Was treibt Linke an die Seite ukrainischer Nationalisten?

Gastbeitrag zur Diskussion

Im Folgenden veröffentlichen wir einen Gastbeitrag von Klaus Dallmer zur Diskussion um den Niedergang der Linken insbesondere der Partei DIE LINKE.


Im Kampf um die Ukraine treffen zwei Machtblöcke aufeinander: der expansive Finanzkapitalismus des Westens und der stagnierende russische Rohstoffimperialismus. Maßnahmen zur Minderung der Klimakatastrophe bleiben den Herrschenden dabei auf beiden Seiten drittrangig, Macht und Profit gehen vor. Die Eskalation hat an den Rand des Atomkriegs geführt und wird weiter verschärft.

Die Grausamkeit des Krieges und die Schrecken für die ukrainische Zivilbevölkerung sind vor aller Welt sichtbar und lassen sich leicht auf den russischen Angreifer zurückführen. Auf den ersten Blick ist ein scheinbar friedliches Land grundlos überfallen worden. Dass der Krieg auch – und vor allem – Folge des NATO-Aufmarsches ist, ist nicht erfahrbar, sondern nur in der politischen Analyse sichtbar. Die gesamten Folgen dieses Aufmarsches aber sind in ihren katastrophalen Auswirkungen noch nicht absehbar und liegen außerhalb des gegenwärtigen Erfahrungshorizonts.

Die ukrainische Armee ist im Vormarsch und ihre Unterstützer frohlocken: Dank westlicher Waffen scheint ein Sieg – die Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete – möglich. Nicht gefragt wird dabei, was die Regierung dieses tief gespaltenen Landes eigentlich mit Gebieten will, die hauptsächlich von ihr ablehnend gegenüberstehenden Menschen bewohnt werden. Hinter dem Prinzip der territorialen Integrität – das der Westen hochhält, obwohl er sich darum ansonsten wenig schert – lauern die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen. Das europäische, vor allem das deutsche Kapital greift zum dritten Mal nach der Ukraine, und die USA wollen Russland schwächen. Es ist mittlerweile offensichtlich, dass EU und USA für ihre Ziele den russischen Angriff provoziert haben und dafür Ukrainer und Russen sterben lassen. Russland wird durch die Waffenlieferungen des Westens in eine Niederlage getrieben, die mit dem dort vorherrschenden Großmachtchauvinismus, mit seiner nationalen Gründungsmythologie und dem Selbstverständnis der Bevölkerung von der wiedererstarkten Nation völlig unvereinbar ist. Dadurch wächst die Gefahr der atomaren Eskalation.

Die amerikanische Führungsrolle bei der Kriegsverschärfung wird in Deutschland immer noch beklatscht. Gut funktionierende Vasallensysteme wie das römische oder das amerikanische zeichnen sich eben gerade dadurch aus, dass die Untertanen ihr Vasallentum für ihre eigenen Interessen halten und die Gegensätze möglichst spät aufbrechen. Wenn erst der Krieg der Unterwürfigkeit den Boden entzieht, hängt heutzutage die Zeit für Lernprozesse von den eingesetzten Waffensystemen ab.

Russlands Vasallensystem dagegen ist miserabel, weil von offener Unterdrückung demokratischer Prozesse, Armut und Gewalt begleitet. Es treibt den politischen Untergrund in den Vasallenstaaten der gegnerischen, weil demokratischen Seite zu. Der westliche Imperialismus hat leichtes Spiel, das auszunutzen.

Bis hinein in die Partei DIE LINKE hält sich trotz der Eskalation noch immer die Zustimmung zu Waffenlieferungen an die Ukraine – die Linken in den Grünen sind ohnehin dieser Meinung, weil sie mit dem Menschenrechtsmoralismus ein zusätzliches Alleinstellungsmerkmal reiten können.

Was sind die Argumentationslinien, die dem Wandel einstiger linker FriedensfreundInnen zugrunde liegen?
Die Propaganda knüpft dazu an verschiedenen Haltungen an, die traditionell einen linken Nimbus haben.

Da wäre

1. Die Solidarität

Wohl alle, die sich als Linke verstehen, hat der Angriff Russlands auf die Ukraine tief betroffen gemacht. Das angerichtete Leid der Zivilbevölkerung erzeugt starkes Mitgefühl. Die Bevölkerung Westeuropas hat da viel Hilfsbereitschaft und große Solidarität gezeigt. Aber rechtfertigt das auch die Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung? Und ist es berechtigt, solche Unterstützung Solidarität zu nennen?

Mehr als hundert Jahre alt ist in der Westukraine der Hass auf alles Russische – die Untaten des Zarismus und der Stalinschen Zwangsherrschaft sind ein hervorragender Nährboden für völkischen Populismus. Hervorgegangen ist daraus ein weit verbreiteter Ultranationalismus, noch einmal bestärkt durch den russischen Versuch, die angestrebte Westorientierung – die Assoziierung mit der EU und den Eintritt in die Nato – zu verhindern, sowie durch die anschließende Besetzung russischstämmiger Gebiete und der Krim. Wie Gewerkschaftskollegen berichten, waren auch Teile der ukrainischen Arbeiterschaft bereits vor dem Krieg vom Größenwahn erfasst, der sich am russischen Feindbild aufrichtet – kräftig angestachelt durch amerikanische Militärhilfe und die Aufforderung, sich an das Minsker Abkommen nicht zu halten. Der Kleinkrieg in der Ostukraine hat seit 2014 über 10.000 Tote gekostet. Im Inneren der Ukraine ist es zu tödlichen Pogromen gekommen – in Odessa wurden 42 Russen im Gewerkschaftshaus von der grölenden Menge verbrannt – und die russischstämmige Bevölkerung war und ist ständigen Schikanen ausgesetzt. Die NATO-Mitgliedschaft hat die Regierung als Ziel in die Verfassung aufnehmen lassen, und Selenski brachte auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Stationierung von Atomwaffen ins Spiel (die in fünf Minuten Moskau erreichen könnten).

Für ihren Kriegskurs hat die rechtsradikale ukrainische Regierung wohl noch immer die Unterstützung der Mehrheit der eigenen Bevölkerung, insbesondere angesichts der jetzigen militärischen Erfolge – in Deutschland war es zu Anfang des Zweiten Weltkrieges nicht anders.

Nationalistische Verblendung hat aber mit den Interessen der arbeitenden Menschen nichts zu tun. Als Solidarität bezeichnet man die gegenseitige Unterstützung der arbeitenden Klassen, und zwar international. Nationalisten aber sind per se Gegner der Arbeiterschaft. Die Verschleierung der Klassengegensätze durch die vorgebliche „Einheit der Nation“ schwächt die Widerstandsmöglichkeiten. So ließ die ukrainische Regierung jetzt rigide Arbeitsgesetze beschließen, Parteien sind verboten, Parlamentsabgeordnete der russischen Minderheit sitzen im Knast. Was sich an innerer Repression abspielt, wird erst später ans Licht kommen. Und wird ein Erfolg der Rechtsradikalen bei der Wiedereroberung aller ehemaligen ukrainischen Territorien etwa die Position der Arbeitenden gegenüber der besitzenden Klasse der Oligarchen oder gegenüber dem ins Land drängenden westeuropäischem Kapital verbessern? Vermindert die Verlängerung des Krieges durch die westlichen Waffenlieferungen etwa das Leid der Zivilbevölkerung? Hätte die ukrainische Regierung auf die russischsprachigen separatistischen Gebiete und die Krim verzichtet, wie sie es in einer Schwächeperiode angedacht hatte, wäre dem Land viel Leid erspart geblieben.

