Hamburg: Hafenarbeiter gegen die Verschleuderung öffentlichen Eigentums

Korrespondenz

„Unser Hafen – Nicht Euer Casino“

unter diesem Motto versammelten sich Hafenbeschäftigte, besorgte Bürger der Stadt Hamburg und des Umlands am Sonnabend, den 11.11.2023 um 11 Uhr, zur Kundgebung auf dem Hamburger Rathausmarkt. Erneut protestierten nicht nur die Beschäftigten der Hamburger Hafen- und Logistik AG (HHLA) damit gegen den geplanten Teilverkauf ihrer Arbeitsplätze an die Schweizer Reederei MSC. Der Kundgebung vorausgegangen war ein 24-stündiger „wilder Streik“ der Beschäftigten am Burchardkai (CTB), begonnen von der Spätschicht am Abend des 6. November als Reaktion darauf, dass HHLA-Vorstand und Aufsichtsrat die Übernahme positiv bewertet hatten. Ungefähr 600 Menschen folgten dem Aufruf der Gewerkschaft ver.di Hamburg zur Kundgebung. Hingegen hatte der ver.di-Bundesvorstand noch in einer Presseerklärung vom 7. November behauptet, dass ver.di für die Beschäftigten der HHLA wichtige Punkte zur Absicherung durchgesetzt habe.

Kundgebung am Rathausmarkt am 11.11.2023

Die stellvertretende Landesbezirksleiterin der Gewerkschaft Verdi, Heike Lattekamp, trat als erste auf die vor dem Rathaus aufgebaute Bühne mit der Feststellung: „Der Landesbezirk Hamburg mit seinen über 90 000 Mitgliedern lehnt den Verkauf der HHLA-Anteile und damit den Verkauf öffentlichen Eigentums unserer Stadt Hamburg an private Investoren ab.“ Durch den geplanten Verkauf der Anteile an MSC nähmen der Druck auf die Arbeitsbedingungen und der Einfluss des MSC auf die kritische Infrastruktur der Stadt Hamburg zu. In einer „Nacht- und Nebelaktion“ sei der Deal zwischen dem Hamburger Senat und MSC verhandelt worden. Weder die Arbeitnehmervertreter der HHLA noch die Gewerkschaft ver.di noch die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt waren im Vorfeld in die Gespräche einbezogen.“ Diese Verhandlungen im Hinterzimmer, im kleinsten Kreise führten dazu, dass das Vertrauen der Beschäftigten und der Bürger in den Senat verloren ginge. Das sei besonders im Zeichen der Erstarkung der AFD politisch unverantwortlich. Gerade erlebten wir ein Beispiel der Zusammenarbeit des Senats mit privaten Investoren. Sie verwies dann auf den Investor René Benko, dessen versprochene Errichtung des Elbtowers infolge Insolvenz im Moment ruhe. Benko habe schon vier Galeria- und Karstadt-Kaufhäuser in Hamburg geschlossen, 750 Beschäftigte hätten ihren Arbeitsplatz verloren und 650 Millionen hätten wir als Steuerzahler bei Galeria / Karstadt in den Sand gesetzt. „Liebe Kolleginnen und Kollegen, der ver.di-Landesbezirk steht an Eurer Seite, der Seite der Gegner des geplanten Anteilsverkaufs von Staatseigentum. Unser Hafen – nicht Euer Casino.“

Auch Malte Klingforth, Betriebsrat beim GHB (1000 Beschäftigte), warnte vor dem „Verschachern von öffentlichem Eigentum“ und erinnerte an den Verkauf des Landesbetriebs Krankenhäuser im Jahr 2004, der aus seiner Sicht ein „Desaster“ war. Klingforth: „Es geht hier nicht nur um uns Hafenarbeiter. Der Verkauf der HHLA geht gegen die Interessen aller Bürger der Stadt!“. Er machte darauf aufmerksam, dass „MSC der einzige Bewerber war, der bereit war, eine Mehrheit von 50,1 Prozent seitens der Stadt zu akzeptieren. Alle anderen Bewerber waren das nicht, haben aber über die Gespräche geschwiegen.“ Warum die Geheimhaltung? Damit die Stadt sich nicht äußern kann. Denn der Senat vermute richtig, dass eine Privatisierung gegen die Interessen der Bevölkerung nur schwer durchsetzbar ist.

