Ein Noch-Mitglied der Partei Die Linke, Leser unserer Zeitung, hat uns die beigefügte Stellungnahme zur Verfügung gestellt. Sie zeigt beispielhaft, mit welchen Argumenten die linke innerparteiliche Opposition den Opportunismus der Partei in der Kriegsfrage kritisiert. Inzwischen haben sich nicht nur in Kassel, sondern auch in anderen Städten und Landesverbänden der Linkspartei Gesprächskreise gebildet, die den Anspruch haben, sich von einem Klassenstandpunkt aus in soziale, ökologische und Antikriegsbewegungen einzumischen. Bekannt sind bisher die AG Frieden und Antimilitarismus (Bremen), der Karl-Liebknecht-Kreis Brandenburg, Karl-Liebknechtkreis Sachsen-Anhalt, Liebknecht-Kreis Sachsen, LAG Innerparteiliche Bildung und Theorie Niedersachsen, Linksrum Hessen, Quo Vadis -Die Linke (Hamburg), Sozialistische Linke. Inzwischen findet auch der Versuch einer Vernetzung zwischen diesen oppositionellen Fraktionen statt. Der Ausgangspunkt dafür ist Folgender: „In Zeiten des Krieges gibt es nichts Wichtigeres als Frieden. Mit Erschrecken nehmen wir daher zur Kenntnis, wie die größte friedenspolitische Kundgebung seit Jahrzehnten, die am 25.02 in Berlin stattfand, auch in linken Kreisen als „rechtsoffen“ diffamiert wurde. Das Versagen insbesondere des Parteivorstands behindert den Aufbau einer starken Friedensbewegung und wirkt zerstörerisch in der eigenen Organisation.“ (Aus dem Aufruf zu einem zentralen Diskussionstreffen in Hannover am 6.5.2023)
Die Transformation der Partei Die Linke von einer sozialistischen und antiimperialistischen Klassenpartei zum linksliberalen Abbruchunternehmen
Der jämmerliche Opportunismus in der Kriegsfrage wesentlicher Kräfte in der Führung der Partei Die Linke, nicht nur vom Parteivorstand, sondern auch von zahlreichen Landesvorständen, entsprechenden Fraktionen und Hauptamtlichen, bis herunter auf Kreisebene ist schwer zu ertragen. Große Teile der Partei Die Linke haben sich in eine linksliberale, inhaltlich völlig entkernte und beliebige Funktionärspartei verwandelt. Diese Entwicklung drängt dazu, sich grundlegende Gedanken über den Substanzverlust in der Partei zu machen.
Indem nahezu die gesamte Führungsschicht der Partei die Vorgeschichte des Krieges und damit die Ursachen als irrelevant abtut, bezieht sie letztlich Position für die westlichen imperialistischen Mächte und ist damit ideologisch selber Anhängsel von Kriegsparteien geworden.
Die NATO-Expansion in Osteuropa seit 1997, der prowestliche Maidan-Putsch in der Ukraine 2014, die darauffolgenden Gewaltexzesse gegen Linke und Angehörige der russischsprachigen Bevölkerung der Ostukraine, den Bürgerkrieg im Donbass mit rund
14 000 Toten, die Integration faschistischer Gruppen in den ukrainischen Sicherheitsapparat und die Aufrüstung der ukrainischen Armee mit Milliardensummen der US-Regierung sind wesentliche Aspekte einer von wiederum miteinander konkurrierenden westlichen Mächten ins Werk gesetzten Eskalation, die auf diesen Krieg systematisch zugesteuert hat.
Auch mit dieser Erkenntnis muss man sich noch lange keine Illusionen über den Charakter des Regimes in Russland machen!
Spätestens seit 2008 war klar, dass jede russische Regierung das Überschreiten bestimmter roter Linien militärisch beantworten würde. Bürgerliche Stimmen wie Kissinger, Dohnanyi und andere haben seit mindestens 10 Jahren vor diesem Vabanque-Spiel gewarnt, natürlich in erster Linie im Interesse der friedlichen kapitalistischen Durchdringung der russischen Märkte.
Man muss sich die Logik geostrategischer Interessen und ihrer Durchsetzung in der bürgerlichen Staatenwelt nicht zu eigen machen, aber zur Kenntnis nehmen muss man sie schon, um das Handeln von Großmächten etwas besser zu verstehen. Wenn man realisiert, dass die Ukraine für Russland in etwa die gleiche strategische Bedeutung hat wie der karibische Raum für die USA, kommt man schnell darauf, dass der Versuch, dieses Land aus der russischen Einflusszone herauszulösen und der US-/EU-Einflusszone einzuverleiben, zu einem massiven, auch militärischen Konflikt führt.
