Wiedereingliederung der Delivery in die Post –
Gewerkschaftspolitik ohne Beteiligung der Mitglieder

Wenn am Ende eines monatelangen Verhandlungsmarathons alle zufrieden sind, der Vorstand der Post, die Gewerkschaft, ihre Mitglieder und die nicht organisierten Beschäftigten, dann, so sollte man meinen, hat es nur Sieger gegeben.

Die Beschäftigten der Delivery-Gesellschaften werden ab Juli 2019 unter die Tarifverträge der Post fallen. Für über 90% von ihnen werden sich die Löhne z.T. deutlich erhöhen, die Altersteilzeitregelung gelten und Anspruch auf Betriebsrente bestehen. Die Stammbelegschaft erhält Schutz vor Ausgliederung bis Ende 2021, Beendigungs- und Änderungskündigungen sind bis Ende 2022 ausgeschlossen. Und das alles ist vereinbart worden, ohne dass dafür ein höherer Preis als der bisherige bezahlt werden musste.

Und ganz nebenbei ist die Altersteilzeitregelung noch verbessert worden. Bei entsprechender Eigenleistung kann zukünftig schon ab dem 55. Lebensjahr (bisher 59.) die Arbeitszeit halbiert werden bei ca. 80% Lohn vom bisherigen Netto.

Erst wenn man sich die Vereinbarungen im Detail anschaut, wird offenbar, dass die Postwelt doch nicht so rosig ist, wie sie vordergründig zu sein scheint.

Die Niederlage 2015

Anfang 2015 brach die Post eine zuvor mit ver.di abgeschlossene Vereinbarung, nach der bundesweit maximal 990 Paketzustellbezirke fremd vergeben werden durften. Die Post erwiderte auf die wütenden Proteste der Gewerkschaft, dass sie dies aus wirtschaftlichen Gründen tun müsse. Ver. di könne die weitere Ausgliederung verhindern, wenn sie einverstanden sei, im bestehenden Entgelttarifvertrag eine dritte Lohnebene einzuziehen. Die Gewerkschaft lehnte dies kategorisch ab und entschied, flächendeckend in den Streik zu treten.

Nach vier Wochen brach sie die Arbeitsniederlegung kleinlaut ab1. Die Delivery-Gesellschaften wurden als rechtlich eigenständige Unternehmen gegründet. Alle neu eingestellten Paketzusteller erhielten nun bei ihnen ihren Arbeitsvertrag. Die Entlohnung und die sonstige Arbeitsbedingungen wurden in den jeweils regional gültigen Sped- Log-Tarifen geregelt.

Die Beschäftigten im Mutterkonzern bezahlten den Streik mit einer Nullrunde und geringen Lohnerhöhungen in den Folgejahren. Die sog. Schutzverträge gegen Entlassung, Änderungskündigungen und Ausgliederung von Postleistungen blieben unangetastet und wurden um einige Jahre verlängert.

Desaster der Delivery-Gesellschaften

Doch die Delivery-Gesellschaften wurden nicht, wie von der Post erhofft, zu Erfolgsmodellen. Zwar sparte die Post kräftig beim Lohn und den sonstigen tariflichen Leistungen. Da aber die KollegInnen der Delivery-Gesellschaften in einem Betrieb mit den Stammbeschäftigten arbeiteten, gab es ständig Missmut über die unterschiedliche Behandlung.

Vertretungen etwa bei kurzfristigen Ausfällen wegen Krankheit waren schwer zu organisieren, da die maßgeblichen Tarife unterschiedliche Arbeitszeiten wie Überzeitregelungen aufwiesen. Die Vorgesetzten, die für beide Beschäftigtengruppen zuständig waren, wussten häufig nicht, wer welche Ansprüche besaß.

Zwei Betriebsratsgremien im gleichen Betrieb trieben das Durcheinander weiter auf die Spitze. Sie kooperierten nur selten. Viele der bei den Delivery-Gesellschaften Beschäftigten kündigten schon nach kurzer Zeit. Fluktuationsraten von 50% waren in den Regionalgesellschaften keine Seltenheit. Die Post bekam in den letzten zwei Jahren immer größere Schwierigkeiten, geeignetes Personal zu finden. Die Zustellqualität im Paketbereich sank drastisch. Dies kratzte am Image der Post, ein verlässlicher Partner der Paketzustellung für Unternehmen und Privatpersonen zu sein.

