Am 6. November versammelten sich in Berlin etwa 2.000 Senior:innen in der Nähe des Bundestages zu einer Kundgebung. Sie forderten, die Bundesregierung solle auch den Rentner:innen eine Inflationsausgleichsprämie zahlen.
Konkreter Anlass für die Veranstaltung war, der stellvertretenden Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Bundestages öffentlichkeitswirksam 250.000 Unterschriften zu übergeben, die binnen kurzer Zeit über die Plattform WeAct gesammelt worden waren. Doch Britta Hagedorn (SPD) erschien nicht.
Die Kundgebung war organisiert worden von einem Bündnis, das sich im Norddeutschen Raum zusammengefunden hatte. In ihm sind die regionalen Seniorenverbände der Gewerkschaften (vor allem IG Metall, EVG und ver.di Hamburg), der Sozialverband Deutschland (SOVD), die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Sozialverband VdK vertreten. Die Initiative wird unterstützt vom Jour fixe Hamburg, dem Labournet Germany und der Initiative RentenZukunft. In Hamburg gab es Mitte des Jahres bereits zwei Kundgebungen.
Dass das Anliegen der Initiatoren noch nicht zu einer bundesweiten Mobilisierung geführt hat, liegt auch am DGB. Er lehnte es im Frühjahr ab, einen von der EVG eingebrachten Antrag zu dem Thema auf der anstehenden Bundesvorstandssitzung zur Entscheidung vorzulegen. In den beigefügten Unterlagen wurde er mit der Bemerkung ‚Nichtbefassung‘ versehen. Alle Versuche von Aktivist:innen, vom Bundesvorstand eine Begründung für dieses Vorgehen zu bekommen, scheiterten. Die Vermutung liegt nahe, dass der DGB-Vorstand mit einer von ihm unterstützten milliardenschweren Forderung, nicht die auf der Kippe stehenden Koalitionsverhandlungen über den Bundeshaushalt 2025 belasten wollte. Den Sturz „ihres“ Kanzlers wollte er unter allen Umständen vermeiden.
Auch wenn der DGB die Forderung nach einer Inflationsausgleichsprämie nicht offiziell unterstützt, so können die Seniorenverbände der DGB-Gewerkschaften wie auch die unteren Gremien der Einzelverbände sie propagieren und für ihre Durchsetzung eintreten.
Zur Lage der Rentner
Gemeinsames Ziel aller am Bündnis beteiligten Gruppen ist, einen Kaufkraftausgleich für die gesetzlich versicherten Rentner zu erreichen. Die Rentenerhöhungen der letzten Jahre reichten nicht aus, so die einhellige Einschätzung aller Redner, um die dramatischen Teuerungen seit 2020 auszugleichen. Die Preissteigerungen betrafen vor allem die Aufwendungen für Nahrungsmittel, Energie und Wohnen. Alles Ausgaben, auf die niemand verzichten kann, der ein würdiges Leben führen möchte. Immer mehr Rentner stellten derzeit Anträge auf zusätzliche Unterstützungsleistungen. Die Zahl derjenigen, die zu den Tafeln gehen müssen, um sich halbwegs gesund zu ernähren, nähme stetig zu. Ein Teuerungsausgleich für die 21 Millionen gesetzlich Versicherten sei deshalb ein Akt der Gerechtigkeit, so übereinstimmend die Schlussfolgerung. Die Inflationsausgleichsprämie für die pensionierten Beamten habe der Staat etwa drei Milliarden Euro gekostet, trotz knapper Haushaltskassen.
Alle Redner betonten, dass sich die Lage der Rentner bedrohlich verschlechtert habe, seit die beiden Schröder-Regierungen Ende der 90er Jahre das Rentenniveau deutlich abgesenkt hat. Mittlerweile erhielten Rentner, die 45 Beitragsjahre als Vollzeitbeschäftigte eingezahlt haben, nur noch 48 % ihres langjährigen Durchschnittsverdienstes an Rente. Vor zwanzig Jahren waren es noch 53 %. Die Riesterrente als Kompensation sei gescheitert, auskömmliche Betriebsrenten würden nur wenige bekommen. Zur Senkung der Renten trüge maßgeblich der Mindestlohnsektor bei, der in den letzten Jahren ständig gewachsen sei. Niedrige oder häufig gar keine Zahlungen der prekär Beschäftigten in die Rentenkasse würden deren Leistungsfähigkeit belasten.
Reform der Altersversicherung
Da allen Sprechern des Bündnisses klar war, dass die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie das Rentenniveau nicht insgesamt erhöhe, setzten sie sich für eine grundlegende Reform der Alterssicherung ein. Sie müsse als ‚Erwerbstätigenversicherung‘ organisiert werden, in die alle, Tarifbeschäftigte, Beamte, Selbständige und Politiker einzuzahlen hätten. Die Berechnung der Rente müsse nach gleichen Kriterien erfolgen, wobei sie ab einer noch zu bestimmenden Höhe durchaus gedeckelt werden könne. Die privilegierten Rentensysteme für Beamte, Richter und Abgeordnete gehörten abgeschafft. Orientierungspunkt sei, so die meisten Redner, das österreichische Niveau, das etwa bei 80 % des durchschnittlichen Brutto der früheren Erwerbseinkünfte liege.
