Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen, insbesondere am Freitag, den 8.7., und in der Nacht auf den 9.7., überbieten sich bürgerliche Politiker und die Presse mit wüsten Beschimpfungen gegen alles, was in ihren Augen ›links‹ oder ›linksextrem‹ ist oder von ihnen verdächtigt wird, dafür Sympathie zu hegen. Man hat im Grunde nur darauf gewartet, dass so etwas passiert, um nun ein scharfes Vorgehen gegen ›Linksterroristen‹, eine Räumung der Roten Flora in Hamburg und der Rigaer Straße in Berlin zu fordern. Wer nicht schnell genug in diesen Chor einstimmt, wird als ›Verharmloser‹ denunziert.
Ein Leitartikler der FAZ, Jasper von Altenbockum, blies am 10.7. mit Schaum vor dem Mund als einer der ersten zur Hetzjagd. Die Rote Flora wird bei ihm zur »Kommandozentrale linker Marodeure«, ihr Anwalt wird zum »sogenannten Rechtsanwalt«, der eine »Terror-Klientel« vertritt. Den anwaltlichen Notdienst während des G20-Gipfels nennt er »Rechtsverdreher, die noch während der Ausschreitungen der Polizei in den Rücken fallen, wo immer es geht«. Die FAZ als Leuchtturm der deutschen Publizistik fordert also ganz offen die Aufhebung des Rechtsstaats, wenn es gegen Linke geht. Diese Aufhebung des Rechtsstaats geschieht aktuell in der Türkei, was dieselbe FAZ dann als nicht vereinbar mit den ›europäischen Werten‹ ansieht.
Dabei sieht Altenbockum den Staat vor der linksextremistischen Gewalt und deren weit ins liberale Lager reichenden Sympathisanten kapitulieren, während derselbe Staat gegenüber den Rechtsextremen keine Rücksicht nehmen würde. Damit macht er deutlich: Der Feind steht (wieder einmal) links, in der Tradition des deutschen Bürgertums vom Kaiserreich über die Weimarer Republik, den Faschismus bis hin zum antikommunistischen Konsens bei Gründung der Bundesrepublik.
Einen Tag später geifert ein Kommentator in den Stuttgarter Nachrichten‹ von »sich zusammenrottenden linksextremen Verbrecherbanden« und von »asozial-linksextremer Mordlust«. Für ihn gibt es logischerweise keinen Unterschied zwischen linker Gewalt und rechter Gewalt, sondern nur ›Verbrechen‹. Damit sind natürlich diejenigen gemeint, die immer noch einen Unterschied sehen zwischen einem brennenden Auto und einem brennenden Flüchtlingsheim. Bei Angriffen auf Flüchtlinge oder auf Migranten ist das Geschrei auch nie so groß, wie es jetzt veranstaltet wurde.
Eine Stadt im Belagerungszustand
Schon Monate vor dem Gipfel hatte die Polizei von »bis zu neuntausend gewaltbereiten Autonomen« gesprochen, die aus ganz Europa anreisen wollten. Es seien heftigste Ausschreitungen und große Zerstörungen zu erwarten. Damit wurde ganz offensichtlich gezielt Angst in der Bevölkerung geschürt. Dass es sich um ›fake news‹ handelte, wurde später in der Gipfelwoche klar, als der gefürchtete ›Schwarze Block‹ aus maximal 1000 Leuten bestand, davon die meisten Hamburger. In den Wochen vor dem Gipfel wurde dann bekannt, dass ein großer Teil von der Innenstadt bis zum Flughafen zur demofreien und zeitweise auch autofreien Zone werden würde. Es war klar, dass an ein normales Geschäftsleben nicht mehr zu denken war. Schon alleine deswegen waren viele genervt und sauer. Dann wurden die Protestcamps für die Auswärtigen vom Gericht teilweise erlaubt, von der Polizei aber trotzdem geräumt. Obwohl es noch gar keine Krawalle gegeben hatte, wurde die Polizei von vielen Menschen zunehmend als Störenfried und als schikanös empfunden. Am Donnerstag, einen Tag vor dem Gipfelbeginn, war dann die autonome bis linksradikale »Welcome to Hell«-Demo angemeldet. Es trafen sich erstaunlich viele am Fischmarkt, 10-12000, davon vielleicht 1000 im ›Schwarzen Block‹. Entgegen üblicher Gepflogenheiten gab es für diese Demo von der Polizei keinerlei Auflagen (z.B. bezüglich Kleidung, mitgeführter Gegenstände usw.). Der Sinn: Die Polizei dachte gar nicht daran, die Demo marschieren zu lassen, sondern griff sie nach ca. 200 Metern an mit der Begründung, man wolle den ›Schwarzen ›Block‹ von den übrigen trennen. Das Ganze zwischen Kaianlagen und Steilufer, die die Teilnehmer einklemmten. Was folgte, waren Hetzjagd, Scharmützel, angegriffene Versammlungen und erste Auseinandersetzungen im Schanzenviertel. Tatsächlich aber kippte die Stimmung bei vielen: gegen das Auftreten der Polizei, das als Eskalation und brutal empfunden wurde, und gegen den erzwungenen Stillstand in der Stadt. Das zeigten auch viele Geschäftsleute in den »bedrohten Stadtteilen«, die einerseits ihre Schaufensterscheiben verbarrikadierten, andererseits darauf ihren Protest gegen G20 zeigten.
