- Die US-WählerInnen haben am 5. November Trump zum Präsidenten gewählt. Trump hatte 2021 bewiesen, dass er bereit ist, die Verfassung zu brechen, als er seine Anhänger zum Sturm aufs Kapitol aufrief. Er ist ein Putschist, der die demokratischen Spielregeln nur akzeptiert, wenn sie ihm nützen. Vor den Wahlen hatte er angekündigt, das Wahlergebnis nur zu akzeptieren, wenn er gewinnt. Gleichzeitig kündigte er an, dass, wenn er gewinnt, die Wahlergebnisse immer in die richtige Richtung gehen (also zur Not gefälscht) würden.
- Die US-Demokratie als Form der bürgerlichen Herrschaft wurde schwer beschädigt. Die Kontrolle der Regierung, die Kongress und Justiz ausüben sollen, wird ausgehebelt. Das Oberste Gericht ist inzwischen mehrheitlich von Trump loyalen Juristen besetzt. Es hat vor kurzem beschlossen, dass der Präsident über dem Gesetz steht, als es erklärte, dass Trump am 6. Januar 2021 als Präsident gehandelt habe und deshalb juristisch nicht zu verfolgen sei – ein kleines „Ermächtigungsgesetz“. Die republikanische Mehrheit in beiden Kammern wird ihre Wahlerfolge als Freibrief betrachten, um die Opposition niederzumachen. Die Opposition wird zum inneren Feind erklärt, den es zu vernichten gilt, so die rhetorischen Absichtserklärungen.
- Trump erhielt in etwa so viele Wählerstimmen wie vor vier Jahren. Er gewann sie, weil er allen alles versprach: Den Reichen Steuersenkungen und Deregulierung, den Arbeitern Senkung der Lebenshaltungskosten und Sicherung der Arbeitsplätze, allerdings nur für US-Bürger. Menschen ohne US-Pass sollen alle Rechte verlieren und abgeschoben werden. Dazu kommen Angriffe auf Frauen, Minderheiten, „Linke“, Umweltschützer etc.
- Gewählt wurde er von vielen aufgrund der Inflation und der damit gestiegenen Lebenshaltungskosten in den letzten vier Jahren. Das ist eine Folge der staatlichen Schuldenpolitik, die immer neues Geld in die Zirkulation pumpt. Der Verlust der industriellen Führerschaft und der damit einhergehenden Einnahmen zwingt die US-Regierung zur Finanzierung ihrer Weltmachtausübung durch Schuldenaufnahme. Das bleibt unlösbar.
- Harris verlor gegenüber Biden 2020 etwa zehn Millionen Wählerstimmen. Sie präsentierte sich zwar als Bewahrerin von Frauenrechten, als Liberale, die die Demokratie gegen die muffige Spießigkeit von Evangelikalen und deren reaktionärem Familienbild verteidigt, wurde aber zu Recht von großen Teilen der Arbeiterklasse als Kandidatin des Kapitals angesehen. Sie distanzierte sich nicht von der Unterstützung des israelischen Genozids an den Palästinensern, stand für ein „Weiter so“, was viele mit der Verschlechterung ihrer Lebenssituation verbanden. Außerdem war sie bekannt dafür, dass sie sich damit brüstete, in ihrer Zeit als Generalstaatsanwältin von Kalifornien die Gefängnisse (mit überwiegend Schwarzen) gefüllt zu haben, um sie mit billigen Arbeitskräften zu versorgen. Die demokratische Partei verzichtete völlig auf Reformvorhaben für die arbeitende Bevölkerung, die deren Sorgen und Ängste angesprochen hätten. Harris war das klassische „kleinere Übel“, eine inhaltsleere Schablone ohne eine Antwort auf den nationalistischen und rassistischen Angriff aus dem Trump-Lager.
- Das Programm der Trump-Republikaner ist ein Totalangriff auf den Sozialstaat, die Klimapolitik und die Gewerkschaften unter der Überschrift: Deregulierung und Entbürokratisierung. Deutlich wird das formuliert in dem „Project 2025“ der ultrarechten Heritage-Stiftung, bestehend aus Sozialabbau einerseits und Abbau von Schranken für das Kapital andererseits. Trump hat sich aus Wahlkampfgründen davon distanziert. Aber selbst, wenn nur die Hälfte davon umgesetzt wird, käme dies einer Beseitigung der kümmerlichen Bestandteile des US-Sozialstaates gleich.
