Nachruf auf Bonno Schütter †

Bonno Schütter und sein Wirken in Bremen

Am 12. Juni 2022 ist Bonno Schütter im Alter von 91 Jahren gestorben. In Nienburg von Henry Ritzer an die ARPO herangeführt, mit dem Niedersachsenchef der IGM Otto Brenner bekannt und kurze Zeit in Salzgitter bei dem dortigen BR-Vorsitzenden Erich Söchtig und bei Waldemar Bolze (beide Gruppe Arbeiterpolitik), fing er 1959 in der Neubauabteilung der Klöcknerhütte Bremen an.

In Kontakt mit der Bremer Gruppe Arbeiterpolitik führte Bonno Jugendliche der Unabhängigen Politischen Jugend UPJ, z. T. Borgward-Lehrlinge, in den Marxismus ein. Schon bald war er im Betriebsrat (BR) der Hütte. Die Arbeit des BR war gekennzeichnet durch die Auseinandersetzung zwischen sozialdemokratischen und kommunistischen Kollegen. KPD-Anhänger und Sozialdemokraten rangen hier um die Führung. Besonders ein Teil der sozialdemokratischen Betriebsräte legte großen Wert auf die Sozialpartnerschaft, also die Vermittlung zwischen Belegschaftsinteressen und Unternehmerinteressen, letztlich eine Unterordnung. Gesteuert wurden die SPD-Kollegen, die immer wieder Kompromisse zwischen Direktorium und Belegschaft suchten, vom Bremer SPD-Vorstand. 1966 gewannen die Sozialdemokraten die Mehrheit im BR. Als Vertreter der Angestellten wurde Bonno im BR zum 2. Vorsitzenden gewählt.

Bonno lehnte die Sozialpartnerschaft konsequent ab und machte den erlebten Interessengegensatz zwischen der lohnabhängigen Belegschaft und dem Unternehmer vor der Belegschaft deutlich. Er sah seine Aufgabe darin, sich ohne Rücksicht auf das Direktorium, vertreten durch den Arbeitsdirektor Düßmann, ehemaliger IGM-Funktionär, für die Beschäftigten auf der Hütte einzusetzen. Den Repräsentanten der KP im BR, Max Müller, lud er zur Versammlung der Bremer ARPO ein.

Ermuntert durch den verbreiteten Jugendprotest beließ Bonno es nicht dabei, betriebliche Konflikte auszutragen. In Bremen bot ihm die Erhöhung der Straßenbahnpreise im Januar 1968 dazu Gelegenheit. Da diese Erhöhung nicht nur Schüler traf, sondern auch rund 1000 Beschäftigte der Hütte, die z. B. im Stadtteil Neue Vahr wohnten, solidarisierte sich der BR auf Bonnos Betreiben mit den Schülern. Bonno sprach auf dem Domshof zu ca. 10.000 Demonstranten und griff die Verfilzung zwischen Gewerkschaftsspitzen, SPD-Führung und Aufsichtsratsfunktionen an. Die Drohung des Bremer DGB-Vorsitzenden und Vorsitzenden der Bremer SPD-Fraktion, Richard Boljahn, er werde die Hafenarbeiter holen, um hier aufzuräumen, schätzte Bonno als Bluff ein. Zu dieser Drohung kam das Antreiben der Polizei durch ihren Präsidenten von Bock und Polach: „Draufhauen! Draufhauen! Nachsetzen!“. Die persönliche Betroffenheit von Klöckner-Kollegen ermöglichte es ihm, den Schülern auf dem Domshof die Solidarität der Stahlarbeiter zu erklären, die ihnen beistehen würden. Das brachte Bonno Vertrauen der Gymnasiasten ein.

Im Mai 1968 schaltete sich der Betriebsrat in die Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze ein: Auf den Betriebsversammlungen wurde darüber diskutiert. Mit dem Direktorium wurde vereinbart, dass die Beschäftigten am Sternmarsch des DGB nach Bonn teilnehmen konnten, sofern dem keine betrieblichen Belange entgegenstanden. Rund 300 Kolleginnen und Kollegen der Hütte nahmen teil, marschierten hinter den roten Fahnen einer Falkengruppe, während in anderen Betrieben Deutschlands die Kollegen nicht einmal informiert wurden. Mit Worten stand die IGM gegen die Gesetze, doch nicht mit Taten. Die sozialdemokratisch bestimmten IGM-Ortverwaltungen verhinderten das. Kurz nach Verabschiedung der Notstandsgesetze wurde Bonno von Klöckner mit der Begründung fristlos entlassen, er habe die Belegschaft aufgefordert, den Arbeitsplatz vorzeitig zu verlassen, egal ob sie teilnehmen würden oder nicht. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit der Begründung, dass er zuvor nicht gehört worden war. Doch nicht der BR informierte die Belegschaft. Dazu war Bonno selber gezwungen: Zusammen mit zwei jungen ARPO-Genossen, die ihn aufsuchten, verfasste er eine Information an die Klöckner-Kollegen „Kollegen der Hütte“, die im Betrieb verteilt wurde.

Bonno klagte mit IGM-Rechtsschutz und bekam vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht auch Recht. Doch die Firma weigerte sich, ihn wieder einzustellen, die treibende Kraft der linken Opposition sollte aus dem Betrieb ferngehalten werden. Das war auch ganz im Sinne der SPD, des Arbeitsdirektors, der IGM-Ortsverwaltung und der sozialdemokratischen BR-Mehrheit. Im Gegensatz dazu standen die Bremer Jusos zu Bonno. Sie unterstützten ihn mit einem eigenen Flugblatt:

Im Sommer 1968 vereinbarte die IGM eine Gehaltserhöhung von 6,5 % und eine Zulage von 0,8 % für 18 Monate. Die große Mehrheit der Kollegen hatte für einen Kampf für die 10 %-Forderung der IGM gestimmt. Doch dann stimmte die Belegschaft letztlich zu. Verteidigten die Sozialdemokraten im BR den Abschluss, so kritisierten Bonno und die BR-Opposition, dass die Kampfbereitschaft der Belegschaft nicht genutzt worden war.

Der Gegensatz im BR spitzte sich dann zur Betriebsratswahl 1969 zu. Gestützt auf die (vom Gericht als unwirksam erklärte) fristlose Kündigung Bonnos ließ der sozialdemokratisch dominierte BR ihn nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen; denn sie wollten den Kopf der Opposition loswerden. Die Informierung der Belegschaft über bisher nicht bekannte Sonderzahlungen des Vorstandes an den sozialdemokratischen BR-Vorsitzenden Prott brachte allerdings die BR-Mehrheit in erhebliche Schwierigkeiten.

In der Vorbereitung der Betriebsratswahl 1969 lehnte die sozialdemokratische Mehrheit im Vertrauenskörper eine alphabetische Reihenfolge der Kandidaten auf einer gemeinsamen Liste ab. Sie wollte ihre bisherige Dominanz auch bei dieser Wahl durchsetzen. Um die Entscheidung in die Hände der Belegschaft zu legen, stellten die Kollegen um Bonno eine 2. IG-Metall-Liste auf, für die in kürzester Zeit 800 Unterschriften gesammelt wurden. Der BR-Vorsitzende und die Ortsverwaltung bedienten sich des Antikommunismus, um die oppositionelle Liste zu diskreditieren und der IGM-Vorstand billigte das Vorgehen der örtlichen Funktionäre. Gegen alle, die auf einer gegnerischen Liste kandidierten (es gab auch eine 3. Liste), wurde ein Verfahren wegen gewerkschaftsschädigendem Verhalten eingeleitet. Der sozialdemokratischen Polemik stellte Bonnos Liste unter dem Motto „Schluss mit der Schonzeit für das Direktorium“ ein umfassendes betriebliches Arbeitsprogramm entgegen, dazu gehörten: Sicherung aller Arbeitsplätze, ständiger Kontakt der Betriebsräte mit der Belegschaft, keine Sonderprivilegien für freigestellte Betriebsräte, und die Betonung darauf, dass zur Verwirklichung die aktive Mitarbeit der gesamten Belegschaft notwendig sei.

Im Mai 1969 gewann dann die Liste um Bonno und Max Müller die absolute Mehrheit der Stimmen und damit 16 der 29 Betriebsratsmandate. Bei fast zwei Drittel der Mitglieder der Liste ruhten nun die gewerkschaftlichen Rechte. Der Bremer Bevollmächtigte der IGM erklärte öffentlich, mit Bonno Schütter nicht mehr zusammenarbeiten zu können und versuchte, Mitglieder der oppositionellen Liste für sich zu gewinnen. Strothmann von der Gewerkschaftszentrale IGM-Zentrale forderte Bonnos Ausschluss. Doch da Bonno auf der konstituierenden Sitzung des BR in Abwesenheit – er hatte Betriebsverbot – mit 19 gegen 10 Stimmen zum Vorsitzenden gewählt wurde, konnte sich die IGM dann doch nicht gänzlich der Mitarbeit verweigern. Konnte auch auf der Hütte die Mehrheit der Stimmen im BR erreicht werden, so wandte sich Bonno doch dagegen, in der 2. Liste ein Allheilmittel zu sehen – wenn zu dem nicht die besonderen Voraussetzungen beachtet werden.

Auf der nächsten Betriebsversammlung in der Stadtmitte sprachen sich dann rund 1000 Kollegen für Bonnos Teilnahme an der Versammlung aus. Das Unternehmen zahlte daraufhin keine Aufwandsentschädigung. Die Wahl gewonnen, trat der neue BR mit der Forderung nach Erhöhung der übertariflichen Zahlungen an das Direktorium heran, denn die Geschäfte florierten. Doch die Unternehmerseite versuchte, mit einer Verschleppungstaktik die Verhandlungen zu hintertreiben. Der BR griff die Unternehmerseite deshalb scharf an.

Auf der Bremer Hütte war die reglementierte Betriebsratsmehrheit inzwischen darangegangen, ein Netz aktiver Kollegen aus den einzelnen Werksteilen aufzubauen, auf das sich die neue betriebliche Arbeit stützen konnte; denn der noch sozialdemokratisch dominierte Vertrauenskörper taugte nicht dazu.

Die spontane Arbeitsniederlegung zur Durchsetzung einer außertariflichen Zulage am 2. September 1969 sendete ein Signal aus der Westfalenhütte Hoesch, das nicht nur in NRW, sondern auch bei Klöckner in Bremen ankam. Bonno sagte den Kollegen, dass die Entscheidung für einen Kampf ganz in ihren Händen liege, es keine Unterstützung gäbe. Am 5. September legte die Nachtschicht im Warmwalzwerk die Arbeit nieder, danach die Belegschaft des Kaltwalzwerkes (KW). Wie im kleinen Kreis mit Bonno vorbereitet, zog vom KW ein Demonstrationszug, dem sich viele andere Kollegen anschlossen, zum Verwaltungsgebäude und verlangten lautstark 70 Pfennig pro Stunde, um die Verhandlungen des BR zu unterstützen. Die Produktion kam zum Erliegen. Mit dieser Forderung sollte die gleiche Bezahlung wie in den anderen Stahlwerken an der Ruhr und im Konzern erreicht werden.
Den Kollegen gegenüber sagte die neue Betriebsratsmehrheit: Wir machen keine Stellvertreterpolitik; wenn ihr die 70 Pfennig haben wollte, dann müsst ihr sie euch selber holen. Bonno wusste: So etwas kann nicht angeordnet werden, es muss mit den Kollegen besprochen werden; denn sie müssen allesamt auch ihren Kopf dafür einsetzen. Das bedeutete, dass die Produktionsanlagen besetzt wurden, dass in allen entscheidenden Bereichen eine Notversorgung vorgenommen werden musste. Nur Meister, die mit den Streikenden sympathisierten, wurden ins Werk gelassen. Ihr Wissen wurde gebraucht. So wurde die notwendige Wasser- und Stromversorgung organisiert. Bei diesem Vorgehen wurde der Mischer am Blas-Stahlwerk zum Faustpfand. Je mehr sich die Sache zuspitzte, entwickelte sich so etwas wie ein Bewusstsein bei den Arbeitern: Wir sind die Herren. Und die Polizei weigerte sich, dem Wunsch der Direktion nachzukommen, im Betrieb einzugreifen.

