Palästinasolidarität: Rede auf einer Kundgebung in Kassel

Am Samstag, den 19. Juli fand erneut eine der zahlreichen Palästina-Kundgebungen mit anschließender Demonstration in der Innenstadt von Kassel statt.

Aufgerufen hatten dazu die Kasseler Linke, ihre Jugendorganisation Solid, die „Mütter für Gaza“ und eine palästinasolidarische Hochschulgruppe. Beteiligt waren auch Mitglieder der SDAJ, der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, des Kasseler Friedensforums und von der Frauenorganisation Courage: zwischen 150 und 200 meist junge Menschen hatten sich vor dem Rathaus versammelt.

Sehr erfreulich ist, dass immer wieder junge Menschen für Palästina auf die Straße gehen. Die Empörung über die Untaten der israelischen Armee und Regierung ist groß, aber auch über die moralische Verkommenheit unserer Politiker, die, wenn es ihren Interessen entspricht, von westlichen Werten, Freiheit und Demokratie reden, aber im Gegensatz dazu, weiterhin Waffen an die rechtsradikale Regierung Israels liefern. Da nützt es auch nichts, wenn die Bundesregierung und der Kanzler seit Kurzem unverbindliche Kritik an der „Maßlosigkeit“ der israelischen Armee üben und die humanitäre Lage in Gaza beklagen. Auch auf dieser Kundgebung wurde in mehreren Reden die verlogene Doppelmoral unserer Regierung kritisiert. Man fordere einerseits eine Verbesserung der humanitären Lage, verschärfe aber diese, indem man weiterhin Waffen liefere und selbst bescheidene Maßnahmen, wie z.B. die Aufkündigung des EU-Assoziierungsabkommens, das Israel Handelsprivilegien gewährt, blockiert.

Im Folgenden dokumentieren wir die Stellungnahme eines Mitglieds des Kasseler Friedensforums, weil in diesem Redebeitrag, die Frage aufgeworfen wurde: „Woher kommt es, dass unsere Bundesregierung diesen Massakern tatenlos zusieht?“ Dies sei keine Frage der Moral, sondern von den imperialistischen Interessen des Westens diktiert.

Gerade weil diese Rede über die bloße Beschreibung der grauenhaften Situation in Gaza hinausging und die Frage nach den Hintergründen aufwarf, stieß sie auf großes Interesse und Zustimmung. Aber leider bewegt sich die Palästinasolidarität immer noch in einer von der übrigen Bevölkerung isolierten „Blase“, die nur zu überwinden ist, wenn sich wieder eine breite gesellschaftliche Protestbewegung von unten entwickelt. Angesichts der Konsequenzen, die die gigantische Aufrüstung und Militarisierung der gesamten Gesellschaft für Lohnentwicklung, Arbeitsplätze und Sozialpolitik haben wird, ist dies nicht ausgeschlossen.


Liebe Freundinnen und Freunde der Palästinasolidarität, liebe Zuhörende

Als Mitglied des Kasseler Friedensforums bedanke ich mich für euer Engagement, das lässt uns die Hoffnung behalten, dass der Kampf gegen diese unerträgliche Barbarei weitergeht.

Lasst uns nicht aufhören über Palästina, über Gaza und über den dort stattfindenden Völkermord zu reden: in den Schulen, mit Freunden, mit Kolleginnen und Kollegen, in Betrieben und Gewerkschaften. Lasst uns den Lügen unserer Regierung, etlicher Medien und der bürgerlichen Parteien entgegentreten, die immer noch dieses tägliche Grauen in Gaza als Selbstverteidigung Israels verkaufen und die genozidalen Absichten leugnen. Ilan Pappe, der israelische Historiker, fordert uns und vor allem die jüngere Generation auf, die richtigen Begriffe zu verwenden, um die Verbrechen Israels zu beschreiben:

Zitat:

„….es ist ein Apartheidstaat, der ethnische Säuberungen und einen stufenweisen Genozid in Gaza durchführt. Das nicht so zu beschreiben ist nichts anderes, als eine Flucht vor der Realität“

Erinnern wir uns auch an den Solidaritätsaufruf von Erich Fried, der schon 1974 schrieb:

„Alle Welt ist aufgerufen zu verhindern, dass Terror und Unrecht eskalieren.

Alle Welt muss endlich offenen Auges Solidarität üben. Der Terror muss aufhören. Freiheit und Selbstbestimmung für die Palästinenser!“

Es ist uns wichtig an diesen Aufruf von 1974 zu erinnern, weil er deutlich macht, dass Unterdrückung, Besatzung, Kriegsterror, Vertreibung, koloniale Landnahme schon lange vor dem 7. Oktober 23 an der Tagesordnung waren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Widerstand gegen dieses tägliche Unrecht des zionistischen Staates zu einer Explosion drängte.

Die Tatsachen der völlig entgrenzten Unmenschlichkeit der israelischen Armee erreichen uns täglich über in sozialen Medien gepostete Bilder und Videos und werden inzwischen auch von BBC , ARD und ZDF übernommen. Immer wieder Kinder: von Bomben zerfetzt, verstört durch Trümmer irrend, blutüberströmt, in kleinen weißen Leichensäcken auf Eselskarren transportiert, hungernd, zu Waisen gemacht.