Ultranationalisten kennen aber keinen Kompromiss, weder auf russischer noch ukrainischer Seite, und sie verlangen Aufopferung von der Bevölkerung. Die ukrainischen Rechtsradikalen würden durch Zugeständnisse bei einem Verhandlungsfrieden ihre innenpolitische Hegemonie verlieren. Sie kämpfen bis zum Sieg oder Untergang, auch wenn ihr ganzes Land dabei zur Trümmerwüste wird. Sie müssen zu Verhandlungen gezwungen werden – am besten dadurch, dass ihnen die Waffen ausgehen.

Solidarität gebührt den Kriegsopfern und den Vertretern von Arbeiterinteressen. Was dagegen die Rüstungslobbyistin Strack-Zimmermann mit Selenski verbindet, ist nicht Solidarität, sondern Kumpanei unter Kriegstreibern. Linke, die von Solidarität mit „der“ Ukraine reden, haben meist das Mitgefühl mit den Opfern einfach auf die Regierung übertragen.

2. Hilfe für die Opfer der russischen Aggression

Aber muss man nicht helfen, die ukrainische Bevölkerung gegen die russischen Gräueltaten zu verteidigen?

Abgesehen davon, dass bei uns über ukrainische Gräueltaten nicht berichtet wird, kann das Grauen am schnellsten durch ein Ende des Krieges beendet werden. Waffenlieferungen, hin- und herwogende Fronten und womöglich ein Atomwaffeneinsatz bei russischer Niederlage bewirken genau das Gegenteil. Was im Westen zu Waffenlieferungen treibt, ist Profit- und Machtstreben. Die Ukraine ist zudem durch die Waffenimporte hoch verschuldet; die Rückzahlung will sich der Westen nicht entgehen lassen.

Die Hilfsbereitschaft für die Geflüchteten ist groß. Spendenaktionen aber, die im deutschen Namen Hilfe an die Ukraine leisten, verstärken auch positive Einstellungen gegenüber dem eindringenden westlichen Kapital. Sollen Linke das wollen?

Der Wiederaufbau wird ein glänzendes Geschäft für deutsche Unternehmen werden, von dem aber die arbeitende Bevölkerung nichts hat. Das westliche Kapital wird die Ukraine als Billiglohnland nutzen. Wer in Westeuropa vom Verkauf seiner Arbeitskraft lebt, hat davon nichts Gutes zu erwarten.

3. Die Demokratie

Von Demokratie ist in der Ukraine nur übriggeblieben, dass der Präsident – ein korrupter Günstling einer Oligarchenfraktion – gewählt worden ist. Demokratische Auseinandersetzung gibt es in der Ukraine nicht mehr, Freiheit nur noch für die Parteigänger des nationalen „Freiheitskampfes“ gegen die Russen. Die demokratischen Freiheiten sind abgeschafft.

4. Die Freiheit

Kann schon von inneren Freiheiten nicht die Rede sein, so macht der Kampf für die Freiheit von drohender russischer Herrschaft nur den Weg frei für die unumschränkte Herrschaft ukrainischer Oligarchen und des westlichen Kapitals. Um Freiheit für die arbeitenden Menschen handelt es sich dabei nicht. Der einzig vernünftige Ausweg, die Waffen zu drehen gegen die jeweiligen Ausbeuterklassen, ist auf beiden Seiten verstellt und damit völlig unrealistisch: einen Sozialismus wollen nach den repressiven Sowjeterfahrungen weder Ukrainer noch Russen zurückhaben. Es wird lange dauern, bis sich das ändert, falls überhaupt Zeit dafür bleibt. Vielmehr lockt die glitzernde individuelle Freiheit Westeuropas. Besonders die internetaffine jüngere Generation im Westen erkennt die Ähnlichkeit ihrer ukrainischen Altersgenossen im Freiheitsindividualismus, sieht aber nicht deren völlig andere politische Einstellung.

Aber kämpfen die Ukrainer nicht auch für „unsere Freiheit“? Dieser Gedanke unterstellt, dass die schwache russische Armee bis nach Westeuropa vordringen und es besetzt halten könnte, um die Produktivkräfte den russischen Oligarchen zu unterwerfen. Das ist vollständig absurd.

Ein Land, das US-Stützpunkte und -Kommandozentralen auf dem eigenen Territorium duldet inklusive amerikanischer Atomwaffen, deren Einsatz die eigene Vasallenarmee trainiert, redet von Freiheit?

Als Feld zur Durchsetzung der Menschenrechte eignet sich der Ukrainekonflikt also nicht im Geringsten. Wie ernst es unserer Regierung mit den Menschrechten ist, sieht man im Mittelmeer, wo sie Zehntausende Flüchtender ertrinken lässt und das mörderische Vorgehen der libyschen Küstenwache fördert.

Für Demokratie und Selbstbestimmung wird unter einer Führungsmacht gekämpft, deren militärische Untaten ständig dagegen verstoßen. Selbstverständlich kann man eine Nation, die auf Landraub, Völkermord, Sklaverei, kapitalistischer Ausbeutung und Imperialismus beruht, aber ihre Massenverbrechen stets gut geschmiert von der weißen Mehrheitsgesellschaft demokratisch zu legitimieren verstand, für die Vorkämpferin der Demokratie halten und sich ihrer Politik anschließen – solange gemütlicher Wohlstand den Vasallen noch die Hirne verklebt. Die USA sind noch vor keinem Massenmord zurückgeschreckt, wenn er nur in den Mantel der „Freiheit“ gesteckt werden konnte.

5. Das Völkerrecht und das Selbstbestimmungsrecht der Völker

Schön wäre es, wenn es ein funktionierendes Völkerrecht gäbe. Auch wenn dies ein eigener Zweig der Jurisprudenz ist, erwächst aus Paragraphen keine Kraft.

„Ein angegriffener Staat hat das Recht, sich zu verteidigen.“ Abgesehen von dieser Binsenweisheit ist es mit der Souveränität der Staaten nicht weit her: die Mächtigen brechen das Völkerrecht, wann immer es ihnen passt, und verlangen seine Einhaltung, wenn es ihnen nützt. Siehe Kosovo und Irak. Keine Instanz ist da, die seine Einhaltung sanktionieren könnte. Wir haben keine Weltregierung, der UN-Sicherheitsrat ist gespalten und zahnlos. Welche Gottheit erlaubt oder verbietet es der freien Selbstbestimmung eines souveränen Staates, Atomraketen gegen seinen Nachbarn aufzustellen? Das angebliche Selbstbestimmungsrecht der Völker reduziert sich auf Machtfragen und ihre propagandistische Verschleierung.

Völker bestehen aus Klassen, und welches Schicksal die herrschenden Ausbeuterklassen für ihr Land selbstbestimmen, ist nur sehr selten im Interesse der arbeitenden Menschen. Frei selbstbestimmen können die Völker, wenn im Inneren nicht mehr Profitzwänge ihr Leben bestimmen, und wenn keine Staaten mehr – von solchen Zwängen getrieben – ökonomisch oder militärisch in die Lebensräume ihrer Nachbarn expandieren wollen. Das liegt noch in weiter Zukunft.

Nur plump zu nennen ist eine Argumentation, die aus dem ukrainischen Selbstverteidigungsrecht ableitet, dass man „die“ Ukraine dabei auch unterstützen müsse.[1] Es ist eben nicht egal, welche Ziele die dortige Regierung verfolgt.

