Opel: Übernahme durch PSA und die Krise der Automobilindustrie

Die Adam Opel AG gehörte seit 1929 zum Konzern General Motors. Anfang der siebziger Jahre hatte Opel in Deutschland einen Marktanteil von 20 Prozent und war damit führend. Opel beschäftigte fast 60.000 Menschen. Ab Mitte der achtziger Jahre hatte Opel mit zunehmenden Problemen zu kämpfen. Bei Spitzenmodellen konnte sich das Unternehmen nicht gegen Mercedes und BMW durchsetzen, und auch bei den anderen Modellen gab es Qualitätsprobleme und verschiedene Rückrufaktionen. Der Ruf der Marke Opel litt darunter sehr stark und der Anteil der Neuzulassungen sank 2012 auf 8,9 Prozent. Seit 1999 konnte Opel keinen Gewinn mehr erzielen. Es gab verschiedene Sanierungskonzepte, dem 2014 auch das Bochumer Werk zum Opfer fiel. Dort gab es in der Belegschaft einen kämpferischen Kern, der immer wieder Widerstand gegen geplante Maßnahmen zum Arbeitsplatzabbau organisierte und die Schließung des Werks um einige Jahre hinausschieben konnte.

PSA schluckt Opel

General Motors versuchte mehrmals die Tochter Opel zu verkaufen. Erfolgreich war der Konzern damit aber erst im Sommer 2017, als PSA (Peugeot) Opel für 1,3 Mrd. Euro übernahm. Bei PSA in Frankreich wurde zuvor unter dem neuen Chef Tavares ein radikales „Sanierungsprogramm“ umgesetzt. Die Fertigungslinien und die Lagerbestände wurden reduziert und 20.000 Stellen abgebaut. Die Rendite konnte so auf 7,3 Prozent erhöht werden und lag damit höher als bei VW. Die Arbeitskosten bei PSA betrugen zehn Prozent gegenüber fünfzehn bei Opel.

Carlos Tavares, nun auch oberster Boss bei Opel, beschrieb die Situation im übernommenen Unternehmen als dramatisch. Er forderte, Opel müsse bis 2020 ebenso rentabel sein wie PSA. Er werde keine neuen Modellreihen an Opel vergeben, solange dieses Ziel nicht erreicht sei.
Bedenkend, wie dieses Ziel bei PSA selbst durchgesetzt wurde, hätten beim Betriebsrat und bei der IGM eigentlich die Alarmglocken klingeln müssen. Doch statt sich Schritte für eine Gegenwehr gegen die zu erwartenden Maßnahmen zu überlegen, versuchte der Betriebsrat die Belegschaft zu beschwichtigen: Opel sei ein gesundes Unternehmen und wenn es nach der Trennung von GM möglich werde, auch auf dem außereuropäischen Markt Opel-Fahrzeuge zu verkaufen, sei es kein Problem, die von Tavares gesetzten Ziele zu erreichen.

PACE:
Umstrukturierung auf Kosten der Beschäftigten

Schon wenige Monate nach der Übernahme präsentierte Opel sein Programm zur Umstrukturierung und zur engen Verzahnung mit PSA. Das Programm trägt den Namen PACE und sieht den Abbau von 3.700 Arbeitsplätzen vor. Im Gegenzug wurden neue Investitionen in die bestehenden Standorte versprochen. Die IGM war zur Aussetzung und Verschiebung tariflicher Lohnerhöhungen bereit. Dafür soll der Arbeitsplatzabbau „sozialverträglich“ über Altersteilzeit, Vorruhestand und Abfindungsverträge geschehen. Für die verbleibenden Beschäftigten wurde ein Schutz vor betriebsbedingten Kündigungen bis 2023 vereinbart. Diese Regelungen wurden in einem Tarifvertrag vereinbart und sofort gab es einen regelrechten Sturm auf die beschlossenen Abfindungen. Die Kolleginnen und Kollegen sehen der Zukunft von Opel also keineswegs so zuversichtlich entgegen wie BR und IGM; es gab eine regelrechte Flucht aus den Betrieben.

Opel macht wieder Gewinne, …

Für das erste Halbjahr 2018 nun vermeldete Opel einen Gewinn im operativen Geschäft von 500 Mill. Euro. Opel- Chef Lohscheller räumte zwar einen Rückgang der Verkaufszahlen ein, aber mit jedem verkauften Opel mache das Unternehmen heute 1400 Euro mehr Gewinn als ein Jahr zuvor. Gründe hierfür sind vor allem die Personaleinsparungen. Da hier der Gewinn aus dem operativen Geschäft ausgewiesen wird, werden z.B. Zahlungen für Abfindungen nicht berücksichtigt.

