Corona-Demonstrationen:
»Gegen Maskenzwang und Merkel-Kommunismus«

Die zwei Gesichter der Demonstration von »Querdenken« in Berlin:
Die alte Reichsfahne …

Die Linke tut sich schwer, eine angemessene Antwort auf die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und die ökonomischen Auswirkungen zu finden. Zu widersprüchlich sind die damit verbundenen Probleme auch unter den Lohnabhängigen. Bedeuten der Lockdown und seine Folgen für die einen Einkommensverluste durch Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit, so geht anderen die Aufhebung der Einschränkungen zu schnell (Kita, Schulen, Pflegeheime). Auch ist noch nicht absehbar, wie die Lasten der Hilfspakete für die Wirtschaft erteilt werden sollen. Die Gewerkschaften sind froh, dass es diese Hilfen überhaupt gibt und liegen voll und ganz auf der Regierungslinie. (Lediglich die IG Metall übt Kritik, da sie sich eine weitergehende Unterstützung des Kapitals in Form von Kaufanreizen für Verbrennerautos wünscht.) In verschiedenen Städten gab es von linker Seite Demonstrationen gegen die Unzulänglichkeit der Hilfspakete und gegen die Abwälzung der Krisenlasten nach unten. Die Resonanz blieb jedoch durchgängig bescheiden.

Leichter machen es sich da Teile des Rechtsaußen-Spektrums. Sie lösen die Widersprüche ganz einseitig nach einer Seite auf, erklären Corona zu einer einfachen Grippe und fordern die sofortige Aufhebung aller Einschränkungen. Die mit Corona verbundenen gesundheitlichen Gefahren werden ignoriert, Zehntausende von Toten etwa in Italien spielen keine Rolle. Sicher können mit dieser pauschalen Ausrichtung nicht alle Wähler*innen und Sympathisant*innen des rechten Lagers mitgenommen werden. Aber sie können so eine ganze Reihe von Bevölkerungsgruppen ansprechen, die mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen unzufrieden sind:

… neben dem Transparent mit Friedenstaube

Selbständige, die durch den Lockdown zeitweilig zu Betriebsschließungen gezwungen waren, immer noch schließen müssen oder Angst vor weiteren Schließungen haben, falls die Infektionen wieder steigen.1

  • Lohnabhängige, die in der Reise- oder Eventbranche arbeiten und um ihre Arbeitsplätze fürchten
  • Eltern, die für ihre Kinder wieder den normalen Kita- und Schulbetrieb wollen.
  • Menschen, die gegen die Einschränkung demokratischer Rechte protestieren wollen, weil z.B. das Demonstrationsrecht eingeschränkt wird.
  • Menschen, die sich durch die verordneten Maßnahmen in ihrer persönlichen Freiheit und Freizeitgestaltung eingeschränkt fühlen.

Diese Personengruppen sind alle bei den Demonstrationen vertreten. Ihre Forderungen bestimmen aber nicht das Bild der Demonstrationen und sie bilden nicht das organisatorische und politische Rückgrat dieser Bewegung. Bestimmend scheint eine Szene zu sein, die sich schon lange von der Politik und gesellschaftlichen Strömungen bevormundet fühlt.

Netzwerk für eine neue Rechte?

Viele Menschen, die etwa in facebook-Gruppen der querdenken-Bewegung immer wieder ihre Meinung kundtun, posten nicht nur zu den Corona-Beschränkungen. Sie beklagen auch die Zuwanderung und die »Islamisierung«, zeigen ihre Sympathie mit Donald Trump, fürchten die Abschaffung des Bargelds, haben Angst vor der Strahlung des 5G-Mobilfunks, fürchten um die traditionelle Familie, leugnen den Klimawandel, hetzen gegen Antifa und Kommunismus. Es ist eine Szene, die nicht einsehen will, dass (links)liberale Wertevorstellungen ihren Lebensstil beeinflussen sollen. Sie wollen kein Tempolimit und sehen nicht ein, dass sie bestimmte Worte nicht mehr benutzen sollen, nur weil sie von anderen als rassistisch oder sexistisch beleidigend empfunden werden. Das ist für sie Bevormundung. Vor allem aber fürchten sie die Unterwanderung unserer Gesellschaft durch die Migration. Und auch die wegen Corona verhängten Einschränkungen lehnen sie als Gängelung ab. Der hier verwendete Freiheitsbegriff meint vor allem die Durchsetzung der eigenen egoistischen Bedürfnisse. Solidarität scheint in dieser Szene nicht positiv besetzt.