Post zieht die Bremse

Das rasant wachsende Online-Geschäft führte auch zu erheblichen betrieblichen Problemen. Die Kapazitäten in den Paketzentren reichten nicht mehr. Gigantische, auf der grünen Wiese gebaute Paketfabriken erfüllten nicht die Erwartungen. Sie führten zu nicht mehr beherrschbaren logistischen Schwierigkeiten. Riesige Abschreibungen ließen die Gewinne schrumpfen.

Kraken wie Amazon nutzten das Chaos bei der Post. Sie übergaben ihr die Sendungen, die sie nicht kostengünstig zustellen konnten. Die landeten in den Briefzentren, die auf solche Mengen nicht vorbereitet waren. Dort konnten sie nur aufwendig bearbeitet werden. Eine weitere Konzession an den Internetgiganten ließ die Probleme noch größer werden. Mit dem Hinweis, nunmehr der größte Auflieferer der Post zu sein, setzte Amazon durch, dass speziell für sie eine neue Versendungsform kreiert wurde, die Warenpost. Sie garantierte eine E+1-Zustellung bei reduzierten Gebühren.

Die Post hatte zusätzlich noch die Verlustbringer der letzten Jahre wie den Epost-Brief, den Postbus und die wenig ertragreiche Lebensmittelzustellung zu verkraften. Mit all diesen Millionengräbern ließen sich die den Aktionären versprochenen Gewinnsteigerungen nicht erwirtschaften. Der Postvorstand zog die Notbremse, entließ das für Paket und Brief zuständige Vorstandmitglied Gerdes und versprach einen Neuanfang mit effizienten Kostenstrukturen. Neben einer Organisationsreform und erhöhten Gebühren für den Einzelkunden sollte vordringlich die Reintegration der Delivery-Gesellschaften in den Mutterkonzern umgesetzt werden.

Zähe Verhandlungen

Der Vorstand trat an ver.di heran mit dem Verhandlungsziel, die Bedingungen für die Überleitung der etwa 14.000 Beschäftigten der Delivery-Gesellschaften unter das Dach der Post zu regeln. Dabei gab die Post vor, die Kostenvorteile der Ausgliederung weitgehend erhalten zu wollen. Ver.di setzte dagegen, dass ohne eine Einigung mit der Gewerkschaft die chaotischen Strukturen in den Paketzentren bestehen bleiben würden und es dauerhaft starke Reibungen unter der Belegschaft geben werde.

Nach mehrmonatigen Verhandlungen, die immer wieder zu scheitern drohten, einigten sich Gewerkschaft und Post schließlich auf eine schuldrechtliche Vereinbarung. Damit die Post ihre Forderung nach Einsparungen im Personalbereich wenigstens zu einem gewissen Teil realisieren konnte, vereinbarten beide Parteien einen Eingriff in den bestehenden Entgelttarifvertrag. Die Gruppenstufen, die innerhalb einer Lohngruppe alle zwei Jahre mehr Geld für die Beschäftigten bringen, wurden gestreckt. Für die ersten zwei Stufen von zwei auf vier Jahre, für die folgenden sechs von zwei auf drei Jahre. Außerdem wurde die Gruppenstufe Null, die vor einigen Jahren befristet eingeführt wurde und etwa 4% unterhalb der Stufe Eins liegt, dauerhaft festgeschrieben und auf vier Jahre für alle neu eingestellten Beschäftigten (egal ob Paket oder Brief) ausgedehnt. Wer künftig bei der Post als Zusteller ein neues Arbeitsverhältnis begründet, wird in den ersten 25 Jahren seiner Beschäftigung etwa zwei Jahresgehälter weniger bekommen als der, der vor dem 01.07.2019 eingestellt wurde. Das sind ca. 70.000 Euro brutto.