6. Die Nationsbildung

In einem Positionspapier zur Diskussion des Wahldebakels der LINKEN wird sogar die ukrainische Nationsbildung durch Krieg begrüßt[2]. Der Autor befindet sich offensichtlich im falschen Jahrhundert – wir leben in einer Zeit, in der bereits die Bedingungen für die soziale Befreiung herangereift sind. Man darf hier auch daran erinnern, dass die deutsche Nationsbildung durch die Einigungskriege des 19. Jahrhunderts im Größenwahn und den beiden Weltkriegen gipfelte.

7. Die europäische Friedensordnung

Die westlichen KriegstreiberInnen werfen Russland vor, es habe die europäische Friedensordnung zerstört. Eine europäische Friedensordnung hat es aber nicht gegeben, nur eine westeuropäische Aufmarschordnung. Trotz wiederholter Bitten ist Russland in eine Friedensordnung nicht einbezogen worden. Der NATO-Aufmarsch verlief bisher ohne entschiedenen Widerstand Russlands. Diese Zeiten sind allerdings vorbei.

Der Westen hat „Fehler“ gemacht, wie manche Linke nachbeten? Welche geopolitische Bedeutung die Ukraine hat und welche Wichtigkeit für den großrussischen Chauvinismus, das hat die Politik der EU gar nicht gewusst? Mit dem EU-Assoziierungsabkommen hat das deutsche Kapital versucht, die Ukraine aus dem russischen Einflussbereich herauszubrechen, und damit den militärischen Konflikt bewusst in Kauf genommen. Leider wollte Russland dann weder die ostukrainische Schwerindustrie noch die Krim samt Schwarzmeerflotte herschenken. Das hat den ukrainischen Ultranationalismus und die Russenfeindschaft so bestärkt, dass die USA nur noch Militärhilfe hineinpumpen mussten, um den exemplarischen Kampf für „Freiheit“ vorzubereiten. Es brauchte nur den Auslöser, um Russland in die Falle einer offensichtlichen brutalen Aggression zu treiben – dazu wurde die Ukraine vom damaligen Vizepräsidenten Biden höchstpersönlich angefeuert, für die Rückeroberung der besetzten Gebiete weiterzukämpfen, und die Nato-Mitgliedschaft versprochen. Das Minsker Abkommen wurde so ständig mit Kriegshandlungen gegen die Separatistengebiete gebrochen. Während des russischen Aufmarschs vor der Ukraine wurden nicht, wie manche Mitglieder der Linkspartei behaupten[3], Kompromisse angeboten – die zentrale russische Forderung nach Garantien für den Rückzug der NATO-Truppen von den russischen Grenzen hat der Westen vielmehr hohnlachend als völlig unrealistisch zurückgewiesen.

Nach Feldzügen mit Kaiser und Führer hat die deutsche Bourgeoisie die Ukraine jeweils wieder hergeben müssen – jetzt reiten die moralistisch durchgeknallten Grünen auf der Menschenrechtsideologie voran, und kämpfen und sterben lässt man die UkrainerInnen. Die Kosten werden den Werktätigen auferlegt.

Kriegsziel ist mittlerweile nicht nur die völlige Einverleibung der Ukraine in den westlichen Machtbereich, sondern die langfristige Schwächung Russlands, das dann erpressbar wird. Brav folgen die UntertanInnen ihrem amerikanischen Herrn und Meister, für dessen Interesse der Zerfall Russlands das Beste wäre – dann könnte man die asiatischen Vasallen Russlands herausbrechen und neue Nationsbildungen jenseits des Kaukasus fördern, um China auch vom Land her einzukreisen. Zudem wird die eurasische Integration verhindert und der russische Weltmachtkonkurrent vor den Augen der Welt geschwächt – damit schlagen die USA drei Fliegen mit einer Klappe. Wenn Russland dann auch bei der Modernisierung seiner Atomstreitmacht und seiner Abwehrsysteme nicht mehr mithalten kann, haben die USA freie Hand, den Krieg gegen China vom Zaun zu brechen, um die Vormacht ihres Imperiums zu retten. Gegenwärtig erleben wir, wie die Bevölkerung von den Medien darauf eingestimmt wird. Zunächst aber wird geprobt, wie weit sich ein Krieg unterhalb der Atomschwelle führen lässt – wenn‘s schief geht, tragen die Europäer die Folgen. Eines der Szenarien in der Strategiekiste der US-Militärs ist der auf Europa begrenzte Atomkrieg.

Ein Totalverlust der Ukraine würde wohl kaum von der Mehrheit der russischen Bevölkerung akzeptiert und passt weder mit dem Großmachtchauvinismus noch mit Putins Nimbus als Vater des russischen Wiedererstarkens zusammen. Der Einsatz von Atomwaffen gegen die Westukraine wird deshalb immer wahrscheinlicher. Die Verantwortung dafür tragen die westlichen Waffenlieferanten, die USA und ihre schwanzwedelnden UntertanInnen.

Intellektuelle, die vor dieser Entwicklung warnen, auch Militärs und sogar Angela Merkel, werden als Feiglinge und Abweichler lächerlich gemacht, während geifernde JournalistInnen, ein faschistischer Botschafter und kriegshetzende „Sachverständige“ sich in den Medien herumwälzen können: Russland werde sich den Atomeinsatz schon nicht trauen, die Angst sei die eigentliche Waffe, von der wir uns nicht einschüchtern lassen sollen.

Wer einmal in Hiroshima war, kann ermessen, mit welchem Grauen diese MaulheldInnen leichtfertig herumspielen. Alles wird getan, um die Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen und Gegenbewegungen gegen den Kriegskurs abzuwürgen. Wenn Russland Atombomben auf die Westukraine wirft, wird diese Leute eine Mitschuld treffen. Selbst wenn die atomare Eskalation auf die Ukraine begrenzt bliebe, würde Russland die Bombe kaum bei Westwind einsetzen. Die Verblendung der getreuen Gefolgsleute schließt die eigene Opferung mit ein.

75 Jahre Gefolgschaft für die USA machen die deutsche Bourgeoisie unfähig, sich aus der potenziell tödlichen Umarmung zu befreien. Nun wird neben dem kleingeredeten atomaren Risiko allerdings der Rezessionsabgrund sichtbar, auf den die fanatischen Grünen mit ihrer Verweigerung von Energieabnahme die deutsche Wirtschaft zutreiben. Zarte Versuche bürgerlicher Politiker zum Umsteuern gipfeln in der Überlegung, wieder Gas aus Russland zu beziehen, und werden sofort als unanständig niedergemacht. Für die Bourgeoisie akzeptables politisches Personal, das solche Forderungen vertreten könnte und sich nicht in populistischer Geltungssucht kriegslüstern aus dem Fenster gelehnt hat, findet sich auch nicht. So geht die Führungsaufgabe tendenziell auf die Arbeiterklasse über, die diese Zwangsbindung an die USA nicht hat. Zurzeit sind zumindest in Deutschland noch keine Ansätze zu sehen, dass sie diese Aufgabe auch wahrnimmt.

Die Initiativen zur Vergesellschaftung der Energiekonzerne und der Rüstungsindustrie, zum Schließen der amerikanischen Militärstützpunkte und dem Austritt aus der Nato finden noch wenig Widerhall und Unterstützung bei den Lohnabhängigen.

Linke Parlamentsgläubige landen bei der Kriegspartei – 1914 als Drama, heute als Farce.

