Arbeiterbildung einst – und jetzt?

Buchbesprechung

In der Frühgeschichte der Arbeiterbewegung spielten zu verschiedenen Zeiten verschiedene Formen der Arbeiterbildung eine wesentliche Rolle. Der Schneider Wilhelm Weitling, vor der Revolution 1848/49 der bedeutendste Theoretiker der Arbeiterbewegung, förderte diese Tätigkeit in den entstehenden Organisationen der vorindustriellen Arbeiter, vor allem der wandernden Handwerksgesellen. Die neue Arbeiterbewegung der 1860er, die zu einem wesentlichen Teil schon aus Industriearbeitern bestand, führte diese Tätigkeit weiter. Immer wieder finden wir bei Weitling Hinweise auf die Aufgaben der Arbeiter, auf ihren Wunsch, die Bildungsbarrieren in der Klassengesellschaft zu durchbrechen. Diese Bestrebungen wurden in gewisser Weise auch von Organisationen frühsozialistischer Bürger gefördert, wichtiger sind aber schon hier die selbständigen Bemühungen von aufgeweckten Arbeitern, die sich in ihren (illegalen) Vereinen zusammenfanden um die Schranken der bestehenden Gesellschaft zu durchbrechen. Für Weitling war klar, dass die Behinderung der Bildungsaufgaben ihre Ursache in den Bestrebungen der bestehenden Gesellschaft hatte, das Eigentum an den Produktionsmitteln als ihr Monopol zu erhalten.

Politischer Kampf und freie Bildung

Diskussionsbeiträge von später führenden Vertretern der Sozialdemokratie, wie etwa Wilhelm Liebknecht, schätzten die Bildungsaufgaben nur bedingt als eine vorrangige Aufgabe der Arbeiterbewegung ein. Sie sahen den Kampf um die freie Bildung zusammen mit dem Kampf um die gesellschaftliche Befreiung als zwar eng miteinander verbunden, aber die letztere doch dem politischen Kampf untergeordnet. Auch für Liebknecht war die Selbsttätigkeit der Arbeiter eine wesentliche Voraussetzung für die freie Entfaltung der Bewegung.

Die Entwicklung der Arbeiterbewegung zu einer Massenbewegung brachte auch Spezialisierungen mit sich; Die sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften brauchten besser ausgebildete Vertrauensleute um ihre Forderungen durchführen zu können. In den Kampfjahren, so ungefähr die Jahre nach der Reichsgründung 1871, verschärft durch das Verbot der sozialdemokratischen Organisationen, Zeitungen und Verlage unter den Sozialistengesetzen (1878–1890), wurde die freie Bildungsarbeit auf kulturellem Gebiet stark behindert. Für die politische Bildungsarbeit waren jedoch vor allem die Sozialistengesetze ein unübertroffenes Mittel das Verständnis der Arbeiter zu wecken und voranzutreiben. Die Verfolgung der Arbeiterbewegung durch die Machthaber verdeutlichte den Arbeitern, wer ihre Feinde waren.

Nach dem Fall des Sozialistengesetzes bekam die allgemeine Bildungsarbeit der Arbeiterbewegung, d.h. vor allem der SPD, eine größere Bedeutung. Diese sozialistische Bildungsarbeit war nicht auf das Deutsche Reich begrenzt, sondern bekam in vielen europäischen Ländern eine bedeutende Funktion. In einigen Ländern war die deutsche Bewegung ein Vorbild, in anderen – zuerst in Großbritannien und später in den USA – wurden schon vor den Bemühungen in Deutschland eigenständige Formen entwickelt. In anderen Ländern ist der historischen Forschung nicht klar, ob die Bildungsarbeit »von oben« entwickelt wurde oder auf dem Wunsch der jeweiligen organisierten Arbeiter beruhte.

Ein Tagebuch in Briefen

Zu diesen Fragen ist jetzt eine neue umfangreiche Arbeit erschienen. Es geht um »Ein Tagebuch in Briefen (1894-1953)«. Die Verfasser sind hauptsächlich die beiden Briefschreiber Käte und Hermann Duncker. Bearbeitet und herausgegeben sind die vielen tausend Briefe des Ehepaares von Heinz Deutschland mit Unterstützung von Ruth Deutschland. Heinz Deutschland war in der DDR der Sekretär von Hermann Duncker. Das Ehepaar hat Kommentare zu den Briefen erstellt wie auch »Exkurs« genannte längere Texte, die zu bestimmten Ereignissen oder Entwicklungen ausgearbeitet wurden und ein besseres Verständnis vor allem in den Zeitspannen ermöglichen, wo die Dunckers nur wenige Möglichkeiten zur schriftlichen Verbindung hatten.

