Bundestagswahl: Rechtsentwicklung mit linken Einsprengseln

Weg frei für verstärkte Rüstung und Durchsetzung der Kapitalinteressen unter Bundeskanzler Merz

Die Ergebnisse der Bundestagswahl brachten gegenüber den regelmäßig erhobenen Umfragen keine größeren Überraschungen. Angesichts dieser Umfragen hatte die Unionsfraktion Ende Januar eine Entschließung sowie ein Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht. Deren Inhalte hatte sie von der AfD kopiert und stellte sie laut Kanzlerkandidat Merz zur Abstimmung, egal wer zustimmt. »Wir haben jetzt das, was wir für richtig halten, in den Bundestag eingebracht und dafür auch eine Mehrheit bekommen.« Die Wogen der Empörung schlugen in den kommenden Tagen hoch und trieben Hunderttausende Auf die Straßen.. Motto: »Wir sind die Brandmauer«. Es waren Menschen aus recht unterschiedliches Milieus, die mobilisiert wurden. Neben Anhängern und Repräsentanten von SPD und Grünen waren es auch Zehntausende, die ihre Befürchtungen vor einer Beseitigung der Brandmauer und den drohenden Gefahren für die Demokratie zum Ausdruck brachten. Ziel der Demonstrationen waren häufig die Dependance der Unionsparteien, wie das Adenauer-Haus in Berlin.

Der »Sündenfall« der Unionsparteien und ihres Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, wie dies Verhalten empört aus dem sozialdemokratischen und grünen Regierungslager genannte wurde, führte zu keinem Einbruch bei den Umfragewerten für die Konservativen. Zumindest SPD und Bündnis 90/Die Grünen konnten keine Stimmengewinne bei den Bundestagswahlen daraus ziehen. Der Union verschaffte es allerdings einen Vorteil für zukünftige Koalitionsgespräche. Nach dem Motto »Vogel friss oder stirb« kann sie ihren zukünftigen Koalitionspartner unter Druck setzen. Sie erwartet vom zukünftigen Koalitionspartner die Zustimmung zu ihrer programmatischen Zielsetzung. Wenn es keine Mehrheit für ihre Zuwanderungs- und Wirtschaftspolitik »aus der demokratischen Mitte« gibt, dann bleibt ja nur die Suche nach parlamentarischen Mehrheiten auch jenseits der Brandmauer. »Brandmauer ist das falsche Bild. Ich möchte, dass der Brand hinter der Mauer nicht zum Flächenbrand in ganz Deutschland wird«, hatte Merz zur Abstimmung über die Union-Anträge noch erklärt und sich damit alle Möglichkeiten offen gehalten. Es dürfte keinen Zweifel geben, dass sowohl die SPD als auch Bündnis90/Die Grünen ihren staatsbürgerlichen Pflichten aus der demokratischen Mitte nachkommen werden. Aber nur die Sozialdemokraten werden den praktischen Beweis antreten müssen. Denn, wie von der CSU erhofft, werden die Grünen für eine zukünftige Regierungsbildung nicht gebraucht.

Ansonsten zeigt die Wahl auf, wie weit sich die politische Landschaft nach rechts verschoben hat. Die Ampelkoalition hatte schon vor ihrem Auseinanderbrechen wesentliche Forderungen in der Abschottungs- und Asylpolitik in ihr staatliches Handeln übernommen. Der weitere Abbau des Rechtes auf Asyl, wie er in den Vorlagen von Union und AfD zum Ausdruck gekommen ist, soll nun von der zukünftigen Regierungskoalition umgesetzt werden. Wie weit die SPD zu Zugeständnissen bereit ist, wird die Zukunft zeigen. Bisher lehnte sie verschärfte Grenzkontrollen und Zurückweisungen ab, mit Hinweis auf die europäische Rechtsprechung und das Asylrecht.

Weitgehend einig waren und sind sich fast alle Parteien nach der durch Scholz verkündeten »Zeitenwende« und der damit einhergehenden Aufrüstung zur Herstellung der Kriegstüchtigkeit. Auch von der AfD gibt es dagegen keine grundsätzlichen Einwände. Sie befindet sich im Nahostkrieg sowieso fest im westlichen Lager, an der Seite Israels. Und die Bedeutung ihrer Haltung gegenüber Russland dürfte – zumindest vorübergehend – mit den Gesprächen zwischen Trump und Putin abnehmen. In dieser Frage sieht sich die AfD in Übereinstimmung mit der US-Regierung. Was die strikte Ablehnung der EU durch die AfD betrifft; sie hat solche Positionen und entsprechende Austrittsforderungen längst korrigiert.