Damit deutlich sichtbar werden könne, dass die IGM hinter der Belegschaftsforderung steht, schlug Bonno der Bremer IGM ein gemeinsames Gespräch mit ihm und drei weiteren Kollegen vor. Doch die IGM lehnte ab. Während das Ansehen der IGM durch ihre Angriffe auf die Streikenden sank, stellte die BR-Mehrheit die Notwendigkeit einer Gewerkschaft heraus.

Die Aufmerksamkeit, die der Streik im ganzen Lande hervorrief, stellte die Betriebsratsspitze um Bonno und seinem Stellvertreter Heinz Röpke vor wachsende Aufgaben. Bundeskanzler Kiesinger und Willy Brandt politisierten den Streik, indem sie die Streikenden und besonders ihre Führung angriffen. Die IGM schloss nun innerhalb eines Tages ein Abkommen über 11 % ab und forderte ein Ende des Streiks. Unter diesen Umständen zog das Direktorium sein bisheriges Angebot von 30 Cent zurück. Da die Kollegen den Streik mit erhobenen Köpfen beenden sollten, mussten Bonno und Heinz Röpke in intensiven Diskussionen zuerst die Aktivisten und dann die ganze Belegschaft davon überzeugen, dass das neue IGM-Ergebnis mit den außertariflichen 20 Pfennig insgesamt nur durch den Streik erreicht worden ist.

Anfang Oktober 1969 wurde Bonno erneut gekündigt, und die Ortsverwaltung der IGM beantragte, Bonno sofort auszuschließen. Bonno hatte in einem Artikel im Berliner „Gewerkschaftsspiegel“ „die korrumpierte Funktionärswirtschaft“ in Mitbestimmungsbetrieben kritisiert und die musterhafte Selbstorganisation der Streikenden hervorgehoben. Der BR stimmte der Entlassung nicht zu.

Die IGM entzog nun Bonno den Rechtsschutz. In einer Weiterführung seiner Klage sah er keinen Nutzen mehr, sie hätte seine finanziellen Möglichkeiten auch überfordert. Da er auch nicht den BR in seiner Arbeit mit seiner Dauerentlassung belasten wollte, legte er den Betriebsratsvorsitz nieder. Bonno musste sich nun auf seinen gelernten Beruf als Vermessungstechniker konzentrieren.
Im Januar 1970 verkündete die IGM im Verfahren gegen die Kollegen, die auf der 2. Liste kandidiert hatten, die Beschlüsse: Bonno wurde ausgeschlossen, 6 Beschuldigte erhielten Funktionsverbot von 1 – 2 Jahren, die Mehrzahl erhielt eine schriftliche Rüge. Ab Februar 1971 gaben dann Bonno und seine politischen Freunde und Kollegen die Betriebszeitung „Mitmischer“ heraus, die forthin die Kolleginnen und Kollegen über Konflikte auf der Hütte informierte. Auf der Hütte, unter Schülern und Kulturschaffenden war bundesweit das Echo auf Bonnos Auftreten groß: Die Bremer Gruppe Arbeiterpolitik wuchs, die Gruppenabende waren stark besucht. Und nicht nur in Bremen wurden Stahlwerker und politisch aktive junge Menschen an die Gruppe Arbeiterpolitik herangeführt. Bonno rückte für kurze Zeit in die Redaktion der „Arbeiterpolitik“, die zunächst noch in den Händen der Bremer Gruppe lag, auf.

In den folgenden Jahren ging auf der Hütte ein großer Teil der klassenbewussten Kollegen in Rente. Die nachrückenden jüngeren Kollegen waren individualisiert. Ihren Arbeitsplatz und ihren Verdienst hatten sie als sicher erlebt. So veränderten sich über die nächsten Jahre die Verhältnisse in der Belegschaft. Bonno sah das und kommentierte, dass es Bewegung nur noch unter den jungen Lehrern gäbe. Junge Betriebsaktive mussten sich ihre Position nicht mehr erkämpfen, sie rückten einfach nach.

Die Gruppenabende der Bremer Gruppe Arbeiterpolitik waren zum Platz eines Erfahrungsaustausches für junge Aktivisten verschiedener Betriebe geworden, doch 10 Jahre nach dem „Septemberstreik“ gab es Klöckner-Bremen als orientierendes Zentrum klassenbewusster Kollegen nicht mehr. Die landesweite Anhebung des Lebensstandards in der arbeitenden Bevölkerung führte dazu, dass nicht nur Bonno die Voraussetzungen für politisch konsequentes Handeln in Betrieb und Gewerkschaft mit der Zielsetzung Sozialismus verloren gingen. Bonno versuchte deshalb einige Zeit, sich mit Freunden bei den „Grünen“, ursprünglich bezeichnete er sie als „Körnerfresser“, einzubringen. Sie strahlten damals Aktivität und gesellschaftlichen Fortschritt aus. Bonno war aktiv daran beteiligt, Aktive aus diversen Bremer Metallbetrieben zu einer Betrieblich-Alternativen Liste (BAL) zusammenzufassen, um an der Bremer Bürgerschaftswahl teilzunehmen – was kläglich scheiterte.

Auch im hohen Alter versuchte Bonno, in Diskussionen die Grenzen des kapitalistischen Wachstums und die Notwendigkeit der Überwindung des Kapitalismus aufzuzeigen, wenn auch, wie bereits 2010 in einem Brief an die Gruppe Arbeiterpolitik geäußert, mit Vorbehalt:

„Es bleibt bei der funktionalen Aufgabe der Gewerkschaften, den Kapitalismus zu erhalten. So sie auch immer die Massenorganisation der Lohnabhängigen sind, ist es eine Illusion, sie von links zu erobern. In einer vorrevolutionären Situation mögen solche Voraussetzungen bestehen – fraglich bleibt, ob sie dann noch eine Rolle spielen. Dafür gibt es Beispiele in der Geschichte von Revolutionen.

Genossen, denen es gelang, über ihre Betriebsarbeit Funktionen in der Gewerkschaft zu erobern, wurden in den meisten Fällen mit guten Gehältern und anderen Vergütungen oder gesellschaftlicher Anerkennung von der Sozialdemokratie oder dem Reformismus eingefangen. Die Grenze zur Korruption ist in den Organisationen und Betriebsräten nur ein schmaler Grat.

Vorrangig ist die Auseinandersetzung mit den politischen Gegnern in der SPD und Bürokratie. Das andere ist ein Sack fauler Äpfel, der mehr schwächt als fördert. Ohne diese Klärung bleibt eine konsequente Interessenvertretung der Belegschaft und die politische Überzeugungsarbeit bei den Kollegen auf der Strecke.

Gewerkschafts- und Betriebsrätearbeit für ausschließlich soziale und TARIF-FRAGEN ist von unserem Standpunkt aus kontraproduktiv. Wird sie nicht verbunden mit der Forderung nach dem Sturz des Kapitalismus, verkehrt sie sich in ihr Gegenteil und wirkt konterrevolutionär.“

Bis ganz zuletzt hat Bonno Schütter teilgenommen an Diskussionen, unter sich verändernden Bedingungen weiterhin die Klassenverhältnisse vom Standpunkt der abhängig Beschäftigten zu untersuchen und bekannt zu machen. Eine der letzten gemeinsamen Veranstaltungen führten wir mit ihm im Oktober 2009 in Berlin durch, sie ist komplett mit den wesentlichen Referaten und Diskussionen dokumentiert und noch bei unserer Redaktionsadresse erhältlich (48 Seiten 3,oo EUR). Das Referat von Bonno haben wir hier dokumentiert:


Aus der Geschichte lernen?
Veranstaltung in Berlin Oktober 2009

Liebe Freunde und Kollegen: Der zündende Funken zu den später so genannten Septemberstreiks kam sicherlich von der Westfalenhütte Hoesch, mit 20.000 dort in Arbeit stehenden Kollegen. Man muss betonen, die Arbeitskämpfe und die wilden Streiks im Ruhrgebiet waren im Unterschied zu dem Arbeitskampf auf der Hütte in Bremen Streiks, bei denen es um Geld ging. Die geforderten 30 Pfennig Stundenlohn-Erhöhung wurden im Allgemeinen überall, in allen Werken, nach rund zwei Tagen bewilligt. Und die Streiktage wurden bezahlt.

Politische Auswirkungen oder weitere politische Auseinandersetzungen waren nur im Bergbau zu verzeichnen. Dort kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Gewerkschaftsbürokratie und den Kollegen. Ich will nur mal an einem Beispiel darstellen, wie die IG Bergbau versuchte, die streikenden Kollegen zu disziplinieren: Die knappschaftliche Krankenversicherung wurde von der IG Bergbau für den gesamten bundesdeutschen Bergbau verwaltet. Und die IG Bergbau sperrte sofort allen an Warnstreiks beteiligten Bergarbeitern die Krankengeldzahlungen usw. aus dieser Kasse. Daran ist zu erkennen, zu welchen Maßnahmen die Führung der IG Bergbau bereit war, um zur Disziplinierung der Kollegen beizutragen. Dort gab es also diese politischen Auseinandersetzungen.

In Bremen hatten wir völlig andere Voraussetzungen. Seit Jahren hatte die SPD die Belegschaftsvertretungen der entscheidenden Bremer Betriebe politisch in der Hand. Die Betriebsräte in den Bremer Betrieben waren sozialdemokratisch dominiert. Die SPD und die von ihr dominierten Gewerkschaften verfügten nicht nur in Bremen, sondern in der Bundesrepublik über eine so genannte »Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft« – die SAG. In dieser SAG wurde die Besetzung aller entscheidenden Vorstandsposten aller Industriegewerkschaften festgelegt, wurde die Besetzung aller Betriebsratsvorsitzenden großer Werke vorher festgelegt. An der Spitze stand Herbert Wehner. Die BR-Wahlen, das war nur Schein, das war Scheindemokratie.

