Es wird viel gebaut, doch es fehlt an bezahlbaren Wohnungen:
Verdrängung auf dem Wohnungsmarkt

»Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.« Mit diesem berühmten Zitat aus Bertolt Brechts »Me-Ti – Buch der Wendungen« ist die strukturelle Gewalt ausgedrückt, die in den sozialen Verhältnissen im Kapitalismus steckt. Auch die Versorgung bzw. Unter- oder Nichtversorgung mit Wohnraum gehört dazu. In einem reichen kapitalistischen Land wie Deutschland mochte Wohnungsnot zeitweilig wie ein Gespenst der Vergangenheit erscheinen. Doch wie in anderen Bereichen der kapitalistischen Wirtschaft gibt es im Wohnungsmarkt Konjunkturen. Und Engpässe wie gegenwärtig im Bereich bezahlbarer[1] Wohnungen können einhergehen mit gleichzeitigem Bauboom.

Die dramatische Zunahme der Wohnungsnot, insbesondere in den Ballungsräumen (in München soll es laut Bayrischem Rundfunk 8.000 Obdachlose geben) wird in den Medien, Talkshows, Wahlprogrammen von Parteien, Verlautbarungen von Kommunen und anderen öffentlichen Organen bis hin zum Bundeswohnungsbauministerium thematisiert und skandalisiert. In der Bevölkerung nimmt die Furcht vor immer weiter steigenden Mietbelastungen und vor Obdachlosigkeit zu. Dennoch ist eine breite Bewegung, die auf Vereinheitlichung von Zielen und Strategien lokaler Kräfte drängt, derzeit nicht in Sicht. Deshalb kann es in diesem Artikel nicht darum gehen, die Verlaufsformen politischer Auseinandersetzungen zu beschreiben, sondern die Wohnungsfrage als Klassenfrage zu zeigen.

Die Komplexität der Thematik »Wohnen« können wir in einem Artikel nicht annähernd darstellen. Wir konzentrieren uns im folgenden auf den Widerspruch, dass zur Zeit gerade in Ballungsgebieten wie z. B. dem Rhein-Main-Gebiet viel gebaut wird, jedoch nur wenig preiswerter Wohnraum dabei herauskommt. Das private Immobilienkapital ist – jedenfalls im Wege des »freien«, d. h. nicht subventionierten Wohnungsbaus – strukturell nicht in der Lage, bezahlbare Wohnungen bereitzustellen. Daher ist die Feststellung offensichtlich, dass der Wohnungsbau wegen der elementaren Bedeutung für das Leben der Menschen und des Umstandes, dass Grund und Boden nicht beliebig vermehrbar ist, in die Verantwortung des Staates und der Kommunen gehört.

Armutsgefahr Wohnen

Eine jüngst erschienene Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung »Wohnverhältnisse in Deutschland«, erstellt von Andrej Holm, Henrik Lebuhn u. a., zeigt die soziale Lage in den 77 Großstädten der Bundesrepublik. Demnach müssen dort 5,6 Mio. Haushalte mehr als 30 % ihres Einkommens für die Miete aufwenden, jeder zehnte Großstadthaushalt sogar mehr als 50 %. In 1,3 Mio. Haushalten bleiben nach Abzug der Miete Beträge übrig, die trotz des Zuschusses zu den KdU (Kosten der Unterkunft) noch unter dem Hartz-IV-Regelsatz liegen, also kaum zum Leben reichen.

Die 30-Prozent-Marke gilt als kritisch, weil insbesondere Familien mit kleinerem Einkommen nicht genug Geld für den Alltag bleibt. Das Bundesbauministerium nennt in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen Zahlen aus dem Jahr 2014. Demnach müssen 37,4 % der Hauptmieterhaushalte mehr als 30 % für Miete ausgeben, 17 % dieser Haushalte mehr als 40 %. Anders als die Studie der Hans-Böckler-Stiftung beziehen sich die Angaben des Bauministeriums nicht nur auf Großstädte, sondern auf ganz Deutschland.

