Vorbemerkung zur Sondernummer
»Rechtspopulismus heute und in der Weimarer Republik«

Demonstration am 22. Februar 2020 in Hanau
Foto: Rainer Kunze / Fototeam Hessen e.V.

Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien hat es in der Nachkriegsgeschichte der BRD immer wieder gegeben. So gelang es Ende der 60er Jahre der NPD in immerhin sieben Landesparlamente einzuziehen, allerdings nur für eine Legislaturperiode. Ende der 80er Jahre sorgte der Aufstieg der »Republikaner«, einer rechtskonservativen Abspaltung der CSU, für Schlagzeilen. Das veranlasste Franz-Josef Strauß damals, im August 1987, zu der Aussage, dass es rechts von CDU und CSU keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe. Die Republikaner konnten sich bekanntlich nicht etablieren. Ebenso kurzlebig blieb der Erfolg der »Partei Rechtsstaatliche Offensive« (Schill-Partei). Sie zog 2001 überraschend mit über 19% in die Hamburger Bürgerschaft ein und löste zusammen mit CDU und FDP die rot-grüne Koalition ab, verschwand danach allerdings in der Bedeutungslosigkeit. Den etablierten Parteien war es immer wieder gelungen, Anhänger- und Wählerschaft der rechtspopulistischen Protestparteien zurückzugewinnen und die rechte Konkurrenz aus den Parlamenten zu drängen. Die Union blieb politische Heimat für ein breites, rechtes Spektrum – von Nationalliberalen und Wertkonservativen bis hin zu Reaktionären und Rechtsextremen. Dies hat sich nun mit dem Aufstieg der AfD offensichtlich geändert.

Der Aufstieg des Rechtpopulismus ist Folge und zugleich Begleiterscheinung der Veränderung der traditionellen Parteienlandschaft. Die traditionellen Parteien als Vollstrecker der Deregulierung von Arbeitsmärkten und Arbeitsverhältnissen, von Sparhaushalten im Rahmen der EU wurden abgestraft. Während dessen wuchsen die Anhängerschaft und der Zuspruch für den Rechtspopulismus. Der Aufstieg der Rechtspopulisten in Westeuropa begann als hilfloser, von kleinbürgerlichem Denken beherrschter Protest gegen die EU und ihre Brüsseler Bürokratie. Darin liegt auch eine Funktion des Rechtspopulismus. Er verschafft dem weit verbreiteten Unmut über die sozialen Verhältnisse ein Ventil, indem er ihn in parlamentarische Bahnen lenkt, die den Interessen des Kapitals nicht gefährlich werden können.

Die Geschichte der AfD und die Radikalisierung des rechten Populismus

Initiiert und gegründet wurde die AfD von national- und rechtsliberalen Professoren und Akademikern vor allem aus Westdeutschland, die in den Maßnahmen der EZB zur Stützung des Euro und in den »Rettungspaketen« für Griechenland die Preisgabe nationaler Souveränität zugunsten einer politisch immer stärker zentralisierten EU sahen. Durch die Erfolge auf parlamentarischer Ebene wurde die AfD zu einem Sammelbecken von Kräften, welche die Gründungsfiguren wie Bernd Lucke oder Olaf Henkel an den Rand und später aus der Partei drängten. Eine Entwicklung, die beide weder gewünscht noch vorhergesehen hatten, die sie aber auch nicht stoppen konnten. Die AfD hat sich mit Zunahme der rassistischen Stimmung in Teilen der Bevölkerung, wie sie in den Pegida-Demonstrationen zum Ausdruck kam, kontinuierlich weiter nach rechtsaußen bewegt. In ihr sammelten sich nicht nur unzufriedene CDU-Mitglieder, die in Merkels Kurs eine Sozialdemokratisierung der Union und eine Preisgabe konservativer Werte sahen. Die AfD wurde zugleich zu einem Sammelbecken von Leuten, deren politische Sozialisation durch die NPD oder andere neonazistische Organisationen geprägt ist, von Anhängern der »Pegida-Bewegung«, der »Reichsbürger« oder der »Identitären«. Ihnen bietet die AfD einen größeren Resonanzboden, verbunden mit den Vorteilen der parlamentarischen Vertretung in den Ländern und im Bund. Obwohl der völkisch-nationalistische Flügel um Höcke offiziell aufgelöst ist, sind seine Positionen in der Partei so stark vertreten, dass es kaum gelingen kann, diese Strömung zu isolieren oder aus der Partei zu treiben. Er dürfte um die 40% der Mitgliedschaft repräsentieren, mit Schwerpunkt in den östlichen Bundesländern, wo die Partei ihre größten Wahlerfolge feiern konnte.

Foto: Manfred Semmler / Fototeam Hessen e.V.

