Neues Bündnis für Mindestrente

Im Januar 2018 fanden in Frankfurt zwei Treffen mit der Zielsetzung statt, mit einer Kampagne für eine Mindestrente zu beginnen. Seit fünf Jahren arbeitet das Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Billiglöhne mit Flugblättern, Infoständen, Vorträgen, Kundgebungen daran, die drastischen Kürzungs- und Privatisierungsmaßnahmen in der Rentenpolitik durch die Regierungsparteien darzustellen und die dahinterstehenden Interessen von Kapital und Regierung zu verdeutlichen. Parteien, insbesondere DIE LINKE, und Gewerkschaften werden angesprochen, um zum Widerstand aufzufordern und diesen auf breite Basis zu stellen. Die Inhalte wurden materialreich und verständlich in einer Broschüre »Altersarmut durch Rentenreform« des Bündnisses zusammengefasst. Ferner wurde mit sympathisierenden Gruppen ein erweitertes Bündnis »Rente zum Leben« gegründet, um in den laufenden Bundestagswahlkampf eingreifen zu können. Schließlich lief ja gleichzeitig die Rentenkampagne der Gewerkschaften. Die mit all dem verbundenen Hoffnungen trugen jedoch nicht sehr weit. Das Thema ging zwar in den Wahlkampf ein, spielte jedoch keine prominente Rolle, und das Wahlergebnis lässt keine Illusionen zu. Es gibt jedoch keine Alternative zur Aktivität »von unten“: Auch der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt.

In der Arbeiterpolitik Nr. 3/2016 erschien zu dem Rententhema der Artikel »Das programmierte Rentendesaster«, an dessen wesentlichen Aussagen sich bisher nichts geändert hat.

Entstehung und Begründung der Forderung

Auch in anderen Teilen Deutschlands sind Bündnisse und Initiativen aktiv, deren Ziele in Teilen unterschiedlich, auf jeden Fall aber gegen den weiteren Abbau der umlagefinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung und für die Wiederherstellung einer umfassenden Altersabsicherung durch diese gerichtet sind. Am 17.1. kamen auf Einladung des Rhein-Main-Bündnisses (RMB) der Seniorenaufstand (Norddeutschland) und die Initiative gegen Altersarmut (IGA, Süddeutschland) in der Geschäftsstelle des Bezirksverbandes Frankfurt der GEW zusammen. Man war sich rasch einig darüber, dass viel Arbeit geleistet worden war, dass der Wirkungskreis der Gruppen und ihre begrenzten Möglichkeiten aber zu gering seien, um Änderungen in der Rentenpolitik zu erzwingen. Hier habe man es mit mächtigen Kapitalinteressen und diese unterstützender staatlicher Politik zu tun, gegen die gute Argumente allein nicht viel ausrichteten. Eine breitere Basis sei derzeit aber nicht absehbar.

Nach dieser Einschätzung kam man zu dem Ergebnis, dass die bisherige Kampagnenarbeit stärker zu konzentrieren sei. Das vorrangige politische Ziel müsse die Abwehr von Altersarmut sein. Das geeignetste Mittel dazu sei die Forderung einer Mindestrente. Hierzu kann auf die Kampagne zu einem Mindestlohn verwiesen werden, die schließlich von Gewerkschaften, Linkspartei, SPD und Grünen nach und nach übernommen und in der vergangenen Legislaturperiode der GroKo durchgesetzt wurde. Natürlich ist die Ausgestaltung (8,84 €, tarifpolitische Ausnahmeregelungen, reale Kontrolle usw.) unbefriedigend, und auch die jahrelange Dauer der Durchsetzung verweist auf die Schwierigkeiten, die damit verbunden waren. Aber ein erster Durchbruch war erreicht, und damit ist auch ein Maßstab für die Perspektive der Mindestrentenkampagne gesetzt.

Forderungen gibt es auch hier schon länger, z. B. vom RMB (1000 €). Die Partei DIE LINKE hatte in ihrem Wahlprogramm 2017 1050 € gefordert. Das Bündnistreffen in Frankfurt kam nun überein, diesen Betrag zu übernehmen. Er entspricht der Summe aus der vom Bündnis geforderten Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 600 € (derzeit ab 2018: 416 €) plus einem durchschnittlichen KdU-Betrag von 450 € (KdU = Kosten der Unterkunft, also Miete und Heizkosten), erspart aber den Gang zum Sozialamt. Ähnlich wie beim Mindestlohn dürfte von dieser Haltelinie zudem ein Druck zur Erhöhung des gesamten Rentengefüges ausgehen.

Mit der Übernahme der Mindestrentenforderung in der Höhe, die die Linkspartei aufgestellt hat, soll vermieden werden, dass mit unterschiedlichen Zahlen unnötige Konkurrenz unter den aktiven Gruppen und politischen Kräften entsteht. Als nächste Aufgaben wurden die Erstellung einer Broschüre und eines mobilisierungsfähigen Flugblattes gestellt, die spätestens zum 1. Mai verfügbar sein müssen.