Damit sich die politische Enthaltsamkeit der Lohnabhängigen zur Kriegsfrage ändert, wären deutliche Worte der LINKEN im Parlament ein guter Beitrag. Stattdessen treffen entsprechende Äußerungen von Sahra Wagenknecht oder Sevim Dağdelen auf wütende Proteste in der eigenen Fraktion und Partei. Man wird ja blamiert in der Aula des Parlaments und als potenzieller Koalitionspartner nicht mehr ernst genommen. Die Anpassung an die Mehrheitsmeinung ist so weit fortgeschritten, dass überzeugte Sozialisten die Partei bereits verlassen.

Ein besonderer Prüfstein bei diesen Auseinandersetzungen ist die Haltung zur Unterstützung der Ukraine und zu den westlichen Waffenlieferungen geworden.

In Vorbereitung auf den Parteitag der LINKEN kursierten mehrere Papiere, die – angesichts des Wahldebakels – mehr parlamentarische Anpassung verlangten, einschließlich „Offenheit“ gegenüber der NATO. Die Argumentationen dieser Aufsätze verdienen nähere Befassung, weil sich daran zeigen lässt, welche unabsichtlichen Kurzschlüsse und absichtlichen Verdrehungen auf derart abschüssige Bahn führen können. Große Teile der Linken und der Grünen argumentieren ähnlich. Näher betrachtet werden hier exemplarisch zwei Artikel, „Nach der Wahlniederlage und vor dem Parteitag“ von Köhler, Nies, Prescher und Wenzel [4], der Positionen von der Arbeiterklasse enttäuschter Intellektueller widerspiegelt, und „DIE LINKE und der Krieg: Erneuerung oder Niedergang“ von Paul Schäfer[5], einem Militärpolitiker der LINKEN.

Gemeinsam ist den Autoren die Sorge, dass die LINKE nach den nächsten Bundestagswahlen nicht mehr im Parlament vertreten sein könne, und so fragen sie sich, wie man wieder mehr Wähler gewinnt oder zurückgewinnt. Auf eine Ausweitung der Klassenbasis durch Unterstützung von Klassenkämpfen setzen die Autoren ausdrücklich nicht, und so argumentieren sie mit der Glaubwürdigkeit für eine Wählerschaft, die – so die Vermutung – die LINKE wählen würde, wenn diese eine realistische Machtoption entwickelt, ihre Vorstellungen also potenziell in der Regierung umsetzen kann. Dazu muss man von Koalitionspartnern akzeptiert werden. Wie viel von linken Positionen in solch Koalitionen umgesetzt werden kann – und ob da nicht Enttäuschungen produziert werden, wird dabei nicht debattiert.

Diese Debatte ist recht alt, sie wird geführt seit dem Regierungseintritt des französischen Sozialisten Millerand 1899. Rosa Luxemburg bemerkte dazu: „Steht hinter unserer gesetzlichen, parlamentarischen Tätigkeit nicht die Gewalt der Arbeiterklasse, jederzeit bereit, im Notfall in Aktion zu treten, dann verwandelt sich die parlamentarische Aktion der Sozialdemokratie in einen ebenso geistreichen Zeitvertreib wie zum Beispiel das Wasserschöpfen mit einem Siebe.[6]

Zur Glaubwürdigkeit und zum Ernstgenommenwerden gehört für die Autoren aktuell vor allem eine solche Beurteilung des russischen Krieges gegen die Ukraine, die die Linke nicht ins Abseits stellt.

Völlig neu zu bewerten sei die Lage heute, meinen sie wie viele andere Linke auch, weil mit dem russischen Angriff Demokratie und Freiheit bedroht seien (zu Demokratie und Freiheit in der Ukraine ist weiter oben genug gesagt worden).

Ein solcher Schwenk geschieht nicht zum ersten Mal. Auch 1914 hielten viele bekannte linke Oppositionelle in der SPD die Lage für völlig neu und neu zu beurteilen – dass Kanzler, Kaiser und Außenministerium die russische Mobilmachung herbeigetrickst hatten, wussten sie nicht. Für Partei- und Gewerkschaftsführung war es ein leichtes, die Zustimmung zum Kriege und den Verzicht auf Tarifkämpfe durchzusetzen. So schlossen sich auch die meisten Linken in der SPD der Einheit der bedrohten Volksgenossen an – Klassenstandpunkt und Klassenkampf waren vergessen und verloren. Das hat den Widerstandswillen gebrochen, der sich in den Tagen vor Kriegsbeginn noch in gewaltigen Massendemonstrationen geäußert hatte – und Millionen den Tod gebracht, darunter auch Zehntausenden von Gewerkschaftsmitgliedern und Sozialdemokraten. Nur das kleine Häuflein um Rosa Luxemburg behielt einen klaren Kopf und wurde dann zur Keimzelle der Revolution von 1918.

Hätte zuvor die SPD-Parteiführung mehr Gewicht auf die Einbeziehung und politische Aktivierung der Massen gelegt, wie von Rosa Luxemburg über Jahre gefordert, hätte ein Gegengewicht gegen den Kriegseintritt entstehen können. Damals hatte die Sozialdemokratie noch den dazu nötigen Einfluss auf die Massen. Heute sind die Linken von der Arbeiterklasse isoliert, und es ist daher verständlich, dass Parteipolitiker der LINKEN sich umso leichter unkontrolliert auf Parlamentstätigkeit und das zugehörige Gehabe kaprizieren können. Gerade wegen ihrer gesellschaftlichen Schwäche fragen sie sich „Welche Wähler braucht die Partei?“ – sie fragen sich nicht, welche Organisation die arbeitenden Menschen für ihre Emanzipation brauchen. Sie wollen mit Programmvorschlägen WählerInnen überzeugen. Dazu sollen realistische Politikkonzepte entwickelt werden, die die Chance auf parlamentarische Machtoptionen (sprich: Regierungsbeteiligung) eröffnen. Um ernst genommen zu werden und nicht abseits der Mehrheitsmeinung zu stehen, gehört dazu auch ein positives Verhältnis zur Nato. Mit wem welche Reste linker Positionen dann eventuell umgesetzt werden können, bleibt im Nebel verborgen.

Paul Schäfer, ehemaliger verteidigungspolitischer Sprecher der LINKEN-Bundestagsfraktion, legt Wert darauf, dass die Partei die „Verteidigungspolitik“ künftig mitgestalten und verbessern kann, um militärische Konflikte zu vermeiden. Dazu kommt es ihm auf glaubhafte Argumentation der LINKEN an.

Da er an solche Wirkungsmöglichkeiten des Parlaments glaubt, muss Schäfer Hinweise auf die Bedingtheit von Kriegen durch Kapitalismus und Imperialismus als „nicht sonderlich originell“ abtun. Damit hat Schäfer jedoch nicht widerlegt, dass der Druck zur politischen und militärischen Expansion wächst, wenn die Profitraten in der materiellen Produktion nicht mehr gesichert werden können und sich deshalb die Billionenwerte in der Finanzspekulation herumtreiben. Als fundierter Kritiker der diversen Imperialismustheorien erweist sich Paul Schäfer hier nicht.

Um sich an die herrschende Meinung anzupassen – die, wie Schäfer wissen sollte, die Meinung der Herrschenden ist – wird der Vorlauf des Krieges ein bisschen verdreht: Russland seien Kompromisse angeboten worden (dazu siehe oben). Aber es kommt noch dicker: Das Putin-Regime hat die Ukraine überfallen, „obwohl das Land weder eine autonome noch eine Bündnis-gebundene Bedrohung darstellt“ (!)

