Klassenkampf auf der Raststätte – Streikende LKW-Fahrer setzen sich durch

Korrespondenz

Wohl kaum eine Berufsgruppe dürfte am Arbeitsplatz so vereinzelt sein,  wie die Fahrer von LKWs. Diese Vereinzelung und die Möglichkeit, Speditionsaufträge an Sub- und Sub-Sub-Unternehmen weiterzugeben, machen es den Betroffenen schwer, sich gegen brutale Methoden der Ausbeutung zur Wehr zu setzen. Umso erstaunlicher, was diese Tage auf der Raststätte Gräfenhausen zwischen Frankfurt und Darmstadt geschah: 40 georgische und usbekische LKW-Fahrer des polnischen Firmenkonsortiums Lukmaz, Agmaz und Imperija hatten Mitte März die Arbeit niedergelegt und parkten mit den knallblauen Firmen-LKWs auf der Raststätte. Ähnliche Aktionen auf anderen Raststätten wurde abgebrochen. Doch folgten einige der dort Streikenden den Kollegen nach Gräfenhausen, so dass die Zahl dort auf 65 anwuchs. Die Fahrer des polnischen Spediteurs kamen aus Usbekistan und Georgien.

In einer Mitteilung des DGB Südhessen heißt es:

Sie werden von der Firma ausgenutzt und um ihre grundlegenden Rechte gebracht. Während ihrer Arbeitseinsätze leben Berufskraftfahrer*innen, die im internationalen Straßentransport tätig sind, ausschließlich in ihren Fahrzeugen. Einige Fahrer, die derzeit in Gräfenhausen stehen leben so schon seit mehr als einem Jahr. Kosten für die Bezahlung von Parkplätzen, Benutzung von Toiletten, Duschen oder Unterkunft auf Rastplätzen werden in diesem Bereich, in aller Regel von den Arbeitgebern nicht übernommen. Spesen stehen somit für den eigentlichen Zweck – Bezahlung von Verpflegung und Unterkunft während der Touren – nicht zur Verfügung. Unter anderem deswegen muss auch die Verpflegung selbst organisiert werden: Zum alltäglichen Bild auf dem Rastplatz gehören Gaskocher, auf denen Fahrer*innen in- oder neben ihren Lkws kochen, Wasserkanister zum Waschen und Spülen und in die Klappen der Zugmaschinen gespannte Wäscheleinen.

Kolleg*innen aus der Branche berichten Immer wieder von Gewalt und Einschüchterungen durch die Arbeitgeber. Sie werden genötigt Arbeitsverträge in Sprachen zu unterschreiben, die sie nicht sprechen. Nicht selten werden die letzten Gehälter nach einer Kündigung gar nicht mehr ausgezahlt.

Die Fahrer hatten sich mit ihrer Arbeitsniederlegung gegen diese Zustände gewehrt. Ihnen wurde für die letzten 50 Tage kein Lohn mehr gezahlt. Außerdem wurde ihnen vom Unternehmen mitgeteilt, dass der Sonntag nicht mehr bezahlt werden soll.

Auf Anfrage der georgischen Gewerkschaft GTUC unterstützten die niederländische Gewerkschaft FNV und das Road Transport Due Diligence Team (RTDD) die Fahrer. Faire Mobilität Frankfurt und die katholische Betriebsseelsorge waren vor Ort, übersetzten und leisteten Beistand. Die RTDD arbeitet auf Non-Profit-Basis und ist bei der Handelskammer in den Niederlanden eingetragen. Ihr Hauptziel ist es, die Arbeitsbedingungen von Fahrer*innen im internationalen Straßentransport zu verbessern. Dabei kommt es regelmäßig vor, dass Fahrer*innen grundlegende Dinge zum Überleben benötigen, wie z. B. Lebensmittel, Zugang zu sanitären Einrichtungen oder medizinische Versorgung. In einer solchen Situation arbeitet das RTDD-Team als Notfallteam, das Fahrer*innen hilft, ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen.

