Eine Woche nach den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar fanden in Hamburg die alle fünf Jahre stattfindenden Bürgerschaftswahlen statt. Dabei gewannen die seit zehn Jahren regierenden SPD und Grüne wieder die Mehrheit, allerdings mit starken Verlusten. 2020 bekam die SPD 39,2 %, diesmal 33,5 %, die Grünen waren vor fünf Jahren mit 24,2 % auf einem Höhenflug und waren zweitstärkste Partei. Diesmal fielen sie zurück auf 18,5 %, womit sie hinter der CDU blieben, die auf 19,8 % kam. 2015 hatte diese mit 11,2 % ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Ein großer Teil dieser Verluste von Rot-Grün ging diesmal an die CDU.
Trotz ihrer Verluste von insgesamt 11,4 % werden SPD und Grüne vermutlich wieder eine neue Koalition bilden, obwohl sich die CDU stark an die SPD anbiedert und gerne mit der SPD den Senat bilden will.
Da die Bundestagswahl direkt eine Woche vorher stattfand, lohnt sich ein Blick auf die beiden Ergebnisse. Zunächst einmal war die Wahlbeteiligung für Hamburger Verhältnisse mit 67,7 % zwar hoch, aber eine Woche zuvor hatte sie 80,8 % betragen. Etwa 170 000 Menschen gingen nicht ein zweites Mal zur Urne. Die Politisierung und Polarisierung waren bei der Bundestagswahl stärker, wo vor allem das Thema Migration und die Stärke der AfD eine Rolle spielten. Das zeigt sich deutlich an zwei Ergebnissen: Am 23. Februar bekam die AfD über 113 000 Stimmen, was einem Prozentsatz von 10,9 % entsprach. (Das waren über 63 000 mehr als 2021). Am 2. März bekam sie unter 66 000 Stimmen, das entspricht 7,5 %. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Linken. Bekam sie am 23. Februar noch fast 151 000 Stimmen und 14,4 % (und damit 64000 mehr als 2021), erhielt sie am 2. März etwas über 97 000 und 11,1 %. Natürlich sind beide Zahlen für die Linke ein Bombenergebnis angesichts der Umfragen vor ein paar Wochen, bei denen sie unter fünf Prozent lag.[1]
Bei der SPD ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Sie bekam bei der Bürgerschaftswahl am 2. März etwa 55000 Stimmen mehr als bei der Bundestagswahl eine Woche zuvor, und das trotz deutlich geringerer Wahlbeteiligung. Sie ist die einzige Partei, der dieses gelang. Alle anderen erhielten in Wählerstimmen ausgedrückt weniger Stimmen als bei der Bundestagswahl.
Die SPD erzielt ein Ergebnis deutlich gegen den Bundestrend.
Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist Hamburg das reichste Bundesland, was das Pro-Kopf-Einkommen betrifft. Hamburg ist außerdem mit Bayern, Baden-Württemberg und Hessen Einzahler beim Länderfinanzausgleich, alle Anderen erhalten Gelder aus diesem Topf. Hamburg ist zudem in Deutschland die Stadt mit der höchsten Millionärs- und Milliardärsdichte. Vielen Menschen geht es noch relativ gut. Was Abschiebungen von Geflüchteten betrifft, fährt der Senat eine ziemlich harte Linie. Mal abgesehen von den notorischen Straßenbaustellen, die zu Dauerstaus führen, gibt es eigentlich wenig Anlass für eine Protestwahl. Dementsprechend sprachen sich bei einer Umfrage vor der Wahl drei Viertel der Befragten für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition aus.
Dazu kommt die Geräuschlosigkeit der Regierungsarbeit. Die beiden Koalitionspartner zeichnen sich dadurch aus, dass sie kaum miteinander streiten und wenn, dann nicht in der Öffentlichkeit. Das liegt auch am Profil der beiden Spitzenkandidaten, Tschentscher von der SPD und Fegebank von den Grünen. Von beiden kann man nicht behaupten, dass sie durch ein klares politisches Profil auffallen würden. Ihre Farblosigkeit verbindet sie bis zur Ununterscheidbarkeit.
Ein größerer Kontrast im Regierungsstil zur Ampelkoalition in Berlin ist schlecht denkbar. Dort andauernder Streit und Gezänk, hier Geräuschlosigkeit. Dieser Kontrast zu Berlin wurde auch auf den Plakaten im Wahlkampf deutlich. Auf SPD- und Grünen-Plakaten waren große Köpfe von PolitikerInnen abgebildet, dazu die Aufforderung: Wählt mich! Das Parteienkürzel war sehr klein gehalten, man wollte nicht so viel mit denen in Berlin zu tun haben. Am auffälligsten war dabei ein Plakat mit Tschentscher, das seinen Kopf mit einem vergrößerten rechten Auge zeigte, aber kein SPD-Kürzel enthielt. Deutlicher ging’s eigentlich nicht.
