Historischer Rückblick:
Zionistische Besiedelung und Vertreibung in Palästina seit über 100 Jahren

1989 gab die Gruppe Arbeiterpolitik zusammen mit der Autonomen Nahostgruppe Hamburg eine Broschüre heraus: „Zionismus, Faschismus, Kollektivschuld“. In diesen „Beiträgen zur Diskussion“ beschäftigten wir uns damals mit den Themen: Zionismus und Faschismus in Deutschland, Judenfrage und Judenvernichtung im deutschen Faschismus, Zur Geschichte der Kollektivschuld-Ideologie, Palästinensischer Befreiungskampf.

Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir erneut Ausschnitte aus dem ersten Kapitel der Broschüre. Sie kann von unserer Webseite heruntergeladen werden oder als gedrucktes Exemplar über die Redaktionsadresse bestellt werden.

Jüdische Frage und Zionismus: Exodus – Einwanderung in die Wagenburg

Im Denken der meisten Menschen in der BRD beginnt die Geschichte Israels mit der Gründung des Staates 1948 und der Judenverfolgung unter den Nazis. Tatsächlich bewegten sich in den 30er und 40er Jahren große Flüchtlingsströme von Europa nach Palästina. Viele Juden, die der Terrormaschine der Nazis entkamen, konnten sich ein Leben in den europäischen Ländern, vor allem in Deutschland, nicht mehr vorstellen.

Aber was war das für ein Land, in dem sie ankamen? Seit Jahrzehnten schon, lange vor dem deutschen Faschismus und dem zweiten Weltkrieg, führten hier zionistische Siedler einen erbitterten Kampf zur Vertreibung der arabischen Bevölkerung und zur Durchsetzung eines nur-jüdischen Staates. Seit Beginn der Judenverfolgung in Deutschland setzten die Zionisten alles daran, dass sich die jüdischen Flüchtlinge in Palästina und nicht in anderen Ländern der Welt niederließen. Sie brauchten die Flüchtlingsmassen, um die Basis des zionistischen Lagers in Palästina zu verbreitern. […]

Demo Berlin, 4. November
Quelle: Umbruch Bildarchiv

Die Durchsetzung des Zionismus in Palästina

Mit der zweiten ,,Alija“[1], die nach 1905 einsetzte, veränderte sich der Charakter der Siedlungspolitik in Palästina grundlegend. Ursache der neuen Einwanderungswelle war die russisch-polnische Konterrevolution, der vor allem Juden zum Opfer fielen. Massaker und Pogrome, die nun auch organisiert von reaktionären Gruppen (den ,,Schwarzhundertschaften„) durchgeführt wurden, trieben wieder Juden massenhaft nach Westen.

Die Interessenkoalition von Zionisten, jüdischem Bürgertum und imperialistischer Großmachtpolitik leitete einen Teil des Flüchtlingsstroms nach Palästina weiter. Die osteuropäischen Juden, die nun in Palästina ankamen, waren ihrer Herkunft nach aber schon ,,Proletarisierte“, zumeist Handwerker. Und die zweite „Alija“ wurde zur Geburtsstunde der zionistischen Arbeiterbewegung, die diese proletarisierten Einwanderer organisierte. Sie gerieten in Gegensatz zu den schon vorhandenen jüdischen Siedlern. Diese lehnten nämlich die Beschäftigung von jüdischen Landarbeitern ab, weil sie zu teuer und zu wenig qualifiziert waren.

Nun entbrannte über mehrere Jahre ein heftiger Kampf zwischen den Siedlern und den Einwanderern. Die zionistischen Arbeiterorganisationen gaben die Losung von der „Eroberung der Arbeit“ aus. Sie besagte: Auf „jüdischem Boden“ dürfen nur jüdische Arbeitskräfte beschäftigt werden. Neben dem erbitterten Kampf gegen die Siedler entstanden die ersten Kibuzim, und die zionistische Politik in Palästina geriet fast vollständig unter die Führung der zionistischen Arbeiterbewegung. Es war ein Klassenkampf nach mehreren Seiten: gegen die jüdischen Grundbesitzer und gegen die arabischen Landarbeiter.

Diese politische Praxis war von den Begründern der zionistischen Arbeiterbewegung schon vorher programmatisch festgelegt worden. Bochorow, der Theoretiker und Gründer der „Poale Zion“, hatte in seinen Schriften die Vertreibung aller nicht-jüdischen Elemente zum Programm erhoben. Bochorow und die „Poale Zion“ bedienten sich zur Rechtfertigung ihrer Politik in „scharfsinniger“ Weise des Marxismus (und sie verstanden sich selber auch als revolutionäre Marxisten): Sie sahen die Ursachen der Judenverfolgung in der ökonomischen Sonderstellung der Juden. Um sich als Juden emanzipieren zu können, so Bochorow, müssten die Juden erst zum ,,Proletariat“ werden im Rahmen einer eigenen Nation. Bochorow und seine Anhänger haben in klaren Worten ausgesprochen, was dafür zu tun war – die Vertreibung der Araber von Land und auch von Arbeit.

