Streikende Hafenarbeiter demonstrieren in Hamburg

Korrespondenz

„Wir sind der Hafen!“ Unter diesem Motto sammelten sich am Freitag, dem 15. Juli 22 schätzungsweise 5000 streikende Hafenarbeiter aus Norddeutschland, vereinzelt mit Frau und Kind und wenigen Hafenarbeiterinnen vor dem Hamburger Hauptbahnhof. Mit Kundgebungen und einer Demonstration durch die Hamburger Innenstadt wollten sie den zweiten Tag ihres 48-stündigen Warnstreiks mit einer Zusammenkunft der Kollegen aus den Häfen Hamburg, Bremen, Bremerhaven, Brake, Emden und Wilhelmshaven begehen. Kein Kran, keine Containerbrücke bewegte sich an diesen beiden Tagen in den norddeutschen Seehäfen, und die Streikenden waren sichtlich stolz auf die gelungene geschlossene Streikfront.

Wut und Empörung bestimmte die Auftaktkundgebung am Hauptbahnhof. Nach sieben Verhandlungsrunden war es noch immer nicht gelungen, den Arbeitgebern einen akzeptablen Inflationsausgleich abzuringen. Den jetzigen Warnstreik eingerechnet, hätten die Hafenarbeiter seit dem 9. Juni fast 80 Stunden im Streik gestanden. Vorher hatten die Hafenunternehmen noch schnell versucht, den 48-stündigen Warnstreik per einstweiliger Verfügung von verschiedenen Arbeitsgerichten verbieten zu lassen. In Niedersachsen und Bremen blieben sie erfolglos, nur vor dem Hamburger Arbeitsgericht musste sich ver.di mit den Klägern HHLA und Eurogate vergleichen. Das Gericht äußerte Zweifel, ob der Streikbeschluss formal rechtmäßig zustande gekommen sei. Der Warnstreik dürfe zwar wie geplant stattfinden, befand das Gericht, verordnete aber danach der Gewerkschaft eine Friedenspflicht für die Tarifverhandlungen bis zum 26. August. Streikrecht ist in Deutschland weitgehend Richterrecht. Verdi war deshalb froh, dass der 48-stündige Warnstreik nicht abgeblasen werden musste.

Man sieht: Die Angriffe auf das Streikrecht nehmen zu! Schon Ende Juni hatte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger im Hinblick auf die Warnstreiks in den Seehäfen geäußert: „Vielleicht brauche man einen nationalen Notstand“, der auch Streikrecht breche.

Auch die Politik in Hamburg und Bremen stellte sich an die Seite der Hafenunternehmer. Sowohl Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) als auch Bremens Häfensenatorin Claudia Schilling (SPD) warnten vor einer Gefährdung des Wirtschaftsstandorts und plädierten für ein Schlichtungsverfahren, das Verdi ablehnt.

Für die rund 12.000 Beschäftigten in 58 tarifgebundenen Betrieben fordert die Bundestarifkommission

  • 1,20 Euro Erhöhung der Stundenlöhne
  • Tatsächlicher Inflationsausgleich (7,4 Prozent)
  • Erhöhung der jährlichen Pauschale (Vollcontainerbetriebe) um 1200 Euro
  • Laufzeit nicht länger als 12 Monate

Die Unternehmerseite, der Zentralverband Deutscher Seehafenbetriebe (ZDS), hat zuletzt ein als »final« bezeichnetes Angebot für die Vollcontainerbetriebe vorgelegt, das sie selbst auf bis zu 12,5 Prozent beziffert – aber verteilt auf zwei Jahre. Umgerechnet auf ein Jahr kommt die Bundestarifkommission bei diesem Angebot auf eine Erhöhung von maximal 5,5 %, eindeutig unterhalb eines Inflationsausgleichs.

Die Kolleginnen und Kollegen sprachen sich während der Auftaktkundgebung gegen jede Verlängerung der Laufzeit über 12 Monate hinaus aus. Alle Festlegungen über 12 Monate hinaus schienen der Bundestarifkommission derzeit zu unsicher, zumal die Arbeitgeber ein Recht auf Sonderkündigung und die Möglichkeit einer Nachverhandlung ablehnten; ebenso wurde auch ein Inflationsausgleich von 7,4 Prozent für alle Gruppen gefordert. Dafür wollten die Streikenden bis zum Schluss zusammenstehen.