Als erste Etappe auf dem Weg zum Ziel sollte nach Ursula Engelen-Kefer, der früheren stellvertretenden DGB-Vorsitzenden und jetzigen Chefin des Landesverbandes der SOVD Berlin, das Rentenniveau von 53 % angestrebt werden, das vor den Absenkungen der rot-grünen Regierungen gegolten habe.
Auch die geladenen Vertreter des Bundestagsparteien schlossen sich der Forderung nach einer radikalen Reform der Rentenversicherung an. Die Vertreter der Linken und des BSW argumentierten inhaltsgleich. Auch der frühere ver.di-Vorsitzende Bsirske, aktuell Mitglied der Bundestagsfraktion der Grünen, schloss sich dem an. Ein Mitglied der SPD-Fraktion, das auch sprechen sollte, hatte kurzfristig abgesagt.
Belastung der Rentenkasse durch Haushaltsbeschlüsse
Durch eine Vielzahl von politischen Entscheidungen der letzten Jahre, gerät die Kasse der Rentenversicherung zunehmend unter Druck. Das liegt weniger an dem in der Öffentlichkeit immer wieder vorgeschobenen Umstand, dass in den kommenden Jahren eine große Zahl der sog. Baby-Boomer-Generation in den Ruhestand tritt, sondern an zwei strukturellen Problemen:
Zum einen werden die Pro-Kopf-Zahlungen in die Rentenkasse immer geringer. Die heutigen Beschäftigten sind bei Beginn ihrer Erwerbstätigkeit oder nach längerer Arbeitslosigkeit häufig in prekären Beschäftigungsverhältnissen, die überwiegend mit dem Mindestlohn abgegolten werden. Sie haben nur gelegentlich Vollzeitstellen und müssen immer wieder Zeiten der Arbeitslosigkeit zwischen zwei befristeten Arbeitsverträgen hinnehmen.
Zum anderen ist die Rentenkasse unterfinanziert. Da sie verpflichtet ist, politisch beschlossene Regelungen zur Verbesserung der Rentenleistungen zu zahlen (z. B. für Kriegs- und Verfolgungsopfer, Fremdrenten, Höherbewertung von Ost-Renten, Mütterrenten I und II, Grundrenten, Ausbildungszeiten, etc.), erhält sie aus dem Bundeshaushalt einen Zuschuss. Der deckt aber nur einen Teil der nicht beitragsgedeckten Ausgaben. Nach Aussage der Initiative RentenZukunft, die sich auf die Mitteilungen der Deutschen Rentenversicherung Bund bezieht, belief sich der Fehlbetrag im Jahre 2020 auf 37 Milliarden Euro. Die Ampelregierung wollte anfänglich diesen mindern, doch ihre Haushaltsbeschlüsse weisen in eine andere Richtung. Von 2022 bis Ende 2027 wird der Bundeszuschuss um weitere 6,8 Milliarden Euro gekürzt. Hinzu kommt, dass die im Koalitionsvertrag angekündigte Finanzierung von Rentenpunkten für Angehörige, die ein bedürftiges Familienmitglied pflegen, aus Steuermitteln einvernehmlich gestrichen wurde.
Perspektiven
Die Initiative für die Zahlung eines Inflationsausgleichs für die gesetzlich versicherten Rentner wird nur Erfolg haben, wenn alle Akteure am gleichen Strang ziehen und sich auf die Durchsetzung der Forderung konzentrieren.
Da die gesetzliche Grundlage für die Zahlung einer Prämie Ende des Jahre ausläuft, muss schnell gehandelt werden. Wichtig wird es in den kommenden Wochen sein, auch im Süden und Westen Stützpunkte zu errichten.
In Kürze wird es auch eine Petition zu dem Thema geben. Der SOVD hatte diese angestoßen. Nach langem Hin und Her konnte der Versuch des zuständigen Bundestagsausschusses, die Initiative auszubremsen, zurückgewiesen werden.
Nach dem Scheitern der Ampelkoalition scheinen keine guten Voraussetzungen für die Durchsetzung der Forderung zu bestehen. Gleichwohl schafft der beginnende Wahlkampf die Möglichkeit, die schleichende Verarmung der Rentner durch die Inflation zu thematisieren und alle Parteien zu einer öffentlichen Stellungnahme herauszufordern. Gerade die SPD, die in den Rentnern eine ihre letzten Bastionen besitzt, kann unter Druck gesetzt werden.
Auch besteht die Chance, die Forderung nach Ausgleichszahlungen für die Rentner in die kommenden Proteste gegen die Sparhaushalte der Länder und Kommunen einzubringen. In Düsseldorf kam es Mitte November bereits zu einer ersten größeren Kundgebung. Und in Berlin mobilisierten die Kulturarbeiter mit großem Erfolg gegen die vom schwarz-roten Senat geplanten drastischen Einschnitte in ihrem Bereich.
H.B., 25.11.2024
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