Mit der Behauptung, weil Russland angegriffen habe, könne es keine Äquidistanz geben, suggeriert der Autor dann, man müsse immer auf Seiten des Angegriffenen stehen. Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung. Als Bismarck 1870 die französische Kriegserklärung provozierte, wer war denn da der Aggressor?

Die LINKE soll sich Paul Schäfer zufolge als konsequent demokratische Kraft verstehen (von Sozialismus ist schon nicht mehr die Rede), die an breiten demokratische Allianzen einschließlich Staaten und Staatengruppen mitwirkt. Lauert da nicht im Hintergrund die amerikanische Strategie „Demokratien gegen autoritäre Staaten“, hinter der sich die Sicherung der amerikanischen Weltdominanz verbirgt?

Schäfer geht es nicht um die Weiterentwicklung demokratischer Verhältnisse hin zu kollektiver Befreiung. In einem ungeschickten Griff in die Geschichtskiste bemüht er vielmehr die verfehlte Politik der KPD in den 30er Jahren, um den Wert der bürgerlichen Demokratie zu belegen. Richtig daran ist, dass sich die KPD mit ihrer verbalradikalen Politik gegen die SPD damals der Möglichkeit beraubt hat, durch gemeinsame Aktionen die Hegemonie für die Abschaffung des Kapitalismus in der Arbeiterschaft und in Teilen der Gesellschaft zu erringen. Dass aber in der Krise ein Verzicht auf eigene Stärke und sozialistische Perspektive – zugunsten gemeinsamer Politik mit bürgerlichen Schichten – in die Niederlage führt, hat nicht zuletzt der spanische Bürgerkrieg gezeigt: der von Moskau mit Gewalt durchgesetzte Abbruch von Fabrik- und Landbesetzungen im Interesse bürgerlicher Koalitionspartner hat der spanischen Revolution das Rückgrat gebrochen.

Die Parteinahme für die Ukraine unter dem Deckmantel der Verteidigung der Demokratie (zur Demokratie in der Ukraine siehe oben) soll die LINKE offensichtlich salonfähig machen, und so muss Schäfer auch Lösungsvorschläge unterbreiten, wie der Krieg beendet werden kann, ohne die Ukraine „wehrlos der russischen Aggression auszuliefern“ – er spricht sich denn auch dafür aus, durch „Unterstützung der militärischen Gegenwehr“ – sprich: Waffenlieferungen – und durch Sanktionen maximalen Druck auszuüben und den Preis für die Aggression maximal hochzutreiben – unter Beachtung der damit verbundenen Risiken. Also auch die LINKE soll helfen, am Rande des Weltkrieges herumzuschlittern, und das „unter Abwägung des Risikos“ – wer wägt da ab? Der verteidigungspolitische Ausschuss unter seiner Vorsitzenden, der Rüstungslobbyistin Strack-Zimmermann? In solcher Zusammenarbeit landet man, wenn man oben mitspielen will um jeden Preis. Eine inhaltliche Begründung, warum man Partei nehmen soll für ukrainische Ultranationalisten im Kampf gegen den russischen Ultranationalismus, findet sich nicht.

Bis eine weltweite Abrüstung durch Verhandlungen und Abkommen erreicht sei, so Paul Schäfer, müssten wir uns mit der Existenz von Streitkräften arrangieren – die auf Verteidigung ausgerichtet sein und nur im Einklang mit der UN-Charta eingesetzt werden sollen, wobei es immer um gerechte Friedenslösungen gehen soll. Wer grenzt die Streitkräfte auf diese Aufgaben ein? Wieder Strack-Zimmermann? Zweitens erlaubt diese Definition natürlich Waffenlieferungen an die Ukraine, um eine gerechte Friedenslösung zu erreichen – wobei wieder zu fragen wäre, wer denn da die Gerechtigkeit definiert. Auf solcher schwammigen Grundlage, so will es der Autor, soll die LINKE konstruktive Vorschläge zum Auftrag der Truppe und ihrer Ausrüstung machen. Das soll der LINKEN „neue Wirkungsmöglichkeiten“ eröffnen.

Offensichtlich ist hier nicht der Maßstab des Handelns, wie man Massen – am besten die Arbeiterbewegung – zum Widerstand gegen den Krieg mobilisieren kann. Dann müsste man ja auch auf die enge Verknüpfung von kapitalistischer Ausbeutung und Kriegstendenz hinweisen – und das ist nicht modern.

1870 haben Bebel und Liebknecht im Reichstag des Norddeutschen Bundes ihre Zustimmung zu den Kriegsausgaben verweigert – dynastischen Kriegen könnten sie grundsätzlich nicht zustimmen. Als die Bismarck‘sche Provokation des Krieges und sein Eroberungscharakter deutlich geworden waren, haben sie sogar dagegen gestimmt. Ein Entrüstungssturm gegen die „vaterlandslosen Gesellen“ war die Folge – aber auch eine Stärkung des Ansehens der Sozialdemokratie in der Arbeiterschaft und international. Je mehr sich Arbeiterbewegung und SPD aber ins System integrierten und den Grundsatz „diesem System keinen Mann und keinen Groschen“ aufgaben, nahm auch ihr Widerstand gegen den Militarismus ab; 1913 stimmte die Reichstagsfraktion der Finanzierung einer Rüstungsvorlage zu. Die Folge dieser Entwicklung war die Zustimmung zu den Kriegskrediten und der Zusammenbruch des Widerstands gegen den Krieg 1914.

Notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung für die Verhinderung von Kriegen ist die Abschaffung der gesellschaftlichen Herrschaft des Profitzwangs. Das ist langwierig und zurzeit unrealistisch. Aber das kann sich ändern. Darauf müssen Linke sich vorbereiten, statt Illusionen zu schüren, parlamentarisches Argumentieren könne die Aktion der Massen ersetzen.

Der hier vorgezeichnete Weg der Anpassung, der die LINKE letztlich nicht mehr unterscheidbar macht von der SPD, gibt die Stärkung der eigenen gesellschaftlichen Basis auf und schwächt die gesellschaftliche Linke insgesamt.

Die Autoren Köhler, Nies, Prescher und Wenzel machen sich auf die Suche nach dem vielversprechendsten Wählerreservoir für die Partei und wollen eine „Vielzahl an politischen Strömungen als Sammelbecken linker Politik entwickeln“.

Da Umfragen zeigten, dass sich Wechselwähler*innen auf machbare Forderungen und Regierungsbeteiligung orientieren, wird „ein konsequenter sozial-ökologisch gerichteter und reformpolitischer Pragmatismus“ eingefordert mit überzeugender Regierungsorientierung.

Daneben will man wegen der eigenen Parteibasis auf neo-sozialistischen Utopien nicht verzichten.

So werden einerseits Positionen unterstützt, die bei konsequenter Umsetzung systemsprengend sind und der Mobilisierung nützen können (Enteignung der Energiekonzerne und großen Wohnungsunternehmen), andererseits sollen zu allen wichtigen politischen Themen Vorschläge ausformuliert werden, die sich für die WählerInnen gut anhören. Da man sich klar darüber ist, bei der gegenwärtigen Schwäche nur die Rolle eines Korrektivs spielen zu können, aber die Regierungsbeteiligung anstrebt, ist man sich auch der Tatsache bewusst, dass nur umsetzbar ist, was die Koalitionspartner und die politische Lage zulassen. Ehrlich wäre es, den WählerInnen zu sagen, „wir haben diese und jene schöne soziale Vorstellung, aber in der Regierung werden wir fast nichts davon umsetzen können.“ So aber sind auf die verschiedenen WählerInnengruppen zugeschnittenen Programmaussagen Versuche, diese hinters Licht zu führen. Die Enttäuschungen sind vorprogrammiert.