Spartakus und Revolution

Zu diesen Zeitspannen gehört die Novemberrevolution 1918/1919, wo die beiden Dunckers eine wichtige Rolle spielten – hier wie auch 1933 war es für Käte Duncker leichter den Gefahren der Zeit zu entgehen. Sie nahm vor allem während der Novemberrevolution eine sehr zentrale organisatorische Position ein. Briefe zwischen ihr und Hermann Duncker waren in der Zeit der Revolution selten, sie waren beide in die praktische Arbeit eingebunden. Käte Duncker nahm schon während des Krieges eine zentrale Position im Spartakusbund ein, und im Verlauf der Revolution nach der Ermordung von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Leo Jogiches – um nur die bekanntesten zu nennen – erst recht. Den Konterrevolutionären schien sie nicht so gefährlich – ähnlich wie dann auch 1933. Hermann Duncker saß dagegen sowohl 1919 wie auch nach der Machtübergabe 1933 viele Monate im Gefängnis und KZ, bis er entlassen wurde; Käte dagegen wurde anscheinend hauptsächlich als Hausfrau eingestuft.

Die beiden Dunckers schlossen sich frühzeitig der Arbeiterbewegung an und begannen schon Mitte der 1890er Jahre ihre Arbeit als Bildungsreferenten innerhalb der Sozialdemokratie. Ein Problem war hier vor allem die Kurstätigkeit H. D.s als Wanderlehrer, die jedoch dazu führte, dass dieser reiche Briefschatz entstand. Als reisender Bildungsreferent war er nur wenig im Hause und beteiligte sich nur begrenzt am Familienleben. Das führte in einigen Fällen zu heftigen Beschwerden von Seiten der zu Haus verbliebenen Frau, gleichwohl blieben die beiden ungefähr 60 Jahre zusammen. In den Jahren 1933 – 1941 lebten sie 8 Jahre durch die Umstände der Zeit getrennt. Hermann wohnte nach der Flucht aus Deutschland einige Monte bei Andersen Nexo in Dänemark. Käte hatte Nexo bereits 1918 getroffen. Erst 1941 gelang es ihnen sich in den USA bei ihrem ältesten, dort lebenden Sohn wieder zu finden. Bis 1947 blieben sie dort und gingen dann gemeinsam zurück in die damalige SBZ bzw. DDR. Trotz politischer Widersprüche konnten beide dort leben und arbeiten.

Von der SPD zur KPD

In den Briefen werden öfters führende Personen der Partei wie Bebel, Luxemburg, Ledebour, Zetkin, Thalheimer, Frölich und einige andere ausdrücklich und etwas spitz kritisiert. Die Urteile wurden später meistens revidiert, und es scheint, als ob beide Einschätzungen, negative wie die positiven, zu Recht geäußert wurden. Eine Ausnahme ist hier der Maurer Heinrich Brandler, der in einigen Briefen im Wesentlichen positiv erwähnt wird. Später verschwindet Brandler kommentarlos aus dem Briefwechsel, obwohl dieser in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in Hamburg und später in Bremen wie auch in der Schweiz massiv und streitbar auf dem Gebiet der Schulung und Bildung tätig war (siehe weiter unten). Die Ursache dafür könnte einerseits sein, dass die Dunckers wie mehrere Parteimitglieder, die schon lange vor dem Weltkrieg auf dem linken Flügel der Bewegung aktiv waren, Mitte der 1920er Jahre kaltgestellt wurden. Brandler hat sich mit Gründung des Spartakusbundes und dann der KPD vor allem in den umfassenderen Fragen der politischen und gewerkschaftlichen Arbeit engagiert. Da diese »zwanziger« Jahre aber zu den entscheidenden der Entwicklung der KPD gehörten, wäre es sinnvoll gewesen, wenn die Herausgeber hier einen Exkurs zur Entwicklung der Partei ausgearbeitet hätten. Eine Erklärung der Widersprüche in der Partei zwischen »linken« und »rechten« Positionen in der Form eines Exkurses würde die Entwicklung verdeutlichen.