Am 20. Januar traf sich in der gleichen Örtlichkeit das oben angesprochene Bündnis »Rente zum Leben« zu seiner ersten Jahreskonferenz. Es fanden sich 23 Personen aus neun Städten ein, die ihrerseits Gruppen vertraten. Die Aussagen des Treffens vom 17.1. wurden im wesentlichen bestätigt. »Das Thema Rente ist leider kein Selbstläufer. Das Interesse ist zwar da, aber es ist schwierig, Menschen zu aktivieren und zu Veranstaltungen zu bringen. Vor allem jüngere Menschen neigen dazu, das Thema zu verdrängen. … Der Kampf gegen Altersarmut (hat) im Moment die höchste Dringlichkeit. Das hebt die anderen Themen nicht auf. Unsere Forderungen stehen in einem engen Zusammenhang, aber es gibt immer etwas Hauptsächliches« (aus dem Tagungsbericht).

Für die inhaltliche Arbeit konnte als Referent Holger Balodis gewonnen werden, der seit vielen Jahren zum Thema Altersvorsorge Bücher schreibt, Vorträge hält und zu Aktivitäten auffordert. Er wurde ausdrücklich deswegen eingeladen, weil seine Thesen mit denen des Bündnisses im wesentlichen übereinstimmen. Das aktuelle Buch »Holger Balodis/Dagmar Hühne, Die große Rentenlüge, Frankfurt 2017« spannt den Bogen von der Darstellung der umlagefinanzierten Rentenversicherung über das »Schröder-Riester-Rentendesaster«, die Entgeltumwandlung in der Betriebsrente, die »Rentengehirnwäsche«, der wir ausgesetzt werden, bis hin zu einem »Masterplan« für eine gute Rente. Der lautet im Fazit so:

»Mehr Rente ist möglich«

»Es geht nicht darum, ob wir uns in Deutschland gute Renten leisten können, sondern darum, ob wir das wollen. Der Werkzeugkasten steht bereit: etwas höhere Rentenbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, die Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche Rente, ein korrekt bemessener Bundesanteil für die versicherungsfremden Leistungen, der Stopp der Förderung von Riester-Renten und der Entgeltumwandlung, die Aufhebung oder Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze und last but not least Korrekturen an dem durch die Hartz-Gesetze aus den Fugen geratenen Arbeitsmarkt. Das zusammen würde dazu führen, dass alle Rentner deutlich mehr im Alter bekämen. Deutlich mehr als im gegenwärtig als alternativlos gepriesenen Drei-Säulen-Modell – und das sogar zu geringeren Kosten für die Arbeitnehmer, jedenfalls im Vergleich zu den von der Regierung eingeplanten Belastungen. Etwas mehr zahlten hingegen die Arbeitgeber, der Staat selbst und die Spitzenverdiener oberhalb der aktuellen Beitragsbemessungsgrenze. Erstmals einzahlen müssten viele Selbstständige, Politiker und Beamte. Möglich ist das, wenn wir das wirklich wollen« (Balodis/Hühne, S. 138 f.).

In dieser Argumentation bewegte sich auch das Eingangsreferat in der Konferenz. Die Mindestrentenkampagne wurde gegen zwei Enthaltungen beschlossen. Einwände, dass die Forderung von 1050 € zu niedrig sei, wurden zurückgestellt. Der Betrag sei zwar sehr bescheiden, aber es komme darauf an, mit einer einheitlichen Plattform in die Auseinandersetzungen der kommenden Jahre zu gehen.

11.2.2018


Nachfolgend zitieren wir Auszüge aus dem sechsten Kapitel des hier genannten Buches. Hier wird deutlich, wie mit Begriffen und Zahlen Schindluder getrieben werden kann, wenn das offizielle Rentenniveau absurderweise an dem fiktiven Modell der Standardrente orientiert ist.

Das Rentenniveau –
mager, missbraucht und manipulativ!

Das derzeit verwendete Rentenniveau bezeichnet als Prozentsatz das Verhältnis von Netto-Standardrente zum Netto-Arbeitsentgelt eines Durchschnittsverdieners. Da eine Standardrente derjenige bekommt, der 45 Jahre lang immer durchschnittlich verdient hat, soll dieser Wert also ein Maß dafür sein, wie gut oder schlecht ein Rentner, der früher Durchschnittsverdiener war, im Verhältnis zu einem heutigen Durchschnittsverdiener gestellt ist. Wie wir nachfolgend zeigen werden, funktioniert das mehr schlecht als recht, weil die Rechenweise teilweise willkürlichen Vorgaben folgt und weil zahlreiche Verschlechterungen im Rentenrecht sich weder in der Standardrente noch im Rentenniveau niederschlagen. Und dennoch ist um die Frage, ob das Niveau weiter fallen darf oder ob es dringend steigen muss, ein regelrechter Glaubenskrieg ausgebrochen. … So lohnt es sich, wenigstens mit einer Reihe von Irrtümern aufzuräumen.