Zwar soll an sozialer Orientierung, sozial-ökologischer Transformation und neo-sozialistischen Utopien festgehalten und der weltweite Finanzkapitalismus „problematisiert“ werden, aber: „Weitreichende Ziele sind politisch wichtig, aber gegenwärtig nicht durchsetzbar.“ Wer soll sie denn irgendwann durchsetzen? Da sagen die Autoren, ohne die materielle Basis der tausend Stellen und die Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, die durch die Anwesenheit in den Parlamenten geschaffen worden sind, könne linke Politik nicht aus der Randexistenz herauskommen. Um diese Basis zu erhalten, gelte es die „linksaffinen Wechselwähler*innen“ zu gewinnen, bevor an eine politische Expansion zu denken sei. Und: Linke Bewegungen bräuchten im Sinne eines Mosaiks unterschiedliche soziale Bewegungen, um ein Gegengewicht gegen Neoliberalismus und Neo-Imperialismus bilden zu können. Im Parlament?? Wie diese Bewegungen sich gegen die herrschende Klasse durchsetzen sollen, können die Autoren nicht beschreiben.

Deutlich werden sie hingegen, wie es angeblich nicht geht: Eine Fokussierung auf die Interessen der Lohnabhängigen schlösse andere linke Wählerreservoire aus, verstoße gegen die universelle Gleichheit der Menschen (!) und sei in den 70er und 80er Jahren krachend gescheitert. Es habe sich gezeigt, dass die Arbeiterklasse nicht zum revolutionären Subjekt mobilisiert werden konnte. Eine Politik, die sich darum dreht, die Grenzen von Reformen aufzuzeigen und darüber soziale Bewegungen voranzutreiben, habe keine Chance, weil die Ziele nach dem Scheitern des Staatssozialismus nicht mehr plausibel seien, und der Weg dahin über die Mobilisierung der Arbeiterklasse nicht mehr überzeugend. Damit geben sie jeglichen Sozialismus auf, dem sie unterstellen, er werde dem Staatssozialismus ähneln. Rosa Luxemburg hatte in der Auseinandersetzung mit Bernstein deutlich gemacht, dass der sozialistische Charakter der Tageskämpfe in der Verbindung mit dem Ziel der Machtübernahme besteht, also im demokratischen Lernprozess der Massen, dass die kapitalistische Klassenherrschaft gestürzt werden muss.

Es ist richtig, dass die Arbeiterklasse von den Studenten nicht zum revolutionären Subjekt mobilisiert werden konnte. Die verschiedenen Fraktionen der Arbeiterklasse setzen ihre halbwegs sichere Lebensstellung nur aufs Spiel, wenn sie das tun müssen, nicht, wenn ihnen etwas eingeredet werden soll. Erhoffte, entscheidende Aktionen der Arbeiterklasse sind ausgeblieben – so ist sie wohl selbst schuld, wenn die Intellektuellen sich abwenden. Mit „krachend gescheitert“ meinen die Autoren anscheinend sich selbst. Was hier deutlich wird, ist vor allem deren voluntaristisches Politikverständnis, der Wille könne sich über Rahmenbedingungen hinwegsetzen. Das Scheitern der K-Gruppen, die nach der Studentenbewegung den Leninismus nachgespielt haben, war allerdings bereits die Farce. Als Tragödie gescheitert ist der Ansatz „Schart Euch um die Partei, sie wird Euch zum Siege führen“ in den 30er Jahren. Damals war Lenins blanquistisches Konzept des Parteiaufstandes in allen kommunistischen Parteien kanonisiert worden – von seiner eigenen Partei war es vor der Oktoberrevolution allerdings stets abgelehnt worden: der Petersburger Arbeiter- und Soldatenrat hat die Kerenski- Regierung erst gestürzt, als diese praktisch bewiesen hatte, dass sie aus Rücksicht auf das Bürgertum weder die Landreform freigeben noch den Krieg beenden konnte – als „Alle Macht den Räten“ die Hegemonie im revolutionären Prozess erlangt hatte.

Unsere Aufsatzautoren suggerieren hier in Konsequenz das Scheitern des Marxismus: die Arbeiterklasse könne die Macht nicht erobern. Rosa Luxemburgs Klarstellung, dass die Arbeiterklasse selbst in ihren Kämpfen den Weg zu ihrer Machtergreifung lernen muss, scheint ihnen gänzlich unbekannt zu sein – jedenfalls tun sie so, um mit ihrer Konzentration auf den Parlamentarismus fortfahren zu können: Positionen zu „neo-sozialistischen Mischstrukturen unter der Hegemonie staatlich-gesellschaftlicher Steuerung“ böten Ausgangspunkte für Alternativen zum globalen Finanzmarktkapitalismus. Solche Konzepte kann man sich nach Meinung der Autoren anscheinend ausdenken und dann im Parlament umsetzen.

Dieser Ansatz, die eigene „radikale“ Position zugunsten bürgerlicher Koalitionspartner abzuschwächen, um im Parlament das wenige Realistische zu erreichen, schmälert das gesellschaftliche Gewicht der antikapitalistischen Kräfte und ist 1914 und 1933 mit fürchterlichen Konsequenzen gescheitert. Wer sich auf Reformen fokussiert, unterwirft sich der Logik des Kapitalismus. Die „unrealistischen“ sozialen Utopien, die bei der pragmatischen Politik hinderlich sind, dienen bei diesem Weg in die Sozialdemokratie schließlich nur noch als Staffage und werden dann ganz aufgegeben. „Wer Visionen hat, muss zum Arzt“, wie es Helmut Schmidt auf den Punkt brachte. Wenn so viel Zeit bleibt.

Um ihren Realismus zu beweisen, soll die LINKE auch in der Frage der NATO „Kompromissbereitschaft und Signale zur Unterstützung oder Mitarbeit“ zeigen. Die Autoren benutzen den Ukraine-Krieg als Vehikel zur Anbiederung an die populistische Mehrheitsmeinung, so wie sie von den kapitalistischen Medienkonzernen erzeugt wird. Sie argumentieren mit dem Völkerrecht, das durch einen Sieg über Russland gestärkt würde. Dazu sollten der Ukraine Waffen „nicht verweigert“ werden. Dass das Völkerrecht ein Verschleierungsinstrument ist, dürften sie als ehemalige Marxisten kaum vergessen haben.

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker bilde eine der „Voraussetzungen für eine demokratische Entwicklung“ und Ziel müsse es bleiben, ein kollektives internationales Sicherheitssystem zu entwickeln. Und wir haben immer gedacht, demokratische Entwicklungen hängen national wie international von der Überwindung des Profitzwangs ab, von der demokratischen Vergesellschaftung der Produktionsmittel.

Es ist wie bei jeder großen Krise: Ein Teil der Linken läuft über ins Lager der Bourgeoisie. Und wer sich an die herrschende Klasse anpasst, passt sich auch an ihre Kriege an. Was diesmal nach dem Krieg übrigbleiben würde, ist unklar.