Zweifellos eine nicht leichte Aufgabe, weil teilweise auch die Standpunkte wechselten. Es ist nicht leicht auszumachen, warum viele alte Mitglieder die Partei verließen bzw. ausgeschlossen wurden, aber ebenso sehr warum auch so viele in der Partei verblieben, wie eben Dunckers. Etwa 10 Jahre später, Mitte der 1930er Jahre war ihre kritische Einstellung zur Entwicklung der russischen Partei und damit zu Stalin deutlich – aber auch hier nicht öffentlich, was daran liegen könnte, dass der jüngere Sohn Wolfgang (1938) in den Moskauer Prozessen verurteilt wurde und in einem Lager am Eismeer (1942) umkam, was Dunckers erst Jahre später erfuhren.

Hermann Duncker schätzte seine Arbeit als Reisereferent in Bildungsfragen sehr, besonders den direkten Kontakt zu seinen Schülern, umgekehrt beruhte die Hochachtung, die ihm seine Schüler entgegenbrachten, auf dieser Eigenschaft des Pädagogen. Der Briefwechsel gibt einen guten Eindruck in die sehr vielseitige Arbeit, die ihn offensichtlich durch das ganze damalige Deutschland führte. Während einiger Jahre vor dem Weltkrieg und der Spaltung der Partei wurde H. D. auch als Lehrer an der Berliner Parteischule der SPD eingesetzt, aber schon bald nach dem Ausbruch des Weltkrieges zum aktiven Militärdienst einberufen. Die Einberufung war eine Maßnahme der Reichsregierung gegen linke Sozialdemokraten und bekannte aktive Kriegsgegner, wie z.B. auch Fritz Westmeyer. Eine Einberufung, die darüber hinaus widersinnig war, weil Hermann Duncker als sehr Schwachsehender nicht für einen direkten Fronteinsatz geeignet war. Gleichwohl überlebte er auch diese Zeit.

Anleitung zum Selbststudium

Durch die Spaltung der Arbeiterbewegung während des Weltkrieges verlor er seine Arbeit als Bildungsreferent der SPD. Im Prinzip nahm er jedoch die gleiche Funktion in der KPD wahr, eine Arbeit, die ihn weniger befriedigte, weil er mehr die direkte Auseinandersetzung oder besser Diskussion mit den Teilnehmern der Kurse schätzte. Er bekam zusätzlich eine erweiterte Aufgabenstellung durch die Verlagstätigkeit der KPD: Er gab u.a. die Reihe »Elementarbücher des Kommunismus« heraus, schrieb Vorworte zu diesen und Anmerkungen zum besseren Verständnis. In den Elementarbüchern wurden in grosser Auflage zentrale Schriften von Marx, Engels, Lenin und gewiss auch Stalin veröffentlicht, wie auch Bände nach wichtigen Sachgebieten, etwa zur Arbeit in den Gewerkschaften. Sein Interessengebiet war weit gefächert, und er erarbeitete Leitfäden zum Studium, so dass die Hörer nach Abschluss der verschiedenen Kurse zum Selbststudium angeregt wurden. Die eigene Arbeit der Teilnehmer an den Kursen – in denen die Diskussionen der Hörer einen wesentlichen Platz einnahmen – waren in seiner Arbeit wichtig. Sie stießen allerdings nicht bei allen Parteigrössen auf positiven Anklang, etwa Rosa Luxemburg und später auch Clara Zetkin hielten ihm Unverständnis der ökonomischen Theorie vor, er würde sich nicht von seinen bürgerlichen Lehrern getrennt haben. Mehrere der Elementarbücher erschienen auch als Übersetzungen in andere Sprachen. Auf der dem Buch beigelegten USB-Card sind umfangreiche Bibliographien ihrer veröffentlichten Schriften zusammengestellt.