Sie haben sich weit entfernt von der etablierten Politik und die etablierten Medien sind für sie Sprachrohr des verhassten »links-grünen« Mainstreams. Sie informieren sich vor allem bei dubiosen Internetmedien wie KenFM (Portal von Ken Jebsen) oder den Blogs prominenter »Querdenker“. Diese verbreiten in der Regel keine eindeutig rechtsextremen Positionen, grenzen sich davon aber auch nicht ab und erklären den Gegensatz von rechts und links für überholt, alle müssten gemeinsam gegen das »System« kämpfen. Dabei greifen sie durchaus vorhandene gesellschaftliche Probleme auf; so etwa den Einfluss der Pharmaindustrie auf die Gesundheitspolitik oder die Auswirkungen der wachsenden Abhängigkeit der WHO von privaten Geldgebern. Die Ursachen dieser Probleme werden jedoch personalisiert und sie sehen dahinter einen großen Plan. So auch bei Corona: Die Pandemie sei bewusst herbeigeführt. Mal sind es die Chinesen, mal die Pharmaindustrie um Geld zu verdienen oder aber die Politik (bevorzugt Angela Merkel in Zusammenarbeit mit Bill Gates), die gezielt eine Corona-Hysterie schürten, um das Volk zu unterdrücken.

Angesichts solcher Ideologie verwundert es nicht, dass Menschen lautstark für die Grundrechte eintreten, sich aber nicht an der Anwesenheit eindeutiger Nazis, Reichsbürger und anderer dubiosen Gestalten stören. Vertreter*innen rechter Parteien laufen zum Teil bei diesen Demonstrationen mit und die Parteien treten auf jeden Fall für deren Demonstrationsrecht ein. Inhaltlich halten sie sich jedoch zurück. Sie müssen fürchten, dass auch ein großer Teil ihrer Anhänger nicht für eine Aufhebung aller Beschränkungen zu haben ist.

Es entwickelt sich hier eine Szene unabhängig von traditionell rechten Strukturen, die zwar nach rechts offen ist, sich aber nicht damit begnügt, bei Wahlen das Kreuzchen bei der falschen Partei zu machen. Sie wollen selbst aktiv werden, vertrauen nicht darauf, dass gewählte Abgeordnete die Zustände in Ordnung bringen. Dabei zeigen sie ein hohes Maß an Aggressivität, sowohl verbal als auch tätlich. Hier könnte sich die Basis bilden für eine militantere Bewegung, die sich nicht unbedingt als rechts versteht, die aber von Rechten für ihre Zwecke genutzt werden kann. Das gilt es zu beobachten.

Doch können keineswegs alle, die an diesen Demonstrationen teilnehmen als rechtsextrem bezeichnet werden. Es ist ein bunter Haufen aus materiell Betroffenen, Rechten, Verschwörungsgläubigen, Esoteriker*innen, Impfgegner*innen und solchen, die aus vielen anderen Gründen ihren Unmut zum Ausdruck bringen wollen. Wenn diese Truppe von Gegendemonstrationen mit der Parole »Nazis raus« konfrontiert wird, werden sich viele nicht angesprochen fühlen, sie werden diesen Vorwurf nicht verstehen und es besteht die Gefahr, dass durch eine solche Konfrontation das Spektrum eher zusammengeschweißt als getrennt wird.

20.08.2020


  1. Die Initiative #honkforhope (Hupen für die Hoffnung) ist ein Zusammenschluss von Busunternehmen, die die Reisebranche vor den Auswirkungen der Corona-Einschränkungen retten möchten. Sie hat die Demonstration »Tag der Freiheit« in Berlin am 1. August unterstützt. Das Pfungstädter Unternehmen Koke, das die Technik für Großveranstaltungen anbietet und Großbildschirme vermietet, stellte auch für die Berliner Demonstration die Technik bereit. Es stellte sich schließlich heraus, dass der Eigentümer der Firma die »querdenken«-Bewegung privat schon seit Mai unterstützt.

aus Arbeiterpolitik Nr. 3/4 2020

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