Natürlich wird keine russische Regierung es hinnehmen, dass mit der (im November 2021 in der von den Regierungen der USA und der Ukraine beschlossenen „Charta der gemeinsamen SIcherheit“ avisierten) Stationierung US-amerikanischer Raketenbasen in der Ukraine die Vorwarnzeit vor einem militärischen Enthauptungsschlag in Moskau auf drei Minuten reduziert wäre. Das bedeutet nicht, die Motive der russischen Führung zu billigen, sondern eine kritische Distanz zur medial allgegenwärtigen Kriegspropaganda zu wahren und die Parteinahme für die westlichen politischen, ökonomischen und geostrategischen Interessen zu verweigern.
Auch die Verwandlung der Ukraine in eine ökonomisch völlig von US-amerikanischen Investoren und Hedgefonds abhängige Halbkolonie seit 2014, das Aufkaufen von rund einem Drittel der Agrarfläche des Landes durch diese Investoren und die Zurichtung der ukrainischen Wirtschaft auf die Bedürfnisse der westeuropäischen Märkte nach Zulieferindustrien mit extrem niedrigen Löhnen (gesetzlicher Mindestlohn bei Einführung 2015 bei umgerechnet 34 Cent, jetzt bei 1,21 Euro), einem nahezu komplett deregulierten Arbeitsrecht, marginalisierten Gewerkschaften und einer weitgehenden Entrechtung der ukrainischen lohnabhängigen Bevölkerung ist ein wesentlicher Teil dieser Eskalation, der hierzulande systematisch ausgeblendet wird.
Linke wie Gysi und Gehrcke haben, neben den oben genannten bürgerlichen Stimmen, spätestens seit 2014 das sich entwickelnde Szenario benannt und scharf kritisiert. Und nachdem genau das eingetreten ist, wovor viele seit langem gewarnt haben, stellt die Mehrheit (?) der Partei Die Linke und ein Großteil ihrer Parteiführung sich systematisch dumm und kommt über eine moralische Verurteilung der russischen Invasion seit dem 24.2.2022 nicht hinaus. Gleichzeitig flankiert sie die westlichen Kriegsanstrengungen, indem sie die Folgen des Wirtschaftskrieges für die lohnabhängige Bevölkerung in Deutschland gerne sozial abfedern möchte, aber vor dem Hintergrund des hierzulande größten Verarmungsprogramms der letzten Jahrzehnte jeden Zusammenhang zwischen Krieg, Sanktionen und Inflation in den von ihnen organisierten oder mitbeeinflussten Sozialprotesten negiert. Auch vermeintlich linkere und bewegungsorientierte Kräfte innerhalb der Partei sind teilweise auf diese Linie eingeschwenkt und haben im Herbst und Winter Inflationsproteste organisiert, die diesen Zusammenhang zwischen Preissteigerungen und Reallohnverlusten auf der einen Seite sowie der Eskalations- und Sanktionspolitik der deutschen Regierung auf der anderen Seite komplett aussparen. Genau diesen Zusammenhang herzustellen und zur Grundlage der eigenen Mobilisierung auf der Straße zu machen, wäre aber die grundlegende Aufgabe der hiesigen Linken gewesen.
Die Hauptaufgabe der deutschen Linken kann es in dieser Situation nicht sein, die russische Antikriegsbewegung zu stärken – das wäre die Aufgabe der russischen Linken – sondern den eigenen Imperialisten in den Arm zu fallen. Im Wesentlichen waren und sind es die politisch viel enger angelegten „Heizung, Brot und Frieden“-Bündnisse in einigen Städten, die diese Aufgabe wahrnehmen – weitgehend ohne Beteiligung der Partei Die Linke.
