Die sogenannte Ukraine-Krise (Teil II) – Eine Skizze

Foto: Ingo Müller

Der gegenwärtige Krieg Russlands in der Ukraine ist eine Folge eines größeren geopolitischen Konflikts. Am Ende der Blockkonfrontation nach dem Zerfall und der Auflösung der Sowjetunion (SU) Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts blieb Russland gleichwohl nach den USA stärkste Militärmacht, vor allem beim nuklearen Droh- und Abschreckungspotential. Die Nato-Staaten erweiterten ihren Einfluss nach Osteuropa durch Aufnahme ehemaliger Ostblockstaaten in die Europäische Union (EU) und in die Nato. Zwar hatte es Zusagen an Russlands Regierung gegeben, keine Erweiterung der Nato an die russischen Grenzen vorzunehmen – der russischen Regierung ging es dabei vor allem um die Beibehaltung ihrer Fähigkeit zum nuklearen Zweitschlag, ggf. nachdem sie selbst Opfer eines nuklearen Angriffs einer anderen Macht, d. h. eines Erstschlags, (d. h. der USA) geworden wäre. Mit entsprechenden Angriffswaffen der Nato unmittelbar an ihren Grenzen wäre ihr Zeitfenster für einen Zweitschlag geschlossen worden.

Auf wirtschaftlichem Gebiet war Russland für die USA wenig interessant; der Handel zwischen beiden Staaten ist unbedeutend. Umso wichtiger war und ist die Handelsbeziehung für viele Staaten der EU, vor allem fossilen Energieträgern (Kohle, Erdöl und Erdgas); für die deutsche Wirtschaft vor allem auch im Werkzeug- und Maschinenbau.

Im 21. Jahrhundert änderte sich die Weltlage vor allem durch den wirtschaftlichen (und auch militärischen) Aufstieg Chinas. Das rasante Wirtschaftswachstum, das mit militärischer Aufrüstung, dem Auf- und Ausbau wirtschaftlicher Infrastrukturprojekte einherging, umschloss auch die US-Wirtschaft, die in wichtigen Bereichen von chinesischen Lieferanten abhängig wurde (z. B. Montageleistungen für die Digitalbranche). Der chinesische Markt und sein Potenzial mit einer Bevölkerung von ca. 1,4 Milliarden Menschen ist selbst in seinem noch nicht vollständig entwickelten Stadium eine Bedrohung für die weltweit führende Stellung, die viele Jahrzehnte lang unangefochten die US-Bourgeoisie innehatte. China wurde so zum geostrategischen Hauptkonkurrenten der USA und löst damit das vormalige Sozialistische Lager unter der Führung Russlands ab. Gleichwohl blieb die nukleare Kapazität Russlands ein gewichtiger Faktor für den Fall, dass es zu einem kriegerischen Konflikt der USA und ihrer Verbündeten gegen China kommen und Russland sich auf die Seite Chinas schlagen sollte, was wahrscheinlich wäre.

Mit der Integration der Ukraine in die EU und in die Nato, und damit der Frontverschiebung der Nato an die Grenze Russlands, wäre die EU in weit höherem Maße als bisher Teil der Front gegen China und Russland unter der Führung der USA, was – wie sich gegenwärtig zeigt – weitreichende Folgen für eine Militarisierung der Gesellschaft mit sich bringen wird.

Nachdem die Nato-Staaten eine politische Vereinbarung mit Russland über die Nicht-Aufnahme der Ukraine mit dem juristischen „Argument“ abgelehnt hatten, dass sie einem souveränen Staat nicht verbieten könnten, um Mitgliedschaft zu ersuchen, war für die russische Regierung klar, dass sie auf dem Verhandlungswege nicht weiter kommen würde. Daher wahrscheinlich die Entscheidung, mit Waffengewalt einen Regime-/Regierungswechsel in der Ukraine zu erreichen, um deren Annäherung an Nato und wahrscheinlich auch EU zu unterbinden. Ob diese Rechnung aufgeht, ob die militärischen und politischen Fähigkeiten der russischen Regierung zum Erfolg führen, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen. Ein weiteres Zuwarten jedenfalls hätte der russischen Seite auch keine Vorteile gebracht.

Allerdings sind die politischen und auch ökonomischen Folgen für Russland (und natürlich vor allem für die Ukraine und deren Bevölkerung, die hier als Kampffeld für den geopolitischen Konflikt herhalten muss) dramatisch. Auch für die europäischen Staaten, die nun noch fester an die Seite der US-Bourgeoisie in deren Kampf um weltweite Vorherrschaft gebunden sind, ist die Lage – je nachdem – ungemütlicher geworden. Denn es zeigt sich, wie sehr die europäischen Wirtschaftsräume miteinander vernetzt sind und welche gravierenden Folgen es hat, wenn an die Stelle des Handels Sanktionen treten. Allerdings wird in der Situation auch sichtbar, wie unterschiedlich die einzelnen Volkswirtschaften mit Russland verbunden waren und sind. In Deutschland ist nun die Debatte darüber (wieder-)eröffnet, ob die Laufzeit für die Atomkraftwerke verlängert werden soll, ob die Kohle-Kraftwerke weiter Strom produzieren sollen usw. – und dies unter einer Regierung, an der die Grünen maßgeblich beteiligt sind.

Der Kriegszustand in der Ukraine hat hierzulande vor allem gezeigt, wie gewaltig der Propaganda-Apparat der öffentlichen und privaten Medien ist, wie konzertiert und offenbar auch erfolgreich vor allem mit Halbwahrheiten (die immer ganze Lügen sind), die Akteure in die Guten und die Bösen sortiert werden. Gleichzeitig zeigt sich, wie hilflos damit ein Teil der Friedensbewegung wird, der vorwiegend nach der Moral und nicht nach den Interessen der handelnden Regierungen und ihrer herrschenden Klassen fragt.

01.03.2022


aus Arbeiterpolitik Nr. 3 / 2022

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