Unterdrückung der Palästinasolidarität in Deutschland

„Niemand ist frei, bis alle frei sind“ – antisemitisch?
Quelle: Umbruch Bildarchiv

Die Fülle an Demo- und Kundgebungsverboten, an Behinderungen durch massive Polizeipräsenz, Raumverboten und Auflagen lässt sich im Einzelnen nicht beschreiben. Aber alle diese staatlichen Maßnahmen sind von dem Willen getragen, Solidarität mit der leidenden Bevölkerung in Gaza und Proteste gegen die Besatzungspolitik Israels zu verhindern, Beteiligte einzuschüchtern, um die „deutsche Staatsräson“ durchzusetzen. Dabei herrscht Willkür: Mal wird eine Kundgebung durch ein Verwaltungsgericht genehmigt, dann aber kurz vor Beginn durch die nächste Instanz doch verboten, mal wird eine Kundgebung, die genehmigt wurde, dann doch mit Polizeikräften aufgelöst, weil angeblich gegen Auflagen verstoßen wurde. In Städten, in denen eine größere palästinensische Community existiert, wie in Berlin, Frankfurt und Hamburg, scheinen die Repressionen besonders groß zu sein. Palästinenser:innen und Unterstützer aus Berlin, darunter auch Vertreter der jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten berichten, dass sie sich wie in einem Polizeistaat fühlen. Allein in Kassel wurde nur eine einzige Kundgebung erlaubt, allerdings mit teils absurden Auflagen versehen, verbunden mit der Drohung, die „Mahnwache für die Toten in Gaza“ werde sofort aufgelöst, wenn gegen die Auflagen verstoßen würde. Verlangt wurde: keine antisemitischen Aussagen, keine Parolen, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, deshalb verboten die Parole: „From the River to the Sea, Palestine will be free“, verboten Symbole der Hamas und Hisbollah. Da bekannterweise hierzulande auch Kritik an der Besatzungspolitik Israels als antisemitisch gilt, ist der polizeilichen Willkür Tor und Tür geöffnet. In anderen Städten sind auch schon Palästina-Fahnen untersagt, regelrecht Jagd gemacht wird auf Jugendliche, die ein Palästina-Tuch tragen, in Kassel wurde eine junge Frau, die sich das Gesicht in den Palästina-Farben angemalt hatte, von einem Polizisten ergriffen, der ihr die Farben mit Gewalt abwusch. Der Versuch einer umfassenden Unterdrückung von staatlich nicht genehmen Meinungsäußerungen nimmt teilweise absurde Züge an: In Berlin legte die Bildungssenatorin Katharine Günther Wünsch (CDU) den Schulleitungen aller Berliner Schulen ein Verbot für das Tragen von Palästinensertüchern und anderer Symbole, z. B. Buttons mit der Aufschrift „Free Palestine“, nahe. Begründet wurde diese Ansage im sperrigen Amtsdeutsch, dass „jede demonstrative Handlungsweise oder Meinungsäußerung, die als Befürwortung oder Billigung der Angriffe gegen Israel oder Unterstützung der diese durchführenden Terrororganisationen wie Hamas oder Hisbollah verstanden werden kann, in der gegenwärtigen Situation eine Gefährdung des Schulfriedens darstellt und untersagt ist.

Dass diese Ansage selbst eine erhebliche Gefährdung des Schulfriedens darstellt, kam ihr nicht in den Sinn, allein Meinungsäußerungen, die als Unterstützung von sogenannten Terrororganisationen verstanden werden könnten, sollten schon ein Verbot nach sich ziehen. So will man Schüler:innen zum Duckmäusertum und zu staatstreuen Untertanen erziehen und ihnen schon frühzeitig selbstständiges Denken austreiben. Fehlt nur noch der Prügelstock.

Von ähnlichen Repressionen an der Universität und Kasseler Schulen berichtete ein Mitglied der SDAJ auf einer Mahnwache des Kasseler Friedensforums: „… Hier in Kassel fragen wir uns: Was kommt als Nächstes? Die Stadt Kassel hat bisher alle Kundgebungen gegen das Morden in Gaza abgelehnt, bis auf eine einzige! Und wir haben bewiesen, dass wir friedlich gesinnt sind und keine Gefährdung für die Kasseler Öffentlichkeit darstellen. An den Kasseler Schulen gibt es seit Beginn der aktuellen Situation in Gaza Vorfälle: Am Goethe-Gymnasium zum Beispiel wurde eine Schülerin, die die Kufiya (Anm.: das Palästinensertuch) trug, gefragt, ob sie Terroristin sei. Ein Graffiti mit den Worten „Free Palestine“ führte an einer Kasseler Schule dazu, dass der Staatsschutz eingeschaltet wurde und man Jugendliche wie politische Straftäter behandelt. An der Uni Kassel wurde durch Uni-Leitung und Kriminalpolizei die Vorführung einer Dokumentation über den friedlichen Protest an der Grenze Gazas 2018 und die tödliche Reaktion Israels darauf verboten. Bei einer daraufhin spontan stattfindenden Versammlung an der Uni erfuhren wir erstmals, dass ein Slogan für die Befreiung Palästinas verboten sei. Die Veranstaltung musste deshalb aufgelöst werden und die Polizei nahm die Personalien eines Demonstranten auf. Gestern wurde uns beim Gedenken an Youssef Shaban abermals gezeigt, wie ernst es die Uni-Leitung unter der Führung von Ute Clement mit der Meinungsfreiheit meint. Wir sollten mundtot gemacht werden und kein Wort über die aktuelle politische Lage verlieren. Aber Youssef (Ein Student der Uni, der beim Besuch seiner Familie in Gaza durch eine israelische Bombe ums Leben kam – eine Studentengruppe hatte für ihn eine öffentliche Trauerfeier organisiert) ist nicht durch einen Autounfall oder eine Naturkatastrophe gestorben. (…) Als die Rednerinnen und Redner es wagten, seinen Tod zu kontextualisieren, entriss die Uni-Präsidentin ihnen das Mikrofon, stellte die Lautsprecher ab und beendete die Veranstaltung.“ (Was ihr letztendlich nicht gelang!)

Zum Schluss seiner Rede äußerte der junge Genosse noch einen wichtigen Gedanken. Er betonte, dass es wichtig sei, dass wir uns zusammenschließen, denn überall in unserem Alltag seien wir Lügen und Diskriminierung ausgesetzt. Wir müssten uns gegenseitig unterstützen, um nicht machtlos und allein zu sein.

Der Gedanke der politischen Zusammenarbeit über politische Grenzen hinweg wird immer dringlicher, denn wir müssen uns darauf einstellen, dass eine zunehmend aggressivere Außenpolitik begleitet werden wird von einer zunehmend repressiveren Innenpolitik. Die Verschärfung von Polizeigesetzen spricht eine deutliche Sprache. Heute sind es noch Minderheiten, im aktuellen Fall mit migrantischem Hintergrund, die die staatliche Unterdrückung zu spüren bekommen. Aber das wird nicht so bleiben, wenn größere Teile der noch passiven Bevölkerung beginnen, gegen den zu erwartenden sozialen Abstieg zu kämpfen. Dann werden die heute gegen eine Minderheit geschaffenen Gesetze alle Menschen treffen, die sich wehren. Darauf müssen wir uns einstellen.

5. November 2023


 

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