Eine nüchterne und kritische Infragestellung der imperialistischen Interessenkonflikte und insbesondere der Politik der USA und ihrer Juniorpartner in der EU findet im vorherrschenden Diskurs dieser Partei nicht mehr statt. Ersetzt wird sie durch eine hysterische Emotionalisierung von Politik, die jegliche rationale Debatte verunmöglicht. Ausgehend von diesem Tunnelblick verabschieden sich wesentliche Teile der Partei Die Linke von ihren bisherigen friedenspolitischen Grundsätzen und wandeln sich rasant zu kritischen Unterstützer:innen des US-Imperialismus und der auf pragmatischere Methoden westlicher Dominanz setzenden Politik des deutschen Imperialismus. Bizarr, dass die Protagonisten der Partei (ausschließlich im Zusammenhang mit Russland und inhaltlich auf gleicher Linie wie Scholz und Habeck) zeitgleich den Imperialismusbegriff wieder entdecken, der in den innerparteilichen Diskussionen schon lange keine Rolle mehr gespielt hat.
Und so demonstrieren denn PDL-Politiker:innen auf Bundes- und Länderebene vor russischen Konsulaten, fordern gleichzeitig den russischen Rückzug und Reparationen (was angesichts der militärischen Lage nach einem Jahr Krieg de facto die Forderung nach einer russischen Kapitulation, also in der Konsequenz die Fortsetzung des Krieges) bedeutet – und propagieren im gleichen Atemzug das Durchbrechen der militärischen Eskalationslogik. Man möchte also, dass der westliche Satellitenstaat Ukraine (und mehr ist dieser Staat in der Realität spätestens jetzt nicht mehr) den Krieg gewinnt, lehnt aber zur Beruhigung der murrenden traditionslinken Teile der Parteibasis Panzerlieferungen ab, wissend, dass man über diese Waffenlieferungen eh nicht mitzuentscheiden hat. Eine kohärente und glaubwürdige politische Haltung ist das natürlich nicht, aber es geht ja auch in erster Linie darum, die Partei zusammenzuhalten und größere Austrittswellen oder gar Abspaltungen zu verhindern.
Gleichzeitig beteiligen sich die gleichen Leute aus der Partei, insbesondere aber der noch vor wenigen Jahren als bewegungslinks etikettierte Flügel der jungen smarten szenekompatiblen Führungskräfte aus dem akademischen Nachwuchs, an der von nahezu allen bürgerlichen Medien entfachten Kampagne, Kräfte der Friedensbewegung und auch aus der eigenen Partei, die diese opportunistische Politik nicht mitmachen wollen, als „Putinknechte“, „Friedensschwurbler“, „Lumnpenpazifisten“, „rechtsoffen“, „Querfront“ etc. zu denunzieren und quasi zum Abschuss freizugeben.
Man kann mit guten Gründen die latent zu nationaler Borniertheit tendierende Haltung einer Sahra Wagenknecht in zahlreichen Aspekten für falsch halten. Man kann und muss sie zweifellos für ihre Position in der Flüchtlingsfrage und ihre Gleichgültigkeit gegenüber antirassistischen Bewegungen kritisieren, ihren parlamentsfixierten, grundbürgerlichen und bewegungsfernen Politikstil kritisieren. Man kann es auch für ein Unglück halten, dass die innerparteiliche linke Opposition sich heute zumindest symbolisch (wenn auch kaum praktisch organisatorisch) ausgerechnet um Sahra Wagenknecht gruppiert. Aber Tatsache ist auch, dass genau diese Sahra Wagenknecht und die sich um sie scharende Parteilinke in der Friedensfrage stabil geblieben sind, sich der um sich greifenden Verblödung entgegenstellen und genau deshalb jetzt angegriffen werden. Tatsache ist auch, dass die Genoss:innen, die jetzt schrittweise aus der Partei hinausgedrängt werden, noch vor zehn Jahren den Kern, das marxistische (oder zumindest marxistisch inspirierte) Zentrum der Partei gebildet haben. und mit ihnen geht ein erheblicher Teil der inhaltlichen Substanz der Partei. Was bleibt, ist die seit Jahren immer mehr zu beobachtende Beliebigkeit, die sich in Phrasen wie „moderne sozialistische Gerechtigkeitspartei“ erschöpft und gelegentlich mit der Ankündigung verbunden ist, „die Eigentumsfrage“ stellen zu wollen, aber natürlich ohne die Beteiligung an vier Landesregierungen zu gefährden. Das Ganze spielt sich ab vor dem Hintergrund einer Professionalisierung des aktiven Kerns, der unter anderem beinhaltet, dass rund 75 Prozent der Delegierten zum Bundesparteitag heute Abgeordnete und Hauptamtliche sind, die auch in den Landesvorständen weitgehend dominieren. Die Partei ist also völlig aufgesogen vom bürgerlichen Politikbetrieb.