Klarstellung Nummer 1:

Das Rentenniveau hat nichts, aber auch gar nichts mit einer Lohnersatzrate zu tun. Es sagt also gerade nicht, wie viel Prozent von seinem letzten Einkommen ein Rentner erhält. Wenn kolportiert wird, ein Rentenniveau von 48 Prozent bedeute, die Rentner bekämen etwa »48 Prozent vom letzten Brutto« oder »48 Prozent vom letzten Netto«, so ist beides falsch. Eine Anknüpfung der Altersversorgung an das letzte Einkommen vor dem Ruhestand gibt es nur bei Beamten. (…)

Klarstellung Nummer 2:

(…) Wenn heute jedoch von Rentenniveau gesprochen wird, ist damit das gemeint, was die Bundesregierung ›Sicherungsniveau vor Steuern‹ nennt. (…) Während Arbeitnehmer schrittweise immer mehr Beiträge von der Steuer absetzen können und damit entlastet werden, rutschen die Rentner schrittweise immer stärker in die Besteuerung hinein. Ein Rentenniveau vor Steuern berücksichtigt das nicht und verharmlost damit die Verschlechterung der Einkommensposition der Rentner verglichen mit den Arbeitnehmern.

Klarstellung Nummer 3:

Das Rentenniveau hat mit der Rentenhöhe der einzelnen Rentner nur wenig zu tun. Manchmal führt es geradezu in die Irre: So ist das offizielle Rentenniveau in den vergangenen Jahren nur wenig gesunken (und von 2015 auf 2016 sogar gestiegen!). Dennoch sind die tatsächlichen Renten vieler Neurentner heute dramatisch niedriger als noch vor wenigen Jahren. Eine quantitative Aussage darüber, was ein steigendes oder fallendes Rentenniveau für einen Rentner im Einzelfall bedeutet, ist damit oft nicht möglich. Das liegt vor allem daran, dass das Rentenniveau nur etwas aussagt über den sogenannten »Standardrentner«. Der wiederum ist nur ein Idealtypus, die Fiktion eines Arbeitnehmers, der 45 Jahre lang immer den Durchschnittsverdienst der versicherten Arbeitnehmer erreicht. (…)

Klarstellung Nummer 4:

Die Methode zur Berechnung des Rentenniveaus ist so krude, dass dies Manipulationen Tür und Tor öffnet, es haben Faktoren Einfluss auf das Rentenniveau, die eigentlich nichts mit der Rente zu tun haben. (…) Das liegt daran, dass die Bundesregierung nicht mit den Zahlen der Rentenversicherung rechnet, sondern mit denen aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR). Mit seltsamen Folgen: Für den Durchschnittsverdienst werden nicht nur die Gehälter der Rentenversicherten herangezogen, sondern die Verdienste von allen Beschäftigten. (…) An der Stelle sei noch einmal an das Zitat von Bert Rürup erinnert: ›Das Rentenniveau kann ausfallen, je nachdem wie ich es berechne, was ich rausnehme, was ich reinnehme. Das heißt, man kann jedes Niveau erzeugen, das Niveau ist also eine ziemlich manipulative Größe.‹ Das führt zur

Klarstellung Nummer 5:

Das Rentenniveau lässt sich sehr leicht manipulieren, wenn die Standardrente neu definiert wird. So fragt der Wissenschaftliche Beirat im Bundeswirtschaftsministerium: Warum sollen die Menschen künftig zwei Jahre länger arbeiten (bis 67), doch die Standardrente unterstellt weiterhin nur 45 Jahre? Doch die Professoren wissen Rat: Legen wir doch auch bei der Berechnung der Standardrente zwei Jährchen drauf, dann hätten wir schon heute wieder ein Niveau von 50 Prozent. Die Forderung des DGB wäre also erfüllt, ohne dass ein Rentner auch nur einen Cent mehr Rente bekäme. Der schöne Schein ist oft trügerisch. (…)

Was wir brauchen, ist aber das genaue Gegenteil: Verbesserungen für alle, ganz besonders für die Geringverdiener und jene, die keine 45 Versicherungsjahre schaffen. Ob sich das im Rentenniveau niederschlägt oder nicht, ist völlig egal. Auf höhere Renten kommt es an!

aus: Holger Balodis/Dagmar Hühne,
Die große Rentenlüge, Frankfurt 2017, S. 73 – 80


aus Arbeiterpolitik Nr. 1 / 2018

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