Die »Eskalation«
Plötzlich dann am Freitagvormittag die Meldung: Es brennen Autos! Man konnte im Internet Videos von brennenden Fahrzeugen an der Elbchaussee und der Max-Brauer-Allee sehen. Das drehte die Stimmung auf einmal und zwar radikal. Mit einem Autobesitzer, dessen Auto abgefackelt wird, kann sich jeder identifizieren. Das könnte einen selber ziemlich hart treffen, wenn man z.B. keine Vollkaskoversicherung hat. Das ist anders bei einem brennenden Flüchtlingsheim, das betrifft einen erst mal direkt nicht. Diese Bilder kamen der Polizei und nicht nur ihr wie gerufen. Eine mit mehreren tausend Teilnehmern veranstaltete Fahrraddemo am Abend wurde schon gar nicht mehr erwähnt. Dafür ging es dann abends und in der Nacht im Schanzenviertel richtig los, interessanterweise als die Polizei für drei Stunden sich aus dem Viertel vollständig zurückgezogen hatte. Es waren dabei wohl vor allem Randale Suchende aus ganz Hamburg und Umgebung aktiv, wie das in einer sehr lesenswerten Stellungnahme von einigen Hamburger Gewerbetreibenden aus dem Schanzenviertel geschildert wird. [1]
Am Freitag und in der Nacht zum Samstag bekam die Polizei die Bilder, die sie in den Monaten zuvor beschworen hatte, frei Haus geliefert. Natürlich werden die Herrschenden immer versuchen, alles zu verleumden und zu verfälschen, um ihre Propaganda zu unterfüttern. Darüber darf man sich keine Illusionen machen. Die bürgerliche Presse hätte auch gehetzt ohne brennende Autos und geplünderte Supermärkte. Den Demo-Titel »Welcome to Hell!« schlachtete sie sowieso entsprechend aus.
Was aber von Freitag auf Samstag passiert ist, ist noch was ganz anderes: Aus einem politischen Desaster für die Regierenden und ihre Polizei, die in einem großen Teil der Bevölkerung bezüglich der G20-Veranstaltung Ärger und Ablehnung erzeugt hatten, wurde ein Desaster für die autonomen und linksradikalen Gipfelaktivisten und damit für die gesamte Linke. Was vielfach zu Verständnis geführt hatte, wurde nun wieder zugedeckt. Es mögen ja viele ›Krawalltouristen‹ dabei gewesen sein, aber es waren eben nicht nur die, die Schaufenster eingeschmissen haben. Vielleicht waren beim Autoabfackeln auch Provokateure dabei, aber es gab auch Gruppen, die sich genau darauf vorbereitet hatten.
Kommunisten wissen, dass nicht die Polizisten die Feinde sind, sondern die Herrschenden, die diese Polizisten verheizen. Sie wissen, dass man ohne einen Rückhalt in der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung oder zumindest ohne deren Sympathie nichts verändern kann. Und wenn man dann ein Auto abfackelt, für das einer mehrere Monatsgehälter bezahlt hat, oder eine Apotheke demoliert, dann ist das nicht links oder antikapitalistisch, sondern dumm und spielt der Gegenseite in die Hände.
Erstaunlicherweise waren bei der großen Antigipfeldemo am Sonnabend über 50.000 dabei, total bunt gemischt, die sich nicht hatten abschrecken oder einschüchtern lassen. Es war eine große, widerstandsbereite Menge, weit über die Linke hinaus. Sie drückte ein Bewusstsein oder manchmal auch nur eine Ahnung aus, wofür die G20 stehen. Und dass trotz einer florierenden Wirtschaft in der Bundesrepublik weltweit vieles schief läuft. Man distanzierte sich auch nicht von den Autonomen, die im Zug mitgingen. Vielleicht schäumten die Kommentatoren an den Tagen danach auch so besonders heftig.