Ich will damit deutlich machen, wie groß der Einfluss der SPD in den 60er Jahren in den Betrieben war. Und das, obwohl die Bremer Werften, die Bremer Hafenarbeiter, noch in den 50er Jahren überwiegend kommunistisch zusammengesetzte Betriebsräte und Vertrauensleute hatten. Das hatte sich entscheidend durch eine falsche Gewerkschaftspolitik der damaligen KPD aufgelöst. Damals wurden alle DGB-Gewerkschaftsfunktionäre von ihren Organisationsleitungen aufgefordert, einen so genannten »Revers« zu unterschreiben, in dem sie sich verpflichteten, keine kommunistische Betriebsratsarbeit zu machen. Die KPD-Arbeiter sollten sich auf Anweisung der Partei weigern, diesen Revers zu unterschreiben, was genau die Auslese zur Folge hatte, die die Gewerkschaftsbürokratie und im Hintergrund die SPD anstrebte. Damit waren die KPD-Kollegen von der Gewerkschaftsbürokratie weitgehend lahmgelegt worden.

Bei uns auf der Klöckner-Hütte waren schon Jahre vorher die Verhältnisse völlig anders. Der Betriebsrat hatte entweder seit Jahren eine kommunistische Mehrheit, die bestand aus Kollegen der KPD/DKP, aus linken Sozialdemokraten und Kollegen der Gruppe Arbeiterpolitik. Die Wahl zu den Betriebsräten waren ja alle zwei Jahre, mal hatten die Sozialdemokraten die Mehrheit, dann wieder wir als Linke. Und es waren damals sehr harte Auseinandersetzungen. Diejenigen, die die Wahl verloren, die schieden aus dem Betriebsrat aus. Und sofern sie freigestellt waren, wurden sie wieder an die Arbeit geschickt – wer auch immer dann die Mehrheit im BR stellte. Ich will damit zum Ausdruck bringen, dass diese Auseinandersetzungen nicht auf den Betriebsrat beschränkt waren, sondern große Teile der Belegschaft umfassten. Entweder hatten Teile der Belegschaft, und dann natürlich auch die Vertrauensleute, mehr Vertrauen in diese linke Mehrheit oder zeitweilig eben in die rechte Mehr- heit. An dieser Auseinandersetzung war natürlich die IG Metall-Bürokratie und ihre Mitbestimmungs-Träger beteiligt. Der frühere Bevollmächtigte der IG Metall in Bremen war Arbeitsdirektor geworden und war eine Marionette in den Händen des Unternehmers. Es kam natürlich sofort zu Auseinandersetzungen zwischen uns als Betriebsräte und dem Arbeitsdirektor. Und die Kollegen im Betrieb identifizierten natürlich diesen Arbeitsdirektor mit der offiziellen IG Metall. In den Augen der Kollegen war die pflaumweiche Haltung dieses Arbeitsdirektors identisch mit der Haltung der IG Metall. Es kam noch hinzu, dass dieser Arbeitsdirektor ein enger Freund des damaligen IGMetall- Vorsitzenden Otto Brenner war und ständig vom Gewerkschaftsvorstand die entsprechende Unterstützung hatte.

In den Fragen der Mitbestimmung arbeiteten die Kollegen der KPD im Rahmen dieser Mitbestimmung und unterstützten diese. Aber bei uns im Betrieb sind unsere KPD-Kollegen im Betriebsrat dieser Linie ihres Parteivorstandes, später des DKP-Vorstandes, nicht gefolgt, und sie haben mit uns zusammen alle Formen der Mitbestimmung scharf kritisiert. Alle Kommunisten von KPD/DKP, von der Gruppe Arbeiterpolitik und unter deren Einfluss auch die SPD-Kollegen, die bereit waren, mit uns zusammenzuarbeiten, betrachteten die Mitbestimmung nicht als ein Mittel, um die Interessen der Kollegen durchzusetzen. Wir sahen in der Mitbestimmung die Verkleisterung der Gegensätze, Korruption und eben alles, was damit zusammenhängt. Das war ja nicht ausgedacht, sondern erlebt.

Das waren nicht nur theoretische Fragen, sondern wir hatten viermal im Jahr eine Betriebsversammlung. Die fanden nicht im Werk, sondern außerhalb des Werkes statt. Die Kollegen, die teilnahmen, bekamen für die Teilnahme neun bis achtzehn Mark. Vor dieser Regelung wurden die Betriebsversammlungen im Werk durchgeführt. Diese Versammlungen begannen morgens mit der Frühschicht um sechs, die dauerte bis zwei. Dann kam die Spätschicht von zwei bis zehn. Und die Nachtschicht von zehn bis sechs. Und die Betriebsversammlungen dauerten zeitweise nicht wie in vielen anderen Betrieben zwei, drei Stunden, sondern wir nutzten die gesamte Schicht dafür aus. Das heißt, wenn wir Betriebsversammlung hatten, dann stand die Hütte über drei Schichten lang still. Nur mit Notbesetzung an den lebenswichtigen Anlagen. Das wurde uns schon vorher immer als »wilder Streik« usw. ausgelegt.

Und auf diesen Betriebsversammlungen haben wir gerade in der Zeit vor dem September-Streik 1969 Aufklärung betrieben, um die Belegschaft in Kenntnis zu setzen, sie an der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Wir haben uns natürlich auch auseinandergesetzt mit der IG Metall, mit den Mitbestimmungsträgern. Das führte dazu, dass Vorstandsmitglieder oder Verwaltungsleute aus dem Vorstand, die dort sprechen wollten, zeitweise nicht zu Wort kamen. Die wurden gnadenlos niedergeschrien. Also, die Betriebsversammlungen waren ein ganz entscheidendes Transmissionsmittel, um Einfluss zu haben und uns zu politischen Dingen usw. zu äußern.

Ich messe den Betriebsversammlungen, die von Kollegen wirklich ausgenutzt werden, große Bedeutung bei. Denn da kann so etwas wie echte Mitbestimmung funktionieren. Da gibt‘s große Möglichkeiten für alle Bereiche. Der Arbeitsdirektor war geschäftsmäßig zuständig für ein paar hundert Leute im Betrieb, die für Tariffragen, Arbeitszeitfragen, Feuerwehr, Sanitätswesen usw. zuständig waren, das war sein Gefolge usw.

Dieser ganze Bereich stand wegen dieser Auseinandersetzung im scharfen Gegensatz zur übrigen Belegschaft. Da gab es großes Misstrauen. Das führte dazu, wenn es um die Neuberufung oder Neubestellung des Arbeitsdirektors ging, die sich in der Stahlindustrie ja immer der IG-Metall-Vorstand vorbehalten hat, dass es hier zu sehr großen Auseinandersetzungen in der ganzen Belegschaft kam, als wir die Abberufung eines unfähigen Arbeitsdirektors forderten. Und die IG Metall hat sich natürlich mit der SPD usw. hinter diesen Mann gestellt. Also, diese Auseinandersetzungen wurden nicht nur zwischen Betriebsrat und dem IG-Metall-Vorstand ausgetragen, sondern wurden sofort und ständig auf den Belegschaftsversammlungen der Belegschaft bekannt gemacht. Und wurden dort diskutiert. Also, einmal die Auseinandersetzung um die Mitbestimmung und dann die Auseinandersetzung um die Rolle des Arbeitsdirektors führten zu einer großen Verschärfung der politischen Gegensätze innerhalb des Betriebes. Der sozialdemokratische Teil im Vertrauenskörper stand aus Organisationstreue natürlich völlig hinter dem Arbeitsdirektor und für die Mitbestimmung usw.

Man muss betonen, dass der »September-Streik« eine Vorgeschichte hatte, in Bremen war diese bedeutend und deshalb wichtig: Im Januar 68 demonstrierten die Schüler zuerst der höheren Schulen gegen die vom Bremer SPD-Senat beschlossenen allgemeinen Fahrpreis-Erhöhungen. Unsere Klöckner-Kollegen waren deshalb davon betroffen, weil über 1.000 Klöckner-Leute mit Bussen zum Werk fuhren und dreißig Pfennig für diesen Bus bezahlten. Die waren deshalb auch von Erhöhungen betroffen. Als sich nun diese Demonstrationen und Blockaden von den Schülern über mehrere Tage in der Stadt abspielten, Zeitung und Radio voll davon waren, der Verkehr in der Stadt zusammenbrach und viele Kollegen anderer Betrieb, die Hafenarbeiter usw., schlecht zur Arbeit kamen, verschärfte sich die Situation in Bremen.

Am dritten Tag gab der DGB-Chef Boljahn bekannt, dass die Hafenarbeiter mit ihren Pickhaken in die Stadt marschieren sollten, um die Schüler auseinanderzutreiben. Der Polizeipräsident von Bock und Polach stand bedingungslos hinter der Polizei und trieb sie an: ,,Draufhauen, Draufhauen, Nachsetzen.« Die Polizisten haben dann im Verlauf der Demonstrationen immer schärfer auf die Schüler eingeschlagen und dabei auch Passanten erwischt. Und ein großer Teil der Bevölkerung, die das nicht akzeptierte, dass ihre Kinder von der Polizei geschlagen wurden, solidarisierten sich mit diesen Schülern. Das war für uns eine hervorragende Gelegenheit, sodass wir uns vom Betriebsrat und auch durch Beschlüsse des Vertrauenskörpers mit den Schülern solidarisierten. Und wir erklärten in der Presse, im Fernsehen und in Schreiben an den Bürgermeister und andere Beteiligte, dass, wenn die Hafenarbeiter mit den Picken kommen, wir von Klöckner in die Stadt marschieren und den Schülern beistehen würden.

Das führte dazu, dass Koschnik und Boljahn, der als DGB-Vorsitzender ein einflussreicher Mann (der DGB hatte übrigens zuvor den Fahrpreis-Erhöhungen zugestimmt) war, dass die beiden nachgeben mussten. Die Schüler siegten auf ganzer Linie, und Boljahn, der auch Fraktionsvorsitzender der SPD war, so ‚ne Bremer graue Eminenz, der musste abtreten. Und das betrachteten die Schüler als ihren großen Sieg. Daraus wuchs zwischen den Schülern und uns das Vertrauen. Wir haben ihnen gesagt, wir mischen uns nicht in das ein, was ihr macht, das ist eure Angelegenheit. Aber als wir gemeinsam gewonnen hatten, waren wir in der Lage, der bei den Schülern während der Auseinandersetzung entstandenen Führung – das ist ja alles nicht nur ‘ne spontane Sache – dass wir denen sagen konnten: Holt man die und die zusammen, mit denen machen wir Schulungen über Marxismus usw. Also, das führte auch zu politisch-praktischen Ergebnissen.

Den nächsten Höhepunkt lieferten 1968 die Notstandsgesetze. Bei diesen Notstandsgesetzen waren wir in der Lage, das mit einigen materiellen Forderungen zu verbinden. Und wir hatten mit diesem Hintergrund im Werk Teilstreiks, Arbeiten nach Vorschrift usw„ Die Leute haben z.B. am Anfang einer Breitbandstraße so nach Vorschrift gearbeitet, dass der Materialfluss durch die Breitbandstraße und zum Kaltwalzwerk nicht mehr funktionierte und alle dahinter liegenden Produktionsabteilungen stillstanden. Die IG Metall machte nach außen hin Demonstrationen, hatte Kommissionen gegen die Notstandsgesetzgebung geschaffen, aber in den Ortsverwaltungen, in der ganzen Bundesrepublik wurde durch den SPD-Einfluss, die ja das Gesetz im Bundestag mitbeschloss, die Sache sabotiert.

