„Wir haben keine Kultur der Produktion“

Wir empfehlen ...

​Die wirtschaftliche Lage auf Kuba wird immer schwieriger

Cuba Libre Nr. 1, 2024
Wir haben bereits am 24. Mai 2023 auf unserer Website durch einen Nachdruck aus CUBA LIBRE 2-2023 auf die aktuelle ökonomische und politische Situation in Kuba aufmerksam gemacht.
Den Ausweg aus der prekären wirtschaftlichen Notlage scheint die politische Führung des Landes in einer weiteren, weit grösseren Zulassung von kleineren Privatunternehmen zu suchen.
Ein weiterer Artikel aus der aktuellen CUBA LIBRE 1-2024, den wir dankenswerter Weise hier veröffentlichen dürfen, beleuchtet die Zusammenhänge aktualisiert.

Die gegenwärtige schlechte Versorgungslage auf Kuba, gerade auch bei Lebensmitteln, ist gekennzeichnet durch Knappheit bei oft hohen Preissteigerungen und im Verhältnis dazu zu niedrigen Einkommen. Bei einem Ministertreffen platzte dem stellvertretenden Premierminister Jorge Luis Tapia Fonseca der Kragen: „Es muss gearbeitet werden, um Lebensmittel zu produzieren. Alle wollen Essen vorgesetzt bekommen, doch wir tun zu wenig, Lebensmittel herzustellen. Wir haben keine Kultur der Produktion.“

Hinzu kommen Probleme wie die Energieknappheit. Oder Wetterkapriolen wie zeitweise Trockenheit, welche zu Schwierigkeiten bei der Wasserversorgung führt, während andererseits schwere Sturmschäden mit Übers­chwemmungen die Arbeit der Menschen auf dem Lande zunichte machen: Der Klimawandel zeigt sich auf Kuba in extremen Ausprägungen.

Die wirtschaftliche „Neuordnung“, von der man sich viel versprochen hatte, wurde – wie die gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten – durch die Corona-Epedemie und fehlende Einnahmen durch den ausbleibenden Tourismus ausgebremst, kam also zumindest zu keinem passenden Zeitpunkt: Die Aufwertung des Peso ging nicht einher mit einer Steigerung der materiellen Produktion. Diese wäre notwendig, um die Preissteigerungen unter Kontrolle zu bringen. 2022 betrugen diese 39 Prozent, 2023 lagen sie bis August bei weiteren 18%. Bei den Lebensmitteln müssen etwa 80% importiert werden, während es vor 5 Jahren nur 70% waren. Der Krieg in der Ukraine hat zusätzlich weltweite Preissteigerungen verursacht, welche auch Kubas Importe stark belasten.

Inwieweit eine Landflucht durch die anhaltenden Versuche kompensiert wird, den Menschen das Leben und die Arbeit auf dem Lande anzutragen, ist unklar. Parlamentspräsident Esteban Lazo forderte, dass diejenigen, die diese Option wahrnehmen wollen, mehr landwirtschaftliches Wissen und somit Schulungen brauchen. So sollen von den Landflächen, die seit 2008 für Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung gestellt wurden, etwa 250.000 Hektar immer noch brachliegen. Dennoch gibt es immer wieder Beispiele aus den Provinzen von landwirtschaftlichen Betrieben oder Kooperativen, wo gut gewirtschaftet wird. Viel ist abhängig vom Engagement der Menschen vor Ort. Die Verlagerung von mehr Verantwortung und Autonomie auf die Gemeindeebene hat sicherlich einen beträchtlichen Beitrag dazu geleistet.

Neben objektiven Schwierigkeiten und eigenen Unzulänglichkeiten schwebt über allem die niederträchtige Handels-, Wirtschafts- und Finanzblockade der USA, einhergehend mit einer völlig ungerechtfertigten Eintragung Kubas in eine US-Liste von Staaten, die angeblich Terror unterstützen. Diese Maßnahmen sollen Kubas Wirtschaftsaktivitäten erdrosseln sowie seinen Außenhandel und die Beschaffung von Investitionen und Krediten international zum Erliegen bringen. Aber soweit ist es noch lange nicht.