Die neueste Posse, das Herumeiern der Parteiführung um das Wagenknecht/Schwarzer-Manifest und den Aufruf zur Kundgebung am 25.2. unterstreicht dieses ganze Elend in schmerzhafter Weise. Das Manifest ist ein recht schwacher Text,. in dem allerlei Dinge ausgeklammert werden, um eine breite Basis in der Bevölkerung und eine Brücke zu bürgerlichen Kriegsgegner:innen zu finden. Die Intiator:innen betreiben letztlich klassische Volksfrontpolitik (allerdings ohne die dereinst diese unterfütternde Organisationsmacht der Arbeiterparteien), eine Politik die sozialistische und kommunistische Parteien in wechselnden Kontexten seit den 1930er Jahren immer wieder betrieben haben – mit meist recht durchwachsenen Ergebnissen und oft mit opportunistischer Schlagseite gegenüber den „fortschrittlichen“ oder „antimonopolitischen“ Teilen des Kleinbürgertums. Man kann diese Politik der breiten Bündnisse bis hinein ins Bürgertum kritisieren und es gibt eine lange Traditionslinie marxistischer politischer Strömungen in der Arbeiter:innenbewegung, die diese Taktik der etablierten kommunistischen Parteien hinterfragt haben. Aber Wagenknecht/Schwarzer schlagen tatsächlich eine Brücke zu jenen bürgerlichen Kräften, die die von den Transatlantikern vorangetriebene Eskalation bis hin zu einem möglichen Dritten Weltkrieg mit Unbehagen und Angst verfolgen. Bisher über 700.000 Unterschriften für das Manifest und rund 50.000 Demonstrant:innen vor dem Brandenburger Tor sprechen da eine klare Sprache.
Damit hätte eine Linke mit Restverstand arbeiten können und müssen, um der massiven Kriegspropaganda in den Medien und der Regierungspolitik etwas entgegenzusetzen. Voraussetzung dafür wäre gewesen, dass zum einen die eigene Antikriegsposition authentisch ist und man zum anderen bereit gewesen wäre, der zu erwartenden Hetzkampagne aufrecht und mit offenem Visier zu begegnen. Der Parteivorstand und die meisten Landesvorstände der Partei Die Linke haben sich bewusst entschieden, das nicht zu tun, sondern diese Initiative unter fadenscheinigen Vorwänden als „rechtsoffen“ zu denunzieren. Wer eine faschistische Mobilisierung zu einer solchen Kundgebung verhindern will, muss selber aktiv dorthin mobilisieren, um die Kräfteverhältnisse auf der Straße zu beeinflussen. All diese Möglichkeiten wieder in die Offensive zu kommen, sind ausgeschlagen worden und nachdem sich herausgestellt hat, dass es trotzdem nicht etwa die AfD und andere rechte Kräfte waren, die bei der Kundgebung dominierten (sie waren in Wirklichkeit kaum vorhanden), sondern linke und friedensbewegte Gruppen, versucht man jetzt, die Mobilisierung kleinzureden und übernimmt die völlig unglaubwürdigen Teilnehmerzahlen der Polizei. Der Ton der bei diesen und ähnlichen Konflikten in letzter Zeit vermehrt angeschlagen wird, ist derart toxisch, dass wohl davon auszugehen ist, dass man sich in erster Linie bestimmter Kräfte zu entledigen sucht, die jahrzehntelang in der Friedensbewegung, in Strukturen der Gewerkschaftslinken, in der Partei und in sozialen Bewegungen eine wichtige Rolle gespielt haben und nun an den Rand gedrängt werden sollen.
Innerparteilich ist hier tatsächlich eine Scheidelinie erreicht, die auch in der Zukunft wohl kaum verwischt werden kann. Ob es zu einer kohärenten und politisch wie organisatorisch tragfähigen Abspaltung kommen wird, ist völlig offen und wird sich voraussichtlich im Laufe dieses Jahres entscheiden. Innerlich ist die Spaltung jedoch längst da. Traurig, das 2023 sagen zu müssen, aber Sozialist:innen und Kommunist:innen haben in Deutschland derzeit, jenseits kleiner Gruppen mit marginalem Einfluss, keine Partei mehr.