Die Kundgebungen, die die IG Metall durchführte, wurden so gut wie nicht besucht. In den Betrieben wurde es nicht publik gemacht. Die Ortsverwaltungen der IG Metall, die Bevollmächtigten sabotierten diese ganzen Kundgebungen. Die Betriebsratsvorsitzenden in den Betrieben bekamen zwar nicht die direkte Anweisung, da war dennoch eine Übereinstimmung, dass die Kollegen an diesen Demonstrationen nicht teilnehmen sollten. Das haben wir natürlich genau andersherum gesehen. Wir haben unsere Werksleitung so unter Druck setzen können, dass wir eine Betriebsvereinbarung mit denen abgeschlossen haben, dass alle Kollegen, die zu Notstandskundgebunggehen wollten, dass die dafür frei bekommen: Wenn sie wollen, können sie dahin gehen.

Und die Leute werden kostenlos mit den Werksbussen zu dieser Demonstration gebracht. Die Bereitschaft der Kollegen, daran teilzunehmen, war unterschiedlich. Viele sind mitgelaufen, aber natürlich haben auch viele die Gelegenheit genommen, Feierabend zu machen. Aber inwieweit sie dann an der Kundgebung teilgenommen haben, und inwieweit sie nur Bier trinken gegangen sind, das war nicht mehr wichtig für uns zu kontrollieren.

Das Direktorium hatte mit der Vereinbarung mit uns so‘n großen Fehler begangen, dass es natürlich sofort vom Arbeitgeberverband und von anderen entsprechenden Stellen gerügt wurde. Die Position der Direktoren war unheimlich schwach in der Situation.

Aber wir hatten wieder eine für uns sehr wichtige Verbindung hergestellt zu den Schülern und Studenten usw. Die kamen zu uns, die unterstützten uns, und dieses Misstrauen, was allgemein zwischen der Arbeiterschaft und den Studenten bestand, wurde doch weitgehend reduziert. Die Arbeiterschaft beurteilte die Studenten etwa so: Sie würden zwar vorübergehend mitdemonstrieren, wenn sie später aber ihre Manager-Jobs haben, werden sie alles vergessen haben. Sie sind nicht so existentiell abhängig von solchen Dingen wie der Arbeiter von seinem Arbeitsplatz. Dieses Misstrauen wurde also stark reduziert. Ich erzähle das deshalb, weil diese Auseinandersetzungen die Belegschaft, natürlich nicht alle 6.000 Mann, ein Stück politisierte. Nicht alle waren an diesen Dingen interessiert, aber im Vertrauenskörper usw. fanden nun ständig Diskussionen statt. Wir hatten wöchentliche Zusammenkünfte von Gruppen von Vertrauensleuten, wo diese Dinge das Hauptthema waren. Will damit sagen: In den zwei, drei Jahren vor dem Septemberstreik waren Diskussionen im aktiven Teil der Belegschaft entstanden, die die Voraussetzungen für die weiteren Auseinandersetzungen bildeten, die euch hier interessieren.

Dann hatten wir im Mai 1969 Betriebsratswahlen. Die sozialdemokratische Betriebsgruppe und die IG Metall versuchten nun mit aller Kraft, uns Linke auszuschalten. Und bei der Festlegung der Kandidatenliste wurden wir Linke sehr benachteiligt. Es ist ja nicht so einfach, in einem so großen Werk so ‘ne Kandidatenaufstellung zu machen. Ihr wisst das, da kriegt der Hochofen meinetwegen zwei Mann, das Kaltwalzwerk kriegt zwei Mann. Also, die einzelnen Betriebsabteilungen, zehn Betriebsabteilungen usw., die auch weit auseinander liegen, die bekommen jeweils einen Vertreter. Und oft kann nur einer von denen gewählt werden; das hängt da von vielen Faktoren ab. Da sind also der Manipulation an der Liste Tür und Tor geöffnet. Das wollten wir nicht mitmachen. Und weil der IG-Metall-Vorstand sich wieder heftig einschaltete, haben wir gesagt, unter diesen Umständen lehnen wir es ab, auf dieser Liste zu kandidieren, und haben eine eigene IG-Metall-Liste aufgestellt.

Wo natürlich nur IG-Metall-Mitglieder drauf waren, obwohl auch andere gute Kollegen im Betrieb waren, die eigentlich darauf gehört hätten. Aber wir haben das schon – weil wir uns von der IG Metall nicht maßregeln lassen wollten – entsprechend aufgestellt. Die Aufstellung dieser zweiten Liste und die Diskriminierung durch die IG Metall, durch die SPD usw., die dann erfolgte, führte entgegen ihrer Absicht dazu, dass wir mit unserer IGM-Liste einen überwältigenden Sieg über die offizielle IG-Metall-Liste errangen. Auch der persönliche Einsatz Otto Brenners als IGM-Vorsitzender in Bremen konnte unseren Wahlsieg nicht verhindern.

Gleichzeitig wurden wir als Mao-Jünglinge, mit allem möglichen anderen Quatsch diffamiert, und darüber hat die Belegschaft nur gelacht. Wir haben nachher 17 Kollegen im Betriebsrat gehabt von insgesamt 25. Die SPD hat damals eine solche Niederlage erlitten, dass sie sich in den nächsten dreißig Jahren nicht erholt hat. Sie hat als Partei bei der Hütten-Belegschaft nie wieder das Ansehen errungen, auch nur annähernd wieder im Betriebsrat vertreten zu sein. Der war in den darauffolgenden zig Jahren immer fest in den Händen der Linken.

Sicherlich gab es da auch Differenzen zwischen DKP, Arbeiterpolitik und linken Sozialdemokraten, aber unser Gesamtinteresse gegen den Unternehmer war größer als die sektiererischen Auffassungen einzelner Gruppen damals, das mussten wir immer wieder betonen. Damit konnten wir uns durchsetzen.Nach dieser Betriebsratswahl gab uns die IG Metall hundert Tage Zeit zu existieren. Sie haben sofort einen ständigen Sekretär zu uns ins Werk geschickt, der die Vertrauensleute unter Kontrolle bringen sollte. Die Vertrauensleute bekamen von nun an Verpflegung und Getränke für die Teilnahme an Sitzungen, die mehrmals in der Woche in kleinsten Gruppen stattfanden, wo sie über einen Schwerpunktsekretär vom IGM-Vorstand bearbeitet wurden, um uns madig zu machen. Wir wussten, dass eine Übereinkunft erzielt worden war zwischen dem Bezirksleiter der IG Metall, Heinz Scholz aus Hamburg, mit einem Dr. Schöne, Arbeitsdirektor vom Konzernvorstand, und einem Herrn Brandi vom Arbeitgeberverband, dass die Firma uns in keinen, in überhaupt keinen Fällen nachgeben sollte. Das war ‚ne sehr schwierige Situation für uns, weil jetzt in der Belegschaft verbreitet werden konnte, dieser Betriebsrat verhindere jeden sozialen Fortschritt usw.

Die Unternehmensleitung fuhr diesen Kurs absolut ohne jeden Kompromiss. Und in dieser Atmosphäre ging es dann auf den September 69 zu.

Da ist wichtig zu wissen, dass das Direktorium der Klöckner-Werke beim Bau des Werkes Anfang der 50er Jahre von vornherein versucht hat, Löhne und Gehälter auf der Bremer Hütte schlechter zu gestalten als in allen anderen Klöckner-Werken im Ruhrgebiet. Da hatten wir nach und nach sichere Daten drüber, unsere Forderungen wurden deshalb entsprechend entwickelt: Wir forderten Gleichschaltung unserer Löhne mit den übrigen Stahlwerken an der Ruhr und im Konzern. Und das führte dann zu unserer Forderung von 70 Pfennig. Und schon eine Woche bevor das bei Hoesch losging, war uns klar, dass wir die Belegschaft in einen Streik führen werden. Sicherlich hatten wir ständig Verbindung mit den Gewerkschaftskollegen bei Hoesch über das, was die machen wollten, was wir machen wollten, das ist ja klar. Es hat auch Verbindungen gegeben mit Bergbaubetrieben usw. Wir wussten, wenn die losschlagen, dass wir dann was machen würden und wussten auch ungefähr, was dann anlag.

Wir haben fünf Tage vor unserem Streik die Verhandlungen mit dem Direktorium aufgenommen, haben unsere Belegschaftsversammlungen terminiert und bei diesen Belegschaftsversammlungen, von denen ich berichtet habe, unsere Forderungen publik gemacht. Wir haben den Kollegen klipp und klar gesagt: Jetzt gibt es keine Stellvertreterpolitik, wir im BR können überhaupt nichts machen. Wir werden geschnitten, von unserer IG Metall, vom Unternehmens-Vorstand, von der Presse und von allen. Wie werden als Kommunisten, als Maoisten diffamiert. Wenn ihr die 70 Pfennig haben wollt, dann müsst ihr euch die selber holen. Wir können nichts machen. Und wenn ihr es macht, müsst ihr wissen, wie ihr es macht. Da haben die zu uns gesagt: Ja, wie sollen wir das denn machen? Haben wir gesagt, darüber reden wir mit euch, nicht hier auf der Betriebsversammlung. Aber wir vom BR sagen, dass ihr es machen müsst, wir können es nicht. Also, die Stimmung kochte allmählich.

Hoesch begann zu streiken, hatte Erfolg nach zwei Tagen. Man muss dazu sagen, Hoesch war der Musterbetrieb der IG Metall; mit hervorragenden Sozialeinrichtungen, mit einem so genannten Muster-Arbeitsdirektor, Hoelkeskamp. Das muss man dem Mann lassen, da gab es fantastische Sozialeinrichtungen für die 20.000 Arbeiter: Die konnten sich massieren lassen, konnten baden, die hatten ein richtiges Gesundheitssystem; also, es war ein Super-Verhältnis dort. Und dass in solch einem Betrieb ein »wilder« Streik ausbricht, das war für die IG Metall etwas Undenkbares, es war einfach nicht vorgesehen. Und es wurde dort ja auch schnell nachgegeben.

Das Direktorium der Bremer Klöckner-Werke hat im Grunde genommen auch sehr schnell nachgegeben. Sie haben uns sofort 30 Pfennig bewilligt und geglaubt, dass man mit der Übernahme des Hoesch-Angebotes die Kuh vom Eis bekommen konnte. Aber da war bei uns nicht dran zu denken. Wir haben gesagt, 70 Pfennig und nicht weniger, und es ist wurscht, wie lange der Streik dauert. Eine kleine Episode: Der Bundespräsident Heinemann war bei Michels, dem für Stahl zuständigen Vorstandsmitglied der IG Metall in Düsseldorf, zu Besuch. In dem Moment bekommt Michels einen Anruf, dass bei uns gestreikt würde. Und da hat er den Bundespräsidenten stehen lassen mit den Worten: »Gustav, ich muss sofort nach Bremen, in Bremen brennt‘s«.

Also, wie spielte sich nun dieser Streik ab? Ihr habt schon in etwa gehört … Kleine Arbeitskämpfe, Warnstreiks, Arbeitsniederlegungen, die mal ein paar Stunden dauerten oder ‚nen halben Tag, das ist was ganz anderes. Das ist zwar wichtige Vorbereitung zur Durchsetzung von bestimmten Lohngruppen, in bestimmten Betrieben, von Arbeitsbestimmungen, Arbeits- und Sozialverhältnissen in bestimmten Abteilungen. Aber das hat nichts mit einem großen, langen, wilden Streik zu tun.

