Solidaritätsreise nach Griechenland:
Resignation, Repression und Widerstand

Seit 2012 fahren wir von der gewerkschaftlichen Solireisegruppe „Gegen Spardiktate und Nationalismus“ nach Griechenland (siehe auch hlz 12/91: „Im Abwärtsstrudel“). Wir wollen damit Solidarität von unten ausdrücken, von der Situation der Kolleg*innen berichten und ein Gegenbild zur veröffentlichten Meinung herstellen.

Nach fast zwei Jahren pandemiebedingter Pause haben wir im Oktober 2021 die direkten Kontakte zu unseren griechischen Freund*innen und Kolleg*innen wieder aufgenommen. Unsere Solidaritätsreise Ende Oktober führte uns schwerpunktmäßig nach Athen. Veranstaltungen, Infogespräche und Diskussionen vermittelten uns einen Einblick in die innenpolitischen Verhältnisse Griechenlands, in die abnehmende Kraft der Gewerkschaften, in die Schwierigkeiten von sozialen und politischen Initiativen des Widerstandes, in die Ratlosigkeit auf Seiten der gesamten „Linken“, die an Mobilisierungsfähigkeit verloren hat, auch wenn es immer wieder erstaunliche Ausnahmen gibt, die diesem Abwärtstrend entgegenstehen.

In diesem Jahr war auch eine Krankenschwester der Berliner Krankenhausbewegung dabei, die von ihrem erfolgreichen Kampf berichten konnte. Das empfanden unsere Athener KollegInnen sehr positiv, nach all den Jahren der endlosen Niederlagen. So konnten wir sie auch mal etwas aufbauen, nachdem sie früher uns immer aufgebaut hatten.

Schon zu Anfang unseres Aufenthaltes – wir wohnten in Exarchia – fiel uns die gesteigerte Polizeipräsenz im Verhältnis zu den Besuchen vergangener Jahre auf. Ständig patrouillierten die berüchtigten und gefürchteten Dias-Einheiten der Polizei in diesem als widerständig geltenden Bezirk. Vier oder fünf Motorräder, mit jeweils zwei Polizisten besetzt, überwachen Plätze, Straßen und Gassen von Exarchia und versuchen ein Klima der Einschüchterung zu schaffen, stets bereit, gegen Straftaten, Ordnungswidrigkeiten und Unmutsbekundungen einzuschreiten. Viele in diesen Polizeieinheiten haben eine überwiegend rechtsextrem-rassistische Einstellung. Sie fungieren eher als Schlägertruppe denn als „Ordnungshüter“.

Eine Vertreterin der Berliner Krankenhausbewegung vor dem Gesundheitsministerium in Athen

Aus zahlreichen Gesprächen am Rande unserer Treffen und Veranstaltungen erfuhren wir von unseren Gastgeber*innen, dass es vor allem die Brutalität und Willkür der Polizei war, die in den letzten Monaten zu größeren Mobilisierungen geführt hatte; es strömten wieder mehr Menschen auf die Straßen als in den Monaten zuvor und als zu den traditionellen sozialen und gewerkschaftlichen Themen.

Das soziale Elend wächst

Auch wenn in den deutschen Medien kaum noch über die soziale Misere in Griechenland berichtet wird, sie ist nicht beseitigt. Im Gegenteil, wie wir aus persönlichen Gesprächen erfuhren. Bezeichnend die Angst fast aller Athener Freund*innen vor dem anstehenden Winter. Wurden die Zentralheizungen in den meisten Athener Wohnhäusern in den vergangenen Jahren wenigstens für zwei Stunden am Abend angeworfen, so wird dies wohl künftig auch wegfallen. Kaum eine Hausgemeinschaft ist noch in der Lage, die rapide gestiegenen Energiekosten aufzubringen, um ihre Zentralheizung zu befeuern.

Unsere Treffen mit Gewerkschaftsvertreter*innen aus den Krankenhäusern, aus den privaten Kliniken und Heimen und mit dem gewerkschaftlichen Verband der Ärztinnen und Ärzte Attikas legen Zeugnis davon ab, welche Folgen die Corona-Pandemie für das chronisch unterfinanzierte Gesundheitswesen hatte. Betroffen vor allem normale, sprich ärmere, Patient*innen und die Beschäftigten. Die Regierungsmaßnahmen zielen auf weitere Einsparungen im Gesundheitssektor und verschlimmern deren Misere.

Ein weiteres Beispiel ist die Lage der Bevölkerung auf der Insel Euböa. Die verheerenden Waldbrände des Sommers und die anschließende Überflutung haben zahlreichen Einwohner*innen die Existenzgrundlage geraubt. Verantwortlich für das Ausmaß der Waldbrände waren auch hier die Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre in der Wald- und Forstwirtschaft und vor allem bei der Feuerwehr.

Die Zunahme des sozialen Elends stößt auf einen in den letzten Jahren zurückgegangenen Widerstand. Die Beschäftigten sind enttäuscht und ermattet durch die Erfolglosigkeit der Abwehrkämpfe des letzten Jahrzehnts. Ihre Gewerkschaften wurden geknebelt durch die schrittweisen Verschärfungen im Arbeits- und Sozialrecht; ihre Möglichkeiten werden mit einem neuen Gewerkschaftsgesetz weiter beschnitten – auch hier, wie im Demonstrationsrecht, nach deutschem Vorbild.

Was in Griechenland in den letzten Jahren passiert, ist vergleichbar mit vielen überschuldeten deutschen Kommunen: Nachdem durch Steuersenkungen die Einnahmen weggebrochen und sie verschuldet sind, müssen sie das kommunale Eigentum an private Investoren verkaufen. In Griechenland betreibt dieses Geschäft die konservative Nea Demokratia (ND) nach ihrem Wahlsieg offensiv und verkauft das als Strategie für den Aufschwung aus der Krise. So wird praktisch das ganze Land, soweit es noch nicht verscherbelt ist, zum Verkauf angeboten. Am deutlichsten wird das an den Plänen zur Ausbau der Windkraft, die neuer Exportschlager werden soll. Dafür sollen Naturschutzgebiete, kleine Inseln usw. für industrielle Windparks und zu ihrer Zerstörung geöffnet werden. Dabei hätte Griechenland genug andere Flächen um den eigenen Strombedarf aus Windkraft zu decken.

Die 48-seitige Broschüre der Reisegruppe zur diesjährigen Solireise kann hier als PDF heruntergeladen oder gegen 5,- € + Porto über die Gruppenadresse bezogen werden. Zusätzliche Spende sind erwünscht.


aus Arbeiterpolitik Nr. 1/2 2022

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