“
Dazu gehört für sie aber auch, zu erklären, was Antisemitismus nicht ist. Dazu gehören:
11. Unterstützung der palästinensischen Forderungen nach Gerechtigkeit und der vollen Gewährung ihrer … Rechte, wie sie im Völkerrecht verankert sind. …
12. Kritik oder Ablehnung des Zionismus als eine Form von Nationalismus oder das Eintreten für diverse verfassungsrechtliche Lösungen … .
13. Faktenbasierte Kritik an Israel als Staat. Dazu gehören seine Institutionen und Gründungsprinzipien, seine Politik und Praktiken im In- und Ausland, … im Westjordanland und im Gazastreifen … . Es ist nicht per se antisemitisch, auf systematische rassistische Diskriminierung hinzuweisen.“
Es gibt bei rosalux.de (21.5.2025) einen guten Artikel von Tobias Rosefeld zum Thema „IHRA- oder JDA-Definition von Antisemitismus“. „Die JDA-Definition unterscheidet klar zwischen «per se» antisemitischer und «nicht per se» antisemitischer Israelkritik – im Gegensatz zur IHRA-Definition. Warum diese Differenz für die Debatte über Antisemitismus entscheidend und gleichzeitig nicht so unüberbrückbar ist, wie es oft scheint.“ schreibt er. Rosefeld kommt zu dem Schluss, dass beide Definitionen gar nicht so sehr einander ausschließen, wie sowohl Befürworter als auch Gegner der jeweiligen Definition meinen. Lesenswert.