- Bemerkenswert ist, dass sich ein erheblich größerer Teil der herrschenden Klasse hinter Trump versammelt hat als vor vier Jahren. Nicht nur Elon Musk und die Industriellen aus dem Öl- und Gassektor, auch weitere Milliardäre u.a. aus dem High-Tech-Sektor, die die Deregulierungsoffensive nicht verpassen wollen. Ein typisches Beispiel ist Jeff Bezos (Amazon), der bis vor kurzem noch als Trump-Kritiker auftrat. Jetzt aber, als Besitzer der „Washington Post“, untersagte er der Redaktion eine Wahlempfehlung auszusprechen, die traditionell zu Gunsten der Demokraten ausgefallen war. Er befürchtete wohl, mit einer Wahlempfehlung für Harris keine Staatsaufträge für seine Weltraumfirma mehr zu kriegen.
- Hintergrund dieser Entwicklung ist der drohende Abstieg der USA von der Weltmachtposition Nummer Eins auf wirtschaftlichem Gebiet. Was die Industrieproduktion angeht, ist die USA schon nicht mehr Weltmarktführer. Die unschätzbaren Vorteile, die das US-Kapital aus dem Dollar als Weltwährung, aus der Beherrschung des Währungssystems und dem ungehinderten Zugang zu Rohstoffen aus aller Welt zieht, soll um jeden Preis erhalten werden. Da die Globalisierung dazu geführt hat, dass vor allem China zum Rivalen aufgestiegen ist, soll der freie Welthandel zurückgedreht werden. So soll dem US-Kapital zumindest auf dem heimischen Markt, der der größte der Welt ist, seine Dominanz gesichert werden. Das bedeutet Schutzzollpolitik und Kampf gegen die Weltmarktkonkurrenten China und EU.
- Für Verbündete wie Deutschland wird die Lage schwieriger, denn die USA verlangen von ihren Nato-Partnern einen höheren und steigenden Anteil bei den Verteidigungsausgaben. Dies ist unabhängig davon, ob die Demokraten oder Republikaner den Präsidenten stellen. Die Anti-Trump-Haltung der bundesdeutschen Presse und Politiker war nur der Sorge geschuldet, dass ein Präsident Trump die bei seinen Wählern geweckten Erwartungen durch eine schärfere Gangart gegenüber der EU einzulösen versucht. Mit Harris als Präsidentin ließen sich die transatlantischen Beziehungen eher durch Verhandlungen in den Hinterzimmern als durch demonstrative Maßnahmen oder verbale Drohungen regeln – der Schein der Normalität bliebe eher gewahrt.
- Die NATO ist im Kern ein Bündnis zwischen dem US-Imperialismus und den alten europäischen Kolonialmächten. Es war zunächst als Bollwerk gegen das sozialistische Lager und die Unabhängigkeitsbestrebungen in Asien, Afrika und Lateinamerika gedacht, die von der Blockkonfrontation profitierten. Nach 1989/90 war es das Interesse an der Beseitigung der Fesseln für das Kapital, das die Ostausdehnung von NATO und EU bestimmte; die USA wurden vorübergehend zur alleinigen Weltmacht. Die Aufrechterhaltung ihrer ökonomischen Dominanz und entsprechender Abhängigkeiten, der Kern des transatlantischen Bündnisses, bestimmt weiterhin deren Interessen. Denn die Unabhängigkeitsbestrebungen endeten nicht mit dem Niedergang des sozialistischen Lagers; sie nahmen nur neue Formen an. Durch den ökonomischen Aufstieg Chinas geriet die Dominanz des US- und Dollar-geführten Weltordnung in Bedrängnis. Es bildete sich ein vom Westen unabhängiges Bündnis heraus, die Gruppierung um die BRICS-Staaten. Eine Zügelung der israelischen Extremisten und Nationalisten ist keinesfalls zu erwarten, ob sich an der Ukraine-Politik Wesentliches ändern wird, bleibt abzuwarten.
- In der Außenpolitik wird sich von daher weniger ändern als von den Verbündeten befürchtet oder an die Wand gemalt. Innenpolitisch dagegen wird sich der reaktionäre Kurs verstärken, bestimmt von Evangelikalen, Lebensschützern, Nationalisten, Proud Boys und ähnlichen Gruppierungen. Sie alle dürften sich gestärkt und ermutigt fühlen, um mit ihren jeweiligen Gegnern abzurechnen.
- Für die jetzige und zukünftige Bundesregierung soll die Wahl Trumps zum Präsidenten zu keiner nachhaltigen Beeinträchtigung der transatlantischen Beziehungen führen. Bundeskanzler Scholz gratulierte und betonte die Erfolge der jahrzehntelangen Zusammenarbeit in der NATO, die nicht in Frage gestellt werden dürfte. Daran wird sich wohl in absehbarer Zukunft nichts ändern. Die gemeinsamen Interessen der NATO-Staaten an der Aufrechterhaltung einer durch die USA und den Dollar dominierten Weltwirtschaftsordnung überwiegt die Konkurrenz und Rivalität zwischen den NATO-Ländern.
M./H. 13.11.
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