„Unsere Gedenkstätten bewahren die Erinnerung an die Verbrechen zweier Diktaturen und leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Demokratiebildung. Sie sind Orte der Reflexion, des Lernens und der Mahnung, die für die heutige und zukünftige Gesellschaft von großer Bedeutung sind.“ Mit dieser Formulierung wird in der Koalitionsvereinbarung von SPD und BSW eine Parallele gezogen zwischen der DDR und der faschistischen Herrschaft zwischen 1933 und 1945. Ähnliche lautende Bekenntnisse sind von Vertreter:innen der Partei DIE LINKE, vormals PdS, verlangt und abgegeben worden, bevor sie als Koalitionspartner akzeptiert wurden. Es gab wohl keine andere Möglichkeit für die Nachfolgeparteien der SED, als durch die Abgabe derartiger Bekenntnisse sich die „gleichberechtigte“ Teilhabe im vereinten Deutschland zu verdienen. So konnten die führenden Köpfe der Linkspartei (PDS) sich das Vertrauen ihrer sozialdemokratischen, bzw. grünen Koalitionspartner sichern.
Die „rote Socken Kampagne“ der Union gegen die Beteiligung der „Kommunisten“ an Koalitionen zog nach den Erfahrungen mit rot-roten oder rot-rot-grünen Landesregierungen nicht mehr; sie verlor an Glaubwürdigkeit. Ebenfalls an Glaubwürdigkeit verloren hatte die Linkspartei bei ihren Anhänger:innen und Wähler:innen. Denn mit ihrer Regierungsbeteiligung verbunden war der Abbau sozialer Leistungen im Interesse des Kapitals. Der Unterschied zwischen der Linkspartei und ihren Regierungspartnern schrumpfte, wie auch ihr Stimmanteil. „Veränderung beginnt mit Opposition“, hatte sie zur Bundestagswahl 1994 noch plakatiert. Doch nicht die Partei hat die Verhältnisse verändert (weder in der Opposition noch in der Regierung), sondern umgekehrt, die Zustände veränderten langsam und schrittweise die Partei. Der parlamentarische Alltag mit den zahlreichen Mandatsträger:innen und ihren Mitarbeiter:innen sicherte hunderten Parteimitgliedern einen attraktiven Arbeitsplatz. Vor allem aber die Regierungsbeteiligungen mit ihren finanziellen Verlockungen und dem damit verbundenen Prestige, haben den Flügel innerhalb der Linkspartei gestärkt, der sich unter keinen Umständen eine weitere Regierungsbeteiligung verbauen will. Er hat sich völlig den parlamentarischen Regeln und Gepflogenheiten angepasst. Im vorauseilenden Gehorsam, in der Erwartung auf zukünftige Koalitionspartner befürwortet er die Waffenlieferungen an die Ukraine und den Antisemitismus-Beschluss des Bundestages. Dieser Parteiflügel liegt damit auf der Linie der etablierten Parteien aus der alten Bundesrepublik, von den Unionsparteien, der Sozialdemokratie bis hin zur FDP. Schauen wir uns deshalb an, wie diese BRD-Altparteien ihre politischen Entscheidungen in der Vergangenheit legitimierten und rechtfertigten.