Zurück zur Lebensmittelversorgung: Die Menschen Kubas konsumierten 2022 im Schnitt 438 g tierisches Protein monatlich, 2023 waren es bis Mai nur 347 g. Ernährungsempfehlungen liegen bei etwa 1,5 kg pro Monat. Milch für Erwachsene fehlt. Unter diesen Bedingungen nimmt Viehdiebstahl zu und erreicht Höchststände: Über 45.000 Tiere wurden bis Oktober 2023 gestohlen.

Eier sind schon immer eine wichtige Quelle für tierisches Eiweiß gewesen. Gegenwärtig stockt auch dort die Produktion und auf dem Zuteilungsheft „Libreta“ gab es in den letzten Monaten nur noch fünf Stück monatlich pro Person. Sonst sind sie nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich, wo eine Palette mit dreißig Stück im Oktober 2023 für 2800 Pesos verkauft wurde. Das ist in etwa doppelt so viel wie eine durchschnittliche monatliche Rente, wie „Cubadebate“ feststellte. „Wenn man die Knappheit anderer Proteinquellen dazu rechnet, die ungebremste Inflation, den Wertverlust der nationalen Währung und die beständigen Preissteigerungen auf dem Schwarzmarkt, dann wird es zu einer titanischen Aufgabe, eine Mahlzeit auf den Tisch zu bringen“, hieß es da. Das Portal berichtete, dass das Landwirtschaftsministerium eine Anfrage dazu nicht beantwortete. Einige Provinzmedien sprachen mit Produzenten über ihre Erfahrungen und brachten etwas Klarheit über die Ursachen dieser Entwicklung.

„Ein Blechkanister mit Fertigfutter, wenn man ihn denn erhält, kostet ungefähr 1500 Pesos, ein Pfund getrocknete Maiskörner beispielsweise 50 Pesos“, so ein Bauer. Nennenswerte Erlöse sind so für die Produzenten nicht zu erzielen. Aus der Provinz Guantánamo wurde berichtet, dass 2021 noch etwas mehr als 64 Millionen Eier produziert wurden, womit man jedoch bereits mit neun Millionen Stück unter dem Planziel lag. 2022 wurde mit etwas über 47 Millionen Eiern nur die Hälfte der geplanten Menge erreicht. Die unzureichende Futterversorgung der Hühner, die verspätete Belieferung mit Junghennen sowie die erhöhten Preise für Treibstoff und andere Betriebsmittel wurden als Erschwernisse für die Produktion benannt. Im Oktober 2022 wurde aus Santiago de Cuba über einen Großbetrieb berichtet, der statt einer geplanten Stückzahl von knapp 390.000 Hennen nur über 280.000 verfügte und nur knapp 50 Prozent der anvisierten Produktionsmenge erreichte. Die eingeplanten Futtermengen, vor allem Soja und Mais, waren nicht zu beschaffen, was die Legeleistung der Hühner stark beeinträchtigte. Hinzu kam eine Knappheit an Kartonpaletten, wodurch zeitweilig der Vertrieb stark erschwert wurde.

Alternativ verbreitet sich landesweit eine Hühnerzucht, die auf Rassen oder ihrer Einkreuzung basiert, welche weniger abhängig sind von Zufütterung, sich freilaufend weitgehend selbst von Insekten und Gräsern ernähren und dennoch gute Resultate liefern. Doch sie können insgesamt die benötigten Mengen (noch) nicht liefern, sind eher für Kleinbetriebe geeignet. Als Fazit bleibt, dass fünf Eier pro Monat und Person nicht ausreichend sind.