Die Stimmung auf der Demonstration glich zuweilen einem Familientreffen. Immer wieder entdeckten sich Demonstrationsteilnehmer hinter ihrer Demonstrationsaufmachung als lange nicht gesehene Bekannte oder Freunde und fielen sich in die Arme. Andererseits nahmen die Kolleginnen und Kollegen die Aufforderung, lautstark der Stadt ihre Wut und Empörung mitzuteilen, besonders wörtlich: schrille Pfeifkonzerte wurden begleitet von lauten Trommeln und Tröten, von starken Böllern und Rauchtöpfen in bunten Farben. Die Demonstrationsleitung musste häufig mahnen, das Böllern einzustellen, um keine Personen zu gefährden.

Zum Ende der insgesamt friedlichen Demonstration trotz Böllerei und Rauchtöpfen wollte die Einsatzleitung der Polizei offensichtlich an ihr Gewaltmonopol erinnern. Sie suchte einen Böllerwerfer aus der Reihe der Demonstranten zu greifen, was zur Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und der Polizei und zum Einsatz von Pfefferspray führte. Bilanz laut Presse: Fünf verletzte Demonstranten, fünf verletzte Polizisten.

Offensichtlich glaubten die Verhandlungsführung von Verdi und die Bundestarifkommission anfangs an ein leichtes Spiel: Angesichts der gestiegenen Profite der Hafenunternehmen, des Staus der Schiffe vor den Häfen, dürften  die Arbeitgeber leicht davon zu überzeugen sein, den Beschäftigten, die bis an die Belastungsgrenze gearbeitet und die Lieferketten zusammengehalten haben, einen gerechten Ausgleich für die rasante Inflation  zu zahlen; ein paar Warnstreiks könnten dabei helfen. Dies würde auch die Stimmung für die Gewerkschaft in den Seehäfen ein wenig aufhellen, hatten sich doch die Mitglieder 2020 (1 Prozent) und 2021 (3 Prozent) mit bescheidenen Abschlüssen zufriedengeben müssen, wobei einiger Unmut bei den Aktiven zurückgeblieben war. Also eine günstige Gelegenheit, die Beziehung zu den Mitgliedern zu festigen.

Doch der Widerstand der Hafenunternehmen erzwingt offensichtlich eine andere Dynamik. Die zum Streik Gerufenen wollen sich nicht mehr ohne Inflationsausgleich abspeisen lassen, sie wollen es den Unternehmern zeigen und werden, wenn sie sich durchsetzen, ein Signal für den Inflationsausgleich vieler Branchen setzen.

Die staatstragende Verdi gerät dadurch zwischen alle Stühle. Wie kann sie es den von der Politik kontrollierten Hafenunternehmen Recht machen (Senator Westhagemann sitzt im Aufsichtsrat der HHLA), wie kann sie die Verabredungen der „Konzertierten Aktion“ zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften einhalten (Scholz: „Wir müssen zusammenhalten und uns unterhaken.“) und die berechtigten Ansprüche der Mitglieder erfüllen?

Während die Verhandlungsführerin des ZDS, Ulrike Riedel, den Vergleich vor dem Hamburger Arbeitsgericht begrüßte und darauf hoffte, dass Verdi nun konstruktive Schritte im Sinne einer Einigung mache, unterstrich die Verdi-Verhandlungsführerin Maya Schwiegershausen-Güth den Willen der Gewerkschaft, mit dem ZDS einen Kompromiss zu erreichen. „Streik ist immer das letzte Mittel, aber Lösungen werden am Verhandlungstisch vereinbart“, sagte sie. Jetzt sei es Zeit, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und die auferlegten drei Verhandlungsrunden für einen Abschluss zu nutzen.

Warum nach sieben vergeblichen Verhandlungsrunden mit dem ZDS jetzt ein akzeptables Verhandlungsergebnis zu erreichen sein würde – ohne Streik unter gerichtlich verordneter und durch Verdi akzeptierter Friedenspflicht – wird wohl das Geheimnis der Verdi-Verhandlungsführerin bleiben.

20.07.2022


aus: Arbeiterpolitik Nr. 4/5 2022

1 Kommentar

  1. Die verdi-Tarifabschlüsse für das Flughafen-Bodenpersonal​ z.B. mit der Lufthansa verdienen unsere Aufmerksamkeit.

    Mit einem Festbetrag von 200 Euro monatlich in diesem Jahr und einem Mindestbetrag von 125 Euro monatlich plus 2,5 Prozent im nächsten Jahr ist die Gewerkschaft erstmals wieder von reinen Prozentabschlüssen abgegangen. Bitte mehr davon!
    Reine Prozentabschlüsse bringen wenig für untere Lohngruppen und füllen die Taschen der Besserverdienenden. Die daraus entstehende Lohnspreizung ist ein wesentlicher Faktor bei der Lähmung der deutschen Gewerkschaftsbewegung.
    ​Gruß Wal

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