Seit Mitte Januar finden in Deutschland unzählige Demonstrationen gegen die AfD mit enormem Zulauf statt. Ausgelöst wurden diese Demonstrationen durch einen Bericht der Recherchegruppe CORRECTIV. AfD-Politiker*innen, Neonazis und finanzstarke Unternehmer kamen im November 2023 in einem Hotel in der Nähe Potsdam zusammen. Sie besprachen Möglichkeiten der Deportation von Millionen von Menschen aus Deutschland. CORRECTIV war auch im Hotel – und hat das Treffen dokumentiert. Die ganze Recherche findet sich hier.
Dieser Bericht hat viele Menschen erschüttert und aufgerührt. Er war aber nur der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Stetig steigende Umfrageergebnisse für die AfD, die Wahl von AfD-Kandidaten zu Bürgermeistern und Landräten und die Wahlerfolge in Bayern und Hessen machten schon vorher vielen Menschen Angst. Auch Arbeitgeber zeigten sich schon länger besorgt. „Die guten Umfragewerte der AfD erschüttern mich persönlich und auch als Unternehmer“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger (Tagesspiegel 26.7.2023). Vor allem die Kritik der AfD an der EU und die strikte Ablehnung von Zuwanderung lassen ihn um die wirtschaftliche Zukunft fürchten.
Anfangs waren es kleine Gruppen, die zu diesen Demonstrationen aufriefen. Da sie an den Aufrufen meistens nichts auszusetzen hatten, riefen auch SPD und Grüne zur Beteiligung auf. In vielen anderen Orten wurden danach die Demonstrationen gleich von SPD, GRÜNEN oder ihrem Umfeld organisiert. Auch IHK und DGB waren in der Regel im Boot. Unabhängig davon, wer zu den Protesten aufrief: Der Zulauf war überwältigend. In mehreren Städten musste der Zugang zum Kundgebungsort wegen Überfüllung geschlossen werden. In Großstädten wie Berlin, Hamburg oder Köln nahmen weit über 100.000 Menschen an den Protesten teil. Dabei hinderte es sie nicht an der Teilnahme, dass Bundesregierung und die Unionsparteien selbst an eigenen Programmen zur erleichterten Abschiebung von Asylsuchenden arbeiten.
Bald war es dann auch an CDU und CSU sich diesen Protesten anzuschließen. Markus Söder, der noch wenige Wochen zuvor in den GRÜNEN den Hauptfeind ausgemacht hatte, begrüßte die Demonstrationen als „ein gutes Signal“ und auch Friedrich Merz will in ihnen ein „ermutigendes Zeichen“ gesehen haben. Nur Hubert Aiwanger, Vorsitzender der Freien Wähler und bayrischer Wirtschaftsminister will bewährte Feindbilder nicht so ohne Weiteres aufgeben. „Die Demos gegen Rechts sind vielfach von Linksextremisten unterwandert. (…) Ich erwarte die Distanzierung aller Demokraten und der Bundesregierung von Linksextremisten“, schrieb der Freie-Wähler-Vorsitzende auf X, was früher einmal twitter hieß. (SZ-online, 19.1.2024)
Die Linken weitgehend ohne eigene Position
Tatsächlich sind auf den Demonstrationen viele Menschen zu sehen, die sich selbst als Linke begreifen. Allerdings vertreten sie dabei meistens keine linken Positionen. Ihnen gefällt es, im Strom der „wehrhaften Demokraten“ mitzuschwimmen. Dabei wäre es wichtig, die Frage zu stellen, was eigentlich die Ursachen für das Erstarken der AfD sind. Mittlerweile gibt es viele Studien, die einen Zusammenhang von Stimmabgabe für die AfD und schlechten Arbeits- und Lebensverhältnissen zeigen. Prekäre Arbeitsverhältnisse, stetig steigende Mietbelastungen und Energiepreise, Sparen am Bürgergeld und bei der Kindergrundsicherung sind Maßnahmen, die der AfD Wahlerfolge bescheren. Auch die unglaubliche Aufrüstung hat Kürzungen im Sozialbereich zur Folge. Wer als Linker die AfD wirksam bekämpfen will, muss diese Themen aufgreifen. Und dann ist es nicht möglich widerspruchslos mitzulaufen. Diese Demonstrationen haben nicht das Ziel gesellschaftliche Änderungen oder eine andere Politik herbeizuführen. Sie wollen alles lassen, wie es ist. Dabei ist dieser Ist-Zustand die Basis für das Erstarken rechter Parteien hier und auch in anderen Ländern.