»Probleme bereiten unseren MASCH-Schulungsangeboten vor allem die bestehenden objektiven Hindernisse der Teilnehmer: Planungsunsicherheit der Freizeit über einen längeren Zeitraum, überlange Arbeitszeiten, Konzentrationsschwierigkeiten abends nach der Arbeit, Erschöpfung, Arbeit am Wochenende, fehlende Kinderbetreuung, etc. Wir haben unsere Schulungspapiere schon stark reduziert, dennoch den Bezug zur aktuellen Situation so oft wie möglich hergestellt, die Treffen auf einen Tag am Wochenende reduziert und die Anzahl auf 4 Wochenendtreffen begrenzt. Dennoch, es muss unser Angebot wohl noch mehr an die heutige Medien-Kommunikation angepasst werden, das können wir Älteren alleine gar nicht erfinden, das müssen die Teilnehmer wohl selbst mitgestalten: Video-Clips, Filmausschnitte, Teile des Schulungsmaterials müssen aufgearbeitet werden in kleinen ›Häppchen‹ jederzeit im Internet zur Verfügung stehen. So etwas zu entwickeln, ist wohl ein notwendiger nächster Schritt. Dafür suchen wir den Austausch mit anderen Einrichtungen in Deutschland.«

Eine Mitgestalterin der MASCH-Schulungen in Wilhelmsburg.

Einige der Veröffentlichungen in den zwanziger Jahren wurden während der Studentenbewegung in der BRD neu veröffentlicht. Es ist uns unbekannt, ob sich diese Broschüren in den 1970ern als gute Einführungen bewährt haben. Fraglich ist, ob die Elementarbücher 50 Jahre nach dem ersten Erscheinen überhaupt ein Publikum in der Arbeiterklasse erreichen konnten. Abgesehen davon, dass die Arbeiterklasse sich in diesen Jahren neu strukturierte, waren auch andere Voraussetzungen nicht mehr gegeben, u.a. wuchs der prozentuelle Anteil der Arbeiterkinder in den höheren Schulen beträchtlich und auch sonst hatten sich die Umstände , z.B. die Milieubindung, geändert. Nicht der Umfang der Elementarbücher ist heute problematisch, im Gegenteil hat die Form der Broschüre – gegebenenfalls mit neuen Vorworten oder Einführungen – große Vorteile gegenüber umfangreichen Sammelbänden (oder Gesamtausgaben). Vermutlich haben sich die Umstände seit 1968 (also weitere 40 – 50 Jahre) sich nochmals geändert: Individualisierung, Verkleinbürgerlichung, Auflösung von organisierten Zusammenhängen neben den Gewerkschaften, Entpolitisierung der Gewerkschaften insgesamt und folglich der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, die Digitalisierung und Verfügbarkeit auch des Wissens. Vermutlich müssen neue Formen des Lernens gefunden werden.

Frauen

Käte Duncker, die sich ebenfalls frühzeitig in der Bewegung engagierte, war in den 1890ern als Lehrerin tätig, wurde zwei Mal wegen sozialistischer Gesinnung und Unterstützung des Hamburger Hafenarbeiterstreiks aus dem öffentlichen Schuldienst entlassen. In der Arbeiterbewegung in Thüringen konnte sie sich engagieren und vor allem Frauen in die Bewegung ziehen. Zeitweise arbeitete sie mit Clara Zetkin zusammen in der Stuttgarter Redaktion der sozialdemokratischen Frauenzeitschrift Gleichheit, eine Arbeit, die durch den autoritären Leitungsstil Zetkins relativ bald ein Ende fand. K.D. arbeitete danach vor allem in der sozialistischen Frauenbewegung, schrieb einige Broschüren u.a. über sozialistische Erziehung im Hause, eine Schrift, die auch übersetzt wurde. Aktiv wurde sie ebenfalls in der internationalen Frauenarbeit; als Teilnehmerin des Kongresses der Internationale 1910 in Kopenhagen (hier sind einige aufschlussreiche Briefe überliefert). Ebenfalls hat sie vor 1914 an Kongressen der SPD teilgenommen. Wesentlicher war ihre Teilnahme am Wiederaufbau der linken Opposition während des Weltkrieges auf den Konferenzen in Bern 1915 und Stockholm 1917. Bis weit in das Jahr 1916 hinein ist sie öffentlich gegen den imperialistischen Krieg aufgetreten, ebenso wie Hermann bis zu seiner Einberufung.

