Leserbrief aus Ecuador

Leserbrief

Ihr habt zu den Entwicklungen in Ecuador, die in dem Interview angesprochen werden, nachgefragt, ob es sich um einen Putsch handele, denn so höre es sich an.

Die rechte Konterrevolution in Ecuador ist deshalb so schwierig zu verstehen, weil Correas Regierung keinen unmittelbaren Angriff auf die Eliten darstellte, sondern ganz im Gegenteil: Seine Regierung hat die ökonomische Lage des Landes insgesamt verbessert. Das einzige, was mir einleuchtet, wo die Hauptreibungspunkte entstanden sind, ist in der Finanzregulierung. Meines Erachtens war der größte Verlierer während Correas Zeiten und deshalb der Hauptinteressent an einem Regierungswechsel der Finanzsektor. Vor Correa gab es nahezu keine Regulierung von Finanztransaktionen, weder innerhalb des Landes noch und vor allem mit dem Ausland (d.h. wichtige Teile vom Volkseinkommen konnten einfach ins Ausland „überwiesen“ werden, ohne dass es reguliert oder was besteuert wurde). Mit Correa wurde eine grundlegende Umstrukturierung des Finanzsektors durchgeführt, das Steuersystem verstärkt, die Kontrolle von Steuerhinterziehungen wurde radikal verschärft und, was sehr, sehr wichtig ist: Alle Finanzströme ins Ausland wurden sehr stark besteuert und kontrolliert, sodass es für ausländische Investoren keinen richtigen Anreiz gab, im Land zu investieren. Mit Moreno wird das alles gelockert. Gerade gab es eine Nachricht aus dem Parlament, dass Finanzströme ins Ausland nicht mehr kontrolliert werden. Das ist sehr, sehr schlimm.

Die Sache mit dem Bananenanbau und -export ist ganz anders, da sie ja immer von Privatunternehmern geführt wurden und während Correas Regierung unangetastet geblieben sind. Z.B. wurden sie von der Erhöhung des Mindestlohns ausgenommen. Die Plantagenbesitzer wurden sogar gefördert durch den Aufbau von Infrastruktur. Bananen haben außerdem einen Sonderstatus bei Handelsabkommen mit den USA. Das einzige, was sich während Correas Regierung änderte, war ein gewisser Widerstand gegenüber Freihandelsabkommen, vor allem mit der EU, aber selbst dies änderte sich in den letzten Jahren seiner Amtszeit. Die traditionellen Großgrundbesitzer hatten also keinen richtigen Grund für einen Regierungswechsel, weil sie unter Correas Regierung viel profitiert haben (Correa selbst kommt ja aus einer Region, die traditionell landwirtschaftlich ist, Großgrundbesitz hat usw.).

Warum macht Moreno jetzt diese Politik? Ich gebe einige Hinweise.