Ein bloßes Mitlaufen bei diesen Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltungen ist bequem, hilft allerdings nur den Regierungsparteien, die hoffen können ihren Imageverlust der letzten Monate zumindest teilweise zu kompensieren. Die notwendige Kritik an der Sozialpolitik der Ampel-Regierung macht es notwendig, bei den Demonstrationen gegen den Strom zu schwimmen und Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen. Diese Bereitschaft zeigt sich nur bei einem kleinen Teil der Linken. Grundsätzliche Differenzen zu bürgerlichen Parteien sind häufig nicht mehr feststellbar. Dabei ist es deren Politik, die zum Erstarken der AfD beiträgt.
Gewerkschaften: Sozialpartnerschaftlich gegen rechts?
Auch die Gewerkschaften beteiligen sich an den Protesten ohne die Politik der Regierung zu thematisieren. Während sie die Sparpolitik der Ampel allenfalls verbal angreifen, können sie sich gegen die AfD kämpferisch geben. Das tut weder der Regierung noch den Herrschenden weh. In einer gemeinsamen Erklärung betonen DGB und Arbeitgeberverband die Bedeutung der Sozialpartnerschaft für die Entwicklung „eines Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell, das einen fairen und sozialen Ausgleich ermöglicht“
Diese Sozialpartnerschaft ist es aber, die dazu beiträgt, Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen nicht konsequent abzuwehren. Stattdessen wird mitgestaltet, wie das Kapitalinteresse etwas sozialverträglicher durchgesetzt werden kann. Wer dabei auf der Strecke bleibt, kann in den Gewerkschaften nicht die Kraft erkennen, mit der sie ihre Interessen durchsetzen können. Das ist der Boden aus Enttäuschten und Verunsicherten, auf dem die AfD prächtig gedeihen kann.
Auswirkungen auf die AfD
Die AfD selbst kritisiert natürlich Demonstrationen, wirft den öffentlich-rechtlichen Sendern vor, Bilder zu zeigen, auf denen die Masse der Demonstrierenden übertrieben groß dargestellt sei. Im Endeffekt dürften diese Aktionen der AfD aber kaum schaden. Die mit der AfD Sympathisierenden werden dadurch nicht angesprochen. Diese haben mit den etablierten Parteien gebrochen und sind für deren Argumente nicht zugänglich. Die soziale Situation von Abgehängten und von Ausgrenzung Bedrohten hat sich nicht verändert und die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse bleiben wie sie sind. Die Ursachen der AfD-Erfolge sind also nicht verschwunden.
Wer ernsthaft dazu beitragen will, den Einfluss der AfD zu schwächen, muss versuchen, deren Anhang anzusprechen. Und dies gelingt nicht, wenn die Gegner der AfD unter sich bleiben und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen. Die AfD macht Zuwanderung und Klimaschutz für fast alle Probleme verantwortlich. Wichtig ist es daher, andere Antworten auf die existenziellen Probleme zu geben, die viele Menschen betreffen. Renten, Mieten, städtische Gebühren, Mindestlohn, Klimageld u.a. sind Themen, mit denen AfD Anhänger angesprochen werden können. Durch Initiativen und Aktionen zu diesen Themen besteht die Hoffnung, auch Teile der AfD-Basis anzusprechen und in Aktivitäten einzubeziehen. Dann würden rassistische Erklärungen für prekäre Lebenslagen zurückgedrängt und statt des Gegensatzes von deutsch und nicht-deutsch der Gegensatz von oben und unten nach vorne gerückt.
Auswirkungen auf die CDU
CDU und CSU sind relativ spät auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Sie haben seit dem Wahlkampf zu den Landtagswahlen in Hessen und Bayern selbst viel zur Rechtsentwicklung beigetragen und konnten die Regierungsparteien vor sich hertreiben. Sehen diese nun die Chance, wieder Boden unter die Füße zu bekommen, so ist die Lage für CDU/CSU ambivalent. Verweigern sie sich der Teilnahme an den Kundgebungen, laufen sie Gefahr, den eher liberalen Teil ihrer Basis zu verprellen und besonders in den Großstädten Einbußen hinzunehmen. Bei einer Beteiligung aber müssen sie damit rechnen, Stimmen an die AfD zu verlieren.