Zu beachten ist hierbei, dass die Mietkosten anteilmäßig umso mehr zu Buche schlagen, je niedriger die Einkommen sind. Besser Verdienende leben natürlich in durchschnittlich größeren Wohnungen mit höheren Kosten, aber sie können sich dies auch leisten. In einem Land wie Deutschland wird »Armutsgefährdung« üblicherweise mit weniger als 60 % des Medianeinkommens (d. h. des Einkommens, das in der Bevölkerungsskala genau die Mitte einnimmt) beschrieben. So stellt die Studie fest, dass Haushalte, die 140 % des Medianeinkommens verdienen, im Durchschnitt 8,10 Euro Kaltmiete zahlen, während die unter 60 % Verdienenden auf 7,20 Euro kommen. Damit geben die besser Betuchten aber nur 17 % ihres Einkommens für Miete aus, Armutsgefährdete dagegen fast 40 %. Hier ist zu berücksichtigen, dass in heutiger Zeit preiswerte Wohnungen Mangelware sind. Die ärmeren Schichten der Bevölkerung können der Problematik, dass die Wohnkosten ihren Lebensstandard sehr stark einschränken, kaum entkommen.

Dazu kommt, dass die Wohnungen in den etwas niedrigeren Preislagen auch eine bescheidene Ausstattung aufweisen. Während Gutverdiener im Schnitt pro Person auf 52 m2 leben dürfen, müssen sich Ärmere auf 37 m2 einschränken, insgesamt 800.000 Haushalte sogar auf 20 m2 pro Person. Aktueller Wohnungsmangel in bestimmten Segmenten tut sein Übriges dazu: Viele Singles sehen sich gezwungen, in größeren Wohnungen zu leben und damit höhere Mietkosten zu tragen, als sie wollen bzw. ohne gravierende Einschränkungen an anderer Stelle leisten können. Hinter all dem steht in der Gesellschaft die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. »Laut dem Global Wealth Report von Credit Suisse Research besitzen gegenwärtig 0,7 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung 45,6 Prozent des Haushaltsgesamtvermögens, während 73,2 Prozent lediglich über einen Vermögensanteil von 2,4 Prozent verfügen. Parallel zu steigenden Einkommen aus Kapitalerträgen ist die durchschnittliche Lohnquote in den wichtigsten Industrieländern zwischen 1980 und 2013 nahezu kontinuierlich gesunken.« Auch in Deutschland ist das so: »Die reichsten zehn Prozent besitzen einen Anteil von mehr als 64 Prozent des Gesamtvermögens. Doch nicht nur die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich vergrößert, auch die Einkommensungleichheit unter Lohnabhängigen hat zugenommen. Die Hälfte der abhängig Beschäftigten verdient heute weniger als noch vor 15 Jahren, die unteren vier Einkommensdezile und damit vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter haben überdurchschnittlich verloren« (Klaus Dörre, Hoch oben, tief unten, Neues Deutschland, 18.9.2017). Hinzu kommt die Unsicherheit durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse.

Die Frage, woher diese Ungleichgewichte kommen und wie sie zu bekämpfen sind, führt direkt in strukturelle Zwänge der kapitalistischen Produktionsweise, die sich im Wohnungsmarkt niederschlagen, und eine bürgerliche Politik, die einerseits das anlagesuchende Kapital im Bausektor, andererseits die besser verdienenden Mittelschichten als ihre Klientel bedient.

Kapitalverwertung im Wohnungsmarkt

Der private, »frei« (d. h. ohne jede Form staatlicher bzw. kommunaler Subventionierung) finanzierte Wohnungsbau ist nicht in der Lage, bezahlbaren Mietraum für die Mehrheit der MieterInnen in deutschen Großstädten zu schaffen. Das ist hier die Ausgangsthese. Im Wohnungsbau eingesetztes Kapital ist zu seiner profitablen Verwertung auf Renditen angewiesen, die nur durch sehr hohe Mieten erbracht werden können. Damit stehen die Interessen der profitorientierten Wohnungswirtschaft der Schaffung von preisgünstigem Wohnraum sogar entgegen (Bernd Belina, Wohnungsbau und globale Kapitalverhältnisse, Z – Zeitschrift marxistische Erneuerung, Nr. 109, März 2017, S. 129-136).

