Zur Erinnerung an Martin Seckendorf
(12. März 1938 – 14. Oktober 2020)

Leider lassen die Bedingungen der Corona-Pandemie es nicht zu, dass wir uns in einem gebührenden Rahmen, im Kreis vieler Weggefährten, von Martin Seckendorf verabschieden können. Wir werden dies nachholen, sobald es die Umstände erlauben. So bleibt uns nur, ihn mit dem Nachdruck dieser kleinen Broschüre zu ehren. Er hat sie im November 2015 redigiert und herausgegeben anlässlich einer Veranstaltung im „Haus der Demokratie“ zur Vernichtung der jüdischen Bevölkerung Griechenlands. Dort wurde auch die von ihm mit Lothar Eberhardt gestaltete Ausstellung „Hellas unterm Hakenkreuz“ gezeigt.

Ich traf Martin Anfang der 1990er Jahre das erste Mal persönlich. Er informierte uns über die Besetzung Griechenlands durch die Wehrmacht auf einem Treffen der Berliner Gruppe der „Arbeiterpolitik“. Ich war beeindruckt von seinem umfangreichen Wissen und seinen Detailkenntnissen.

Damals musste Martin seinen Lebensunterhalt bei einem privaten Wachschutzunternehmen bestreiten. Bis 1990 hatte er in leitender Funktion im Staatsarchiv der DDR gearbeitet. Mit der Einverleibung der DDR durch die BRD wurde das Staatsarchiv in das Bundesarchiv überführt. Martin wurde „abgewickelt“. Die neuen Machthaber, die sich als „Sieger der Geschichte“ sahen, wollten und konnten seine Fachkenntnisse nicht nutzen, wohl auch wegen seiner marxistischen Herangehensweise bei der Auswertung historischer Dokumente.

Mein Kontakt zu Martin wurde leider erst nach 2012 enger. Anlass waren die Besuche deutscher Gewerkschaftskolleginnen und -kollegen im Rahmen der Solidaritätsgruppe „Gegen Spardiktate und Nationalismus“ in Griechenland. Dort stießen wir immer wieder auf die Spuren der Vergangenheit – auf die Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht und auf den antifaschistischen Widerstand, der dort in der Arbeiterbewegung auch heute politisch wachgehalten wird.

Zahlreiche Veranstaltungen in vielen deutschen Städten zu den aktuellen Kämpfen gegen die Spardiktate aus Berlin und Brüssel und zur leidvollen Geschichte unter deutscher Besatzung folgten in den kommenden Jahren. Hier fielen Martins historische Forschungsergebnisse und seine Standpunkte auf fruchtbaren Boden. Stellvertretend für die vielen Aktivitäten sei hier die Ausstellung zum 75. Jahrestag der Invasion auf Kreta genannt: „Zeit des Schreckens“. Martin war nicht nur an der Konzeption und Erstellung der Ausstellungstafeln beteiligt. In zahlreichen Vorträgen, u.a. vor Schülerinnen und Schülern, teilte er sein Wissen mit den Besucherinnen und Besuchern, beantwortete geduldig Nachfragen oder Einwände und diskutierte leidenschaftlich über die politischen Schlussfolgerungen, die wir heute aus der Geschichte ziehen sollten.

„Gedenken heißt für uns, sich einzumischen – gegen stattfindende und geplante Kriege und für die Rechte der Opfer“
(aus dem Einleitungstext zur Ausstellung).

Zum Jahrewechsel 2019/2020 waren wir intensiv mit der Vorbereitung einer Konferenz zum 75. Jahrestag der Befreiung beschäftigt. Sie sollte sich mit Deutschlands unbeglichenen Schulden befassen, mit der Weigerung der Bundesregierung Entschädigungs- und Reparationsanprüche anzuerkennen und mit den Betroffenen endlich Verhandlungen darüber aufzunehmen. Der Lockdown durchkreuzte unsere Planungen. Kurz darauf erhielt Martin die Nachricht von seiner schweren Krebserkrankung, der er am 14. Oktober 2020 erlag.

Je öfter wir uns trafen, je enger unsere Zusammenarbeit sich gestaltete, desto mehr wurde aus dem Genossen zugleich der Freund Martin. Enden will ich deshalb mit einer Aufforderung, mit der er mich öfters scherzhaft begrüßte: „An die Arbeit!“

Andi (Andreas Hesse)
für die gewerkschaftliche Solidaritätsgruppe
„Gegen Spardiktate und Nationalismus“


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Martin hat uns nicht nur „Hellas unterm Hakenkreuz“, sondern zahlreiche weitere Publikationen seiner historischen Forschungen hinterlassen. Auf sie können wir dankbar zurückgreifen.


aus Arbeiterpolitik Nr. 1/2 2021

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