Klaus Dallmer, 14.10.2022


[1] Köhler, Nies, Prescher und Wenzel, „Nach der Wahlniederlage und vor dem Parteitag“
[2] Paul Schäfer, „DIE LINKE und der Krieg: Erneuerung oder Niedergang“
[3] So Paul Schäfer, a.a.O.
[4] https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/nach-der-wahlniederlage-und-vor-dem-parteitag/
[5] https://www.links-bewegt.de/de/article/540.linke-und-der-krieg-erneuerung-oder-niedergang.html
[6] Rosa Luxemburg, Und zum dritten Mal das belgische Experiment, 1902


 

8 Kommentare

  1. Ich bin immer dankbar für klare Worte, die den Streit innerhalb der Linken nicht scheuen, sondern befruchten – ohne die Linke zu spalten. Das sehe ich auch bei diesem Artikel.
    Naja, die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts sind lange her. Ich glaube nicht, dass es damals eine sozialistische Perspektive in Deutschland, Spanien oder sonstwo gegeben hat. Sonst gäbe es heute irgendwo auf der Welt Sozialismus.
    Die Linke zerbröselt unter dem Druck der Weltmacht auf der anderen Seite des Atlantik. Vorgestern, 22.10.22, demonstrierten in Berlin ganze 3500 Leute gegen die Abwälzung der Kriegslasten auf die unteren Schichten („Solidarischer Herbst“), dabei war von Krieg noch nicht einmal viel die Rede.
    Wo ist der Kern, an dem sich eine politikfähige und zugleich antikapitalistische und ökologische Linke kristallisieren könnte?

  2. Das ist für mich die beste Analyse, die bisher zum Ukraine-Krieg geschrieben wurde.
    Gerade mit ihren Bezügen zur alten SPD und den deutschen Großmachtversuchen.
    Aber kein Licht ohne zumindest etwas Schatten: Da sind einige Punkte drin, die ich kritikwürdig finde:
    a) der Verfasser schreibt: Rußland sei ein „stagnierender russischer Rohstoffimperialismus“.
    Die Sowjetunion und jetzt Rußland waren und sind mehr als das. mehr als ein Rohstofflieferant (Neo-Extraktivismus). Das mag auf Staaten in Afrika und Lateinamerika zutreffen. Rußland darauf zu reduzieren, damit liegt er daneben.
    Dann halte ich auch die Bezeichnung Imperialismus für Rußland für fragwürdig. Einen Begriff aller bürgerlichen Medien, der alten Maoisten, aus ihrer Feindschaft zur Sowjetunion. Damit macht er eine Gleichsetzung von USA, Nato mit der Interessenpolitik Rußlands.
    Rußland ist für durch den Zusammenbruch der Sowjetunion zu einem geschwächten Staat geworden, nach 2000, dem Machtantritt Putins hat es sich wieder erholt. Hat Rußland aber imperiale Absichten wie USA und EU? Diese haben einen 15 fach größeren Rüstungsetat als Rußland, die USA hat 83 Militärstationen rund um Rußland und China. Rußland fast keine. Rußland ist für mich ein kapitalistischer Staat in der Defensive.
    Einen (ehemals maoistischen) Genossen, der auch vom russischen Imperialismus redet und argumentierte, daß jeder kapitalistische Staat imperialistisch sei, fragte ich: Dann sind Luxemburg und Liechtenstein für Dich imperialistisch?
    b) Der Verfasser schreibt: „Russland wird durch die Waffenlieferungen des Westens in eine Niederlage getrieben“
    Das sehen westliche Militärexperten aus USA, Österreich, Deutschland überhaupt nicht so, daß Rußland durch die Waffenlieferungen in eine Niederlage getrieben werden könne. Vielleicht sollte er sich mit deren Argumentation beschäftigen?
    c) Er schreibt von 10.000 Toten im Donbass seit 2014. Es sind 14.000 laut UNO.

    Dieter, Hamburg

  3. Nachsatz/Korrektur zu meinem Kommentar:
    Die USA haben nicht 83 Militärstationen… sondern 830 Militärbasen weltweit, die meisten zur Einkreisung von Rußland und China!
    dieter, hamburg

  4. Das ist wohl nicht gemeint: der Regierungseintritt von Millerand 1899, Es ist wohl gemeint : Mitterand 1981 (Präsidentachaft statt Regierungseintritt), ansinsten ein guter Text der KPO-Naxhfahren.

  5. Dieter Wegener hält „die Bezeichnung Imperialismus für Russland für fragwürdig“. Für ihn ist das eine unzulässige Gleichsetzung Russlands und seiner Interessen mit der NATO. Er fragt, ob Russland die gleichen „imperialen Absichten“ wie die USA und deren Verbündeten habe, ob es über die gleichen Machtmittel verfüge wie diese, und kommt zu dem Schluss, es handele sich bei Russland um einen „geschwächten kapitalistischen Staat“. Es geht ihm also offenbar um die Politik des Putin-Regimes und seine Möglichkeiten, also quasi um seine Subjektivität. Aber fragen wir uns mal genauer, was es denn objektiv seiner Struktur nach sei, ohne in der Kürze dieser Anmerkungen zu einem differenzierten Schluss zu kommen.
    Nehmen wir Lenins Imperialismusstudie als Referenz, so stellen wir m. E. fest, dass er nicht einzelne Länder untersucht und diese dann als imperialistisch identifiziert hatte. Seine Studie trägt vielmehr den Titel: „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus.“ Es geht ihm also – z. B. in der Auflistung der fünf berühmten einzelnen Kategorien, darunter etwa Kapitalexport, Kolonien – nicht darum, einzelne Länder zu identifizieren, sondern das globale Entwicklungsstadium des Kapitalismus seiner Zeit, in der sich die kapitalistischen Länder zwangsläufig bewegen. Das gilt m. E. auch heute.
    Nun führt D. W. einen Genossen an, der daraus ableitet, alle kapitalistischen Länder seien daher „imperialistisch“. Das ist – da hat D. W. in seiner Widerlegung Recht – offensichtlich Unfug. Wie kommen wir daraus? Ich meine, dass hier etwa die „Weltsystemtheorie“ (Immanuel Wallerstein, Giovanni Arrighi etc.) helfen kann. Sie teilen die kapitalistische Staatenwelt pragmatisch in drei Rangstufen ein: Zentrum, Semiperipherie, Peripherie (eine genauere Differenzierung würde hier zu weit führen). Ich meine, dieses Modell ist unter heutigen Lagen etwa so zu füllen: Ins Zentrum gehören die großen und schon länger als solche existierenden kapitalistischen Industriestaaten, die organisatorisch mit dem Rahmen der G 7 gefasst werden können; in die Semiperipherie alle Staaten der G 20, die nicht zur G 7 gehören, oder anders formuliert, die sogenannten BRICS-Staaten mit einem gewissen Umfeld; zur Peripherie alle anderen. Das Zentrum würde klassische imperialistische Staaten umfassen, die Semiperipherie die zweite Reihe ebenfalls imperialistischer, aber im Vergleich zu jenen schwächerer Staaten mit einem gewissen Aufstiegs- und Nachholbedarf. Imperialistische Länder wäre natürlich nur die, die in der Welt des Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus über die Ressourcen einer Großmacht verfügen, nicht Liechtenstein oder Burkina Faso.
    Was heißt das alles jetzt für eine Einschätzung Russlands im Vergleich zu seinen Gegnern in der aktuellen Konfliktlage. Wie gesagt, im Rahmen dieses Kommentars kann ich das nicht für einzelne Länder spezifizieren, die allgemeinen Aussagen müssen genügen. Zur aktuellen Situation Russlands möchte ich aber aus Anlass der Rede Putins auf dem sogenannten Vaidal-Forum (https://russische-botschaft.ru/de/2022/10/28/valdai-international-discussion-club-meeting/) noch eine Bemerkung machen:
    Die Abschlussrede von Putin auf dem Valdai-Forum hat m. E. mit einer materialistischen Analyse nichts zu tun. Mein Eindruck ist, dass er hier sein großrussisches Geschichtsbild, wie er es in seiner Rede am 22. Februar präsentierte, auf ein idealistisches philosophisches Niveau gehoben hat, um es besser kommunizieren zu können.
    Putin ist kein Dummkopf, er verfügt offenbar über Bildung im Bereich russischer Literatur und Philosophie, er ist kein Faschist. Aber wie seine Rede vom 22. Februar und viele andere Beispiele zeigen, ist er ein Anhänger, Vertreter und Ideologe des großrussischen Chauvinismus. Ideologen streben danach, ihre Lehre möglichst so zu formulieren, dass sie als Allgemeininteresse erscheinen oder zumindest große, überwiegende Teile einer Gesellschaft einbinden kann. Deshalb stellt er die Interessen und Handlungen des Westens und Russlands als prinzipiell verschieden und gegensätzlich dar: Gut und Böse, Schwarz und Weiß. Er hat dabei gerade auch aus unserer Sicht mit vielem recht, was er dem Westen vorwirft. Doch er sitzt dabei im Glashaus. Die Verklärung der Realität in Russland ist offensichtlich und unerträglich. Russland vertritt demnach Charaktere wie Objektivität, Toleranz, Aufgeklärtheit, Multikulturalität, während er gleichzeitig bspw. meint: „Wie wir mit unseren LGBT’s umgehen, ist unsere Sache“. Folklore für die Volksgemeinschaft, Toleranz für die Mächtigen. Das kann uns nicht egal sein. Nirgendwo ist hier von Klasseninteressen die Rede.
    Als Internationalist:innen können wir eine derartige Verzerrung der Wirklichkeit nicht akzeptieren, sondern müssen sie als das bezeichnen, was sie ist: Bornierte nationale Interessenvertretung zum Wohle der herrschenden Klasse.
    Der einzige positive Aspekt scheint mir folgende kryptische Formulierung zu sein: „Ich bin daher überzeugt, dass sowohl die neuen Zentren der multipolaren Weltordnung als auch der Westen früher oder später anfangen müssen, auf Augenhöhe über eine gemeinsame Zukunft zu sprechen, und zwar je früher, desto besser.“ Will er damit Bereitschaft zu Verhandlungen zwischen USA, EU, Russland und China andeuten, die zu einem Ende des Krieges gegen die ukrainische Bevölkerung führen könnten? Denn mit Verhandlungen muss der Krieg enden.

