Amerikanische Kriegspropaganda als Roman
»2034 – A Novel Of The Next World War«

Buchbesprechung

Vorbemerkung der Redaktion:

Wir danken Klaus Dallmer für die Erlaubnis, seine nachfolgende Buchbesprechung auf unserer Homepage zu veröffentlichen.

Unser Interesse bezieht sich nicht maßgeblich auf literarische oder sachliche Qualitäten des Buches. So spielen z. B. Generalstäbe in aller Welt in sogenannten Sandkastenspielen mögliche Kriege durch. Dies ist Teil ihrer Aufgabe, sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten (selbst wenn die wirklichen Ereignisse dann ganz anders verlaufen). Insoweit ist diese Publikation für sich genommen nicht besonders aufregend.

Bemerkenswert ist allerdings, dass dieses Buch in einem Publikumsverlag und sodann auf der Bestsellerliste der New York Times erschien. Dies lässt Rückschlüsse auf eine Aufnahmebereitschaft in nennenswerten Teilen der US-amerikanischen Gesellschaft zu, was durch eine Äußerung des britischen Historikers Niall Ferguson erhärtet wird, der in einem Interview (FAZ 11.9.2021) sagt: „Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges um Taiwan in den nächsten, sagen wir, drei Jahren muss zum jetzigen Zeitpunkt ziemlich hoch sein. Wir wissen, dass sich Xi Jinping enorm um Taiwan sorgt. Wir wissen, dass Taiwan wie Kuba plus Berlin plus der Persische Golf im ersten Kalten Krieg ist.“

Es scheint, dass in den USA – nicht nur wegen Trump – eine Atmosphäre herrscht, in der ein Krieg als Mittel gegen den eigenen weltpolitischen und ökonomischen Abstieg in den zweiten oder dritten Rang vorstellbar geworden ist. Wie dann das konkrete (literarische) Kriegsszenario aussieht, das kann je nach Phantasie und Qualifikation der Autoren unterschiedlich sein. Wichtiger – welches Motiv hinter einer solchen Publikation steht: Ermutigung zu oder Warnung vor einem militärischen Kräftemessen – und wie die unterschiedlichen politischen und sozialen Milieus dieses Motiv wahrnehmen.


 

»2034 – A Novel Of The Next World War«
von Elliot Ackerman und James Stavridis, New York 2021, Penguin Press, englisch

Das Buch der beiden US-Offiziere hat es im ersten Anlauf auf Platz 3 der Bestsellerliste der New York Times geschafft. Großes Interesse der amerikanischen Bevölkerung am nächsten Weltkrieg scheint also ohnehin schon vorzuliegen – hier wird es zusätzlich bestärkt. Die Handlung hält einen des Nachts wach – und das, obwohl der Weltkrieg mit Schlag und Gegenschlag im Monatsabstand eher gemütlich vor sich geht.