Insgesamt harrten die Fahrer nahezu sechs Wochen auf der Raststätte aus. Möglich wurde diese Ausdauer auch durch die Unterstützung eines Solidaritätskreises von Kolleginnen und Kollegen aus Darmstadt und umliegenden Orten. Sie organisierten vor allem praktische Hilfe: Einkauf von Lebensmitteln, Fahrten zu Waschsalons, zum Zahnarzt o.ä. Ärztliche Hilfe erhielten die Streikenden vom Sozialmediziner Gerhard Trabert. Trabert wurde 2021 von der Linkspartei als Kandidat für die Wahl des Bundespräsidenten aufgestellt. Er hat in Mainz eine „Praxis ohne Grenzen“ aufgebaut und betreut mit einem Kreis von 20 Ärzt*innen und Pflegekräften Obdachlose und Menschen ohne Krankenversicherung. Auch viele Menschen ohne organisatorische Anbindung, die aus den Medien von dem Ereignis erfuhren, kamen spontan vorbei und brachten mal einen Käsekuchen oder andere Lebensmittel mit. Gegen Ende waren soviel Lebensmittel auf Vorrat, dass das Sammeln gestoppt wurde.

Erster Versuch den Streik zu brechen: Scheinbare Verhandlungsbereitschaft

Am 30.3. hat sich auch der Unternehmer Lukasz Mazur vor Ort blicken zu lassen. Er bestritt die Vorwürfe, seit Wochen keinen Lohn bezahlt zu haben. Er räumte ein, mangels Aufträge die Sonntagszahlung vorübergehend ausgesetzt zu haben, bestritt aber, seit Wochen keinen Lohn mehr gezahlt zu haben. Er forderte die Fahrer auf, nach Polen zu kommen und die offenen Fragen zu klären. Die Arbeitsverträge aber seien legal und er ist sich keiner Schuld bewusst. Die Fahrer seien nicht fest angestellt, sondern selbständig, er verteile nur die Aufträge. Anna Weirich von der Beratungsstelle „Faire Mobilität“ des DGB bezeichnet die Arbeitsverträge als ein typisches Beispiel von Scheinselbständigkeit und damit nach EU-Recht eigentlich unzulässig. Aber natürlich ist Menschen aus Georgien und Usbekistan europäisches Arbeitsrecht nicht bekannt.

Mazur hat auch gleich Ersatzfahrer mitgebracht, die die LKWs an ihre Zielorte fahren sollten. Besonders die noch beladenen LKWs waren für ihn von Interesse, da er für die verspätete Lieferung wohl hohe Vertragsstrafen zu erwarten hatte. Die zum Streikbruch mitgebrachten Fahrer erklärten sich jedoch solidarisch und verweigerten den Weitertransport der Ware. Außerdem haben die Streikenden die beladenen LKWs durch die Leeren so eingekeilt, dass eine Weiterfahrt nur schwer zu bewerkstelligen ist. Mazur musste so erfolglos die Heimfahrt antreten.

Zweiter Versuch den Streik zu brechen: Mit Gewalt

Eine Woche später gibt es einen zweiten Versuch, den Streik zu brechen. Unternehmer Mazur rückte mit einem Trupp paramilitärisch ausgerüsteter „Security-Kräften“ an. Eindruck sollte wohl ein panzerähnliches Gefährt schaffen, das sie mit sich führten. Achtzehn breitschultrige Männer mit schusssicheren Westen versuchten die Fahrzeuge unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Fahrer ließen sich jedoch nicht einschüchtern und verteidigten die LKWs. Die herbeigerufene Polizei machte dem Spuk schließlich ein Ende und nahm Mazur und seine Schläger in Haft. Bei dem angeheuerten Dienst handelt es sich um die Detektei Rutkowski, die in Polen wegen brutaler Methoden bekannt ist. Krzysztof Rutkowski, Chef der Truppe, war und ist in Polen verschiedenen rechtsextremen Parteien und Gruppen aktiv.

Der Versuch der der gewaltsamen Räumung war nicht nur ein Fehlschlag. Spätestens jetzt interessierten sich auch die überregionalen Medien für die Ereignisse auf der Raststätte. Dabei kam Mazur nicht gut weg und die miserablen Arbeitsbedingungen der Fahrer wurden problematisiert.