… PSA will aber noch mehr

Die verringerten Verkaufszahlen erklären sich auch dadurch, dass die weniger rentablen Vertriebswege wie der Verkauf an Mitarbeiter und an Autovermietungen zurückgefahren wurden. Die Produktion wurde schließlich an den verringerten Verkauf angepasst. So wurden die Werksleitungen angehalten, die Taktzahlen in den Werken zu reduzieren (s. Kasten »Abtaktung«). Das bedeutet aber eine Senkung der Produktivität und steigert die Kosten pro Fahrzeug. Das bedeutet aber, dass die Betriebe einem starken Konkurrenzkampf ausgesetzt werden. Um im Wettbewerb der Standorte mithalten zu können, müssen im Werk die Kosten weiter reduziert werden, etwa durch die Entlassung von Leiharbeitskräften.

Die Zahl der Ausbildungsplätze wurde drastisch reduziert und der Verkauf eines Teils des Entwicklungszentrums in Rüsselsheim ist ein anderer Plan zur Reduzierung der Kosten. 2000 der 7000 Beschäftigten sollen zum französischen Unternehmen Segula Technologies ausgelagert werden. Ausgelagert werden soll ein Querschnitt durch alle Abteilungen. Denen, die zu Segula gehen, wird mündlich die Übernahme des Kündigungsschutzes bis 2023 zugesagt, doch ansonsten strebt Segula einen Haustarif an, der sicher unterhalb der gegenwärtigen Konditionen liegen soll. Opel selbst weigert sich, über ein Rückkehrrecht im Falle einer Betriebsschließung bei Segula zu verhandeln. Die Betroffenen hätten dann nicht einmal eine Abfindung. Das heißt aber auch, dass Opel keine Garantie für den Erfolg Segulas am Markt geben will.

Gebremster Widerstand

Gegen die Ausgliederung zu Segula gab es in der Belegschaft großen Unmut, der sich auch in einigen Aktionen niederschlug. Anlässlich einer Betriebsversammlung demonstrierten 2000 Beschäftigte gegen den Verkauf. Auch der Betriebsrat und die VKL spüren, dass es in der Belegschaft Unruhe gibt und geben diesem Druck teilweise nach. Sie wollen jedoch auf jeden Fall die Kontrolle behalten und bremsen weitergehende Initiativen auch oftmals ab. Unter den Vertrauensleuten gibt es zwar Unmut über dieses halbherzige Vorgehen, die VL-Strukturen sind aber nicht in der Lage, eine Alternative zu entwickeln.

Die Krise der Autoindustrie

Die Schwierigkeiten von Opel und die aus Sicht des Kapitals notwenigen Umstrukturierungen geschehen vor dem Hintergrund einer allgemeinen Krise der Automobilindustrie. Die Unsicherheiten wegen der US-amerikanischen Zollpolitik und Konjunkturprobleme in China sorgen auch bei anderen Automobilunternehmen für Schwierigkeiten. So werden auch bei Ford in Europa Tausende Stellen gestrichen, VW geht bei der Golfproduktion vom 3-SchichtSystem zum 2-Schicht-System über und GM schließt in den USA ganze Werke. Hinzu kommt eine Verunsicherung in der Bevölkerung angesichts falscher Angaben bei Schadstoffen. Dies und andere Faktoren stellen vor allem bei jüngeren Menschen den bisherigen Stellenwert des Autos als Statussymbol in Frage. Die Folge sind Überkapazitäten, die sich noch steigern werden, wenn die Wachstumsschwäche auch in den westlichen Industriestaaten anhält. Alle Automobilunternehmen sind dabei, ihre Palette auf Elektrofahrzeuge umzustellen oder zu erweitern. Auch dies wird zum Abbau von Arbeitsplätzen genutzt werden.

Das alles schränkt die Handlungsmöglichkeiten von Betriebsräten und Gewerkschaften ein. Sie sehen die Gefahren, die auf die Arbeitsplätze zukommen und können sie nicht aufhalten. Sie können und wollen sich aber nicht von den alten Rezepten lösen. So machen sie gemeinsam mit den Kapitalisten Front gegen niedrigere Schadstoffgrenzen. Sie hoffen, für die zu erwartenden stürmischen Zeiten weiterhin auf sozialpartnerschaftlichem Weg gemeinsam mit dem Kapital Lösungen zu finden, die zumindest den eigenen Standort sichern. Sie haben den Sanierungsprogrammen des Kapitals nichts entgegenzusetzen, wollen deren Maßnahmen lediglich sozial abfedern. Diese Haltung konnte schon in der Vergangenheit den Abbau von Arbeitsplätzen nicht verhindern.

Da die Krise die ganze Branche betrifft, wäre auch eine branchenweite Koordinierung der gewerkschaftlichen Strukturen an der Tagesordnung. Das gibt es aber allenfalls auf der Ebene der Betriebsräte. Innerhalb des PSA-Konzerns gibt es Kontakte zu französischen Gewerkschaften nur auf der höchsten Funktionärsebene. Gemeinsame Aktionen sind nicht angedacht.