Die chinesische Führung lässt sich nach einigen Zwischenfällen die ständigen Provokationen der amerikanischen Flotte im Südchinesischen Meer nicht mehr länger gefallen und versenkt 2034 einen amerikanischen Flottenverband samt Flugzeugträger. Das kann sie, weil sie im Cyberraum überlegen ist und sämtliche Kommunikation unterbindet. Da merken die Amerikaner: „Das Amerika, das wir zu sein glauben, ist nicht länger das Amerika, das wir sind“.
Die auf Deeskalation bedachte US-Präsidentin kann sich nicht länger gegen die Stimmung im Land und die Hardliner durchsetzen, Antwort muss sein, und so wird eine chinesische Stadt samt Millionenbevölkerung mit einer taktischen Atombombe vernichtet. Nun antworten die Chinesen: ihr unsichtbarer Kampfverband fährt vor die amerikanische Westküste – zwei Städte und deren Einwohnerschaft vergehen im atomaren Feuer. Weil die Gesichtswahrung eine gesteigerte amerikanische Antwort verlangt, müssen nun drei chinesische Städte ausgelöscht werden. Den beiden sympathisch gezeichneten amerikanischen Admiralen, von deren Flugzeugträger die Bomber starten sollen, graust es, als sie den Befehl lesen: neben zwei 7-Millionen-Städten lautet der dritte Name Shanghai. Das bedeutet 30 Millionen Tote, und sie wissen, dass sie damit die Vernichtung von New York, Los Angeles oder Washington DC provozieren. Aber einem ehrenwerten amerikanischen Offizier kommt es nicht in den Sinn, einen vaterländischen Befehl nicht auszuführen, ebensowenig dem jugendlich-draufgängerischen Piloten, der seine Bedeutung in der Geschichte sucht und dann auch findet.
Der Krieg endet dadurch, dass die Inder, rätselhafterweise zu Fortschritt, militärischer Macht und Cyber-Überlegenheit gelangt, wegen der wirtschaftlichen Schäden und um die Menschheit zu retten den beiden Seiten drohen, dem jeweils Nächsteskalierenden empfindliche Schläge zu versetzen, was sie mit der Vernichtung des chinesischen Flottenverbandes auch unter Beweis stellen. Das rettet jedoch nicht Shanghai: der sympathische Marineflieger kann nicht mehr zurückgerufen werden, steigt angeschossen über Shanghai auf zehntausend Fuß mit seiner Bombe, wo aber der Abwurfmechanismus streikt – so geht er in den Sturzflug über und vergeht, die Hand auf dem patriotischen Herzen, zusammen mit der Millionenstadt in der Atomexplosion.
Es gibt ein Friedensabkommen, die Uno wird von New York nach Mumbay verlagert, und die USA bekommen internationale Hilfe bei der Versorgung der Kriegsopfer.
Die flache Story ist angereichert mit persönlichen Geschichten der handelnden Personen – wobei natürlich our gys im Weißen Haus menschliche Seiten zeigen, während die Chinesen nur als ängstliche Befehlsempfänger vorkommen, die der oberste Führer des Politbüros jeweils als Sündenböcke erschießen lässt.
Zusätzlich garniert ist das Geschehen mit Nebenkriegsschauplätzen in Iran, Russland und Polen, wobei die ganze Story marinelastig ist, denn einer der Autoren ist pensionierter Viersterne-Admiral. Von dem hätte man allerdings so viel geographische Kenntnis erwarten dürfen, dass er die russische Flotte von der Barents-See nicht einfach südwärts nach Kaliningrad fahren lässt – durch Skandinavien kommt man zur See schwer durch. Zuvor hat die russische Flotte unterseeische 10G-Kabel gesprengt und daraufhin sind Dreiviertel der USA dunkel und ohne Internet (!). Eine Beratung durch IT-Spezialisten wurde offensichtlich eingespart.
Unrealistisch ist auch, dass noch 2034 eine deeskalationswillige Präsidentin im Amt sein soll; Wirtschaftskrisen und die mögliche Wiederkehr der Trump-Bewegung an die Macht werden ausgeblendet.

Ist solch ein Roman der Erwähnung wert?

Das Wesentliche sind die Schlüsse, die der amerikanischen Leserschaft nahegelegt werden. Der Atomkrieg wird als führbar und begrenzbar dargestellt – die strategischen Interkontinentalraketen kommen nicht zum Einsatz. In der Realität aber werden diese Raketen wohl gestartet, bevor der Gegner ihre Stellungen ausschaltet. Und in der Realität haben die USA weltweit über 700 Stützpunkte und so einige atombestückte Schiffe, und sie installieren ein Raketenabwehrsystem in Japan, um die chinesische Zweitschlagskapazität zu entwerten.

Können die Amerikaner sich damit abfinden, dass sie – wie im Buch beschrieben – ihre Vormacht verlieren und nur noch eine Großmacht unter mehreren sind? Kann eine Nation, die sich als „Gods Own Country“ sieht, und für die ihre Überlegenheit über alles andere quasi ein Naturgesetz ist, mit einem sie überflügelnden Konkurrenten leben? Wirtschaftlich können die USA gegen die chinesische Konkurrenz nicht ankommen, sie haben aber noch das Militär. Was dabei herauskommt, wenn sie auch hier in Rückstand geraten, führen die beiden schreibenden Offiziere der erschrockenen US-Leserschaft mit ihrem Roman vor Augen.

Den amerikanischen Traum der „Freien“ lassen die Autoren dennoch weiterleben. Abraham Lincoln, der den Übergang von der Union der freien Sklavenhalter zur Union der freien Individuen unter der Herrschaft des großen Geldes durchsetzte, wird am Ende zitiert: „Wenn Vernichtung unser Los ist, müssen wir selbst ihr Autor und Vollender sein. Als eine Nation von freien Menschen müssen wir alle Zeit leben oder durch Selbstmord sterben.“

Die USA waren in ihrer Position der Stärke eine Bedrohung für die sich sozialistisch verstehenden Länder, sie waren millionenfach mörderisch für unbotmäßige Entwicklungsländer. Mit ihrem Niedergang werden sie zur Gefahr für die Menschheit.

Klaus Dallmer


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