Das Märchen von der Zeitenwende oder:
Sarajevo ist überall

Gastkommentar

Das Attentat von Sarajevo war die Wende zum Krieg, den eigentlich niemand wollte – das war eins der vielen Märchen, die wir im Geschichtsunterricht hörten.

Doch bereits zwei Jahre vorher, am 8.12.1912,  fand die militärpolitische Geheimkonferenz statt, die eindeutig den Krieg des Kaiserreichs vorbereitete. Der deutsche Botschafter in London, Fürst Lichnowsky, bestätigte in seiner Denkschrift, dass die deutsche Kriegsplanung den Engländern bekannt war und wiederum ihre Kriegsbereitschaft verstärkte. Wer diese Tatsachen ansprach, wie der mutige Offizier Hans-Georg von Beerfelde, landete im Gefängnis.

Eine verblüffend ähnliche Legende ist das Narrativ von der ZEITENWENDE durch den Ukraine-Krieg.

Mit dieser Begründung rechtfertigte Olaf Scholz am 27.Februar das größte Rüstungsprogramm der deutschen Geschichte:

100 Milliarden zusätzlich zum ohnehin bislang größten Militäretat.

Ohne irgendeine vorausgegangene Beratung oder Analyse wurde an diesem Sonntag der folgenschwerste Beschluss in der Geschichte der Bundesrepublik gefasst. Der Ukraine-Krieg war dabei allerdings nur der willkommene Anlass, eine langfristige Planung umzusetzen.

Bereits im November 2020 hatten die führenden Generäle der Bundeswehr, Zorn und Mais, in mehreren Grundsatzreden eine geänderte Zielsetzung angekündigt:

Von der SICHERUNG zum AUFTRAG. Dieser Paradigmenwechsel zur Offensive hatte natürlich schon eine lange Vorgeschichte bis zum berühmten „Weissbuch“, das bereits vor 20 Jahre die Sicherung von Handelswegen und Rohstoffversorgung als legitimen Kriegsgrund ins Auge fasste.

Im Mai 2021 erschien dann das Eckpunktepapier zur Zukunft der Bundeswehr, autorisiert von Kramp-Karrenbauer und dem Generalinspekteur Zorn.

Ausdrücklich wurde eine neue Systematik zur Verbesserung der Einsatzbereitschaft angekündigt, die „jetzt rasch“ erhöht werden müsste. Es gelte, zu Wasser, Land und Luft zusätzliche maritime Einheiten, Divisionen und Air-Groups zu schaffen – flankiert von verbesserter Logistik, wie z. B. Autobahnausbau und Bahnflachwagen. Wir bräuchten auch spezialisierte Hochwehrfähigkeiten bei Lufttransporten und Luftbetankungen , aber auch im gesamten elektromagnetischen Spektrum für elektronische Kampfführung. Als führende Militärmacht müssten wir Grossverbände bereitstellen, die unseren Partnern Möglichkeiten zum „Andocken“ geben.

Bei den komplexen Rüstungsvorhaben der Zukunft hat die Beschaffung natürlich „herausragende Bedeutung!“

Bereits im Koalitionsvertrag 2018 wurde ja eine Arbeitsgruppe „Beschaffungsorganisation (BeschaffO) gegründet – wenig später führte Frau von der Leyen erste Gespräche mit Airbus und Dassault über FACS (Future Air Combat System). Diese von Hochleistungsdrohnen flankierten Kampfflugzeuge könnten das teuerste Rüstungsprojeķt aller Zeiten werden. Eine solche Planung macht nur Sinn, wenn man eine dramatische Erhöhung des Etats im Hinterkopf hat.

Daran dachten auch Scholz und seine Kriegsministerin, als sie im Januar beschlossen, als Neuanschaffung doch nicht den Kampfbomber F18 zu nehmen, denn der ist – genau wie die Eurofighter – nicht lizenziert für eine atomare Bestückung. Deshalb entschied man sich für den F35, der Atombomben transportieren kann. Die atomare Teilhabe ist im Eckpunkte-Papier bereits im Mai 2021 festgeschrieben worden.