Geschichte der Gleichsetzung von Links und Rechts: Die Bedingungslose Kapitulation und die These von der Kollektivschuld des deutschen Volkes
Als sich die militärische Niederlage der deutschen Wehrmacht nach der verlorenen Schlacht in Stalingrad immer deutlicher abzeichnete, waren die alliierten Verbündeten gezwungen, sich darüber zu verständigen, wie sie zukünftig mit dem Weltkriegsgegner umgehen wollen. Es gab unterschiedliche und gegensätzliche Interessen und damit verbundene politische Pläne. Sie einigten sich auf einen Kompromiss, wie er in den Potsdamer Beschlüssen niedergelegt wurde. „Die Beschlüsse der „Drei Großen“ auf der Potsdamer Konferenz sind, ebenso wie die früheren Beschlüsse in Teheran und Yalta, ein Kompromiss zwischen zwei kapitalistischen und imperialistischen Mächten (USA und England) und einer nicht kapitalistischen und nicht imperialistischen Großmacht, deren ökonomische Grundlage das sozialistische Gemeineigentum an den Produktionsmitteln ist, nämlich der SU. […] Der Abschnitt über Deutschland wird, wie es sich gehört, eingeleitet mit einer Schuld- und Sühne-Formel. Die Formel lautet: .Die alliierten Heere haben ganz Deutschland besetzt, und das deutsche Volk muss büßen für die furchtbaren Verbrechen, die von denen begangen wurden, denen sich das Volk im Augenblick des Erfolges offen anschloss und blind gehorchte.“[1]
Unter dieser Vorgabe, der Kollektivschuldthese, mussten die staatstragenden Parteien der „Bonner Republik“ ihre Politik der Westanbindung vorantreiben. Die Kollektivschuldthese belastete zwar auch die besitzende und herrschende Klasse, aber sie lenkte auch ab von deren besonderer Verantwortung für Faschismus und Krieg. So blieb die Vorgeschichte ausgeblendet, wie beispielsweise die Übertragung der politischen Macht an den Faschismus durch die Vertreter der Bourgeoisie. Mit der Ernennung Hitlers zum Kanzler durch den Reichspräsidenten Hindenburg im Februar 1933 war sie endgültig vollzogen. Ebenfalls unter den Teppich kehrten die BRD-Repräsentanten die enge Verzahnung zwischen der deutschen Großindustrie, dem faschistischen Staatsapparat und der Wehrmacht, die im Verlauf des Krieges immer offensichtlicher wurde.
An die Stelle der Aufklärung über die gesellschaftlichen Ursachen trat schon rasch nach Gründung der BRD die Verklärung über das Ende der Weimarer Demokratie. Links- und Rechtsextremisten (Kommunisten und Faschisten) hätten die erste Demokratie in Deutschland zerstört. Mit dieser Verdrehung und Verkehrung historischer Tatsachen wurde die strukturelle Verbindung zwischen Kapitalismus, Faschismus und Weltkrieg geleugnet. Denn es galt in den Westzonen die Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht in Frage zu stellen, sondern zu erhalten.
„Der Krieg gegen Deutschland hatte also zwei Ziele: Er war ein Krieg gegen den Imperialismus in Deutschland und ein Krieg gegen die sozialistische Revolution in Deutschland. Der ‚Friede‘ mit Deutschland, der jetzt stückweise zusammengeflickt wird, ist eine Fortsetzung dieses Krieges mit anderen Mitteln. Nach der zerschmetternden Niederlage des deutschen Imperialismus tritt jetzt der Krieg gegen die sozialistische Revolution in Deutschland in den Vordergrund.“[2]
Fast alle Parteien mit Ausnahme der KPD, die 1956 verboten wurde, stellten sich in den Dienst der Westanbindung. So wurde die Geschichtsverfälschung über die Zerstörung der Demokratie durch Kommunisten und Faschisten zur politischen DNA der 1948 gegründeten Bundesrepublik. Ihre Ausrichtung als antikommunistisches Bollwerk wurde damit ebenso gerechtfertigt wie die Gründung der Bundeswehr gegen starke Vorbehalte aus den Betrieben und Gewerkschaften. Das Wissen um den Zusammenhang zwischen Krieg und Kapital als auch die Schrecken des Völkerschlachtens waren zu Beginn der 1950er Jahre noch nicht verblasst.