Sein Kollege Sebastian Kalkowski ergänzte, dass die Dimensionen des Verkaufs noch viel größer sein könnten als bisher abzusehen. Denn: Die Schweizer Reederei MSC gewinnt bei dem Deal nicht nur Einfluss auf die Hamburger Containerterminals, sondern auch auf die wichtige Bahngesellschaft Metrans. „MSC hat sich schon bei der italienischen und der spanischen Bahn eingekauft. Wenn jetzt noch Metrans dazu kommt, hat die Reederei weitreichende Kontrolle über die europäischen Lieferketten“, so Kalkowski.

Weltgrößte Reederei will beim Hamburger Hafen einsteigen

Laut Selbstdarstellung im Internet ist die MSC Mediterranean Shipping Company ein 1970 gegründetes Familienunternehmen mit Hauptsitz in Genf in der Schweiz. Als Weltmarktführer in der Containerschifffahrt habe es sich von einem Ein-Schiff-Betrieb zu einem weltweit angesehenen Schifffahrts- und Logistikunternehmen mit mehr als 110.000 Mitarbeitern entwickelt und unterhalte ein Netzwerk von 600 Niederlassungen in 155 Ländern.

MSC betreibe mit 700 Containerschiffen eine der modernsten und technologisch fortschrittlichsten Flotten der Welt. Die globalen Fahrpläne umfassen über 250 Routen, auf denen 500 Häfen angesteuert werden, so auch die Häfen Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven in Deutschland. Die Reederei verbindet die Welt aber nicht nur auf dem Seeweg miteinander, sondern auch auf der Straße, der Schiene und dem Binnenschiff und ist somit ein bedeutender Bestandteil globaler Lieferketten und des internationalen Handels. Gründer, Eigner und Letztentscheider ist die Familie Aponte mit ihrem Patron Gianluigi Aponte (83).

Laut Berichten geht MSC der Ruf eines knallharten und ruppigen Aufsteigers voraus. Allein im vergangenen Jahr habe MSC einen Überschuss von 36 Mrd. Euro erzielt, im Jahr zuvor sollen es 40 Mrd. gewesen sein. In der Kriegskasse befänden sich angeblich mehr als 60 Mrd. Euro, die nach Anlage suchten. Ver.di sieht die Ursache für die Milliardenüberschüsse darin, dass die Reeder nur mit einer Tonnagesteuer belegt werden, was ein außerordentliches Steuerprivileg für die Reeder sei.

MSC spiele auf Zeit, vermuten Branchenkenner. Irgendwann werde MSC ein ganz neues Hafenkonzept vorlegen, das nur mit hohen Investitionen zu verwirklichen sei. Die wiederum erforderten dann eine Kapitalerhöhung, die die Stadt Hamburg nicht mehr mittragen könne oder wolle.

Anschließend erhielt Sonja Petersen, Mitglied im Betriebsrat der HHLA (6700 Beschäftigte), das Wort. Sie erinnerte daran, dass schon einmal, nämlich 2006, ein Senat geplant hatte, die HHLA an einen Investor zu verkaufen, „Wir hatten damals in unserem Kampf nicht nur die Unterstützung der Bevölkerung, sondern auch die der SPD-Fraktion. Das Vorhaben des CDU-Senats ist damals am Widerstand der Hafenbeschäftigten und der Bevölkerung gescheitert. Ein Jahr darauf wurde beschlossen, Teile der HHLA an die Börse zu bringen. 70 Prozent der Aktien hält die Hansestadt Hamburg, 30 Prozent sind im Streubesitz. Mit dieser Abmachung konnten wir seitdem gut leben.

Nun will der SPD-Senat 49,9 Prozent der HHLA an einen undurchsichtigen Reeder MSC verkaufen, eine Familie, die sich in ihrer Unternehmenspolitik nur schwer in die Karten schauen lässt. Haben die Politiker von damals ihre Argumente gegen den Verkauf vergessen? Vielleicht lesen die Damen und Herren mal ihre Unterlagen von damals. Ein Herr Voscherau hat damals verkündet, der Senat müsse unter allen Umständen den beherrschenden Einfluss auf die HHLA behalten. Wir als Beschäftigte der HHLA haben den Kampf von damals nicht vergessen.“

Anschließend fragte sie, was den Bundesvorstand von ver.di bewogen habe, sich dem Senat anzuschließen und den Verkauf der HHLA als bereits erfolgt anzusehen. „Woher nimmt ein ver.di-Bundesvorstand sich das Recht, sich über Entscheidungen und Beschlüsse der Gremien und Mitglieder vor Ort hinweg zu setzen und dem SPD-Senat zu folgen? Wir wissen es nicht, aber wir akzeptieren es nicht.

Und ein Herr Seebold, HHLA-Vorstandsmitglied (Arbeitsdirektor) und ehemals ver.di-Funktionär mag ja nach Berlin gefahren sein, um persönliche Absprachen mit dem Bundesvorstand zu treffen. Für uns als betroffene Beschäftigte ist das nicht bindend!“

Ihre Forderungen an den Senat und die Bürgerschaft:

  • „Beenden sie den Verkauf der HHLA und behalten sie den beherrschenden Einfluss der Stadt. Bei der ohnehin erpresserischen Vormachtstellung der Reeder brauchen wir nicht noch einen solchen Reeder im eigenen Hause!
  • Wir brauchen eine Kooperation unter den deutschen Hafenunternehmen und eine nationale Hafenstrategie!
  • Wir fordern die Aktionäre auf, ihre Aktien nicht an MSC zu verkaufen!
  • Alle Hamburger fordern wir auf: Unterstützen sie uns im Kampf gegen die Verschleuderung von öffentlichen Eigentum!“

Schließlich trat noch Jürgen Bönig ans Mikro, ehemals stellvertretender Leiter des Museums der Arbeit. Er warf einen Blick auf die Geschichte des Hamburger Hafens und erinnerte an alte Traditionen. „Der Verkauf der HHLA ist der Bruch mit einem Jahrhunderte alten Grundprinzip im Hafen“, so der Historiker. Dieses Grundprinzip heiße: „Kein Beteiligter erhält die Macht im Hafen. Stattdessen gilt: Der Staat gestaltet, die anderen können den Hafen nutzen.“

Er warnte die Beschäftigten der HHLA ausdrücklich vor der Unverbindlichkeit aller Zusicherungen. Auch der Zugriff der MSC auf die begehrten Grundstücke der HHLA, die Speicherstadt sei seiner Meinung nach nicht ausgeschlossen.

Damals vor 40 Jahren hätte die Bevölkerung die Besetzung der Werft HDW unterstützt. „Einen Fehler haben wir damals allerdings gemacht, wir sind nicht nach Bremen gefahren, um die Solidarität zu verbreitern.“ Und zum Schluss: „Der Verkauf an MSC hat das Talent, eine Regierung zu stürzen. Das schaffen wir hoffentlich!“

Zwischendurch wurden immer wieder Solidaritätsbotschaften von Hafenbeschäftigten verlesen, aus Italien, Griechenland, der Türkei und den Niederlanden, die auch ihre Erfahrungen mit der Privatisierung der Häfen ansprachen.

Auch die Belegschaften von Airbus, der Lufthansa Technik, der Hamburger Hochbahn, die Lascher und Festmacher  und die im Tarifkampf der Länder befindlichen Kolleginnen und Kollegen des Öffentlichen Dienstes meldeten sich mit Grußworten und Unterstützungsversprechen. Ebenfalls die soziale Initiative „Fridays for Future“ aus der Zusammenarbeit mit ver.di: „Wir fahren zusammen“.

Alle Sprecher waren sich einig: Wenn die Ziele verwirklicht werden sollen, müssen alle noch eine gewaltige Schippe drauflegen und die Hamburger Bevölkerung mobilisieren.


Kurzfilm von MPZ zum Verkauf der HHLA an MSC auf Basis der Kundgebung am 11.11.2023


 

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