L.G. März 2023
Ein Text mit Teilwahrheiten und nebulösen Behauptungen…Ich kenne z.B. keine Genoss*innen, die „jetzt schrittweise aus der Partei. hinausgedrängt werden“ (jedenfalls nicht in meinem Kreis- oder Landesverband), sehe aber eine Sahra Wagenknecht, die öffentlich über eine Neugründung einer anderen Partei fabuliert…
Kommentar zur Zuschrift „Friedenspolitische Bankrotterklärung“
Die Bankrotterklärung des Vorstandes der Partei DIE LINKE in der Frage Krieg und Frieden ist nicht die erste Erfahrung, die wir in Deutschland machen mussten. Erinnert sei hier an die Entwicklung von „Bündnis90/die Grünen“. Diese starteten in den 80er Jahren mit ihren ersten Wahlerfolgen – lokal zunächst meist als „Alternative Liste“. Dort hatten sich zahlreiche Mitglieder und Anhänger der Friedens- und Umweltbewegung bis hin zu ehemaligen Linksradikalen, wie dem militanten Frankfurter Straßenkämpfer und späteren Außenminister Joschka Fischer, gesammelt. Deren Vorstellung, über parlamentarische Erfolge und die Beteiligung an Regierungskoalitionen Einfluss auf gesellschaftliche Prozesse nehmen zu können, um progressive Reformen einzuleiten, endete in der Umkehrung der anfangs angestrebten Ziele. Die erste rot-grüne Bundesregierung leitete 1999 den bis dahin für unmöglich gehaltenen militärischen Auslandseinsatz der Bundeswehr gegen das ehemalige Jugoslawien ein. Seither gehört dies, wie die Verteidigung deutscher Interessen am Hindukusch, zum Alltag deutscher Außenpolitik. Innenpolitisch haben wir der ersten rot-grünen Bundesregierung Hartz IV zu verdanken, d.h. die Schaffung eines breiten Niedriglohnsektors im Interesse der globalen Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals. Begleitet wurde über lange Zeit die parlamentarische Existenz der Grünen mit deren Parole vom parlamentarischen und außerparlamentarischen Standbein der Partei. Dies erwies sich angesichts deren Regierungsbeteiligungen als leeres Geschwätz. Das Sagen hatten in entscheidenden Situationen und Abstimmungen die bezahlten Vorstandsmitglieder und die Mitglieder der Parlamentsfraktionen, egal was im Parteiprogramm oder den Statuten festgelegt war, wie die zeitliche Begrenzung und die Trennung von Amt und Mandat. Dies alles konnte nicht verhindern, dass sich der realpolitische Flügel durchsetzte und den Kurs der Grünen bestimmte. Die herrschende Klasse, die Eigentümer des Großkapitals, konnte die Schlachtung der heiligen Kühe (in der Friedens- und Sozialpolitik) den Parteien überlassen, die an der Aufzucht der Kälber entscheidend beteiligt waren.
Auch die Entwicklung in der Partei DIE LINKE ist meines Erachtens seit mindestens zwei Jahrzehnten angelegt. Gerade in Berlin wurden wir Zeuge eines Prozesses, in der die Realpolitik, stärker als alle programmatischen Festlegungen, das Handeln der Partei bestimmte. Mit ihrem Eintritt in die Berliner Senatskoalition im Jahre 2002 beteiligte sie sich an allen Sparvorgaben ihres stärkeren Koalitionspartners. Dazu zählte der Verkauf eines Großteils des städtischen Wohnungsbestandes, um den durch eine Bankenkrise in die Verschuldung geratenen Berliner Haushalt zu sanieren. Der stärkere Koalitionspartner in Gestalt des Regierenden Bürgermeisters Wowereit erklärte damals, er habe die PDS, wie die Linkspartei damals noch hieß, in die Regierung geholt, um sie zu entzaubern. Dies ist ihm gründlich gelungen. Bis auf eine Legislaturperiode war sie seither im Senat vertreten. Realpolitische Überlegungen bestimmten das Agieren vom Vorstand und von der Parlamentsfraktion in Berlin und nicht die im Parteiprogramm festgelegten Ziele. Die realpolitischen „Chancen“, die es galt wahrzunehmen, bestimmten den Werdegang der Linkspartei. Der Wahlkampfslogan der Partei, „Veränderung fängt mit Opposition an“ erfüllte sich im umgekehrten Sinne. Statt die Verhältnisse zu ändern, veränderten diese die Partei selbst. Das zeugt von der großen Integrationsfähigkeit, welche die bürgerlich-parlamentarischen Demokratie bisher kennzeichnete.