Die besitzenden Klassen sahen mit Gründung und Konsolidierung der BRD die kapitalistische Eigentumsordnung gesichert. Sie hatten sich nach dem Krieg, quasi über Nacht, von überzeugten Nationalsozialisten zu Anhängern der parlamentarischen Demokratie und deren Westanbindung gewandelt. Nach einer kurzen Phase der „Entnazifizierung“ gelangten sie erneut in Amt und Würden, nunmehr als Mitglieder in den Unionsparteien oder der FDP. Sie konnten ihren alten Kampf gegen den Bolschewismus fortsetzen, nunmehr als „lupenreine und geläuterte“ Demokraten im Rahmen der NATO.
Wiederbewaffnung und Westanbindung wären nicht so reibungslos verlaufen ohne die Unterstützung durch die SPD in den Westzonen. Sie führte ihren Kampf gegen den „Totalitarismus“, mit diesem Begriff kennzeichnete sie sowohl den Faschismus als auch die Regierungsform in den Ländern des sozialistischen Lagers. Der soziale Inhalt der jeweiligen Systeme trat dabei für sie in den Hintergrund, spielte keine Rolle. Die enge Bindung des Faschismus an die Interessen des Kapitals und der herrschenden Klasse wurde ebenso ignoriert wie – im Kontrast zum Nationalsozialismus – die Zurückdrängung des Einflusses der besitzenden Klassen durch eine zunehmende Vergesellschaftung von privatem Kapital in den Ländern des sozialistischen Lagers. Nach der offiziellen westlichen Darstellung und Propaganda ging es um den Kampf der Demokratie, die man im Westen verortete, gegen die vom Kreml ausgeübte Diktatur in seinen osteuropäischen Satellitenstaaten.
Nachdem dem militärischen Ende des Nationalsozialismus verblieb als totalitärer Feind der SPD nur noch der Kommunismus übrig. Deren Anhänger wurden von rechten Sozialdemokraten als „rot lackierte Faschisten“ beschimpft und bekämpft. Der Kalte Krieg begann unmittelbar nach 1945, führte zum Verbot der KPD, erreichte seinen Höhepunkt in den 60er Jahren und endete 1989/90 mit dem Triumph der „westlichen Wertegemeinschaft“ über das sozialistische Lager. Seither gilt das Bekenntnis zur bundesdeutschen DNA als Vorleistung für die gleichberechtigte Teilhabe der PDS (später Die Linke) in der bürgerlichen parlamentarischen Demokratie. Es findet sich in zahlreichen Koalitionsvereinbarungen mit der Linkspartei und jüngst auch mit dem BSW.
Angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten griffen die Repräsentanten der parlamentarischen Demokratie auf alte, in der Nachkriegsperiode erprobte Rezepte zurück – der Gleichsetzung von links und rechts. Sie erwiesen sich dabei als erfolgreich. Zahlreiche Parteien und Organisationen auf der „Linken“ folgten ihnen oder zerstritten sich in dieser Frage. Auch die Gewerkschaften bleiben in dieser Frage zerstritten. Die sozialdemokratisch beherrschten Vorstände folgen allerdings den Vorgaben der Bundesregierung. Ohne Aufstand in der breiteren Mitgliedschaft, die sich nicht darin erschöpft seine Unterschrift unter Petitionen und Resolutionen zu setzen, wird sich daran wenig ändern.
Wer sich eingehender mit der Nachkriegszeit in der BRD beschäftigen will, dem sei der Artikel zur Geschichte der Kollektivschuld-Ideologie empfohlen. Er war abgedruckt in der Broschüre „Zionismus, Faschismus, Kollektivschuld“, die herausgegeben wurde von der „Arbeiterpolitik“ und der „Autonomen Nahostgruppe Hamburg“. Vor allem, was das Verhältnis der BRD zu Israel betrifft, liest sich der Artikel als wäre er aktuell und nicht schon im April 1989 verfasst.
[1]Aus: Die Potsdamer Beschlüsse. Eine marxistische Untersuchung der Deutschlandpolitik der Großmächte nach dem Zweiten Weltkrieg von August Thalheimer
[2]ebenda
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