Wohnungsbau hat Konjunkturen. So gingen die Investitionen in den Neubau von 7,65 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) im Jahre 1996 auf 4,97 % des BIP 2005 zurück. Dagegen stiegen sie von 40,8 Mrd. Euro in 2011 auf 64,3 Mrd. Euro in 2016 (Strukturdaten zur Produktion und Beschäftigung im Baugewerbe – Zahlen für 2016, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung im Auftrag des Bundesbauministeriums). Doch dieser Neubau entsteht überwiegend in Hochpreis- und Luxussegmenten (95,3 % der privaten Neubauten in den 20 größten deutschen Städten im Jahre 2016). An drei zentralen Gründen kann man verdeutlichen, woran das liegt.

Bauen ist wegen der »relativ niedrigen organischen Zusammensetzung des Baukapitals« (Belina), d. h. wegen des hohen Anteils gering mechanisier- oder automatisierbarer Handarbeit strukturell kostspielig. Hinzu kommen gesetzliche Auflagen, die je nach gesellschaftlich erwünschtem und politisch durchgesetztem Standard sehr tiefgreifend sein können, z. B. Energie- und Brandschutzauflagen (man denke an die nicht enden wollenden Probleme beim Berliner Hauptstadtflughafen oder – tragischerweise – das abgebrannte Hochhaus in London-Grenfell). Deshalb übersteigen Neubauwohnungen auch bei einfacher Ausführung schnell die Erwartung großer Mieteinnahmen durch MieterInnen mit geringen bis mittleren Einnahmen. Dagegen sind hochpreisige Wohnungen trotz besserer Ausstattung nicht sehr viel teurer in der Herstellung, erzielen aber auf dem Markt wegen der kaufkräftigeren Klientel höhere Mieten, daher auch höhere Verkaufspreise. Es handelt sich also um Extraprofite, die in keinem kalkulatorisch begründbaren Verhältnis zu den relativ moderaten Kostendifferenzen stehen.

Grundstückspreise in interessanten Lagen von Groß- und Universitätsstädten steigen seit Jahren rasant immer weiter. Der Bodenpreis ist bekanntlich nichts anderes als die »kapitalisierte Grundrente« (Belina), d. h. je mehr ein Grundstück zukünftig durch Nutzung oder Verpachtung abzuwerfen verspricht, desto höher steigt sein Preis. Aktuell sind vor allem gefragt: Luxus- und hochwertiges Wohnen (Neubau ebenso wie Bestandssanierung) sowie Spekulation auf Wertsteigerungen durch Investitionen aus anderen Sphären, z. B. der gewerblichen Nutzung. Für den ersten Bereich stehen etwa in Frankfurt die immer zahlreicher aus dem Boden schießenden Wohntürme oder auch die Umwandlung unverkäuflicher Büroräume in hochwertige bzw. luxuriöse Wohnungen. MieterInnen mit Niedrigeinkommen werden unmittelbar verdrängt bzw. kommen erst gar nicht zum Zuge. Die Spekulation mit Grundstückswerten treibt als Selbstläufer die Preise noch weiter an: Reiche »Investoren« kaufen Grund und Boden an, ohne produktiv zu investieren. Die IG BAU schätzt, dass ein Fünftel aller Baugenehmigungen für Wohnungen wegen der Spekulation auf höheren Weiterverkauf nicht umgesetzt wird.

So folgert Belina zutreffend: »Die teuren Grundstücke sind also nicht so sehr ein Grund dafür, dass derzeit nur teurer Wohnraum gebaut wird – wie die Immobilienbranche stets betont –, sondern vielmehr eine Folge eben jenes Baus von und Umbaus zu Luxuswohnungen.« Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, sei nur möglich, wenn diese Mechanismen der Grundrentensteigerung bzw. der Spekulation darauf politisch reguliert werden. Dies aber ist ganz offensichtlich eine Frage der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse. Dazu gehören die Einsicht, dass Wohnungsbau durch die öffentliche Hand geschehen und diese die dazu erforderlichen Entscheidungsbefugnisse und Finanzmittel erhalten muss, und eine politische Kraft, die solche Forderungen durchsetzt.

Kreditzinsen sind zur Zeit und auf längere Sicht so billig wie lange nicht mehr. Die unmittelbare Folge besteht darin, dass seit der Finanzkrise von 2007/8 die Kreditkosten für den Wohnungsbau von etwas über 5 % auf unter 2 % gesunken, die Investitionen in denselben aber, wie oben dargestellt, gestiegen sind (am BIP gemessen von ca. 5 % auf ca. 6 %). Hier kommt dem Wohnungsbau außerdem zugute, dass Kapital in diesen Bereich vermehrt einfließt, wenn andere Profitmöglichkeiten zunehmend verschlossen erscheinen. Gewohnt werden muss immer. Zahlungskräftige Nachfrage ist vorhanden, wenn nicht, wird sie durch Kredite simuliert. Auf der einen Seite werden Herstellungskosten durch billige Kredite gesenkt, auf der anderen scheint die Realisierung gesichert. Aber es wird nicht nach Bedarf gebaut, sondern auf Profiterwartung hin. Die Immobilienkrise 2007/8 lässt grüßen. Angesichts des Mangels an Alternativen werden Warnungen vor Blasenbildung in den Wind geschlagen.

Doch das billige Geld fließt – wie vorstehend dargelegt – bei Fehlen regulatorischer Zweckbestimmungen überwiegend in den Luxus- und hochwertigen Wohnungsbau. Bei anderem politischen Willen könnte es genossenschaftlichen Bauträgern zur Verfügung gestellt werden. Diese sind jedoch – seit der Aufhebung der Gemeinnützigkeit im sozialen Wohnungsbau – nahezu gleichartig wie private »Investoren« an möglichst hoher Rentabilität ihrer Projekte interessiert. Der aktuell betriebene Wohnungsbau ist insgesamt nicht geeignet, die sich verschärfende Wohnungsfrage zu lösen: Er ist zu teuer, treibt die Grundstückspreise hoch und fördert die Blasenbildung im Immobiliensektor. Nur ein Wohnungsbau der öffentlichen Hand oder durch gemeinnützige Genossenschaften, der nicht auf Profite setzt, sondern am gesellschaftlichen Bedarf orientiert ist, könnte diese Probleme wirksamer angehen.

Strukturschwächen im sozialen Wohnungsbau

Damit soll jedoch nicht unkritisch eine Lanze für den sozialen Wohnungsbau, wie wir ihn bisher kannten, gebrochen werden. Wir dürfen nicht vergessen: Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft. Zuerst werden die Anforderungen der Kapitalverwertung bedient, damit diese Gesellschaftsformation sich reproduzieren und weiter bestehen kann. Die Bedürfnisse der Menschen werden in Abhängigkeit von dieser Priorität erfüllt, so gut es eben gehen mag. Im sozialen Wohnungsbau geht es unter diesen vorherrschenden Bedingungen prinzipiell darum, durch unterschiedliche Formen von Subventionen (Baukosten- und Aufwendungszuschüsse, Zinsverbilligung) die Mieten auf oder unter die Kostenmiete zu drücken und so für die berechtigten unteren Einkommensgruppen zu öffnen. Durch Vertrags- und Finanzierungsinstrumente wird also die Bereitstellung von Wohnraum systematisch zur Wirtschaftsförderung. Hieraus ergeben sich die strukturellen Schwächen, von denen im Folgenden einige aufgeführt werden.

Sozialen Wohnungsbau gab es unter wechselnden Bedingungen und Formen schon in der Weimarer Republik und im Nazi-Reich. In der DDR war er staatliche Aufgabe; im Schatten der Systemkonfrontation, aber auch wegen seiner unter damaligen Bedingungen wenig attraktiven Erscheinungsformen wurde er im Westen als »Plattenbau« verhöhnt. In der BRD war er überwiegend als Mischform von geförderten privaten und genossenschaftlichen Unternehmungen konzipiert und funktionierte mehr oder weniger bis in die achtziger Jahre. Auch diese Form geriet in Kritik, je nach Interessenlage der beteiligten Parteien und besonders im Zusammenhang mit dem Neue-Heimat-Skandal. Die »Neue Heimat« war die Wohnungsbaugenossenschaft der DGB-Gewerkschaften, die in den achtziger Jahren in einem Korruptionsskandal unterging und abgewickelt werden musste. In der öffentlichen Wahrnehmung war das ein schwerer Schlag gegen gewerkschaftliches und sonstiges Genossenschaftswesen und Wasser auf die Mühlen der bereits beginnenden Privatisierungsdiskussionen in weiten Teilen von Wirtschaft, Kultur, Publizistik, Politik und Gesellschaft. So konnte im Wohnungswesen durch ein Gesetz 1988 die Steuerfreiheit der bis dahin gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften abgeschafft werden. Durch die sogenannte Föderalismusreform 2005 wurden der Wohnungsbau zur »Ländersache« erklärt, damit in Konkurrenzzwänge gebracht, und die Fördermittel des Bundes gegen nicht sachlich gebundene und insgesamt niedrigere Pauschalzuweisungen getauscht.

Sozialer Wohnungsbau in der BRD war und ist weder ein bestimmtes Wohnungsmarktsegment noch eine Gebäudeklasse („Plattenbau“), sondern eine Mischung teils unzusammenhängender Programme und Leistungen, die letztlich auf die Subventionierung des im Wohnungsbau beschäftigten Kapitals zielen. Unterschieden werden Objekt- und Subjektförderung. Unter der ersteren versteht man die klassische soziale Wohnraumförderung, in der private Investoren und kommunale Wohnungsunternehmen durch Steuernachlässe und andere Anreize veranlasst werden, preiswerte Mietwohnungen im allgemeinen Wohnungsmarkt bereitzustellen. Die als Gegenleistung zur Subventionierung verstandene »Sozialbindung« der Wohnungen gilt jedoch in der Regel nur auf Zeit, so dass sie nach deren Ablauf zum ungebundenen Wohnungsmarkt mit entsprechenden Mietsteigerungen gehören.

Subjektförderung dagegen überlässt die Mietpreisbildung von vornherein unkontrolliert dem freien Markt und setzt an den wohnungsuchenden Haushalten selbst mit Sozialleistungen an (Wohngeld, KdU bei Hartz IV u. ä.). Damit wird die Preisentwicklung am Wohnungsmarkt nicht gestoppt, sondern angetrieben. Diese Form der Subventionierung ist noch kapitalfreundlicher, weil sie die Verfügungsrechte des Wohnungseigentümers in keiner Weise einschränkt. Die Kostendifferenz tragen vielmehr die steuerzahlende Allgemeinheit bzw. der/die MieterIn selbst, wenn die Transferleistung zu gering ausfällt. Im Interesse der Immobilienwirtschaft wird die Strategie der Subjektförderung aktuell in den Jamaika-Verhandlungen in Berlin besonders durch die FDP vertreten. In der Kritik daran geht es nicht darum, die Sozialleistung »Wohngeld« abzuschaffen, wo sie benötigt wird, sondern in der Tendenz überflüssig zu machen in dem Maße, in dem es gelingt, bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen.

Kritik am sozialen Wohnungsbau – in der Vergangenheit wie gegenwärtig – lässt sich in einigen Punkten zusammenfassen: 1) Er sei zu teuer; 2) zu ineffektiv in der Erreichung der Versorgungsziele; 3) er führe zu »Ghettobildung« bzw. »sozialen Brennpunkten“; 4) er werde durch »Fehlbelegung« ausgenutzt, wenn Mieter auch nach Fortfall ihrer Berechtigungsgründe (z. B. durch höheres Einkommen) in der subventionierten Wohnung verblieben. Dass solche Probleme in Einzelfällen eine Rolle spielen, kann nicht bestritten werden. In wissenschaftlichen Untersuchungen wird jedoch nachgewiesen, dass das Randerscheinungen sind. Sie spiegeln eher wider, dass auch die beste Sozialpolitik die strukturellen Unsicherheiten der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht aufheben, sondern nur nachsorgend abfedern kann.

Obwohl die Immobilienwirtschaft über Jahrzehnte von den Förderprogrammen profitierte, setzt sie auf das Mantra, dass der Markt die Dinge am besten regele; die Benachteiligung der kaufkraftschwächeren MarktteilnehmerInnen übergeht sie mit Schweigen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass unter jahrzehntelangem Beschuss der einander nachfolgenden Kohl-Schröder-Merkel-Regierungen der Sozialstaat ideologisch zum Abbruch frei gegeben, der sogenannten Privatinitiative immer mehr Raum und gesellschaftlicher Vorrang zugestanden wurde. Es war auch die aktive Politik der Steuerentlastung der Unternehmen und großen Vermögen, der Austrocknung der öffentlichen Haushalte, der Bereitstellung neuer Kapitalanlagemöglichkeiten durch die Verschleuderung öffentlichen Vermögens, darunter eben auch Wohnungsbestände kommunaler Baugenossenschaften und staatlicher Unternehmen wie Post und Bahn. War in früheren Zeiten die Wohnungswirtschaft an Förderprogrammen, die mit Sozial- und Belegungsbindung einhergingen, interessiert, weil sie die öffentlichen Fördergelder brauchte, so ist sie jetzt in der Lage, darauf zu pfeifen. Kapital ist genügend vorhanden, und es muss angelegt werden, ohne Einschränkungen zu unterliegen.

Kritik kommt auch von der anderen Seite mit anderer Zielrichtung, von Mieterinitiativen[2]. Auch im geförderten Wohnungsbau sind inzwischen die Mieten häufig zu hoch. Förderprogramme sichern den Wohnungseigentümern über den gesamten Förderzeitraum eine Eigenkapitalverzinsung von 6,5 % zu, so dass die Miethöhe unmittelbar von der Höhe der staatlichen Subventionierung abhängt. Wird dort reduziert, legen die MieterInnen drauf. Das einzig Feststehende im sozialen Wohnungsbau sind die Erträge der Eigentümer.

Kämpfe um bezahlbaren Wohnraum

Initiativen für Mieterinteressen und andere Belange der Einkommensschwachen müssen sich in diesem Dickicht zurecht finden und ihre Forderungen an ihre jeweiligen Gegebenheiten ausrichten[3]. Allgemein Konsens scheint inzwischen zu sein, für den Neubau von Wohnungen in großen Komplexen zu verlangen, dass wenigstens ein Drittel der Wohneinheiten als Sozialwohnungen ausgewiesen werden. Im Rahmen des Baurechts haben Kommunen diese Möglichkeit, und immer mehr verpflichten sich auch dazu. Natürlich steht der Druck der Realitäten dahinter, die GemeindepolitikerInnen können nicht einfach zuschauen, wie ihnen der Laden um die Ohren fliegt und die Wählerschaft ihnen davon läuft. Eine weitergehende Forderung besteht darin, die Aufhebung der Sozialbindung zu untersagen, Sozialwohnungen also auch über den Förderzeitraum hinaus für immer vor dem freien Markt zu sichern. Solche Regulierungen haben Potenzial, heben jedoch die Macht der Kapitalinteressen nicht auf. Mieterinitiativen sehen sich dann vor die nächste Aufgabe gestellt, darauf zu achten, dass Bestimmungen über Sozialwohnungen, örtliche Mietspiegel u. dgl. auch eingehalten werden.

Die allgemeine und wichtigste Forderung ist auf jeden Fall, die Wohnraumbereitstellung (Bau und Vermietung) in die öffentliche Hand (Kommune bzw. kommunale Baugesellschaft, gemeinnützige Baugenossenschaft) zu legen. Für deren Finanzierung müssen die öffentlichen Haushalte gestärkt und das Steuersystem grundlegend umgestellt werden, um Unternehmen und große Vermögen heranzuziehen. Dies erfordert freilich besonders viel Kraft und Mobilisierungsfähigkeit, weshalb auf dem Weg dorthin die anderen hier skizzierten Möglichkeiten im allgemeinen eher zu nutzen sind. Welche politischen Mittel Mieterinitiativen und ihre Verbündeten nutzen – Öffentlichkeitsarbeit mit Veranstaltungen, Presse, Erarbeitung und Bereitstellung von Expertise, Rechtsberatung, Kundgebungen bis hin zu aktiven Kämpfen wie Hausbesetzung –, kann nur jede Initiative selbst nach ihrer politischen Zusammensetzung und ihren Gegebenheiten bestimmen.

8.11.2017


[1] „Bezahlbar« heißt im Verständnis von Mieterinitiativen und ähnlichen Bewegungen eine Wohnung dann, wenn sie für mittlere und niedrige Einkommen bezahlbar ist und einem Status entspricht, den man als im gesellschaftlichen Rahmen »menschenwürdig« ansehen kann.

[2] Mietergemeinschaft Kotti & Co. u. a. (Hrsg.), »Nichts läuft hier richtig«, Informationen zum sozialen Wohnungsbau in Berlin, Berlin 2014

[3] Gute, alltagstaugliche Argumente für die politische Auseinandersetzung bietet die Studie »Muss Wohnen immer teurer werden? Mythen und Behauptungen über Wohnen, Miete, Kaufen« von Andrej Holm, zu finden bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, auch als pdf.


aus Arbeiterpolitik Nr. 5 / 2017

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