Demo und Kundgebung der »Querdenker« in Berlin
Eine Manifestation kleinbürgerlichen Denkens in Deutschland

Korrespondenz

 

Quelle: Neuköllnbild bei Umbruch-Bildarchiv, Berlin

Es war eine bunte, vielfältige Mischung von Teilnehmenden, die das Bild der Demonstration von Querdenken711 in Berlin am 29. August 2020 bestimmte. Zu ihnen gehörten unter anderem Alt- und Junghippies, Friedensbewegte, Esoteriker*innen, Impfgegner*innen, Anhänger*innen von Hare Krishna, christlich geprägte Menschen bis hin zu Trump-Fans. Über 50.000 Menschen hatten sich beteiligt, eine Reihe von ihnen bestimmt zum ersten Mal in ihrem Leben. Teile des Demonstrationszuges vermittelten den Eindruck, es handele sich um eine Friedenskundgebung mit zahlreichen Regenbogenfahnen und dem Schriftzug »Peace«. Was auffiel: Materielle Forderungen, Bezüge zu sozialen Problemen wie Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder die Zuname von Armut fehlten gänzlich. Nicht gemeinsame soziale Interessen oder politische Ziele verbanden den heterogenen Haufen, sondern Wut und Empörung über die Einschränkungen ihrer persönlichen Freiheiten. Durch den »Lockdown« sehen zahlreiche Kleingewerbetreibende, Selbstständige, Schein-Selbstständige und Freischaffende ihre Existenzgrundlage bedroht oder vernichtet. Ihrer Empörung, hinter der sich materielle Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit verbergen, wollten sie gegenüber den »Verantwortlichen« Ausdruck verleihen. Diese suchten und fanden sie in zahlreichen verschwörungstheoretischen Foren. Die Demonstration der »Querdenker« wurde zu einer Manifestation des kleinbürgerlichen Denkens, das traditionell schon immer nach rechtsaußen offen war und ist. Die Demonstrant*innen hatten daher keine Probleme, mit Anhängern der AfD, der Reichsbürger, des III. Weges oder anderer völkisch-nationalistischer Gruppierungen gemeinsam zu demonstrieren.

Bis zu 20 Prozent der empörten Bürger*innen, die nach Berlin gereist waren, gehörten zum Anhang rechtspopulistischer und faschistischer Parteien und Gruppierungen, die »zum Sturm auf Berlin« mobilisiert hatten. Mit offener Parteipropaganda hielten sie sich zurück. Stattdessen knüpften sie geschickt an den vorhandenen Stimmungen an, um sie in ihre Bahnen zu lenken. So gegenüber den Friedensbewegten mit ihrer harmlos klingenden Forderung nach einem Friedensvertrag. Was sie damit bezwecken, verdeutlichten sie durch die zahlreich mitgeführten schwarz-weiß-roten Reichsflaggen. Sie beziehen sich auf die Grenzen des Deutschen Reiches vor 1937 und stellen die Nachkriegsordnung in Frage, wie sie sich nach 1945 und 1990, nach der Niederlage und dem Zerfall des sozialistischen Lagers, herausgebildet hat. Die politischen Gruppierungen des völkischen Nationalismus waren die Profiteure dieser diffusen Protestdemonstration; ihre Teilnahme sowie die Erstürmung der Treppe zum Reichstag beherrschten die Schlagzeilen und die politische Bewertung in den Massenmedien.

Wie ein staatliches Verbot den Rechtsextremisten in die Hände spielt …

Drei Tage vor der Demonstration und Kundgebung erließ die Berliner Polizei ein Demonstrationsverbot und begründete es mit dem zu erwartenden Verstoß gegen die Pandemie-Schutzauflagen. Es bestätigte die Überzeugungen der Corona-Leugner, die sich als Opfer einer Verschwörung und Gesundheitsdiktatur sehen, gegen die sie die Demokratie zu verteidigen hätten. Das Verbot wirkte nicht abschreckend, sondern mobilisierend. Schon die Massenkundgebung am 1. August hatten Querdenker und Rechtsextreme als »Tag der Freiheit« bezeichnet, in Anlehnung an den Titel des Propagandafilms von Riesenstahl zum Reichsparteitag der NSDAP von September 1935.

Trotz oder gerade wegen des polizeilichen Verbots mobilisierten die Organisatoren weiterhin für ihren geplanten Aufmarsch in Berlin. Dutzende von öffentlichen Alternativveranstaltungen wurden angemeldet, u.a. eine Demonstration gegen das Verbot aus den Reihen der Berliner AfD. Doch dessen bedurfte es nicht. Vom Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht wurde die Verbotsverfügung zurückgewiesen. Gegenüber den Corona-Leugnern werteten die Parteien der Berliner Senatskoalition dies selbstgerecht als Bestätigung für das Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat, während die Querdenken-Bewegung dies als Teilerfolg über den rot-rot-grünen Senat sah. Der geplante »Sturm auf Berlin« konnte gerichtlich genehmigt stattfinden.