Mit »wild« meine ich einen Streik ohne die offizielle Ausrufung und Unterstützung der Gewerkschaft. Wir waren uns im Klaren, wenn wir wild streiken, ist das nicht ‚ne Sache von einigen Stunden. Dann wird das ‚ne Sache von Tagen sein, noch länger. Und – das haben wir dauernd wiederholt: Kollegen, ihr bekommt keinen Pfennig Unterstützung. Es gibt keine Streikunterstützung. Das müsst ihr aus eurer Tasche bezahlen. Glaubt nicht, das nachher das Werk diese Kosten übernehmen wird wie bei Hoesch. Wir haben ihnen reinen Wein eingeschenkt darüber, wie das Kräfteverhältnis war. Wenn ihr unter diesen Umständen dazu bereit seid, dann machen wir mit euch einen Arbeitskampf, der nicht vor den Toren steht, wie das bei einem üblichen Tarifstreik ist, dass die Arbeiter draußen sind und Streikposten stehen usw. Und das Werk wird weiter von den Herrschenden dort organisiert. Das machen wir umgekehrt. Von dem Tag an, wo gestreikt wird, da bestimmen wir, wer das Werk betritt und wer nicht. Und wir besetzen alle Produktionsanlagen.

Das ist natürlich leicht gesagt, Kollegen, aber ein großes Stahlwerk, was man nicht von heute auf morgen runterfahren kann, wo es sofort um den Erhalt der Produktionsanlagen und deshalb um die Arbeitsplätze geht, das zu bestreiken, ist organisatorisch eine Aufgabe, da ist ein normaler Arbeiter völlig überfordert. Wenn man einen Hochofen runterfährt, wo ein paar hundert Leute beschäftigt sind, wo alle paar Stunden ein Abstich ist usw., also, wo es komplizierte Arbeitsverhältnisse gibt, da können die Arbeiter nicht einfach weglaufen und streiken. So ein Hochofenbereich muss so runtergefahren werden, dass die Öfen erhalten werden. Man kann das nicht anordnen. Man kann das mit den betreffenden Kollegen besprechen. Sie müssen allesamt ihren Kopf auch dafür einsetzen.

Aber alle Kollegen sind sich nicht sogleich einig. Die Kollegen, die jetzt als erste die Sachen geschmissen haben, die zum Werkstor marschieren, das sind die, die für alle sichtbar den Streik aufbauen, die sagen natürlich zu den anderen, das ist Streikbruch, wenn ihr da weiterarbeitet. Das ist ja nicht so, dass da nur so ein Hochofen arbeitet. Da muss ein ganzer Eisenbahnbetrieb mit Hunderten von Leuten mit mehreren Loks usw., mit Beleuchtung des gesamten Gleis-Systems arbeiten, muss die Not-Versorgung vornehmen. Obwohl die Kollegen sich darüber im Klaren waren, wir bringen das Roheisen natürlich nicht noch zur Stahlverarbeitung, wir schütten es weg. Und dann kam eine Anordnung des Direktoriums an den Notdienst, die noch sagte, das ist zu wertvoll. Wir hatten mittlerweile neben dem Siemens-Martin-Werk ein anderes, ein sogenanntes Blas-Stahlwerk stehen.

Ich will mal kurz die Unterschiede nennen: In einem Siemens-Martin-Stahlwerk, das bestand aus sechs Öfen, da werden in neun Stunden jeweils 300 bis 350 Tonnen Stahl geschmolzen. In einem Blas-Stahlwerk werden in Chargen von 45 Minuten – nicht mehr von neun Stunden – auch 200 Tonnen Stahl geschmolzen. Das ist ne ganz andere Geschwindigkeit und Qualität in der Stahl-Produktion. Und damit man eine einheitliche, gleichmäßige Stahlproduktion bekommt, ist vor solch einem Blas-Stahlwerk ein großer Eisenbehälter gebaut von mehreren hundert Tonnen. Da wird das Eisen, was vom Hochofen kommt, gesammelt, und von diesem so genannten Mischer wird das Eisen noch einmal gemischt und vorbereitet, von dort in dieses Blas-Stahlwerk geführt.

Und dann machte das Direktorium einen großen Fehler. Den Fehler haben wir gerne angenommen. Die haben gesagt, lassen Sie doch den Mischer vollfahren. Was kann uns da denn passieren? Unsere Entscheidung war: Aus dem Mischer geht keine Tonne, kein Gramm raus. Das haben die nicht für möglich gehalten. Die haben nicht für möglich gehalten, dass wir in Kauf nehmen, solch einen Mischer – mal ganz einfach ausgedrückt – kaputt gehen zu lassen. Und wir haben denen erlaubt, noch mal den ganzen Eisenbahnbetrieb in Gang zu setzen. Das war ein sehr riskantes Ding. Wir wussten damals selber nicht, geht der ganze Streik jetzt nicht baden, wenn da wieder alles hoch erleuchtet ist? Und nach dem zweiten Streiktag, vom Hochofen her, fährt der ganze Eisenbahnbetrieb mit großer Besatzung nun wieder zum Blas-Stahlwerk und beschickt den Mischer. Aber wir haben dort so gute Kollegen gehabt, wir hatten das so unter Kontrolle, dass wir gesagt haben: Ok. Das Direktorium hat jubiliert. Die wussten nicht, was für ‚nen Fehler sie gemacht haben. Dieser Mischer wurde während des ganzen folgenden Streiks unser Faustpfand. Während die ganze Presse, IG Metall usw. anmarschierten und sagten: Ihr könnt doch die Produktionsanlagen nicht vernichten, was seid ihr für Kommunisten, was seid ihr für Arbeitervertreter? Ihr vernichtet Produktionsanlagen! Das war der Druck von außen. Und dann der Druck von innen: Es gibt auch einen Teil Kollegen, die dort arbeiten, die wollten ihren Arbeitsplatz erhalten. Ich will nur mal darstellen, mit welchen Mitteln so was dann durchgeführt werden muss. Da wir unserer Besatzung im Blas-Stahlwerk die Überwachung nicht allein überlassen wollten – es gibt auch mal Misstrauen -, haben wir gesagt, die Kollegen vom Siemens-Martin-Werk, deren Entlassung bevorsteht, weil das Werk mal stillgelegt wird und das Blas-Stahlwerk die Hauptproduktion von Stahl machen wird, die werden die Überwachung dieses Mischers und des Blas-Stahlwerks ergänzen. Weil wir glaubten, dass sie so ein Werk besser kontrollieren konnten.

Ich darf mal ein Beispiel dazu bringen: Das Direktorium forderte uns auf, mit ihnen zusammen auf einer Lok zum Stahlwerk zu fahren, und da wollten sie eine Ansprache halten: »Männer, es geht um eure Arbeitsplätze.« Da waren wir aber drauf vorbereitet. Die Kollegen vom Siemens-Martin-Werk hatten kurz vorher alte Stahlschwellen auf die Schienen geschweißt. Einer vom Direktorium fragte: »Warum fahren wir nicht weiter?« Max Mueller sprang von der Lok und rief: »Nun fahr mal hin, viel Spaß.« Da sind sie da noch ‚ne Zeitlang stehen geblieben.

Noch eine Situation: Das Direktorium versuchte, die Notbelegschaft am Mischer zu bewegen: Wenn ihr das Eisen schon vom Mischer aus nicht ins Stahlwerk schickt, dann buddeln wir ein großes Loch am Mischer. Dann schüttet ihr das Roheisen eben da rein, nur damit der Mischer nicht von innen erkaltet. Dafür hatten sie schon Fremdfirmen bestellt, mit Bagger. Da haben ‚se ein riesiges Loch gemacht, dann sind die Fremdfirmen wieder abmarschiert. Da haben unsere Kollegen gesagt, das müssen wir verhindern, das wird gefährlich. Und haben Feuerwehrschläuche angeschlossen und das Loch voll Wasser laufen lassen, »nun können sie das reinschütten«. Kollegen, das bedeutet eine Riesen-Explosion, wenn sie flüssiges Roheisen in so ein Wasserloch füllen. Um da sicher zu gehen, hatten wir ein Rollkommando organisiert (ich durfte das Werk ohnehin damals nicht betreten, weil ich schon entlassen war) und ich bin mit dem Rollkommando dahin gefahren, und wir haben dafür gesorgt, dass die Schläuche usw. angeschlossen wurden. Also, der Mischer entwickelte sich zu unserem Faustpfand.

Es war natürlich ‚ne Riesen-Propaganda, die nun gegen uns gemacht wurde: Ihre Fachleute haben dauernd Temperaturen gemessen, behaupteten dauernd, da bildet sich im Mischer ein so genannter Kalter Bär usw. Ich muss sagen, wir hatten die Vertreter vom STERN und vom SPIEGEL, und auch vom Fernsehen zeitweise ins Werk geholt, die haben uns sehr geholfen. In deren Beisein haben wir dann immer eine Eisenstange quer durch diesen Mischer getrieben, um denen klar zu machen, das ist alles vernünftig, flüssig usw .. Die haben oft gar nicht begriffen, was unsere wirklichen Probleme waren. Den Mischer hatten wir technisch völlig im Griff, da wussten wir, die können, was sie auch machen, was sie wollen, das Ding wird nicht erkalten. Aber am Hochofen hatten wir Probleme. Es ist wahnsinnig schwer für einfache Kollegen, wenn es keinen Meister mehr gibt, kein Obermeister mehr ansprechbar ist, keine technische Betriebsassistenten mehr, keinen Betriebsleiter mehr, so einen Hochofen ‚runterzufahren. Und auf ‚ner Temperatur zu halten, dass der Laden nicht zusammenbricht.

So‘n Hochofen ist ja innen mit Schamottsteinen gemauert, der bricht nur dadurch nicht zusammen, dass eine bestimmte Hitze da ist. Und dann bildet sich Wasser und andere chemische Prozesse spielen sich da ab. Und es war ein ständiger Kampf, Kollegen am Hochofen zu behalten, die dafür sorgen mussten, dass der Laden dort weiter funktioniert hat. Das ist nicht einfach. Die Kollegen haben gefragt, gibt es darüber Literatur, können wir was nachlesen, können wir jemanden fragen, wie wir dies machen, wie wir das machen? Also, ich will euch sagen, die Organisation eines Streiks in Form einer Betriebsbesetzung, das war eine Riesenleistung. Da war es dann die größte Beleidigung für die Kollegen, das als »wilden« Streik zu bezeichnen. Die sagten: »Die sollen mal sagen, dass das ,wild, ist, was wir machen. Sollen die das doch mal organisieren.«

Es bildete sich jetzt sehr schnell eine Streikleitung, der Betriebsrat hielt sich dabei ziemlich raus. Und diese Streikleitung musste Notausweise ausgeben für die, die für die Sicherungsarbeiten das Werk betreten durften. Es gibt da zum Beispiel Bereiche, die hießen EW 1 und EW 2, die haben die Wasser- und Stromversorgung im Werk geregelt. Da sind meinetwegen 150 Kollegen, Meister, Obermeister und Chef usw. – die Führung von denen durfte nicht mehr rein. Es waren also keine Vorgesetzten mehr. Die Wasserversorgung zu der Warmwalzstraße zum Beispiel ist kilometerlang, das kann man nicht einfach alles stilllegen. Und auch bestimmte elektrische Versorgungen, bestimmte elektrische Anlagen müssen in Gang bleiben, das muss organisiert werden. Und dann haben wir mühsam versucht, Meister, auch Sozialdemokraten, die mit uns sympathisierten, und denen es auch um Erhalt ihrer Arbeitsplätze geht, zu gewinnen, wir brauchten deren Wissen. Und die haben dann mit den Kollegen diese Wasserversorgung, Stromversorgung usw. organisiert.