Geradezu verstörend ist der aktuelle Plan von Verteidigungsminister Yisrael Katz, der den Bau einer sogenannten „humanitären Stadt“ auf den Ruinen von Rafah vorsieht, in der alle Bewohner des Gazastreifens inhaftiert werden sollen. Diejenigen, die sich nicht in diesen Ort begeben, werden zu Freiwild und zur gezielten Tötung freigegeben. Die israelische Zeitung Haaretz nennt diesen Ort ein Konzentrationslager. Weiter heißt es in diesem Artikel, der am 10.07. erschienen ist: „Ähnlich wie der Begriff ‚moralischste Armee der Welt‘ der nichts mehr mit den Aktivitäten der israelischen Armee zu tun hat, versucht man nun, ein Konzentrationslager für Bevölkerungsumsiedlungen als das moralischste der Welt darzustellen.“

Verstörend auch die Berichte in Haaretz von israelischen Soldaten über die Lebensmittelverteilstellen, die von Israel und den USA im Süden des Gazastreifens eingerichtet wurden, nachdem die UNWRA keinen Zutritt mehr erhielt: „Wo ich stationiert war, wurden jeden Tag zwischen einem und 5 Menschen getötet. Sie werden wie eine feindliche Streitmacht behandelt –keine Maßnahme zur Kontrolle der Menschenmenge, kein Tränengas – nur scharfe Munition mit allem, was man sich vorstellen kann: schwere Maschinengewehre, Granatwerfer, Mörser. Sobald das Zentrum öffnet, hört das Schießen auf, und sie wissen, dass sie sich nähern können. Unsere Form der Kommunikation ist Schusswaffenfeuer.“

Aber wie kommt es, dass unsere Bundesregierung solchen offensichtlichen Kriegsverbrechen und Massakern tatenlos zusieht. Sie blockiert sogar die Aufkündigung des Assoziierungsabkommens mit Israel, für das sich Spanien, Irland und Slowenien einsetzten. (Ein kleiner Schritt, der Israel die Zollfreiheit aberkennen würde.) Warum hält Deutschland an seiner bedingungslosen Unterstützung Israels fest?

Sicherlich nicht wegen seiner historischen Verantwortung gegenüber den ermordeten Juden im Faschismus. Hinter der behaupteten „moralischen Verpflichtung“ stehen knallharte Interessen:

Viele Investoren, deutsche Banken, Forschungseinrichtungen, sind eng mit Israel verbunden. Und Deutschland, das ja bekanntlich auch militärisch in Europa Führungsmacht werden will, lernt schon seit Jahren von Israel: Überwachungstechnologie, die ganze Bevölkerungsgruppen kontrolliert, Einsatz von Drohnen und von einer Kriegsführung, die von KI unterstützt wird.

Bundeswehrsoldaten werden in Israel im Umgang mit Drohnen geschult und im Nah- und Häuserkampf ausgebildet. Seit Jahrzehnten schon liefert die BRD Waffen in Milliardenhöhe an Israel: U-Boote, Panzer, Munition, Raketenwerfer, Ersatzteile. Zur Auslieferung in Kiel bereit: Ein sechstes U-Boot, das wie die anderen auch atomar bestückt werden kann. Ein gutes Geschäft – auch für die Kasseler Rüstungsindustrie.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund: Deutschland als kapitalistisches Land hat wie die USA ein Interesse daran, dass die imperialen Interessen nach Kontrolle über die Rohstoffvorkommen, Kontrolle über die Handelswege, über den gesamten Markt im Nahen und Mittleren Osten weiterhin in ihrem Sinne funktionieren.

Israel hatte schon immer die Funktion genau diese Interessen abzusichern und nationale arabische Bewegungen, die diesen Interessen zuwiderlaufen, zu unterdrücken und militärisch zu bekämpfen. Bei der Durchsetzung dieser imperialen Interessen – auch gegen den Einfluss von Russland und China gerichtet – spielen Völkerrecht und Menschenleben überhaupt keine Rolle mehr. Wir sehen das gerade bei den Angriffen gegen den Iran, den Libanon, gegen Syrien. Es geht einzig und allein um eine Neuordnung des NO im Interesse des amerikanischen und europäischen Imperialismus.

Wir haben es also mit einem ganzen System zu tun, ein System, dass Ausplünderung, Unterdrückung, Vertreibung, Vernichtung einsetzt, um Profite zu sichern. Niemand hat den Charakter dieses Systems so klar gesehen wie Rosa Luxemburg schon während des 1. Weltkrieges. In der Junius-Broschüre 1916 schrieb sie:

„Das Geschäft gedeiht auf Trümmern. Städte werden zu Schutthaufen, Dörfer zu Friedhöfen, Länder zu Wüsteneien, Bevölkerungen zu Bettlerhaufen, Kirchen zu Pferdestellen; Völkerrecht, Staatsverträge, Bündnisse, heiligste Worte, höchste Autoritäten in Fetzen zerrissen. (…) Geschändet, entehrt, im Blute watend –so steht die bürgerliche Gesellschaft da. Nicht, wenn sie Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt – als reißende Bestie, als Hexensabbat des Chaos, als Pesthauch für Kultur und Menschheit, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt.“ Wenn wir dieses System nicht überwinden – und da stehen wir erst ganz am Anfang – dann wird uns diese von Rosa Luxemburg beschriebene Barbarei in einen Abgrund treiben. Was in Gaza geschieht, ist dafür ein Vorbote – der 3. Weltkrieg ist in Vorbereitung. Das müssen wir gemeinsam verhindern – eine andere Welt ist möglich!


Ergänzt: jede Milliarde, die für die gigantischen Aufrüstungspläne ausgegeben wird, fehlt für dringend notwendige Sozialausgaben. Fehlt für den Bau von Sozialwohnungen, für die Erhöhung von Renten und Löhnen, für die Bildung, für das Klima. Der Kampf gegen Sozialkürzungen, gegen Waffenlieferungen in Kriegs- und Krisengebiete, gegen Kriegsertüchtigung durch Wehrpflicht und gegen die wachsende innenpolitische Repression – das alles gehört zusammen.

Lasst uns deshalb zukünftig gemeinsam handeln und zusammenstehen.

D. B., Juli 2025


 

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