In ihren sozial- und wirtschaftspolitischen Anschauungen ist kein grundsätzlicher Unterschied zu den traditionellen Parteien der politischen Mitte zu erkennen. Im Gegenteil – ihre Aussagen auf diesem Gebiet klingen wie eine auf die Spitze getriebenes neoliberales Programm. Weniger Staat bei unbegrenztem Markt und die Bewahrung der »Leistungsträger« vor einer Erhöhung bzw. Erhebung der Vermögens-, und Erbschaftssteuer.

Die kommende Regierung wird sich trotz vieler Überschneidungen mit der AfD zunächst weiterhin aus Parteien der politischen Mitte zusammensetzen, höchstwahrscheinlich als Koalition zwischen Union und SPD. Dadurch wird die Umverteilungspolitik der Ampelkoalition und ihrer Vorgänger, die zu dem bisher unaufhörlichen Anstieg der AfD geführt hatte, verschärft fortgesetzt. Sie wird und muss sich sowohl den veränderten außenpolitischen Rahmenbedingungen anpassen, als auch neue Begehrlichkeiten des Kapitals berücksichtigen.

Umverteilung und verschärfte Sparmaßnahmen – alles für forcierte Aufrüstung . . .

So deuten die Forderungen des transatlantischen Verbündeten aus Übersee und die Äußerungen aus den Parteien der Mitte an, womit wir unter der nächsten Regierung zu rechnen haben. Umfangreiche Sparprogramme in allen sozialen Bereichen stehen bevor. Die freiwerdenden Mittel sollen die gewaltige Aufrüstung finanzieren. Dadurch will die Bundesregierung zum einen den US-Forderungen nach Erhöhung der „Verteidigungsausgaben“ nachkommen, zum anderen soll auch die eigenständige militärische Rolle der EU als imperialistischer Konkurrent gegenüber China, Russland und auch den USA gestärkt werden. Derweil überbieten sich Politiker in der Forderung, wie hoch der Anteil der Rüstung am BIP sein soll. Mindestens 2 % sind den USA zugesichert – jetzt werden schon 3,5 bis zu 5 % ins Gespräch gebracht.

Absehbar wird eine derartige Spar- und Umverteilungspolitik weiteres Wasser auf die Mühlen der AFD lenken. Allein durch Aufklärung und Flugblätter, mit besseren Programmen oder durch Wahlalternativen, so wichtig sie auch sind, lässt sich der Anstieg des rechtsextremen Populismus nicht aufhalten. Die riesigen Demonstrationen gegen die Beseitigung der Brandmauer konnten das Wahlergebnis nicht wesentlich beeinflussen. Denn ihnen fehlten über die Empörung hinaus ein materielles und soziales Ziel. Das hätte nur bestehen können in der Zurückweisung der Sparmaßnahmen durch die Ampelkoalition, die eine Fortsetzung der Kürzungspolitik der GroKo darstellten.

Die Gewerkschaften stehen vor ähnlichen Schwierigkeiten. Ihrer Empfehlung, doch den demokratischen Parteien der Mitte die Stimme zu geben, folgten nicht mal die Mitglieder aus den eigenen Organisationen. Die Gewerkschaftsvorstände versuchen alles, um nicht in Widerspruch zur Regierung zu geraten. Solange sie keine eigenständige, unabhängige und politische Rolle einnehmen, bleibt auch ihre Funktion als Gewerkschaft, als soziale Interessenvertretung der arbeitenden Menschen, eingeschränkt. Mit der Rücksichtnahme auf die Belange und Sachzwänge der kapitalistischen Ordnung legen sie sich selbst Fesseln an. Bei der Aufstellung und Durchsetzung von Tarifforderungen achten sie darauf, dass der Rahmen einer sozialpartnerschaftlichen Lösung nicht überschritten wird. Dies ist vor allem die Aufgabe der Sozialdemokratie, die in den Gewerkschaften noch immer einen großen Teil des Führungspersonals stellt.

. . . fördern den extremen Rechtspopulismus

So werden wohl, jedenfalls solange die Sozialdemontage ohne Gegenwehr, ohne dass sich eine mögliche gesellschaftliche Alternative in den Klassenauseinandersetzungen herausbildet, die Kräfte mit den einfachen Lösungen profitieren. Diese Lösungen bestehen vor allem auf dem Rücken der Schwächeren, indem Menschen mit anderer Hautfarbe und Herkunft, mit unterschiedlichen religiösen und politischen Überzeugungen gegeneinander ausgespielt werden. Dies ist vor allem das Geschäft von nationalistischen Kräften und Parteien und keineswegs auf die AfD begrenzt. Besonders markant die Bemerkung unseres zukünftigen Kanzlers: Ende September 2023 bemängelte er im Nachrichtensender »Welt«, dass die Anträge von 300.000 Asylbewerbern zwar zurückgewiesen wurden, diese jedoch nicht ausreisten. »Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.« Die Präsentation von Sündenböcken, um von Missständen in unserer Klassengesellschaft abzulenken, bleibt nicht auf die AfD beschränkt. Im übrigen begünstigen und fördern die Mechanismen der kapitalistischen Konkurrenz, dem auch die Arbeitenden Menschen unterworfen sind, eine Tendenz sich auf Kosten der Schwächeren seinen Arbeitsplatz, eine Wohnung oder staatliche Transferleistungen zu sichern.