Man muss natürlich auch das Rein und Raus regeln, aus solch einem Werk fahren ständig Züge von der Bundesbahn raus, die Material bringen und Fertigprodukte abtransportieren. Vor den Toren standen so, 60 große LKWs, die was abholen wollten, die was reinfahren wollten. Die stauten die ganzen Straßen bis in die Bremer Vorstadt rein. Die Direktion verlangte nach der Polizei, sie soll das organisieren. Und wir haben gesagt, wenn ihr die Polizei gegen uns aufhetzt, dann machen wir sonstwas, dann marschieren wir in die Innenstadt. Und die Polizei hat sich dann auch rausgehalten. Das führte aber zu Riesenstaus in den ganzen Zufahrtstraßen zur Hütte. Von Lieferanten. Aber auch von Belegschaftsangehörigen usw. Und wir wussten, wenn wir die Stimmung der Leute auf unserer Seite haben wollen, dann müssen wir die Sympathien dieser Leute behalten. All das musste von diesem Streikkomitee mit organisiert werden. Also, da die Besetzung an den Werkstoren nun von innen her erfolgte und die Kollegen bestimmten, wer rein kam und wer nicht rein kam, mussten Not-Ausweise ausgegeben werden.

Und das war ‚ne sehr gefährliche Geschichte, weil es hier auch Leute gab, die mit dem Direktorium zusammenarbeiteten, die sich dadurch Vorteil erhofften. Die gaben also Not-Ausweise aus, die nicht notwendig waren. Und solche Elemente mussten gefunden und ausgeschaltet werden. Oder: Der Eisenbahnbetrieb, das waren ein paar hundert Leute mit den Anschlussgleisen zur Bundesbahn, die streikten und dann kam natürlich die Anweisung von der Direktion, ihr müsst eure Loks sofort in die Hallen fahren. Da haben wir gesagt, wieso das denn? Unsere Leute steigen aus den Loks aus, wo sie gerade stehen – ganz wurscht, wo. Und da bleibt die Lok stehen. Und die Lok behindert natürlich den gesamten Verkehr – was für uns wichtig war. Und dann stellten wir plötzlich fest, dass irgendwo im Eisenbahnbetrieb 30 Lokführer arbeiteten. Was haben die Lokführer denn hier zu suchen? Dann haben die streikenden Lokführer, die auf unserer Seite waren, die haben gesagt: Das regeln wir selbst. Es entwickelte sich so etwas wie ein Bewusstsein bei den Arbeitern, je mehr Tage das wurden, je mehr sich die Sache zuspitzte: Wir sind die Herren.

Das war manchmal auch unangenehm, diese Auffassung, die sich durchsetzte. Da gab es viele Schikanen gegen Vorgesetzte usw .. Die Direktoren wurden immer kontrolliert vom Werksschutz: Koffer aufmachen! Hast du auch nichts mit rausgenommen? Und wenn jetzt ein Direktor kam und versuchte, noch reinzufahren, dann wurde von den Streikposten gesagt: Komm, steig erst mal aus und mach mal die Klappe hinten auf. Warum? Nun packst du mal aus, was da alles drin ist. Und dann packst du das ganz schön wieder ein. Dann haben die wutschnaufend da gestanden. Die wurden schikaniert. Aber so etwas ist nicht mehr alles steuerbar in so einer Situation. Weil da ne gewisse Eigengesetzmäßigkeit … Wenn die Kollegen ständig diffamiert werden als »wild« Streikende und dann plötzlich spüren, dass sie auch Macht ausüben, dass sie bestimmen, was geschieht, und sie merken, das funktioniert: Wir selbst können so ein riesiges Werk weiter organisieren – da bildet sich ein ganz bestimmtes neues, anderes Bewusstsein raus.

Und jetzt passierte Folgendes: Während dieser Streik sich noch sehr gegen die Werksleitung richtete, schaltete sich die IG Metall ein und diffamierte uns und die ganze Belegschaft als Vernichter von Betriebseinrichtungen und Produktionsmitteln usw .. Ich hab gesagt, der Michels aus der Stahl-Koordination des Ruhrgebietes, der kam nach Bremen, aber nicht zu uns. Das Direktorium ließen wir nicht mehr rein, die tagten jetzt im Parkhotel, dem besten Hotel am Ort. Und Teile des IG-Metall-Vorstandes und der Bezirksleitung Hamburg, die für Tarifpolitik zuständig waren, die kamen auch nicht zu uns; die gingen direkt in das Parkhotel und verhandelten da mit der gegnerischen Seite. Dann haben wir gesagt, das ist ja ein unmöglicher Zustand; wir wollen ja mit euch zusammenarbeiten, ihr müsst hierher zu uns kommen. Das lehnten die Metall-Funktionäre ab. Die haben gesagt: Kommt zu uns. Wir sagten nein, wir haben im Hotel nichts verloren, wenn ihr was wollt, kommt zu uns. Nun war zur gleichen Zeit der IGM-Angestellten-Tag, der tagte in Bremen. Da waren die ganzen Vorstandsmitglieder. Und das für Angestellten-Fragen zuständige Vorstands-Mitglied Heinz Dürrbeck, der wurde nun losgeschickt, die Situation zu beurteilen und mit uns zu reden. Der kam also nun ins Betriebsratsgebäude und wollte mit uns sprechen. Da hat ein Kollege zu ihm gesagt: »Komm‘, geh mal vor die Tür, da stehen gerade so tausend Leute und erzähl denen mal deinen Standpunkt.« Was hat Dürrbeck gemacht? Der hat die Hosen vollgekriegt, ist in ein Zimmer gegangen, wo ein Fenster halb aufstand, ist aus dem Fenster gesprungen, und mit fliegenden Rockschößen als Vorstandsmitglied der IG Metall vor den Leuten geflüchtet, im Dauerlauf zum Tor und zur Straßenbahn. Und die Kollegen haben ihm nur noch zugeklatscht. Das waren alles so Äußerlichkeiten, die deutlich machten, wie die Fronten plötzlich aussahen.

Und nun kam eine Stimmung im Betrieb auf, dass die Leute sagten, wir wollen mit der IG Metall nichts mehr zu tun haben. Die sollen uns zufrieden lassen. Das ist unser Streik, es geht um unsere 70 Pfennig. Die haben uns lahmgelegt mit ihrer Tarifverhandlung. Dadurch sind wir 18 Monate gebunden. Wir kriegen im zweiten Anlauf nur 2 Prozent – und das bei diesen Produktionsmengen usw .. Und das bei dieser Konjunktur in der Stahlindustrie. Bleib weg, IG Metall, wir machen unsere Sache für uns. Unter diesen Umständen, es gab natürlich jetzt auch Leute im Betrieb, die sagten: »Ihr habt ja den Tarifvertrag, wir müssen tariftreu sein, die Friedenspflicht, wir müssen das einhalten, wir sind … , das ist ja nicht legal, was wir machen« usw .. Und jetzt kommt der Bundeskanzler Kiesinger, ruft auf, ihr seid Chaoten, ihr macht alles kaputt usw .. Der Willy Brandt schickt uns ein großes Telegramm: »Arbeit sofort aufnehmen, lasst euch nicht von diesen kommunistischen Gangstern da verführen« usw. usf. Und all das führte zu ‚ner großen Politisierung in der Form, dass aus diesem Kampf um 70 Pfennig eine Auseinandersetzung mit der IG Metall wurde. Es kamen die ganzen alten Dinge hoch, von der zweiten Liste, vom Boykott der Funktionäre der zweiten Liste usw. Ich muss noch nachtragend ergänzen: Wir als führende Leute in der Tarifkommission beim Vertrauenskörper und im Betriebsrat, wir durften plötzlich an den Tarifverhandlungen nicht mehr teilnehmen, weil gegen 42 Kollegen von uns Ausschlussverfahren aus der IG Metall liefen. Und unsere Funktionen ruhten (das begann schon vor dem Streik), und wir konnten an den Tarifverhandlungen plötzlich nicht teilnehmen. Und diese in der Gewerkschaft führenden Sozialdemokraten, die den ganzen Streik sabotiert hatten und ihn von Anfang an nicht wollten, die führten für die Belegschaft die Tarifverhandlungen. Und da war das Vertrauensverhältnis zur IG Metall bei dem mitdenkenden Teil der Belegschaft restlos hin und kaputt.

Also die Arbeiter betrachteten das immer mehr als ihre Sache, sie wollten die IG Metall da nicht drin haben. In dem Film*) kam auch zum Ausdruck, dass das für Finanzen zuständige Vorstandsmitglied sagte, wir haben das Gefühl, es geht gar nicht mehr um Geld. Da stehen sich Direktion und Belegschaft wie zwei Boxer gegenüber und jeder will nur noch Recht haben.

Und in dieser Situation kommt die IG Metall, um sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Die Leute aus dem Apparat, die vorher sagten: »Wir sind an die Friedenspflicht 18 Monate gebunden, wir werden unwahr in den Augen der Arbeitgeber, blast den Streik ab« usw., die eröffnen plötzlich, während der Friedenspflicht, Tarifverhandlungen ohne dass wir dabei sind, und fordern 14 Prozent. Und nehmen damit unserer Belegschaft ihr Streikziel – das war der Belegschaft völlig klar, wenn die 14 Prozent fordern, dann können wir unsere 70 Pfennig nicht mehr durchsetzen. Und die Apparat-Leute schlossen innerhalb eines Tages ein Abkommen bei 11 Prozent ab. Das war ein Ergebnis, was es seit Jahr und Tag es nicht mehr gegeben hatte. Und sie forderten uns auf, nun den Streik zu beenden. Nun seien ja alle Forderungen erfüllt.

Wir im Betriebsrat haben nichts alleine entscheiden wollen, gemäß unserer Ansage am Anfang des Arbeitskampfes. Deshalb haben wir eine Abstimmung gemacht. Und in dieser Abstimmung wurde das nicht von der Belegschaft erkämpfte Abkommen wieder völlig abgelehnt – mit einer überwältigenden Mehrheit entschieden sich die Kollegen (selbst unter diesen Bedingungen noch) für die Fortsetzung dieses Arbeitskampfes.