David Hacohen, ein Führer der zionistischen Arbeiterbewegung, erklärte später: „Ich mußte mit meinen Freunden viel über den jüdischen Sozialismus streiten; mußte die Tatsache verteidigen, dass ich keine Araber in meiner Gewerkschaft akzeptierte; dass wir Hausfrauen predigten, nicht in arabischen Geschäften zu kaufen; dass wir an Obstplantagen Wache hielten, um arabische Arbeiter daran zu hindern, dort Arbeit zu finden; dass wir Benzin auf arabische Tomaten schütteten; daß wir jüdische Frauen attackierten und die arabischen Eier, die sie gekauft hatten, vernichteten; dass wir den Jüdischen Nationalfonds hochpriesen, der Hankin nach Beirut schickte, um Land von abwesenden Großgrundbesitzern zu kaufen und die arabischen Fellachen vertrieb; dass es verboten ist, einen einzigen jüdischen Dunam an einen Araber zu verkaufen. … All das zu erklären war nicht leicht.“ (Ha’aretz, 15.11.1968)

Die führende Partei der zionistischen Arbeiterbewegung war die Achdut Avodah (,,Einheit der Arbeit“), aus der später (1930) die Mapai (Arbeiterpartei) hervorging. Ihr Führer war Ben Gurion. 1920 wurde der Gewerkschaftsverband Histadrut gegründet, insbesondere mit der Zielsetzung, die ,,Proletarisierung“ – und das hieß konkret: die „Eroberung der Arbeit“ – zu fordern. […]

Die militante Siedlungs- und Arbeitspolitik der Zionisten verschärfte den Gegensatz zu den Arabern. Mehrfach kam es zu schweren Auseinandersetzungen und Unruhen. Ein Höhepunkt waren die Kämpfe am Ende der 20er Jahre, in denen Araber bewaffnet jüdische Siedlungen überfielen. Diese spontanen und gewaltsamen Ausbrüche des Protestes dienten den Zionisten wiederum als Legitimation für die Härte ihrer Politik. Der Tod von jüdischen Kindern und Frauen bei diesen Auseinandersetzungen wurde als neuerliches Pogrom angeklagt und vor allem gegen jene Juden angewandt, die weiterhin an einer (auch klassenmäßigen) Zusammenarbeit mit den Arabern festhielten.

Die zionistische Siedlungspolitik war ein Motor für die Herausbildung der arabischen Nationalbewegung. Diese hatte in Ägypten ihren Ausgang genommen (nach dem ,,Verrat“ Großbritanniens an dem arabischen Aufstand gegen das osmanische Regime), aber in Palästina nahm sie durch die unmittelbare Konfrontation mit dem Zionismus deutlichere Formen an. Klassenmäßig blieb sie allerdings beschränkt auf arabische Intellektuelle einerseits, die auf eine Renaissance der verschütteten arabischen Kultur und Sprache hinwirkten, und auf die Schicht der Großgrundbesitzer andererseits. Diese hatten lange von den zionistischen Landkäufen profitiert, sahen aber ihren Einfluss durch das weitere Vordringen der Zionisten bedroht. Sie stellten bis zur Gründung des Staates Israel hauptsächlich die Führung des arabischen Widerstandes. Die breiten Volksschichten, Landarbeiter und von der Enteignung bedrohte Fellachen, konnten sich als „Entwurzelte“ oder Bauern kaum organisieren. Dieser fehlende klassenmäßige Zusammenhang überließ den feudalen Schichten die Führung und war auch der wesentliche Grund dafür, dass die mehrfachen Aufstandsversuche, zuletzt 1936, letztlich scheiterten.

Die zionistische Gemeinschaft, die durch ihre Interessenlage und die Festigung ihrer ökonomischen Basis einen hohen Grad an Einheitlichkeit und Geschlossenheit hatte, konnte sich so Stück für Stück durchsetzen.

Die ,,Wagenburg“ wird zum Staat

Bis in den zweiten Weltkrieg hinein war – sowohl für die zionistische Politik wie den arabischen Widerstand – die Politik der britischen Großmacht entscheidend. Großbritannien, das seine Kolonialpolitik nie auf nur eine Volksgruppe gestützt hatte, sondern jeweils die „Schwächeren“ gegen die „Stärkeren“ hetzte, benutzte wechselweise die zionistische Politik als Gegengewicht zu der wachsenden arabischen Nationalbewegung und die Proteste der Araber gegen das drohende zionistische Übergewicht. Als Mittel diente ihr dazu die Einwanderungspolitik, die „Quotierung“ der Einwanderungszahlen.

Sowohl unter den Führern des arabischen Lagers wie innerhalb des Zionismus war das Verhältnis zur britischen Mandatsmacht gespalten. Diese Widersprüche spitzten sich mit dem deutschen Faschismus zu. Die veränderten europäischen Machtkonstellationen wirkten auch nach Palästina hinein, wo zur gleichen Zeit die Auseinandersetzungen zwischen Zionisten und Arabern auf die Spitze trieben. Ein Teil der feudalen Führung des arabischen Widerstandes suchte den Kontakt zu den faschistischen Achsenmächten, so bei dem spektakulären Besuch des Großmufti von Jerusalem in Berlin. Umgekehrt gab es in der zionistischen Führung Widersprüche über die weitere weltpolitische Orientierung.

Ein Flügel, um Weizmann, setzte auf eine festere Bindung an Großbritannien, ein anderer – um Ben Gurion – auf die USA; teils wegen deren stärker gewordenen Rolle im kapitalistischen Lager, teils wegen der engen Verbindung mit der zionistischen Lobby in den USA.

Mit der Judenverfolgung im faschistischen Deutschland setzte eine neue – und bis dahin größte – Einwanderungswelle in Palästina ein. Die britische Mandatsmacht war kaum in der Lage, diese Flüchtlingsströme aufzuhalten. Nach den vorangegangen Kämpfen im Innern Palästinas bedeutete dieses Anwachsen des jüdischen Gemeinwesens die Erfüllung der zionistischen Hoffnung. Von Anbeginn hatten die Zionisten nicht nur auf die militante Verdrängung der Araber durch den organisierten Zionismus gesetzt, sondern auch auf das zahlenmäßige Wachstum der Juden in Palästina. Dies sollte die Berechtigung für einen nur-jüdischen Staat schaffen.

Noch vor dem Krieg war Großbritannien kaum noch in der Lage, die Situation in Palästina zu beherrschen. Ein entscheidender Durchbruch – zugunsten des Zionismus – war der arabische Aufstand 1936. Großbritannien mußte nun auch im Eigeninteresse (entsprechend der Logik seiner „Schaukelpolitik“) die Schleusen für den Zustrom der Einwanderer wieder offen halten.

Umgekehrt bedeutete die Niederlage im Aufstand eine langandauernde Schwächung des arabischen Widerstandes. Der Zweite Weltkrieg brachte nun – nicht nur in Palästina – das Ende des britischen „Empire“, das weder finanziell noch politisch (angesichts der erstarkenden Nationalbewegungen) aufrechtzuerhalten war. Zwar kämpften sowohl Araber wie Zionisten auf Seiten der Briten, aber im zionistischen Lager entschied sich im Krieg die Bündnisfrage. Der Flügel um Ben Gurion setzte sich mit seiner amerikanischen Orientierung durch, was 1942 mit dem „Biltmore-Abkommen“ besiegelt wurde. Die britische Mandatszeit lief offiziell 1948 ab, bis dahin mussten – in der neu entstandenen weltpolitischen und regionalen Situation – ,,vollendete Verhältnisse“ geschaffen werden. Als am Ende des Krieges wieder Massen von Juden auf dem Weg nach Palästina waren, war der bewaffnete Kampf schon im Gange. Die zionistischen Militär- und Terrororganisationen „Haganah“ (aus der die israelische Armee entstand) und „Irgun“ (unter Führung von Menachem Begin) nahmen den Kampf gegen die britische Mandatsmacht auf. Während der Agonie des britischen Mandats wurden von der neu entstandenen Institution der „Vereinten Nationen“ verschiedene Teilungspläne für Palästina verhandelt. Keiner, auch nicht der letztlich verabschiedete, entsprach den Zielen der Zionisten. Noch in der Nacht, in der die offizielle Mandatszeit der Briten auslief, proklamierte Ben Gurion den neuen Staat Israel, und es begann der erste Nah-Ost-Krieg, in dem durch militärische Expansion und Besetzung das heutige Kerngebiet Israels durchgesetzt wurde. Die Durchsetzung des israelischen Staatsgebiets war verbunden mit der massenhaften Vertreibung der Araber von Grund und Boden, aus ihren Häusern und Städten. Die Geburtsstunde des Staates Israel ist auch die Geburtsstunde der palästinensischen Flüchtlingslager in den arabischen Ländern.


[1] „Seit der Entstehung des politischen Zionismus im 19. Jahrhundert bedeutet der Begriff allgemein ‚jüdische Einwanderung‘ nach Palästina bzw. seit 1948 nach Israel.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Alija; entnommen 9.11.2023)


 

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