Mit zunehmender Krise und steigenden Ängsten vor sozialem Abstieg wächst in allen bürgerlichen Parteien der Populismus. Bei den Wahlen profitierte davon fast ausnahmslos die AfD. Die Bildung einer großen Koalition, die gar nicht mehr so groß ist, wird die bei den Wähler:innen verhasste Politik nicht nur fortsetzen, sondern steigern. Im Moment planen Merz, als zukünftiger Kanzler, und Klingbeil, als sein sozialdemokratischer Juniorpartner, die Neuauflage des vom Bundestag mit Zweidrittelmehrheit beschlossenen Bundeswehrsondervermögens. Diesmal soll es mit dem doppelten Volumen von 200 Milliarden Euro ausgestattet werden. Es soll noch vom alten Bundestag beschlossen werden, in dem die Parteien der demokratischen Mitte noch über eine Zweidrittelmehrheit verfügen. Damit ist es im neuen Bundestag vorbei. Linkspartei und AfD verfügen zusammen über ein Drittel der Parlamentssitze. Eine bessere Steilvorlage als die Umgehung des Wahlvotums hätte die GroKo der AfD nicht liefern können.

Überraschende Wahlerfolge für totgesagte Partei DIE LINKE

Die Ausnahmen beim Wahlerfolg der AfD bildeten die Ergebnisse von 8,8 % für die Linkspartei und die 4,9 % für das BSW. Das knappe Scheitern des BSW an der 5%-Hürde hat sich sich wohl selbst zuzuschreiben. Es ist ihr opportunistisches Verhalten im Bundestag, als sie den Anträgen von CDU und AfD zustimmte, mit der Überlegung durch rassistische Positionierung im Wahlvolk an Zustimmung zu gewinnen. Stattdessen wurden etliche potentielle Wähler:innen abgeschreckt, die ja über eine politische Vergangenheit und Sozialisation bei der Linkspartei verfügten. Das Paktieren mit Konservativen und Nationalisten überwog für sie den Vorteil der konsequenteren Haltung in der Kriegsfrage.[1]

Bis noch kurz vor dem Wahltermin dümpelte die Linkspartei bei Umfragen zwischen zwischen drei und vier Prozent. Umso überraschender der kometenhafte Aufstieg zu letztendlich 8,8 Prozent. In Berlin wurde sie sogar zur stärksten Partei. Entscheidend beigetragen haben die Erstwähler:innen (18 bis 34 Jahre), die zu 27 Prozent die Linkspartei und zu 20 Prozent die AfD wählten. Erstmals in einem westlichen Wahlbezirk, in Berlin-Neukölln, konnte die Linkspartei mit Ferat Kocak, ein Direktmandat erringen. Beigetragen zu dem steilen Anstieg der Linkspartei hatte wohl zum einen das Liebäugeln der Union mit der AfD, zum anderen der starke Zunahme vor allem jüngerer Mitglieder, die einen engagierten Wahlkampf mit zahlreichen Hausbesuchen führten.

So ist nicht nur die Mitgliedszahl der Linkspartei stark gestiegen, sie hat sich auch erheblich verjüngt. Aber am Charakter und der politischen Ausrichtung ändern diese Tatsachen zunächst nichts. Die Linkspartei hat sich in den vergangenen Jahrzehnten an zahlreichen Landesregierungen beteiligt. Sie hat eine typisch sozialdemokratische Koalitions- und Tolerierungspolitik betrieben. Auch die Enthaltung zu Fragen, wie der militärischen Unterstützung der Ukraine und Israels, ist davon geprägt, dass mögliche Koalitionspartner nicht verschreckt werden sollen. Es ist nicht absehbar, dass ein solcher Kurs aufgegeben wird. Er ist allerdings innerhalb der Linkspartei umstritten. Eine Minderheit positioniert sich gegen die schwankende Haltung in der Kriegsfrage, wie auch bei Kompromissen in der Sozialpolitik zugunsten einer Regierungsfähigkeit. Hier, unter den auch in den Betrieb und Gewerkschaft Aktiven, finden wir am ehestens Anknüpfungspunkte für Diskussionen und Zusammenarbeit.

11. März 2025


[1] Siehe arbeiterpolitik.de: Die Koalitionsvereinbarungen, der Lackmustest für das BSW: Über die Erwartungen des Wahlvolkes und ihr absehbare Ent-Täuschung


 

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