  1. Moreno selbst stammt aus einer konservativen Schicht. Das wussten wir schon lange, und Correa wusste das sicherlich auch, es war aber nicht ganz klar, wie stark diese Bindungen sind. Jetzt wissen wir, dass diese Bindungen doch viel stärker sind als gedacht. Ich frage mich aber, warum Correa ihn als seinen Nachfolger gewählt hat, auch weil es nicht klar war, wie sehr Moreno ihm folgen würde. Eins ist klar: Moreno war die einzige Person, die die Wahlen gewinnen konnte, insofern hatte Correa recht. Morenos Beziehungen zu konservativen Schichten haben sich aber viel stärker erwiesen als gedacht. Es gab also schon vorne an eine Tendenz zu einem konservativen Umschlag.
  2. Dies erklärt allerdings nicht, warum Correa und seine Regierung gegen Ende der Amtszeit so stark in der Öffentlichkeit angegriffen wurden. Moreno gewann die Wahlen mit einer sehr knappen Mehrheit (52%). Die größte Unterstützung kam aus ärmeren, ländlichen Gebieten, dort hatte Correa (und hat immer noch) die größte Unterstützung. Die Mittel- und Oberschicht in den Städten (vor allem Quito) zeigten in den letzten Jahren von Correas Amtszeit eine große Unzufriedenheit, die meines Erachtens sehr schwierig zu erklären ist. Die ökonomische Krise aufgrund des Preisverfalls des Öls war letzten Endes weniger verheerend, als es in der Öffentlichkeit dargestellt wurde. Durch verschiedene Maßnahmen konnte der Preisverfall gut ausgeglichen werden, sodass die Binnenökonomie zunächst wenig davon betroffen wurde. Die Unzufriedenheit der städtischen Mittelschichten ist also nicht darauf zurückzuführen.
    Es gab Korruptionskandale, die gewiss einen Beitrag zur De-Legitimierung von Correas Regierung geleistet haben. Diese Skandale sind aber meines Erachtens nicht groß genug (anders als in Argentinien oder Brasilien) um die Unzufriedenheit der Mittelschichten zu erklären. Für mich ist also sehr rätselhaft, warum die Mittelschicht in den Großstädten, die zunächst Correa stark unterstützt hat, sich plötzlich gegen ihn wandte.
  3. Meine Theorie lautet folgendermaßen: Wenngleich Correas Sozialpolitik keinen unmittelbaren Angriff auf die Ober- und Mittelschichten darstellte, führte sie doch zu einer Veränderung in der Sozialhierarchie des Landes (das ist vergleichbar mit Brasilien). Die Armen waren nicht mehr so arm, und die Mittelschichten, obwohl sie auch einen sozialen Aufstieg erlebten, fühlten sich in ihrer übergeordneten Stellung gefährdet. Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien bekamen zum ersten Mal in der Geschichte eine Ausbildung, die viel besser ist als die Ausbildung in Privatschulen und Privathochschulen. Reisen und Tourismus wurden für die breiteren Massen ermöglicht, da fühlten sich die Mittelschichten in ihrer miserablen Bürgerlichkeit angegriffen. Die ärmeren Schichten konnten sich ein Auto und ein Haus leisten. Die Mittelschicht hatte es also immer schwerer, ihre hierarchische Stellung aufrechtzuerhalten. Konsum spielt hier also eine sehr wichtige Rolle. Lateinamerikanische Gesellschaften sind Kinder der amerikanischen Konsumgesellschaft, durch und durch. Konsum ist das Zeichen von Wohlstand und sozialer Überlegenheit. Als Correas Regierung eine umfassende Verteilung der Ölgewinne durchführte, mit einem forcierten Aufbau von wichtigen sozialen Einrichtungen (Bildungswesen, Gesundheitswesen, Sozialversicherung etc.), konnten die ärmeren Schichten ein Leben führen, das lange nur für die Mittel und Oberschicht möglich war. Dies erklärt meines Erachtens zum Teil den Hass der Mittelschicht auf Correa. Ich bin zu einer Privatschule gegangen, meine Kommilitonen stammen aus der Mittel- und Oberschicht, und ich weiß, dass rassistische Merkmale und Überlegenheitsgefühle eine sehr starke Rolle spielen. Meines Erachtens ist das eine der zentralen Erklärungen, warum die Mittel- und Oberschicht sich gegen Correa wandten. Correas autoritärer Charakter unterfütterte diesen Hass noch mehr.

Zu eurer Frage also, warum die Moreno-Regierung das alles macht: Sich gegen Correa und seine Politik zu wenden war die einzige Möglichkeit, die Unterstützung der Mittel- und Oberschicht zu bekommen. Darüber hinaus haben die Eliten möglicherweise schon im Vorab mit Moreno was verhandelt: Sie legitimieren ihn in der Öffentlichkeit, dafür lockert er die staatliche Kontrolle der Rohstoffvorkommen und Finanzströme.


aus Arbeiterpolitik Nr. 1 / 2019

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