Quelle: Neuköllnbild bei Umbruch-Bildarchiv, Berlin

… und die Einsatzplanung der Polizeiführung ihnen freie Bahn verschafft

Zwar wurde die angemeldete Demonstration durch die Innenstadt zur Großkundgebung vor dem Brandenburger Tor wegen Nichteinhaltung der Corona-Auflagen an der Kreuzung Unter den Linden Ecke Friedrichstraße gestoppt und aufgelöst. Aber ein anderes Ereignis sollte die Schlagzeilen der Nachrichten im Fernsehen und in den Zeitungen füllen: der Sturm von Reichsbürger*innen auf die Zugangstreppe des Reichstages. Vor dem Reichstag, von CDU bis Linkspartei als Symbol der Deutschen Demokratie bezeichnet, wehten die schwarz-weiß-roten Fahnen des alten Deutschen Reiches. Diese Bilder gingen um die Welt.

Während beispielsweise sieben Polizei-Hundertschaften mobilisiert wurden, um einem Gerichtsvollzieher den Einlass in die linke Kiezkneipe »Syndikat« zu ermöglichen, hatte die Einsatzleitung der Polizei nur drei(!) Polizisten am Eingang zum Parlament postiert. Und dies trotz einer angemeldeten Kundgebung von Reichsbürger*innen vor dem Gebäude und obwohl die Absichten der Rechtsextremisten durch deren öffentliche Ankündigungen bekannt waren. Von dem versammelten Haufen konnte dies nur als Einladung verstanden werden.

Dass der Berliner Polizeiapparat auf dem rechten Auge blind ist – sprich im Rechtsextremismus nicht seinen Gegner sieht –, haben die Verschleppungen und Vertuschungen in den Ermittlungen über die rechte Anschlagsserie in Berlin-Neukölln deutlich gemacht. Ob die Polizeiführung mit ihrer Einsatzplanung auch den Innensenator des ungeliebten rot-rot-grünen Senat auflaufen lassen wollte, bleibt eine Vermutung, liegt aber nahe. Zahlreiche Beschlüsse des Berliner Senats, wie beispielsweise das Antidiskriminierungsgesetz, waren in den Reihen der Polizei auf strikte Ablehnung gestoßen.

»Helden« in Uniform?

Die Diskussionen und Reaktionen von Repräsentanten der parlamentarischen Demokratie auf die Ereignisse waren grotesk. Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Bartsch, schlug ernsthaft vor, die drei Polizisten mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen. Und Bundespräsident Steinmeier lud sie zu einem offiziellen Empfang in seine Diensträume, dem Schloss Bellevue. Dabei wies er darauf hin, dass die Verteidigung der Demokratie nicht allein Aufgabe der Polizei, sondern der gesamten Gesellschaft sei.

Nicht so viel Reaktionen rufen die Antifaschist*innen hervor, wenn sie Aufklärung über rechtsextremistische Bestrebungen in den Sicherheitsbehörden (Justiz, Polizei und Bundeswehr) verlangen. Verbalen Beteuerungen folgt keine Aufklärung, sondern meist die weitere Verschleierung über das Zusammenwirken zwischen rechtsextremen Terrorismus und ihren Unterstützern in den Sicherheitsbehörden.

Antifaschistische Gegenkundgebung  ohne größere Resonanz

Zu einer Gegenkundgebung auf dem Bebel-Platz hatten sich mehrere hundert Antifaschist*innen zusammengefunden, darunter auch zahlreiche Menschen und Initiativen die zur Zielscheibe des rechten Terrors in Neukölln geworden waren. Sie schlugen sich in einer Spontan-Demo bis zur Friedrichstraße durch. Doch die lautstarken Sprechchöre mit dem Vorwurf »Ihr lauft mit Faschisten!«, zeigten keine Wirkung auf die aus allen Teilen Deutschlands angereisten Corona-Leugner, die darin keinen Tabubruch erkennen wollten. Längst kommen völkische und nationalistische Positionen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft und beeinflussen auch die Meinungen in Teilen der lohnabhängigen Bevölkerung. Allein mit dem Bekenntnis zu Demokratie und Freiheit lässt sich das Anwachsen des Rechtspopulismus und Rechtsextremismus nicht aufhalten. Auf diesem Klavier spielen mittlerweile alle: die Koalitionsparteien von Bundesregierung und Berliner Senat bis hin zu den völkischen Nationalisten. Nur das jeder etwas anderes darunter versteht. Ohne den Bezug zu den sozialen Interessen und politischen Rechten der Lohnabhängigen sowie einer Kritik an den kapitalistischen Verhältnissen bleibt der Antifaschismus zahnlos.

A.B., 14.09.2020


aus Arbeiterpolitik Nr. 3/4 2020

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*