Die Vielfalt der Probleme „führt zu Verhaltensweisen, welche die allgegenwärtige Blockade verstärken durch Passivität, Apathie, Unsensibilität, Unfähigkeit oder ganz einfach Müdigkeit und Mangel an Glauben“, stellte Präsident Diaz-Canel im August fest. Die kleinen und mittleren Privatbetriebe, „Mipymes“ genannt, die eine stärkere Rolle in der Produktion spielen sollen, haben dieses Ziel bestenfalls in kleinen Teilbereichen erreicht. Sie unterliegen weitgehend den gleichen Bedingungen, den Beschränkungen, dem Mangel an Ressourcen und an Kapital wie die Staatsbetriebe. Wo sie Erfolge erzielen, verstärken sie soziale Ungleichheiten und werden nicht zuletzt deshalb kontrovers diskutiert oder stoßen auf Vorbehalte. Eine Ausweitung dieser Produktionsform könnte das soziale Gefüge der vom Anspruch her immer noch egalitären Gesellschaft Kubas in Frage stellen und erodieren lassen.

Dies wird von Konterrevolutionären in Kuba und aus dem feindlichen Ausland herbeigewünscht und beständig angestachelt. Es würde die Probleme des Landes nicht lösen, denn es sind eben diese Feinde, die sich nicht mit Halbheiten zufrieden geben: Unabhängig von kapitalistischen „Reformen“ streben sie die totale Zerstörung des revolutionären Beispiels an, das Kuba der Welt gegeben hat und die Folgen wären für die Menschen in Kuba in jedem Fall katastrophal.

Gegenwärtig erlebt das Land eine Auswanderungswelle von Leuten, die meinen, individuell in den Zentren des entwickelten Kapitalismus ein materiell besseres Leben vorzufinden. Wie Déborah Azcuy Carillo, die u. a. auch für Deutschland Zuständige des kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP) auf ihrer kürzlichen Rundreise in Deutschland erklärte, sind diese Migranten ein großes Thema. Doch was nicht gesagt werde, ist die Tatsache, dass viele von ihnen nach einiger Zeit wieder in ihre Heimat zurückkehren. Das lässt darauf schließen, dass viele ihrer Wunschträume und Phantasien im Ausland zerplatzt sind.

Worin besteht denn die „Produktionskultur“ des Kapitalismus? Brutale Konkurrenzgesellschaften, in denen viele Besitzlose aus fast allen Zusammenhängen ganz herausfallen und eine kleine Minderheit immer größere Reichtümer akkumuliert. Beständig werden die Märkte durch neue Produkte überflutet, ob sie sinnvoll oder überflüssig sind – immer auf schnellen Verschleiß produziert und ohne jede Berücksichtigung ökologischer Aspekte. Sie stehen für diejenigen zur Verfügung, die dieses Rattenrennen um Geld, Konsum und Status als Lebenszweck verinnerlicht haben. Individualisierung, Entfremdung und eine beständige Berieselung mit Banalitäten lassen die Menschen abstumpfen und machen sie manipulierbar – schlechte Aussichten.

Kuba verfügt hingegen über einen soliden sozialen Zusammenhalt; Bildung und Gesundheitsversorgung sind für alle kostenlos, die Gemeinschaft stellt eine Minimalversorgung auf der Libreta und Wohnraum für alle bereit. „Niemand soll zurückgelassen werden“, so Miguel Diaz-Canel. Die Teilhabe an kultureller Vielfalt ist eine Selbstverständlichkeit. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Belange werden breit diskutiert und entschieden. Menschliche Solidarität und zukunftsweisende Ideen stehen weiterhin hoch im Kurs. Das neue Familiengesetz hat gezeigt, zu welchen Lösungen eine solche Gesellschaft in der Lage ist. Deshalb schaut die Welt auf Kuba.

„Wo zehn Kubaner zusammensitzen, gibt es zehn verschiedene Meinungen – oder mehr“, sagte uns Déborah. Wenn die große Mehrheit in Kuba über ihre einzigartigen Fortschritte und ihre Lebensqualität Einigkeit bewahrt und sich klarmacht, was auf dem Spiel steht, wird das Land seinen Weg weitergehen, auch wenn in der Wirtschaft beständig improvisiert werden muss.

Die hierzulande mit der Drohung des individuellen Niedergangs erzwungene „Kultur“ der totalen (Selbst-)ausbeutung des Menschen bleibt in dieser Form in Kuba als Leitbild hoffentlich auch zukünftig außen vor. Sie könnte das Ende des kubanischen Sozialismus einläuten.

von Wolfgang Mix


 

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*