Das Direktorium zog die Bewilligung der 30 Pfennig unter diesen Umständen sofort zurück. Und es kam nachher ein Angebot zustande, ein angeblich letztes Angebot der Arbeitgeberseite, das dann hieß, 11 Prozent, dazu ein Teil der Forderungen, die wir aufgestellt hatten. Und das waren alles in allem 16 Prozent. Das war ein Zugeständnis, was es die zehn, zwanzig Jahre vorher nicht gegeben hatte und was es auch nie wieder in der späteren Auseinandersetzung um Tariffragen, gegeben hat. Und diese 16 Prozent, das waren nicht die 70 Pfennig, aber … wir haben versucht, den Kollegen klarzumachen: Wir können ja nicht bis zum Nimmerleinstag streiken. Wir zahlen keine Streikunterstützung. Und man muss auch in so einer Situation die Frage erörtern: Wie entwickelt sich das weiter? Wenn wir heute noch hurra schreien, werden wir das auch morgen noch können?

Ich habe den Standpunkt vertreten: Wenn wir zum ersten Mal eine so große Auseinandersetzung über neun Tage selbstständig geführt haben, dann ist es das Schlimmste, wenn so etwas im Streik zusammenbricht, weil das mit einer großen Demoralisierung verbunden wäre. Wir haben gesagt, wir müssen so aus der Sache rauskommen, dass wir, so, wie wir den Streik ordnungsgemäß und unter Erhaltung der Betriebsanlagen geführt haben, diesen auch so beenden werden. Nur dann werden wir daraus politisch Kapital schlagen können.

Das war unter diesen Umständen keine einheitliche Meinung. Es gab einen sehr starken und tüchtigen KPD-Mann, der lange Jahre Betriebsratsvorsitzender war, der den Standpunkt vertrat: Nun holen wir uns auch die letzten Pfennige, so stark sind wir. Es war ‚ne ganze nächtelange Diskussion. An der zum Beispiel auch ein Vorstandsmitglied der DKP teilnahm, den hatten sich die DKP-Leute geholt, um die Frage mit ihm zu klären: Fordern wir die Belegschaft auf, die Arbeit aufzunehmen oder weiterzumachen? Zum Schluss haben der DKP-Kollege Röpke und ich uns durchgesetzt, wir haben gesagt, wir wollen raus und diesen gemeinsamen Kampf mit erhobenem Kopf beenden. Da nimmst du natürlich inkauf, von einigen als Verräter beschimpft zu werden. Aber wenn man von heute aus die weitere Entwicklung betrachtet, die muss man im Auge haben bei solch einer Situation, haben wir es richtig eingeschätzt, jetzt ist genug. Unter den Umständen haben wir dann zugestimmt.

Am Samstag wurde im Rundfunk verbreitet, die Arbeiter werden aufgefordert, die Arbeit wieder aufzunehmen. Der Streik ist beendet, das und das ist das Ergebnis. Und wir haben nun gedacht: Na ja, am Sonntag geht‘s wieder los.

Aber dann zeigte sich noch einmal die ganze Würde der Kollegen. Am Sonntag ist kein Klöckner-Arbeiter zur Arbeit erschienen, obwohl sie neun Tage keinen Lohn bekommen hatten, und nichts von der Gewerkschaft bekommen hatten, sie haben erst am Montag, nicht mit der Frühschicht, sondern um zwei Uhr mit der Spätschicht die Arbeit wieder aufgenommen. Das zeigt, dass in einem solchen Arbeitskampf ein politisches Bewusstsein entsteht, das weit über materielle Forderungen hinausgeht. Und was das eigentliche Anliegen meiner ganzen Betriebsratsarbeit war, das war immer unser politischer Ansatz, es geht uns nicht nur um ein paar Groschen, wir wollen versuchen, den Kampf um die Groschen als Schule des Klassenkampfes zu betrachten und das politische Bewusstsein der Arbeiterschaft durch diese Kämpfe um materielle Forderungen mit politischen Forderungen zu verbinden und durchzusetzen. Und so schlimm die Anschuldigungen gegen uns auch waren, wie: Wir würden eine ultralinke RGO-Betriebspolitik betreiben, wir seien Maoisten und anderen Stuss. Und wir alle vor Ausschlussverfahren standen, mit 42 Mann – ich bin auch heute noch der Auffassung, dass unter gegebenen Umständen und Verhältnissen, wenn die betrieblichen Verhältnisse so herangereift sind und eine linke Führung, die das Vertrauen der Belegschaft hat, Einfluss hat bei Vertrauensleuten und bei anderen Kollegen, auf die man sich verlassen kann, die untereinander zusammenarbeiten usw., dann kann man an solche Frage wie die nach der eigenen Liste herangehen.

Nach meiner Auffassung kann man auf keinen Fall eine allgemeine Aussage machen, die Aufstellung einer zweiten Liste sei in jedem Fall ein richtiges Instrument. Das war damals eine falsche Verallgemeinerung und ist es auch heute noch. Wenn man die Möglichkeit hat, eine Gewerkschaftsliste mit Persönlichkeitswahl aufzustellen, ist das der weniger riskante Weg, sich mit seinen Auffassungen durchzusetzen. Aber wenn die Verhältnisse so sind, dass die Rechten im Betrieb noch einen solchen Einfluss haben, dass sie auch eine Persönlichkeitsliste behindern, ist das erste Gebot, sich für seine Auffassungen von gewerkschaftlicher Politik den Rückhalt zu schaffen.

Das kann lange, sehr lange dauern. Dazu ist nicht in jedem Fall ein Posten im Betriebsrat notwendig. Und so betrachte ich den Arbeitskampf, den die Klöckner-Hütte damals geführt hat, und die Zweiten Listen, die bei diesem Arbeitskampf eine Rolle spielten, als einen in die Zeit eingebundenen Arbeitskampf, der nicht wiederholbar ist. Auch diese Zweiten Listen sind kein Patentrezept für die Auseinandersetzung mit nicht mehr hinzunehmender Sozialpartnerschaft und Klüngelpolitik der offiziellen Gewerkschaften.

Umgekehrt erfordert die aktuelle Lage aber auch: Da, wo eine lange, mühselige, kleinteilige Vorarbeit entsprechend betrieben worden ist und die Auseinandersetzung mit der Gewerkschaftsbürokratie nicht nur mit dem Herzen sondern mit kühlem Kopf, mit vernünftiger politischer Arbeit gemacht worden ist, kann es unvermeidlich sein, wenn die Bürokratie nicht mitmarschiert, die Machtverhältnisse dadurch zu ändern, dass man eine Zweite Liste aufstellt. Meiner Auffassung nach gibt es keinen prinzipiellen Grund, davor zurückscheuen. Aber ein solcher riesiger Schritt kann nicht gemacht werden, wenn er nur gestützt wird von Ärger und Wut in der Belegschaft über diese oder jene Entscheidung des Gewerkschaftsapparates. Es gehört eine langfristige und grundsätzlich andere Auffassung von den Kräfteverhältnissen im jeweiligen Betrieb, in der Gewerkschaft, in der Gesellschaft dazu. Nicht nur bei einigen wenigen, sondern bei einer relevanten, zusammenarbeitenden Gruppe.

Diskussion

Frage: Ist es euch gelungen, in der Übernahme des Tarifabschlusses hinzukriegen, dass die Ausschlussverfahren zurückgenommen worden sind von der IG Metall? Ihr hattet ja 42 Leute mit ‚nem Ausschlussverfahren, und am Ende habt ihr euch ja einge- lassen auf den Tarifabschluss über 16 Prozent; habt ihr da mitverhandelt, dass die Ausschlussverfahren zurückgenommen werden oder habt ihr dann den ganzen Ausschluss-Terror anschließend noch am Hals gehabt?

Bonno: Es war ein Ausschlussverfahren gegen alle die, die nicht auf der offiziellen IG-Metall-Liste waren, gegen 42 Kollegen. Das Ergebnis war, sagen wir mal so: Es war ein Ausschlussverfahren, das sich ein Jahr hingezogen hat. Und der das durchführen sollte, der war das für Finanzen zuständige Vorstandsmitglied der IG Metall, Kollege Striefler. In der IG Metall, in einer Gewerkschaft, da geht es um Geld. Die Auffassung vom IG-Metall-Vorstand, von Brenner und diesen Leuten, auch heute, ist immer die: Wir sind nur deshalb stark, weil wir Geld haben. Und wenn wir nicht das Geld haben, dann können wir keine Arbeitskämpfe führen. Klassenbewusstsein und die Erfahrung, dass die Leute bereit sind, für ihre Sache aus Überzeugung und für Ideen zu kämpfen, dass die Menschen dafür auch Opfer bringen, das ist bei diesen Leuten aufgrund fehlender Erfahrung nicht vorhanden.

Es kommt immer darauf an, wir müssen finanziell so stark sein wie die Arbeitgeberseite, wir müssen einen wochenlangen Streik finanziell mit links machen können. Und diese Auffassung lässt dann die größten Schweinereien zu. Wenn man dieser Auffassung ist, dann wird es in Deutschland nie große Tarifauseinandersetzungen in der Metall geben. Denn die werden dazu nie in der Lage sein. Die Gewerkschaft kann noch so viel Geld haben, wenn nicht das Klassenbewusstsein der Arbeiter hinzukommt, dann werden solche Streiks, wenn das nur um Durchhalten mit Geld geht, werden die verloren gehen. Aber die Leute aus dem Apparat orientieren sich an den Verhältnissen, wie sie jetzt sind. Die sagen: »Sechs Wochen können wir sofort bezahlen, bis dahin müssen wir uns aber durchgesetzt haben oder wir müssen vorher die Sache beenden.« Das ist doch der Standpunkt da oben. Also, dieser Finanzmann aus dem IG-Metall-Vorstand hat dann den Vorsitz in dem gegen uns gerichteten Ausschlussverfahren niedergelegt, dann kam ein anderer vom Vorstand, der hat das Mandat auch niedergelegt. Und zum Schluss, da wollt‘s keiner mehr machen. Dann haben es alle abgelehnt, den Ausschussvorsitzenden in Bremen zu machen. Und dann haben sie sich einen ganz jungen Bezirksleiter aus Münster, Jansen, geholt, der nun strenge Anweisung hatte. Dann ging‘s immer um die eine Frage: Wir haben verlangt, dass alle 42 Mann vor der Kommission zusammen erscheinen, dann macht ihr eure Vorwürfe und dann verteidigen wir uns. Das wollten die nicht. Die wollten Einzelverhöre machen. Da haben wir gesagt: Gut, dann kriegt aber jeder nach Recht und Satzung zwei Beisitzer benannt. Da haben die gesagt, dann haben wir 42 mal 2, so viele Leute, das ist ‚ne unmögliche Verhandlung, das geht auch nicht.