Verhandlungen im Geheimen

Einer der heftigsten Kritikpunkte der Mitglieder am Vorgehen der Gewerkschaft in der Tarifrunde 2015 war der Vorwurf, sie seien weder bei Streikbeginn und schon gar nicht bei Streikende befragt worden. Zwar gab es in einigen Regionen leicht abbröckelnde Streikteilnahmen, in anderen bröckelte die Streikfront nicht. Hier stand die Post kurz vor dem Kollaps, weil sie keine Lagerflächen mehr für die nicht zustellbaren Pakete und Briefe fand.

In der Lohntarifrunde 2017 kam der Vorstand des Fachbereiches den Kritikern entgegen. Er befragte vorab die Mitglieder, wie die Forderung aussehen sollte. Und nach Abschluss der Verhandlungen ließ er sie über das Ergebnis abstimmen.

Doch 2019 lief wieder alles wie früher. Weder gab es eine breite Diskussion über die Forderungen, noch abschließend ein Votum der Mitglieder. Nicht einmal die Funktionäre wurden bei der Aufstellung des Forderungskataloges beteiligt, noch über den Stand der Verhandlungen informiert.

Nun ist der Einwand berechtigt, nach der aktuellen Rechtslage habe gar nicht gestreikt werden können, da es bei diesen Verhandlungen nicht um den Abschluss eines Tarifvertrages gegangen sei, sondern um den eines ‚normalen‘ Vertrages. Doch ver.di bezahlte die Auflösung der Delivery-Gesellschaften mit der Öffnung des Tarifvertrages bei den Entgelttabellen, der Änderung der Anspruchsvoraussetzungen für den Erhalt des Weihnachtsgeldes und einem, wenn auch moderaten, Einstieg in regional differenzierte Löhne. So können zukünftig bei Neueinstellungen Gruppenstufen übersprungen werden, wenn regional der Arbeitsmarkt leer gefegt ist.

Ver.di hätte den Druck der Arbeitgeber auf Kompensationen für die Auflösung der Delivery-Gesellschaften über eine bundesweite Mobilisierung der Beschäftigten, etwa durch gemeinsame Kundgebungen von Paket-, Delivery- und Brief-Beschäftigten, etwas entgegensetzen können. Es kam lediglich zu einzelnen regional begrenzten Aktivitäten. Ver.di hat hier die Chance vertan, den aktiven Mitgliedern wieder das Gefühl zu geben, an den Entscheidungen der Gewerkschaften beteiligt zu werden.

Dilemma der Aktiven

In den gewerkschaftlichen Diskussionen nach dem Abschluss der Verhandlung, wurde zwar erkannt, dass es dem Arbeitgeber schlussendlich gelungen ist, eine dritte Lohnebene bei der Post einzuführen. In der Konzerntarifkommission kam es wohl zu einigen Gegenstimmen. Doch bei der Mehrheit überwog die Zufriedenheit über die anderen Bestandteile des Abschlusses.

Die einzigen, die Anlass gehabt hätten, dem Abschluss zu widersprechen, konnten sich nicht bemerkbar machen, weil sie noch nicht an Bord sind.

Ob sich eine Gewerkschaftspolitik auszahlt, die Politik auf Kosten von Dritten, der nachwachsenden Generation, macht, wird sich zeigen. Seit Einführung der zweiten Lohnebene 2001 bis 2003, die zu einer Absenkung der Gehälter für Neueingestellte um ca. 30% führte, ist der Organisationsgrad im Fachbereich deutlich gesunken.

Auch muss sich die Gewerkschaft fragen lassen, warum sie die Entlohnungsbedingungen für Neueingestellte verschlechtert hat, obwohl die gesamtwirtschaftliche Lage seit Jahren von Wirtschaftswachstum geprägt ist. Die Post hatte vor kurzem die Initiative gestartet, 5000 Paketzusteller einzustellen. Arbeitskräftemangel war früher immer Anlass für die Gewerkschaften, strukturelle Verbesserungen in den Entlohnungssystemen durchzusetzen. Andere Fachbereiche von ver.di haben in den letzten beiden Jahren diese Chance besser genutzt (BVG Berlin, Sicherheitspersonal auf den Flughäfen etc.).

H.B. 26.05.2019


 

  1. Vgl. Arpo 3/15

aus: Arbeiterpolitik Nr. 2 / 2019

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