Versuch der Spaltung

Nach diesem Fehlschlag schlug Mazur eine andere Taktik ein. Er verkündete, dass er bereit sei zu zahlen und sofort mit den Überweisungen beginne. Tatsächlich hatte einer der Fahrer bereits am nächsten Tag Geld erhalten und tröpfchenweise kamen in den folgenden Tagen weitere Zahlungen dazu; aber nicht immer in der geforderten Höhe. Zu dieser Zeit versuchte es Mazur aber auch weithin mit Einschüchterung und stellte Strafanzeigen wegen Unterschlagung der LKWs. Er hoffte wohl, die ausbezahlten Fahrer würden den Streik abbrechen. Die Fahrer betonten aber, dass sie erst dann nach Hause gingen, wenn alle ihr Geld erhalten hätten. Ein Vertreter der niederländischen FNV, der die ganze Zeit vor Ort war, verhandelte nun jeden einzelnen Fall mit dem Unternehmer und es gab immer wieder mal Überweisungen. Nach Überweisung von etwa 200.000 der geforderten 300.000 Euro wurden die Zahlungen gestoppt und Mazur gab bekannt, dass er mehr Geld nicht zahlen werde. So sollten die Streikenden mürbe gemacht werden. Diese blieben aber standhaft und ließen sich nicht spalten. Diese blieben aber standhaft und ließen sich nicht spalten. Diese Haltung zeugt von großer Solidarität unter den Kollegen und von großem Mut angesichts der Drohungen, die auch weiter im Raum standen. Einige drohten auch mit einem Hungerstreik.

„Schachmatt“: Mazur gibt auf

Als Mazur erkennen musste, dass alle seine Versuche den Streik zu brechen nicht in seinem Sinne verliefen, verkündete er am 26.4. seine Bereitschaft, alle ausstehenden Zahlungen zu überweisen und auf straf- und zivilrechtliche Schritte zu verzichten. Schnell waren die individuellen Verträge für die noch nicht bezahlten Fahrer unterschrieben und schon am nächsten Tag waren die Beträge auf dem Konto. Zum schnellen Umdenken dürfte auch der Druck wichtiger Firmen beigetragen haben, die auf die Ware in den beladenen LKWs angewiesen waren. Der Erfolg wurde auf einer Pressekonferenz auf der Raststätte gefeiert. „Mazur – Schachmatt“ skandierten die Fahrer immer wieder. Für Mazur wollte keiner der Fahrer weiterarbeiten und die LKWs wollten sie auch nicht zurückbringen. Am 28.4. gaben die ersten zwanzig Schlüssel und Fahrzeugpapiere ab und traten den Heimweg an. Einige haben schon neue Verträge. Kraftfahrer werden gesucht und es wird auch für die Anderen kein Problem sein, eine neue Stelle zu finden.

Edwin Atema von der niederländischen FNV, freute über den Erfolg des Streiks, wies aber auch darauf hin, dass die in dieser Auseinandersetzung deutlich gewordenen Probleme auf deutschen Autobahnen fast die Regel sind. Wichtig seien bessere Kontrollen und eine Verbesserung des Lieferkettengesetzes, damit die Auftraggeber für Missstände bei Sub- und Sub-Sub-Unternehmen zur Verantwortung gezogen werden können.

Westeuropäische Logistikkonzerne wickeln heutzutage fast nur noch nationale Transporte über ihre heimischen Filialen ab. Für den internationalen Straßentransport kommen ihre osteuropäischen Niederlassungen oder Subunternehmer zum Einsatz. Allein in Polen stieg die Zahl der registrierten Speditionen zwischen 2004 – dem Jahr der EU-Osterweiterung – und 2017 von 10.000 auf über 30.000. Durch das Einstellen von Fahrern aus Nicht-EU-Ländern werden die Möglichkeiten der Ausbeutung noch erweitert. Es sind nicht nur die auftraggebenden Speditionen, die vom derzeitigen Unterbietungswettbewerb profitieren, sondern auch die Unternehmen, der Waren transportiert werden. Darunter sind auch viele multinationale Konzerne, die sich eigentlich dazu verpflichtet haben, nachhaltige Lieferkettenstandards einzuhalten. »Das System der Vergabe von Aufträgen an Subunternehmen ist völlig intransparent. Viele große Unternehmen haben den Überblick über ihre eigenen Lieferketten verloren. Man muss befürchten, dass die Aufträge meist einfach an den billigsten Anbieter gehen.«, sagte Anna Weirich. Die Fahrer berichteten, dass sie regelmäßig Waren für VW, Mercedes, General Electric oder Ikea ausfahren, teilweise auch mit zwischengeschalteten Speditionen wie DHL.

Der Streik hat die Missstände in der Branche ans Tageslicht gebracht. Politisch Verantwortliche kündigen jetzt an, im Bundestag und im Europaparlament Verbesserungen durchsetzen zu wollen. Damit das nicht nur Kosmetik bleibt, bedarf es politischen Drucks von unten.

Erfreulich ist, dass auch Kollegen aus ver.di-Kraftfahrerkreisen zu den Unterstützenden gehörten und Anregungen für ihre Arbeit mitnahmen. Sie brauchen aber die Unterstützung auch von anderen ver.di-Gliederungen.


 

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