Hinterzimmerpolitik
Die großen Entscheidungen werden auch nicht auf Parteitagen diskutiert oder vorbereitet, sondern in Hinterzimmern verabredet. So war es z. B. mit dem Verkauf von 50 % der städtischen HHLA (Hamburger Hafen und Lagerhaus AG) an die weltgrößte Reederei MSC. Angesichts der sich verschlechternden Konkurrenzbedingungen für den Hamburger Hafen verspricht sich der Senat von dem Einstieg von MSC Konkurrenzvorteile. Dass er sich damit von einem privaten Konzern abhängig macht, auf dessen Entscheidungen er keinen Einfluss hat, wird ausgeblendet. Dabei müsste das Desaster mit dem nur halb gebauten Elbtower des mittlerweile pleite gegangenen Investors Benko ein warnendes Beispiel sein. Aber alle Proteste von Hafenbeschäftigten, auch aus Teilen der SPD selbst, prallten an der geschlossenen rot-grünen Mauer ab.
Genauso passierte es mit dem Anfang Februar verabredeten Deal zum Bau einer neuen Oper mit dem Hamburger Milliardär Kühne. Der 83-jährige Kühne ist Anteilseigner und Präsident des Logistik-Konzerns Kühne&Nagel. Über die Firma schreibt Wikipedia:
„Im April 1933, kurz nach dem Tode August Kühnes, wurde Adolf Maass – mit 45 Prozent der größte Anteilseigner von Kühne + Nagel – von den Söhnen Alfred Kühne (1895–1981)[13] und Werner Kühne (* 1898, erwähnt 1951) aus dem Unternehmen gedrängt. Er wurde 1942 zunächst nach Theresienstadt und 1944 ins KZ Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Kühne + Nagel kam eine Schlüsselrolle bei der ‚M-Aktion‘ des NS-Regimes zu. Insgesamt hatte die verantwortliche NS-Dienststelle bis August 1944 in den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Luxemburg die Einrichtungen von rund 65.000 Wohnungen abtransportieren lassen. 500 Frachtkähne und 674 Züge waren dafür nötig. Bei der Umsetzung half Kühne + Nagel. Das Unternehmen war direkt und mithilfe von Subunternehmen in allen besetzten westlichen Ländern aktiv. Die Transporte aus den Niederlanden sind am ausführlichsten recherchiert. K + N charterte beispielsweise einen eigenen Dampfer, um jüdisches Raubgut in das Deutsche Reich zu transportieren. Das erste Frachtschiff aus Amsterdam traf im Dezember 1942 in Bremen ein.“
(Kühne + Nagel – Wikipedia entnommen 7.3.2025) Der jetzige Kühne ist Enkel des erwähnten August Kühnes. Er verhindert bis heute den Zugang von Historikern zu den Firmenarchiven. Kühne spielt sich in Hamburg als Mäzen auf, was er deshalb ganz gut machen kann, weil der Firmensitz im „steuerarmen“ Kanton Schwyz in der Schweiz liegt. Würde er Steuern zahlen, könnte der Senat damit locker mehrere Opern finanzieren. Aber der Senat lässt sich vom „großzügigen“ Kühne eine Oper schenken, übernimmt dafür die Kosten für die Herstellung des Geländes und der Verkehrsanbindung und die Kosten für den Betrieb der Oper und ist auch noch dankbar.
Die Linke
Sie erreichte zum ersten Mal ein zweistelliges Ergebnis, was für sie ein großer Erfolg ist. Ihr kommt zugute, dass sie noch nie am Senat beteiligt war und deshalb nicht für dessen Politik verantwortlich gemacht werden konnte. Als Oppositionspartei spielt sie häufig eine positive Rolle, sei es beim Desaster mit den horrenden Kosten für die Elbphilharmonie, sei es bei dem Widerstand gegen den Verkauf der HHLA-Hälfte an MSC, den sie wesentlich mittrug.
Als fast einzige Partei hatten ihre Plakate auch inhaltliche Aussagen. Schwerpunkt war dabei die Wohnungsnot und die damit einhergehenden steigenden Mieten, die für viele Menschen immer unbezahlbarer werden. Auch machte sie in den Wochen vor der Wahl Haustürbesuche, um von den Leuten zu erfahren, was ihre Sorgen und Probleme sind. Sie hat sich da einiges von der erfolgreichen Arbeit der KPÖ in Graz und Salzburg abgeschaut. In ihrer Wahlwerbung adressierte sie besonders die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA: „Sie soll keinen Gewinn machen, sondern die Einnahmen für Renovierung und Neubau nutzen. Sie soll Mieten senken statt erhöhen und so den Mietenspiegel für uns alle positiv beeinflussen. Und ihre Wohnungen sollen für immer in der Sozialbindung bleiben.“ Die von der Linken bundesweit eingerichtete Mietwucher-App war in Hamburg offensichtlich so erfolgreich, dass der Senat nach der Wahl eine ähnliche telefonische Anlaufstelle einrichtete.
Die soziale Frage in den Mittelpunkt zu stellen, ist linke Politik. Hoffentlich bleibt sie dabei.
[1] Das Wahlsystem in Hamburg ist ziemlich kompliziert. So hat jede/r fünf Zweitstimmen, die er/sie auf die Parteien verteilen kann. Wir haben die Anzahl der Zeitstimmen deshalb durch fünf geteilt, um in etwa auf die Anzahl der Wählerstimmen zu kommen.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar