Zur Diskussion um das Grundeinkommen
Wie können durchsetzbare Forderungen gegenwärtig aussehen?

Zur Diskussion

Der Artikel »Das bedingungslose Grundeinkommen – die humanistische Antwort auf den technologischen Fortschritt?« gibt eine zutreffende, logisch aufgebaute und gut nachvollziehbare Darstellung zum Thema in seinen beiden klassenmäßig unterschiedenen Grundpositionen. Es wird gezeigt, dass das bedingungslose Grundeinkommen

  • für Neoliberale die Bedeutung von Lohnsubvention für das Kapital sowie Verbilligung und Rationalisierung des Sozialstaats hat,
  • für antikapitalistische Linke eine von diesen selbst betriebene Desorientierung hinsichtlich einer vermeintlichen Stärkung der Kampfkraft der Arbeiterklasse darstellt; diese Vorstellung kann bis hin zu einem allmählichen »Hinübergleiten in den Sozialismus« gehen (als sei das bedingungslose Grundeinkommen ein Wundermittel zur Abschaffung der Lohnarbeit und nicht umgekehrt die Lohnarbeit die Voraussetzung zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens).

Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Darüber hinaus stellt sich aber die Frage, worauf denn die Linken (Parteilinke, sozialpolitisch engagierte Bewegungslinke, GewerkschafterInnen, KommunistInnen) orientieren sollten, wenn es um die Frage der sozialen Grundsicherung geht. Statt abstrakten und illusionären Modellvorstellungen in Verbindung mit dem bedingungslosen Grundeinkommen nachzujagen (mit den im Artikel beschriebenen Folgen), ist es notwendig, sich mit der konkreten Sozialpolitik im Kapitalismus der BRD auseinanderzusetzen und realistische, den gegenwärtigen Verhältnissen angemessene strategische Vorstellungen zu entwickeln. Um das anschaulich zu machen, werden im Folgenden einige Forderungen genannt und mit Zahlenbeispielen (aus dem Wahlprogramm der Partei DIE LINKE, PDL, und dem Forderungskatalog des Rhein-Main-Bündnisses gegen Sozialabbau und Billiglöhne, RMB) illustriert:

  • spürbare Erhöhung des Mindestlohns (PDL: 12 Euro brutto, RMB: 11 Euro lohnsteuerfrei);
  • spürbare Erhöhung des Regelsatzes Hartz IV (RMB 600 Euro, Streichung aller Sanktionen mit disziplinierendem und schikanösem Charakter, Orientierung an der Rechtsstellung von Erwerbslosen im SGB III, keine Abschaffung der Bedürftigkeitsprüfung = im Kapitalismus nicht möglich) – das PDL-Wahlprogramm spricht statt dessen von der Ersetzung von Hartz IV durch eine Grundsicherung in Höhe von 1050 Euro;
  • spürbare Erhöhung der Altersrente (PDL: 53 % des Bruttolohns, RMB: 70 % des Nettolohns = ca. 56 % bis 59 % des Bruttolohns), Einführung einer Mindestrente (PDL: 1050 Euro, RMB ebenfalls 1050 Euro), früherer Renteneintritt (RMB: 60 Jahre), Einbeziehung aller Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung;
  • Krankenversicherung: Wiederherstellung der Parität, Abschaffung der Zuzahlungen und IGEL-Leistungen, Bürgerversicherung.

Angesichts der Angriffe des Kapitals und der Haltung der DGB-Führung ist es von entscheidender Bedeutung, Forderungen zu entwickeln, die bei unterschiedlichen Beträgen die gemeinsamen Interessen von Erwerbslosen und Beschäftigten gegen das Kapital ausdrücken. Es kann daher kein unterschiedslos für Beschäftigte und Erwerbslose geltendes Grundeinkommen geben.

Die beschäftigten Lohnarbeiterinnen stellen nicht nur die Güter her, die sie und alle Menschen für ihr tägliches Leben brauchen, sie können auch den Prozess der Kapitalverwertung an empfindlichen Stellen treffen. Ihre Durchsetzungskraft ist daher unbestreitbar stärker als die der Erwerbslosen. Die Masse der Erwerbslosen strebt hier und heute trotz aller Unzufriedenheit mit Lohnarbeit nicht an, sich dauerhaft aus ihr zu verabschieden. Das bedingungslose Grundeinkommen kann keine verbindende Forderung sein, weil es die Interessen einer Minderheit von Erwerbslosen gegen die Gesamtheit der Lohnabhängigen ausspielt. Daher müssen gemeinsame Forderungen ausdrücken, dass

a) die Erwerbslosen ein Recht auf Existenzsicherung und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben haben,

b) die Beschäftigten ein Recht auf materielle und moralische Anerkennung ihrer Tätigkeit und Leistung haben.

Nur so kann solidarisches Handeln zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen zustande kommen. Deshalb setzen die hier beispielhaft genannten Forderungen an den heutigen Realitäten des Sozialstaats an, um sie weiterzuentwickeln und damit bessere Bedingungen für das Leben der Lohnabhängigen (die in Erwerbsarbeit und die in Erwerbslosigkeit) und den Klassenkampf gegen das Kapital vorzubereiten.

F/HU, 9.11.2017


aus Arbeiterpolitik Nr. 5 / 2017

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