Nachtrag:
Am Donnerstag, den 20.7., fanden sich auf einer außerordentlichen Stadteilversammlung im Ballsaal des St. PauliStadions über 600 AnwohnerInnen ein, um mit der »Roten Flora« über die Gipfelereignisse zu sprechen. Nach einer zwar kritischen, doch solidarischen Diskussion stimmten die meisten der folgenden Zusammenfassung zu:
- Wir wollten keinen G20-Gipfel und jetzt wissen wir auch, warum nicht.
- Wir haben eigene Erfahrungen und werden uns weiter darüber austauschen.
- Wir wenden uns gegen die Räumung der Roten Flora und anderer linker Zentren.
26.07.2017
Die Hamburger SPD: Nicht noch einmal Schill!
Im Jahr 2000 trat vor allem die Springerpresse eine Kampagne gegen den rot-grünen Senat los mit dem Inhalt, dass die Stadt in Kriminalität versinke. Der Amtsrichter Schill, ein rechter Psychopath, wurde zum Spitzenmann der Schill-Partei, die diese Kampagne aufgriff, viele bürgerliche Anhänger gewann und den Senat vor sich her trieb. In ihrer Not ernannte die SPD im Mai 2001 Olaf Scholz zum Innensenator, der eine harte Linie ankündigte, um die anstehende Bürgerschaftswahl für die SPD zu retten. Bekannt wurde er u.a. dadurch, dass er den mittlerweile vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verbotenen Brechmitteleinsatz gegen mutmaßliche Rauschgiftdealer anordnete. Trotzdem verlor die SPD im Herbst 2001 die Wahl und musste für zehn Jahre in die Opposition. Unter dem CDU-Bürgermeister von Beust wurde Schill Innensenator. 2011 konnte die SPD wieder den Senat stellen – unter Olaf Scholz.
Die SPD hat ganz offensichtlich aus dem Jahr 2001 den Schluss gezogen: Das passiert uns nicht ein zweites Mal. Das nächste Mal machen wir selbst den Schill. In Fragen der inneren Sicherheit wird uns keiner mehr rechts überholen!
Die Personifizierung dieser Devise ist der leitende Polizeidirektor Dudde. Dieser wurde vom damaligen Innensenator Schill zum Leiter der Bereitschaftspolizei berufen und ist seither in der Karriereleiter weiter aufgestiegen. Er vertritt die sogenannte ›Hamburger Linie‹, die da heißt, bei Demonstrationen auch gegen kleinste Rechtsverstöße einzuschreiten. Das heißt konkret nichts anderes, als dass die Polizei bei (in der Regel) linken oder autonomen Demonstrationen sofort eingreift und losknüppelt, sobald sie einen Anlass sieht. Schon mehrmals wurden von Dudde geleitete Einsätze von Gerichten im Nachhinein als rechtswidrig beurteilt. Das schadete seiner Karriere und seinem Ansehen bei der SPD aber keineswegs.
Ausgerechnet dieser Dudde wurde nun zum Einsatzleiter Polizei für den G20-Gipfel eingesetzt. Damit signalisierte der Senat, dass es Krieg gegen den Gipfelprotest geben würde. Deshalb wurde auch für den Gipfel für mehrere Millionen Euro in Harburg ein Sondergefängnis für bis zu 400 verhaftete ›Störer‹ aufgebaut. Der »Spiegel« zitiert Dudde von einer Einsatzbesprechung: ›Ein Wasserwerfer hat keinen Rückwärtsgang‹, und: »Melden Sie nicht, wenn eine Straße blockiert ist, sondern wenn sie wieder frei ist. 2«
Rückendeckung bekam er vom »linksliberalen« Innensenator Grote: Für die Maßnahmen der Polizei gebe es ›keinen Spielraum für politische Aushandlungsprozesse« (Hamburger Abendblatt, 25.4.2017).
Und einen Tag nach dem Gipfel kommt von Bürgermeister Scholz der Satz: „Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich entschieden zurückweise.“3
Einen Schill braucht es tatsächlich nicht mehr.
[1] aus dem Blog Cantina Popular: »Stellungnahme zu den Ereignissen vom Wochenende«
[2] aus dem Blog Staatsunrecht: »G20-Proteste in Hamburg – warum man friedliche Demonstranten angreift und „Terroristen“ gewähren lässt«
[3] aus junge Welt, 15.07.2017: »Scholz lügt!«
aus taz, Juli 2017: »Realitycheck zu G20-Polizeigewalt«
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