Sie verursacht natürlich enorme Zusatzkosten, aber auch diese Berechnungen lagen vor dem Krieg in der Schublade. Die Luftwaffe erhält auch planungsgemäß das größte Stück vom Kuchen: Am 1. April erhielt sie – wieder im Schnellverfahren – 40 von den 100 Milliarden (wobei klar ist, dass es dabei nicht bleiben wird, der F 35 hatte in den USA enorme Folgekosten; das Pentagon berechnete, dass eine lange Ehe mit dem F 35 insgesamt 1,17 Billionen Dollar kosten würde).

Fazit: Am 27.Februar gab es nur eine Zeitenwende: die völlige Selbstaufgabe des Bundestages. Die Baupläne für die Rüstungsgesellschaft waren längst fertig – ihre tödlichen Folgen sind kein Thema für die Medien.

Auch die ideologische Absicherung der neuen Militär- und Rüstungsstrategie war längst vor dem Krieg manifest geworden.

Die Kanzlerkandidatin und spätere Außenministerin Annalena Baerbock  stellte beim „Atlantic Council“ am 6. Mai 2021  ihr außenpolitisches  Regierungsprogramm in ungewöhnlicher Offenheit vor. Es bedeutet im Kern nicht nur eine Kooperation mit den USA, sondern eine „Führungspartnerschaft“, also letztendlich eine völlige Unterordnung unter die außenpolitischen Ziele der USA.

So erklärte sie : „Unsere Kritik an den USA liegt 40 Jahre zurück. Sie sehen, wie sehr sich unsere Partei verändert hat, so wie sich die Menschen (….) in unserem Land verändert haben.“

Den neuen Kurs der GRÜNEN beschrieb sie klar und eindeutig: „Die liberale Demokratie (muss) für Menschenrechte kämpfen, manchmal auch mit militärischen Maßnahmen, um Völkermord zu verhindern. (…) Wir glauben, dass eine starke EU und eine starke transatlantische Beziehung, auch basierend auf der NATO, unsere gemeinsame Grundlage dafür sind, wie wir gemeinsam die Zukunft gestalten können.“

Dann zitiert Baerbock den amerikanischen Präsidenten George Bush, der Deutschland in den 1990er Jahren „partnership in leadership“ („Partnerschaft mit Führungsverantwortung“)  angeboten habe – doch „Deutschland war damals noch nicht bereit“. Aber jetzt sei es wirklich an der Zeit einen neuen Schritt zu tun und diese Führungspartnerschaft zwischen Europa  und den USA aufzubauen.

Zu den neuen Schritten gehört auch die Entsorgung der Vergangenheit durch eine Idealisierung des Aufbaus der EU:

Baerbock berichtet von ihrem Großvater, der 1945 an der Oder kämpfte: „Und mein eigener Großvater kämpfte im Winter 1945 an diesem Fluss, an dieser Grenze. Und ich stand 2004 auf dieser Brücke, (….) und das war wirklich der Moment, wo ich dachte, wow, wir stehen nicht nur auf den Schultern von Joschka Fischer, sondern auch auf denen unserer Großeltern, die es möglich gemacht haben, dass verfeindete Länder wieder nicht nur in Frieden, sondern in Freundschaft zusammen sind.“

Dann folgt der Schlüsselsatz : „Ich denke, es ist das Allerwichtigste, eine neue strategische Agenda zu schaffen.“ Und die bedeute eben:  “ (….) eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den europäischen Mitgliedern innerhalb der NATO und den Amerikanern.“ „Alles im Sinne einer höchsten Effizienz.“

Obwohl es noch viele weitere Belege für den geplanten Umbau der Gesellschaft gibt, kolportieren auch Linke, dass nach  Kriegsbeginn am 24.2. in zwei Tagen ein perfektes Konzept der Militarisierung und Hochrüstung konzipiert wurde, das der Bundestag nur absegnen brauchte – ein verbaler Blitzkrieg sozusagen: Die Zeitenwende – ein Märchen für Erwachsene.

Geert Platner, Kassel, den 20. 08. 22


 

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