Die Eheleute ergänzten sich in der politischen Arbeit, konnten kooperieren und zeitweise auch Pläne schmieden. Sie tauschten oft ihre Sorgen und Freuden über ihre drei Kinder aus, ebenso über die dauernden Geldprobleme. Vor allem Hermann lebte wie heutzutage ein »Freiberufler«, von Tag zu Tag, und sehr oft bei kümmerlichen Honoraren. Für Käte Duncker war jedoch die Arbeit in der Organisation – soweit aus dem Briefwechsel hervorgeht – von größerer Bedeutung als für ihren Mann. Gleichwohl wurde sie in den Hintergrund gedrängt, weil sie, bedingt durch Hermann D.s häufige Abwesenheit, die Erhaltung der Familie übernehmen musste. Es gibt nur wenig Beschwerden darüber im Briefwechsel, sie akzeptierte anscheinend diese Arbeitsteilung, die in der damaligen Zeit die übliche war. Vor und in der Novemberrevolution übernahm sie die gefährliche Organisierung des Spartakusbundes, ohne dass jemand diese Aufgabe wahrnahm: weder ihre Genossen noch andererseits die konterrevolutionären Soldaten; für K.D. war diese Unbekanntheit ihrer illegalen, verdeckten Tätigkeit vollkommen richtig.

Bildung

Die Tendenz zur Individualisierung in der heutigen Zeit bietet dem Bestreben nach kollektiver Schulung unter den wenigen politisch Aktiven nur wenig Platz, und weiterhin verschwinden dafür die finanziellen Ressourcen. Kollektive Bemühungen um Bildung zum Verständnis des Klassenkampfs ist ja gleichzeitig auch Organisierung zum gemeinsamen Handeln. Das hier mittels ihrer Briefe ausgebreitete Leben der »Bildungsarbeiter« Hermann und Käte Duncker kann heute eine Anregung sein, den schon in der Sozialdemokratie vor dem ersten Weltkrieg begonnenen und nie entschiedenen Streit um Konzepte für strukturelle und »evaluierte« Bildung/Schulung nachzuvollziehen: Weshalb begann der junge Maurer Heinrich Brandler 1903 in Hamburg mit der Bauarbeiterführung einen Streit, weil er – zusammen mit der Gewerkschaftsjugend – ganz andere Ziele für die Bildungsarbeit (keine weitere Schulung in Rechnen und Schreiben, stattdessen Erziehung zum Klassenkampf) in der sozialdemokratischen Presse veröffentlichte und sich mit den »Alten« heftig anlegte? Nach seiner Ausweisung 1905 setzte er dieses Thema in Bremen fort, wo angeblich »ein frischer Wind« wehte. Wo er allerdings Unterstützer wie Alfred Henke, den damaligen Redakteur der Bremer Bürgerzeitung, und vor allem Johann Knief fand, und sie offensichtlich Hermann Duncker zu Vorträgen einluden, neben zum Beispiel auch Anton Pannekoek und Karl Radek. Das Thema Bildung für die proletarische Jugend setzte sich für Brandler in seinem Schweizer Exil ab 1912 fort.

Während des Weltkrieges bis zur Konstituierung der KPD 1919 treten solche »Teilfragen« zurück, erst als die KPD in der Lage war, für mehr Wanderlehrer zu sorgen und die zentrale Parteischule in Berlin einzurichten, tauchten die Fragen des Inhalts und der Methode wieder auf. Nicht zuletzt, weil der Zustrom aus SPD und USPD zunahm, was ja nicht automatisch hieß, dass durch ein neues Parteibuch sich das Verständnis von kapitalistischer Gesellschaft, Klassenkampf und Ausweg geändert hätte. Die Herausgabe dieses Briefwechsels ermöglicht uns, weitere Aspekte zum Verlauf der Geschichte der Zeit zu verstehen. Z.B wäre Schulung und Bildung im Klassensinne von heutigen »Schülern« zu beurteilen und zu gestalten, um Unvereinbarkeiten zwischen damals und heute zu entdecken. Die Herausgeber-Redaktion hat eine große Aufgabe gut bewältigt – es lassen sich ohne weiteres noch weitere Diskussionspunkte finden, die dieser umfangreichen Materialsammlung einen Platz in der Geschichtsschreibung sichert, nicht nur der der Arbeiterbewegung.

Käte und Hermann Duncker. Ein Tagebuch in Briefen (1894 – 1953). Herausgegeben von Heinz Deutschland unter Mitarbeit von Ruth Deutschland (Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus. Rote Reihe Bd. XX), 605 S. (213 Briefe), mit einer USB Card (ca. 2800 Briefe), Karl Dietz Verlag, Berlin 2016.

aus Arbeiterpolitik Nr. 1/2 2017

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