Widerstand kann es unter diesen Voraussetzungen nur in homöopathischen Dosen geben. Er wird geduldet und halbherzig unterstützt, um unzufriedenen Strömungen in der Belegschaft entgegenzukommen und vielleicht in Verhandlungen noch das eine oder andere Trostpflaster herauszuholen. Doch spielt auch immer die Angst eine Rolle, eine umfassende Mobilisierung könnte eine eigene Dynamik entfalten und wären nicht mehr einzufangen. Der Betriebsrat und die VKL achten deshalb strikt darauf, dass die Aktionen nicht ihrer Kontrolle entgleiten. Auf diese Weise tragen sie aber dazu bei, aktive Kolleginnen und Kollegen, die weitergehende Aktionen fordern, zu enttäuschen.

Letzter Schritte: Halbierung der Produktion

Ende Januar diesen Jahres wurde bekannt, dass es in der Produktion statt zwei Schichten nur noch eine Schicht geben soll. Das bedeutet eine Halbierung der Produktion. Bei einer Produktionskapazität von ca. 180.000 Fahrzeugen jährlich, werden zurzeit 128.000 produziert. Diese Zahl soll auf 68.000 heruntergefahren werden. Die Produktion des Zafira wird in Bälde auslaufen und der Nachfolger wird im britischen Luton hergestellt werden. Für Rüsselsheim wurde zwar ein neues Modell auf der PSA-Plattform angekündigt, das aber soll erst im Laufe dieses Jahres bekannt gegeben werden. Für die Umrüstung wird dann noch einmal ca. ein Jahr benötigt werden. Im Tarifvertrag, der auch den Arbeitsplatzabbau und die Lohnverzichte regelt, verpflichtet sich PSA zu Investitionen in die Opel-Werke. An diesen Teil der Abmachung scheint sich PSA aber nicht halten zu wollen.

Klar ist, dass Opel unter diesen Bedingungen nicht mehr rentabel sein kann. Für die Beschäftigten stellt sich deshalb die Frage, welche Pläne PSA mit Opel für die Zukunft hat. Was das konkret bedeutet, ist zurzeit noch nicht klar.

12.02.2019

Abtaktung

Wie aus Unternehmenskreisen verlautete, sinkt in Rüsselsheim die Taktzahl von 55 auf 42 Fahrzeuge pro Stunde, in Eisenach von 37 auf 30. Im polnischen Gliwice ist der Schritt bereits vollzogen. Dort laufen nur etwa 25 statt zuvor 40 Autos pro Stunde vom Band. In der Belegschaft wachse die Sorge, dass die Opel-Werke dauerhaft heruntergetaktet würden, heißt es in Firmenkreisen. Dadurch sinke deren Produktivität, was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der Opel-Standorte im Produktionsverbund der Mutter PSA schwäche, heißt es im Unternehmen. Ein Werk brauche ein bestimmtes Produktionsvolumen, um dauerhaft wettbewerbsfähig zu sein.

[…] PSA-Chef Carlos Tavares betont immer wieder, dass die Standorte nur bei guter Wettbewerbsfähigkeit Aussicht auf neue Modelle und Investitionen haben. Eine zentrale Kennziffer sind dabei die Kosten pro Fahrzeug. Durch die Abtaktung der Produktion würden diese aber zunächst steigen, heißt es. Die Werksleiter würden dennoch angehalten, die Maßnahme auch gegen ihren Willen umzusetzen, was insbesondere in Rüsselsheim zu einem handfesten Konflikt zwischen Werksleitung und Betriebsrat führe.

Werksleiter werden „unter Druck gesetzt“

Die Leiter der jeweiligen Werke würden, so heißt es, »unter Druck gesetzt«, die Vorgaben zur Kostensenkung und Taktreduzierung einzuhalten – auch gegen ihren Willen. Gleichzeitig sitzt den Leitern der Betriebsrat im Nacken, der die Maßnahme natürlich so nicht einfach hinnehmen will. Wie aus Werkskreisen verlautete, wird der Rüsselsheimer Werksleiter Michael Lewald von seinen Vorgesetzten angehalten, gegenüber dem Betriebsrat harte Kante zu zeigen. Er sei deshalb gezwungen gewesen, die Produktion ohne Einvernehmen mit dem Betriebsrat runterzutakten. Rein rechtlich kann er das. Die Arbeitnehmervertreter laufen dagegen allerdings Sturm. Zudem wachse innerhalb der Belegschaft der Unmut gegen Lewald, heißt es in Rüsselsheim.

(Main-Spitze online, 2.8.1018)


aus Arbeiterpolitik Nr. 1 / 2019

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