Sollte diese Bewegung länger anhalten, werden Konflikte innerhalb der CDU zunehmen und der rechtskonservative Kurs von Friedrich Merz könnte stärker infrage gestellt werden.
R./DA.
Korrespondenz aus Darmstadt
Die erste Demonstration In Darmstadt fand schon am 11. Januar statt, nur einen Tag, nachdem die Recherche von Correctiv veröffentlicht wurde. Aufgerufen hatten die Interventionistische Linke, Gruppen, die in der Asyl- und Flüchtlingspolitik tätig sind, und Aktive von „Fridays for Future“. Kritisiert wurde nicht nur die AfD, sondern auch die etablierten Parteien, bei denen es ja eigene Pläne für erleichterte Abschiebungen gab. Trotz der geringen Zeit für Mobilisierung folgten 700 Menschen spontan diesem Aufruf. Die große Beteiligung zeigt, dass viele Menschen sehr empört sind über die Abschiebepläne. Die Wahl der AfD gilt in diesem Spektrum pauschal als „Rassismus“. Außerdem wurde der AfD Leugnung des Klimawandels und Feindschaft gegen sexuelle Minderheiten vorgeworfen. Die Frage, woher dieser Rassismus und diese Intoleranz kommt, wird gar nicht erst gestellt. Er wird wohl eher als eine Frage schlechten Charakters gesehen. In diesem Spektrum wird zwar häufig von Kapitalismus geredet, von Klassen aber lieber geschwiegen. So spielt auch die Sparpolitik zulasten der unteren Einkommensschichten keine Rolle.
Eine zweite Kundgebung am 23.1. wurde dann von ganz oben organisiert. Oberbürgermeister (SPD), Magistrat und die darin vertretenen Parteien (GRÜNE, CDU, Volt) sprachen Institutionen wie die Hochschulen, Kirchen und die IHK an. Bei Planung der Kundgebung wurde der DGB außen vorgelassen. Einige sozialdemokritische Gewerkschaftsmitglieder intervenierten daraufhin bei ihrem Parteifreund im OB-Amt und meinten, dass es nicht angehe, zwar die IHK aber nicht den DGB einzubinden. IGM, DGB, das „Bündnis gegen rechts“ und DIDF organisierten eine eigene Demonstration hin zum Platz der offiziellen Kundgebung. An dieser Demonstration nahmen über 2000 Menschen teil. Die Reden bei der Auftaktkundgebung gaben sich sehr kämpferisch, vor allem in Richtung AfD. Immer wieder wurde die AfD in die Nähe des Faschismus gerückt und die Abschiebepläne der Regierung und der CDU wurden kritisiert. Auch wurde angemahnt, dass es grundlegender, „struktureller Veränderungen“ bedarf, was bei den Verantwortlichen in der Politik noch nicht angekommen sei. Das ist wohl als Kritik an der Arbeits- und Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte gemeint.
Als der Demonstrationszug vom Gewerkschaftshaus am Ort der offiziellen Kundgebung ankam war dieser bereits mit 15.000 Menschen gefüllt. Die Rednerinnen und Redner brachten das, was zu erwarten war. „Klare Kante gegen die AfD“, „für rechte Hetzer ist in Darmstadt kein Platz“ usw. Die Präsidentin der TU Darmstadt wusste dann noch wie wichtig Bildung und Wissenschaft sind um die Demokratie zu verteidigen und forderte dafür mehr Geld. Der OB gestand dem DGB dann kurzfristig doch noch eine Rede zu. Dabei soll er aber zur Bedingung gemacht haben, dass eine bestimmte Person (auch SPD-Mitglied) nicht reden dürfe, da er immer so radikale Reden halte und die bürgerliche Mitte verschrecken könne. Darauf ließ sich der DGB ein. Die Rede des DGB-Vertreters unterschied sich inhaltlich kaum von den anderen Reden. Immerhin sagte er, dass die Unzufriedenheit mit der sozialen Lage auch ein Grund für den Aufstieg der AfD sei.
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