Arbeitskämpfe bei der finnischen Post provozieren eine Regierungskrise
10.000 stehen für 700 – so geht ́s

Korrespondenz

Der Niedriglohnsektor wird zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland problematisiert. Zwei Beschäftigte, die die gleiche Arbeit machen, aber nicht den gleichen Lohn – das ist die Methode »Teile und herrsche«. Mit Outsourcing, Subunternehmertum, Leiharbeit, Werkverträgen usw. spaltet das Kapital Belegschaften, unterläuft Tarifverträge und betreibt Lohndumping. Den DGB-Gewerkschaften, die sich mit der Agenda 2010 im Einklang befanden und dieser Entwicklung vielfach tatenlos zugesehen haben, sind die Mitglieder in Scharen davongelaufen, der Organisationsgrad sank rapide, damit auch die Kampffähigkeit.

Für die Kernbelegschaften wurde ein Puffer von prekär arbeitenden Kolleg*innen geschaffen, der einerseits einen gewissen Sicherheitsabstand zur Arbeitslosigkeit, andererseits aber auch ein bedrohliches Beispiel für die eigene Zukunft darstellte. So unter Druck gesetzt, verhielten sich viele festangestellte Kolleg*innen nach dem Motto: »Lieber die Schnauze halten.«

Ausgliederungen ganzer Produktions- und Dienstleistungseinheiten, wie bei VW »5000X5000«, bei der Deutschen Post »Delivery«, bei den Berliner Verkehrsbetrieben »Berlin Transport« wurden und werden weiterhin als arbeitsplatzsichernde Maßnahmen verkauft, in der Regel von Gewerkschaftsseite in Kauf genommen und von den Arbeitsuchenden akzeptiert, weil es an Alternativen fehlt.

In der letzten Ausgabe der Arbeiterpolitik, 3/4 2019, berichteten wir von einem Arbeitskampf bei der staatlichen finnischen Post, die geplant hatte, eine neue Postgesellschaft (Posti Palvelu) für zunächst 700 Beschäftigte der Sortierung zu bilden. Diese 700 hätten dann einem neuen Tarifverband zugeordnet werden sollten, mit dem Resultat einer 30 bis 50%igen Lohnsenkung. Nicht nur die Betroffenen wehrten sich, sondern gut 10 000 gingen über 2 Wochen in den Streik, nicht nur von der Postgewerkschaft sondern Kolleg*innen aus 7 Gewerkschaften des Finnische Gewerkschafts-Verbandes SAK, aus Logistik und Transport, Stauer in den Häfen, aus der Energiewirtschaft, sogar Eisbrecherbelegschaften etc.

Das brachte eine Lawine ins Rollen: Das Ausgliederungsvorhaben musste gecancelt werden, die zuständige Ministerin für den Öffentlichen Sektor wurde enlassen, einen Tag später wurde Ministerpräsident Antii Rinne von der sozialdemokratischen SDP, ein gestandener Gewerkschaftsführer, durch ein Misstrauensvotum, das alle Oppositionsparteien außer den »Wahren Finnen« unterstützten, zum Rücktritt gezwungen. Auch ihm wurde vorgeworfen, von den Plänen der Post gewusst zu haben und diese geduldet zu haben. Gewusst hatten jedoch die Mitglieder aller Parteien von dem Vorhaben der Post. Die 34-jährige Sanna Marin (ebenfalls SDP) wurde zur neuen Ministerpräsidentin Finnlands berufen.

Erst dieser Schritt, eine junge Frau zur Ministerpräsidentin zu wählen, verdiente eine Nachricht in der deutschen Presse. Die gewerkschaftliche Presse nahm diesen beispielhaften Arbeitskampf nicht zur Kenntnis.

E.B., Februar 2020


aus Arbeiterpolitik Nr. 1/2 2020

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