    • Der Titel der Schrift Lenins lautete ursprünglich NICHT „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus.“ SONDERN „Der Imperialismus als gegenwärtiges (heutiges) Stadium des Kapitalismus.“
      Die Titeländerung hat Stalin veranlasst (1929).
      Seither unterblieb es aber den jeweils gegenwärtigen Zustand des Kapitalismus zu analysieren und die spezifischen Umbrüche der Dekolonialisierung (um 1960) oder des Zusammenbruchs der Sowjetunion (um 1990) einzubeziehen.

  6. Warum ist heute in Russland und den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken kein Sozialismus?
    Um die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sowie die Lage der Menschen in Russland und den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken zu verstehen, reicht Blick auf die Länder. Wir müssen von der Ausgangslage mit den Revolution 1917 und dem Bürgerkrieg sowie dem Krieg gegen die Interventionstruppen aus den entwickelten kapitalistischen Industriestaaten bis 1921 ausgehen.
    Zwar war es eine siegreiche Revolution der kleinen Arbeiterklasse in einer kleinen Industrie, aber die große Mehrheit der Bevölkerung waren Bauern und die erhoffte Unterstützung durch Revolutionen in Deutschland und anderen europäischen Staaten blieb aus. Zwar vertrieben die Bauernarmeen schließlich die Interventionsarmeen, doch die Gesamtverhältnisse boten keine Grundlage für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft: Industrie und Arbeiterklasse waren unterentwickelt.
    Der Versuch, die private Landwirtschaft erst einmal weiterlaufen zu lassen, scheiterte nach ein paar Jahren: Weil die Bauern nicht die gewünschten Trecker aus den Städten geliefert bekamen, lieferten sie keine Lebensmittel. Die Sowjetunion war zu einer von Feinden umgebenen Festung geworden, die Rüstungsgüter, wie Panzer, brauchte.
    Die Sowjetführung stand vor der Entscheidung kapitulieren oder Zwangsmaßnahmen. Um die dringend notwendige Industrialisierung mit Lebensmittellieferungen abzusichern, wurde deshalb auf dem Lande eine Zwangskollektivierung bei den Kampfgenossen aus dem Bürgerkrieg durchgeführt, was Opfer mit sich brachte. Notwendig war nun auch eine Planwirtschaft.
    Für die Arbeit in den Bergwerken und neuen Fabriken. Die Bauernsöhne, die nur jahreszeitbedingte Landarbeit kannten, wurden gezwungen, in den Bergwerken und den neuen Fabriken zu arbeiten. Die so entstehende neue Arbeiterschafft konnte kein Klassenbewusstsein, kein Verantwortungsbewusstsein, kein initiatives eigenes Handeln hervorbringen. Sie kamen nur den Anweisungen von oben nach. Und die Regierung handelte abgehoben von der arbeitenden Bevölkerung.
    So konnte die SU die ins Land eingefallenen faschistischen deutschen Armeen, die die Kornkammer der Ukraine und die Bodenschätze für die imperialistische Politik, herrschende Klasse in Deutschland ausbeuten und den Versuch eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufzubauen, zerstören wollten, besiegen.
    Doch für das Ziel Sozialismus fehlen heute das Bewusstsein und die Kampfkraft der arbeitenden Bevölkerung, die nur auf Anordnung handelt: Der Privatisierung der sowjetischen Wirtschaft konnte sich die Arbeiterschaft nicht entgegenstellen.
    Um die Stagnation in der UdSSR zu überwinden, strebte Gorbatschow Ende der achtziger Jahre bessere Qualität in Landwirtschaft, Industrie und Verwaltung an und geht gegen Korruption vor. Er will die Eigeninitiative und Eigenverantwortung fördern und die Marktwirtschaft einführen. Die Produktion soll die Nachfrage ausgerichtet werden. Außenpolitisch fordert er Abrüstung, die er im Lande durchführt. Sein Vorgehen wird abgelehnt, andererseits als zu langsam kritisiert. Er kündigt das Ende des Warschauer Paktes an und 1991 wird die Auflösung der UdSSR und die Gründung der GUS beschlossen. Präsident Gorbatschow versuchte, die Industriearbeiter, direkt für seine Zielsetzung zu gewinnen, indem er sie vor der Versammlung einer Belegschaft vortrug. Er wollte sie zu Initiativen, selbständigem Handeln und Verantwortungsbewusstsein ermuntern. Doch seine Zuhörer reagierten nicht, blieben passiv. Er hatte also keinen Rückhalt in der Arbeiterschaft. Bergarbeiter hinter dem Ural, die in dieser Phase streikten, wurden nicht für gesellschaftlichen Reformen aktiv, sondern für ihren Lohn. Politisch denken und handeln war nicht ihre Sache.
    In der Folge erhielten die Arbeiter Anteile der Fabrik, in der sie arbeiteten. Da sie nichts damit anfangen konnten, war es für den Direktor der Fabrik ein Leichtes, den Arbeitern für ein geringes Geld die Anteile abzukaufen und damit Alleinbesitzer des Unternehmens zu werden. So entstand die mächtige Schicht der Oligarchen.
    10.11.22
    Uwe

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