Es gab immer wieder solche Verfahrensfragen, das zog sich hin. Und zum Schluss hat sich der Vorstand gar nicht mehr um die Verfahrensfragen gekümmert. Und ist nach seinen politischen Erwägungen vorgegangen, ganz direkt, insofern war es dann ehrlich. Ich und der Listenführer dieser dritten Liste, das war ein linker Sozialdemokrat, wir wurden aus der IG Metall ausgeschlossen. Und nun kommt das Interessante: Ein großer Teil der anderen erhielt für zwei Jahre Funktionsverbot. Die DKP-Funktionäre, die gute betriebliche Funktionäre waren, das muss ich immer wieder betonen, die haben sich nicht nach der Leitlinie der Parteiführung gerichtet. Aber die IG Metall legte großen Wert darauf, hier mit der DKP in einem vernünftigen Verhältnis zu bleiben, weil die DKP in der Mitbestimmungsfrage mit der IG Metall übereinstimmte. Deshalb wurde der spätere BR-Vorsitzende Heinz Röpke von der DKP nicht von der IG Metall gemaßregelt. Die restlichen Mitglieder unserer Liste kamen mit einer Rüge davon. Also, ich war damit ausgeschlossen. Ich hatte noch die Möglichkeit, mich an den Ausschuss beim Beirat der IG Metall zu wenden. Das erübrigte sich dann deshalb, weil ich zwischenzeitlich von Studenten an die FU eingeladen war zu einer großen Versammlung, dort habe ich über diese Dinge berichtet. Eine linke Zeitung für Gewerkschaftsfragen, die hat das dann gedruckt, und das wurde sofort zum Anlass genommen, mich noch mal erneut aus der Organisation auszuschließen. Ich habe auch keine Chance gehabt, die nächsten Jahre wieder aufgenommen zu werden. Also so gesehen war manches natürlich falsch, was ich gemacht habe, ich hätte mich hier und da anders verhalten müssen, um dieser Bürokratie nicht die Gelegenheit zu geben, mich so sehr zu maßregeln.

Darüber muss sich jeder im Klaren sein: Es ist sehr schwer, wieder aufgenommen zu werden. Das sind auch Machtfragen in der Belegschaft. Ich bin da rausgefallen, ok. Aber alle anderen, die davongekommen sind trotz »zweiter Liste«, trotz dieser ständigen Androhungen, dann werdet ihr alle rausgeschmissen, also so einfach ist es auch für die IG Metall nicht mit dem Rausschmiss. Der Rechtsanwalt Heinrich Hannover, ein bekannter linker Rechtsanwalt und einige andere Anwälte wollten mit mir vor Gericht gehen. Und ich glaube, dass wir da uns sogar durchgesetzt hätten. Aber ich habe es aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt, mir von einem bürgerlichen Gericht bescheinigen zu lassen, dass ich Mitglied der Gewerkschaft bleiben will. Na ja. [Applaus]

Frage: Wurde das Klassenbewusstsein nach dem Streik irgendwie weiter vorangetrieben, also, gab‘s dann die 16 Prozent und dann war‘s fertig? Oder wurde das irgendwie für die Organisierung, für die Abschaffung der Klassenverhältnisse irgendwie genutzt. Oder was ist noch passiert?

Bonno: Es war eine Abstimmung in der Belegschaft über die Wiederaufnahme der Arbeit angesetzt. Wir im Betriebsrat plädierten für die Annahme, von der Belegschaft wurde das akzeptiert. Aber mit einer sehr knappen Mehrheit. Weil die Leute mit heißem Herzen so was entscheiden. Das war so die Stimmung. Nach neun Tagen, nun holen wir uns auch noch die restlichen Pfennige, wir sind so stark. Das war allgemeine Meinung. Aber, das war ein großer Erfolg für alle, will ich mal sagen, aber du fragst, was darüberhinaus noch geworden ist?

Also die IG Metall-Führung hat natürlich, was Peter schon gesagt hat, für sich und den Funktionärsapparat mit internen Papieren gefragt: Was lernen wir aus den wilden Streiks, wie verhalten wir uns in nächster Zeit? Und sie hat auf der Klöckner-Hütte versucht, einen neuen Vertrauenskörper zu bilden, durch Einflußnahme von außen. Und da haben wir und auch die Belegschaft gesagt, dann macht doch Vertrauenswahlen. Das haben sie ein Jahr verzögert. Und als dann Vertrauenswahlen waren und siegeglaubt haben, sie hätten einen ganz neuen Vertrauenskörper in ihrem Sinne, da hatten sie sich ins Ohr geschnitten. Der neue war viel radikaler als er je gewesen ist. Das wirkte noch jahrelang nach. Ich sage ja, nach diesen ganzen Dingen ist es der SPD niemals wieder gelungen, auch nur in etwa im Betrieb Fuß zu fassen. Erst so in den 90er Jahre, als der Konkurs der Klöckner-Hütte kam, da änderten sich die Verhältnisse. Auf Seiten der Aktiven, die ja weitgehend politisch organisiert waren, hat es natürlich auch eine Folgeentwicklung gegeben. Ich will anhand einer führenden Person versuchen, die Richtung aufzuzeigen, in die das ging.

Nach mir wurde der Kollege Heinz Röpke aus der DKP BR-Vorsitzender. Den dann folgenden Betriebsratsvorsitzenden Peter Soergel, auch DKP, hatten wir auf Grund unserer Beziehungen zu Studenten in Berlin in diesem Milieu kennen gelernt als jemanden, der in den Betrieb wollte und bereit war, die Ochsentour zu machen: Wir haben Soergel gesagt, gut, wenn du das willst, dann fängst du in der Walzenschleiferei, wo Walzen geschliffen wurden, an. Das war für so‘n angehenden Professor natürlich ‚ne harte Sache. Eines ist ganz wichtig: Du hältst zwei Jahre deine Schnauze, du trittst nirgendwo ein oder auf, du schleifst nur Walzen, du wirst nicht Vertrauensmann, du wirst gar nichts, weil sie dich sofort rausschmeißen. Und ich muss sagen, das hat dieser Soergel durchgehalten. Und als dann die Zeit so weit war, dann wurde er Vertrauensmann, Mitglied des Betriebsrates, und nach ‚ner gewissen Zeit wurde er zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt.

Er hat dann in einer bestimmten Periode eine gute Arbeit gemacht, das hatte damit zu tun, dass er die Maßnahmen der Gegenseite aufgrund seiner Vorbildung schnell begriff und er dieser Gegenseite auf derem Gebiet auch Paroli bieten konnte. Das war die Zeit, als in den 90er Jahren die Klöckner-Hütte in Konkurs gehen sollte. KruppThyssen wollte die Hütte übernehmen, wollte sie stilllegen, wollte nur den Walzbereich erhalten. Die haben sich aber in so einer arroganten Form dem Betriebsrat und der Belegschaft wie auch der Bremer Regierung genähert, dass in einer Verhandlung der Bürgermeister aufgestanden ist und sagte, ich verhandele nicht länger mehr mit euch, ihr könnt abhauen. Und dann haben der Soergel und der Bremer Bürgermeister es fertig gebracht, die Stadt Bremen dazu zu bewegen, so viel Geld bereit zu stellen, dass erst mal die Hütte weitergeführt werden konnte. In der Zeit war solch ein Vertrauen zwischen Belegschaft und Soergel da, einem ehemaligen Studenten, der zu den Arbeitern gekommen ist, dass die Belegschaft, also nicht nur dankbar war, sondern sogar glaubte, nur mit Wedemeier, dem sozialdemokratischen Bürgermeister, und Soergel, dem ehemaligen Studenten, das Werk retten zu können: Wir lassen uns nicht von Cromme, von Beitz und Thyssen/Krupp kaputt machen, das Werk wird erhalten bleiben, die Stimmung in der Belegschaft und in Bremen war dafür da. Und nach mehreren Jahren hat die Stadt dann die Anteile abgegeben an den belgischen Konzern Arcelor. Heute ist der indische Weltkonzern Mittal der Eigentümer. Das Schlimme bei so einer Entwicklung ist nur, dass das natürlich auch Menschen mit politischem Bewusstsein verschleißt, und auch so einen gestandenen Mann wie Peter Soergel, muss ich sagen, der Standhaftigkeit in der entscheidenden Frage für das überleben des Werkes gezeigt hat, der wollte zum Schluss auf die Gegenseite, er wollte Arbeitsdirektor werden.

Da sagte der neue Besitzer Mittal, das können wir nicht machen, du warst vorher Betriebsrat. Aber dann hat man ihn zum Vertreter des Arbeitsdirektors gemacht, zum Hauptabteilungsleiter und damit war Soergel auf der anderen Seite. Und den zweiten Betriebsratsvorsitzenden, er war der Angestellten-Vertreter im Betriebsrat, der ging auch auf die andere Seite und wurde Personal-Chef der Angestellten. Das demoralisiert die Mehrzahl der Arbeiter natürlich so sehr, wenn die Führung, obwohl sie große Verdienste hat, die Auffassung vertritt: Weil wir das Werk gerettet haben, ist das unser Werk, und deshalb wollen wir jetzt auch in die Leitung rein usw. Die merkten dabei gar nicht, dass sie letzten Endes Mitglied der Sozialdemokratie wurden. Der Bremer Bürgermeister hatte ihm versprochen, wenn ich mit den Grünen die Regierung bilden kann, dann wirst du Arbeitssenator in Bremen. Mit solchen Sachen haben diese guten Funktionäre sich ködern lassen.

Der Konzern Mittal ist in der ganzen Welt so vertreten, dass die Hütte in Bremen gar keine große Rolle spielt. Wenn die Belegschaft weiterhin so rebellisch ist und zu viel Schwierigkeiten macht, dann legen die das Werk still. Dadurch ist eine ganze Belegschaft inzwischen bewusstseinsmäßig vollkommen diszipliniert worden, und natürlich auch, weil ihre politische Führung vorher schon das Schiff verlassen hat.

Die ganze alte Betriebsgruppe der DKP hatte sich aufgelöst und ist zur SPD übergetreten. Und das bei den Vorgängen, die ich geschildert habe auf der Hütte bei diesen Auseinandersetzungen. Das steckt ja in den Köpfen so einer Belegschaft drin.Das kann

ein Arbeiter sich nicht erklären und auch kein Verständnis dafür aufbringen, wieso ein Mann, der mal alles für die Belegschaft getan hat, der das volle Vertrauen hatte, nun auf die Gegenseite geht, den Unternehmerstandpunkt vertritt und durchsetzt. Er entpuppt sich als ein Mann, der natürlich dem neuen Betriebsrat viele Schwierigkeiten macht usw. Es ist nach meiner Auffassung schon notwendig, dass auch in solchen Situationen eine politische Führung da ist. Ich spreche vielleicht von Führung, weil ich nicht allzu viel von Spontanität halte. Die auch vorhanden sein muss, aber ohne eine klare politische Führung, die weiß, was sie will, und die Einsicht hat in den Ablauf der Dinge, auch im Voraus, und nicht nur aus den Augenblicksverhältnissen zu ihrem Urteil kommt. Wenn das nicht gegeben ist, dann ist solch eine Arbeiterschaft den Dingen nicht gewachsen und nicht in der Lage, nur von sich heraus, so ein Bewusstsein und eine solche Kampfbereitschaft über einen längeren Zeitraum zu erhalten.

Die Entwicklung bei Klöckner, das ist ‚ne Sache, die ist gewesen und nicht nachzumachen oder zu wiederholen. Denn inzwischen haben wir in der kapitalistischen Welt nicht mehr nur Konkurrenzkampf, sondern Konkurrenzkrieg, das heißt Vernichtung von Überkapazitäten. Und die überall auftauchende Drohung, wir machen das Werk ganz kaputt, ist real. Was sich dann entwickelt, das ist gemessen an unseren damaligen Problemen eine weitaus schwierigere Sache. Das steht vor denen, die jetzt in den Betrieben sind und von den Konzernen gegeneinander ausgespielt werden. Was ich euch hier erzähle, ist deshalb überhaupt nicht als Rezept zu begreifen, danke.■

 

17.7.2022 U.


aus: Arbeiterpolitik Nr. 4/5 2022

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