Rassistische Demonstrationen, Übergriffe und Mordserien

Wie schon gesagt, die parlamentarischen Wahlerfolge der AfD und ihre Radikalisierung sind ein Abbild der Zunahme rassistischer Stimmungen in Teilen der Bevölkerung. Die in vielen Medien gefeierte »Willkommenskultur« von 2015 wurde schon bald abgelöst durch die wachsende Teilnahme an rassistischen Aktivitäten, wie den Pegida-Demos in Dresden und anderen Städten. Mit den Parolen »Wir sind das Volk« und »Merkel muss weg« verliehen die Teilnehmer*innen ihrem Unmut und ihren fremdenfeindlichen Überzeugungen Ausdruck. Der heutige Innenminister Seehofer (CSU) machte sich zeitweise zum Sprachrohr dieser Stimmungen innerhalb der Union und der großen Koalition und brachte diese an den Rand des Auseinanderbrechens. Begründung: Die Union dürfe mit der AfD nicht zugleich deren Wähler ausgrenzen. Der Konfrontationskurs gegenüber Merkel wurde von der CSU inzwischen korrigiert – aus taktischen Überlegungen, nicht aus politischer Überzeugung, wie die Vorgänge im Thüringer Landtag zur Wahl des Ministerpräsidenten offenlegten. Der Hauptfeind für Konservative und Liberale steht immer noch links, wie angepasst und gemäßigt sich die Vertreter der Linkspartei auch geben mögen. Die unionsinternen Befürworter einer Zusammenarbeit mit der AfD sind leiser geworden, aber nicht verschwunden; sie wollen sich für die Zukunft alle Optionen offenhalten. Deshalb auch die nur verhaltene Kritik am Ministerpräsident Orban, dessen rechtsradikale FIDESZ-Partei nicht aus der Fraktion der Konservativen im EU-Parlament ausgeschlossen, sondern nur vorübergehend suspendiert wurde.

Der Mord an dem hessischen Regierungspräsidenten Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge in Halle und die Morde in Hanau bilden den vorläufigen Höhepunkt einer Terrorwelle, verübt durch neonazistische Zusammenhänge und/oder Mitläufer, die sich durch das rassistische Klima motiviert fühlten. Die Täter sind zwar nicht Bestandteil der AfD-Parteistrukturen, wie es beispielsweise die SA für die NSDAP war. Dennoch gibt es viele politische Überschneidungen und auch personelle Verbindungen zwischen den zahlreichen neofaschistischen Gruppierungen und Teilen der AfD.

Stille und offene Kumpanei: Verfassungsschutz, Polizei, Justiz und Neonazis

Stellvertretend für den staatlichen Umgang mit rechtsterroristischen Gruppierungen seien hier die Untersuchungen und der Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) genannt. Zunächst ermittelte die Polizei nur im behaupteten »familiären und kriminellen Umfeld” der Opfer. Hinweisen zu rassistischen Motiven wurde nicht nachgegangen. Obwohl es jedem Beobachter klar sein
musste, dass drei Personen allein nicht über zehn Jahre ohne organisatorische und logistische Unterstützung vor Ort mordend durch die Republik ziehen können, blieben das Umfeld und die dort tätigen V-Leute des Verfassungsschutzes bei den Ermittlungen und auch im Prozess weitgehend ausgeblendet.

Auch den zahlreichen Hinweisen auf Netzwerke bei den Sondereinsatzkräften von Polizei und Bundeswehr, wie z.B. »Uniter«, wird von den Ermittlungsbehörden, vom Innen- und Verteidigungsministerium, nicht wirklich nachgegangen. Neonazistische Umtriebe werden als Einzelfälle dargestellt und abgehandelt. So weckt der Umgang von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz mit neonazistischen Gruppierungen Erinnerungen an das Ende der Weimarer Republik.

Zu dieser Sondernummer

Bei einer Auseinandersetzung mit der Rechtsentwicklung im heutigen Deutschland ist ein Blick auf den Sieg des Faschismus in der Weimarer Republik hilfreich. Aber lassen sich nach neun Jahrzehnten die damaligen mit den heutigen Ereignissen überhaupt vergleichen? Wo gibt es Parallelen und ähnliche Entwicklungen, worin bestehen die Unterschiede? Wir wollen mit dieser Sonderausgabe der »Arbeiterpolitik« diesen Fragen nachgehen. Nach einer ausführlichen Darstellung des aktuellen Rechtspopulismus gehen wir deshalb auch auf die Auseinandersetzungen ein, die es um diese Frage damals in der Arbeiterbewegung gab. Wir werden uns mit der Entstehung der KPD-Opposition und deren Faschismusanalysen beschäftigen. Im Anhang findet sich eine Auswahl historischer Texte aus der Zeit des Niedergangs der Weimarer Republik. Sie veranschaulichen, wie sich die Selbstdemontage der parlamentarischen Demokratie vollzog, die schließlich zur Übergabe der Regierungsverantwortung an die NSDAP führte. Sie untersuchen und kritisieren die Grundlagen der Politik von Gewerkschaften und Arbeiterparteien, deren Fehleinschätzungen und Selbsttäuschungen den Aufstieg des Faschismus begünstigten und so zur Niederlage der Arbeiterbewegung beitrugen. Aktuelle Fragen können sie naturgemäß nicht beantworten. Aber sie zeigen, auf welcher Grundlage und mit welcher Methode die Genoss*innen vor 90 Jahren die Entwicklung zum Faschismus untersuchten. Wir hoffen, damit einen Beitrag leisten zu können für eine intensivere Diskussion über Rechtspopulismus und Faschismus heute.


aus: Arbeiterpolitik Sondernummer 2020

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