Die Diskussionen über Parteiprogramme und die Berufung darauf in aktuellen innerparteilichen Auseinandersetzungen mögen nützlich und hilfreich sein. Aber für die (Fehl-)Entwicklungen von Parteien sind sie nicht entscheidend. „Die Transformation der Partei Die Linke von einer sozialistischen und antiimperialistischen Klassenpartei zum linksliberalen Abbruchunternehmen“, hat sich für mich schon lange abgezeichnet. Deshalb blieb ich auch Mitglied der kleinen Gruppe Arbeiterpolitik mit marginalem Einfluss. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Gründung einer größeren sozialistischen / antiimperialistischen Partei mit dem entsprechenden Rückhalt unter den Lohnabhängigen sind meines Erachtens noch nicht gegeben. Voraussetzung wäre, dass sich in Klassenkämpfen eine relevante Minderheit unter den Beschäftigten herauskristallisiert, die die Vertretung ihrer Interessen nicht delegieren will – ob auf der politischen Ebene bei Parlamentswahlen oder in der betrieblichen und gewerkschaftlichen Interessenvertretung. Eine solche Voraussetzung sehe ich momentan leider (noch?) nicht.
Egal zu welchen organisatorischen Konsequenzen die nicht überbrückbaren Kontroversen in der Linkspartei führen werden. Ausgangspunkt für das Wirken von Sozialisten/Kommunisten sollten die materiellen Interessen der Lohnabhängigen bilden, unter denen wir für praktische Schritte zur Überwindung der kapitalistischen Ordnung werben/agitieren sollten. Einen positiven Ansatz sehe ich in dem Bemühen von Gewerkschafter*innen aus Hanau in einem breiten Bündnis, in die gewerkschaftliche Tarifpolitik auch das Thema Krieg und Frieden einzubringen. Damit setzen sie sich ab von der Unterstützung der Außenpolitik der Bundesregierung durch die gewerkschaftlichen Spitzengremien als auch von dem Kurs innerhalb der Linkspartei, die auf eine politische und teilweise auch auf eine militärische Unterstützung der Ukraine setzt.
Voraussetzung für die Wirksamkeit einer sozialistischen/antiimperialistischen Partei ist sicherlich, dass sich „in Klassenkämpfen eine relevante Minderheit unter den Beschäftigten herauskristallisiert“, die sich damit identifiziert. Aber mit organisatorischen Konsequenzen abzuwarten, bis diese relevante Minderheit so weit ist, das ist mir zu sehr „von unten“ gedacht.
Es gibt da eine Dialektik, dass sich Bewegung und Organisation wechselseitig befruchten und befördern (können). Beispiel: bei Gründung der USPD 1917 war von einer aktiven Klassenbasis noch nichts zu sehen, aber im Untergrund grummelte es. Der Rahmen der USPD hat den Klassenkämpfern Bewegungsraum und Entfaltungsmöglichkeiten geboten, der Spartakusbund hatte darin Organisationsfreiheit, obwohl die USPD in ihrer großen Mehrheit nicht klassenkämpferisch war. Das hat die revolutionäre Bewegung gefördert. Und die USPD hat sich durch die Revolution so stark verändert, dass die Mehrheit von 1 Million Mitglieder sich als kommunistisch verstand.
Die heutige Opposition in der Linkspartei ist klassenkämpferischer und stärker antiimperialistisch als es 1917 die USPD war – allerdings ist alles eine Nummer kleiner als damals. Nur: abzuwarten, bis der Krieg bei uns ist, empfiehlt sich bei den heutigen Waffensystemen m.E. nicht.
Wirkliche Bewegungen können Fehler machen. Das Risiko von Fehlern auszuschalten, bringt uns nicht voran.
In dem Vorspann zu dem Leserbrief „Friedenspolitische Bankrotterklärung …“ wird darauf hingewiesen, dass sich in der Linkspartei Gesprächskreise gebildet haben, die sich von einem Klassenstandpunkt aus in soziale, ökologische und Antikriegsbewegungen einzumischen wollen. Auch ist die Rede davon, dass diese sich vernetzt haben und im Mai 2023 zu einer Diskussion in Hannover zusammentreffen. Es ist m.E. schon wichtig neben dem Zerfallsprozess der Linken auch auf die Bemühungen einzugehen, die versuchen, dem etwas entgegen zu setzen. Was wollen die? Leider findet sich zu diesen nichts in dem Leserbrief wieder.