»Niemanden trifft die Wohnungsnot in Deutschland so hart wie die Berliner, heißt es in einem von der Wohnungswirtschaft veröffentlichten Bericht. Das liegt auch daran, dass Bauträger in der Stadt Mietshäuser kaufen und aufteilen, um die Mietwohnungen in Eigentumsobjekte umzuwandeln und zu verkaufen. […] Knapp 13.000 Mietwohnungen wandelten Hauseigentümer im vergangenen Jahr in Eigentumsobjekte um. Das sind fast so viele Wohnungen, wie im ganzen vergangenen Jahr neu gebaut wurden und den Wohnungsbestand mehrten (13.800).« [»Tagesspiegel«, 11. Juli 2017]
Die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen ist nur eine der zahlreichen Methoden, mit denen Hauseigentümer und zunehmend internationale Investmentfonds versuchen alteingesessene Bewohner*innen zu vertreiben. Dazu zählen Luxus- und vor allem energetische Modernisierungen, gegen die sich die Mieter*innen juristisch kaum zur Wehr setzen können.
So lief die Verdrängung in den vergangenen Jahren zumeist ohne Gegenwehr ab. In letzter Zeit allerdings häufen sich die Fälle, in denen sich Betroffene zur Wehr setzen. Der Artikel aus dem MieterEcho online vom 19. Juni 2017 (siehe Kasten) schildert einen solchen Fall.
Vertreibung trotz Milieuschutz? –
MieterInnen in der Friedelstraße 44 wehren sich
Anfang April bekamen die Mietparteien des Hauses in der Friedelstraße 44 (Reuterkiez Neukölln) die Ankündigung der geplanten energetischen Modernisierung zugestellt. So soll beispielsweise die Miete einer 58 qm großen Wohnung von derzeit 449 Euro Warmmiete um 271 Euro steigen. Die Heizkosten betragen monatlich 85 Euro; nach der Sanierung sollen sie um 20 bis 30 Prozent sinken. Im Klartext: Für die Einsparung von 25, höchstens 30 Euro an Heizkosten dürfen die Bewohnerinnen nach der Sanierung 271 Euro berappen.
[…] Sollten die Eigentümer des Hauses, Yvonne und Stephan Lindow, ihre Pläne durchsetzen können, würde wohl die Mehrheit der heutigen MieterInnen aus dem Kiez vertrieben. Denn wovon soll beispielsweise eine alte Dame, deren Rente knapp über der Grenze liegt, um Wohngeld beantragen zu können, zukünftig leben? Hier schlagen bereits 30 oder 50 Euro zu Buche und bedrohen die Existenz.Mal abgesehen von der tatsächlichen Bilanz nach einer energetischen Modernisierung – so nimmt beispielsweise die Gefahr von Schimmelbildung im Haus zu – dienen die gesetzlichen Regelungen in erster Linie den Immobilienbesitzern und den Bauunternehmen. Die Eigentümer können 11 Prozent der Investitionskosten auf die Miete aufschlagen; nach 9 Jahren haben die BewohnerInnen alles bezahlt. Danach kassieren die Hausbesitzer weiter die erhöhte Miete – ohne jegliche Gegenleistung. Eine mieterfreundliche Gesetzgebung sollte die Mieterhöhung dagegen an die tatsächlichen Einsparungen von Energiekosten binden – also, wie im geschilderten Falle der Friedelstraße, auf 20 oder 30 Euro begrenzen.
Die BewohnerInnen des Hauses wollen die Abzocke mittels energetischer Sanierung nicht ohne Gegenwehr hinnehmen, zumal die Vermögensverwaltung glaubt, sich nicht einmal an die gesetzlichen Bestimmungen halten zu müssen. In ihrem Schreiben zur energetischen Sanierung vom 28. März 2017 kündigt sie den Baubeginn für den 15. Mai an. Der Vermieter muss den Mieter in Textform (schriftlich) informieren. Dazu muss er die Modernisierungsmaßnahme spätestens drei Monate vor dem Beginn ankündigen.
Auf einer Versammlung einigten sich 9 von den 10 Mietparteien darauf, die Modernisierungsmaßnahme wegen der nicht ordnungsgemäßen Ankündigung in ihren Wohnungen nicht zu dulden – trotz der Drohungen der Hausverwaltung vom 4. April: »Vorsorglich weisen wir darauf hin, sofern es zu einer Bauverzögerung kommt und gegebenenfalls dadurch Mehrkosten entstehen, wir Ihnen diese in Rechnung stellen müssten.« […] Selbst an den von der Vermögensverwaltung angekündigten Baubeginn am 15. Mai hielten sich die Handwerker nicht. Im Auftrag der Hausverwaltung rückten sie am 2. Mai an, rissen die Fenster im Hausflur raus und ersetzten sie durch neue. In den Wohnungen – bis auf eine neu vermietete – scheiterten sie, weil ihnen der Zutritt verwehrt wurde.
Am 16. Mai wurde mit der Aufstellung des Baugerüstes in der Friedelstraße 44 begonnen; eine Woche später mit den Arbeiten auf dem Dach. Per einstweiliger Verfügung versuchen die MieterInnen die Baumaßnahmen zu stoppen – bisher noch ohne eine Entscheidung des Landgericht Berlin. Trotzdem ruhen seit dem 2. Juni die Bauarbeiten. Das Bezirksamt Neukölln verfügte einen Baustopp weil eine öffentlich-rechtliche Baugenehmigung fehlt. Ohne den Zusammenhalt der BewohnerInnen und die Bereitschaft auch an die Öffentlichkeit zu gehen, hätte das Bezirksamt wohl kaum davon erfahren.
Zwar konnten die MieterInnen den Beginn der energetischen Sanierung erst mal stoppen. Aber das ist nur ein Aufschub. Allein mit juristischen Mitteln dürfte die energetische Sanierung auf Dauer nicht zu verhindern sein. Hierzu bedarf es des Druckes einer breiteren Bewegung, die dazu beiträgt, dass positive Beispiele Schule machen.
In der unmittelbaren Nachbarschaft der Friedelstraße sind in letzter Zeit etliche Initiativen entstanden, die sich gegen die Vertreibung der Bewohner aus dem Kiez zur Wehr setzen:
- In nur 300 m Entfernung befindet sich der Häuserblock Fram-, Nansen-, Pflüger-, Pannierstraße, in dem über 300 Mieter*innen wohnen. »Wir haben »Unser Block bleibt e.V.« gegründet, als im Herbst 2016 neue Immobilienbesitzer große Anteile der Mietgebäude übernommen haben, hinter deren Firmengeflecht sich neben anderen auch die Samwer-Brüder verbergen – renditeorientierte Investoren, die in den Berliner Immobilienmarkt drängen. Als langjährige Nachbarn und Mieterinnen fürchten wir um unser Zuhause, wollen uns aber nicht verdrängen lassen und stärken im Verein unseren Zusammenhalt.«
- Die Nachbarschaftsinitiative Weserstraße – sie kreuzt die Friedelstraße – wehrt sich gegen das neue errichtete »Fantastic Foxhole Hostel«. »Die Nachbarschaftsinitiative setzt ihre Hoffnungen nun auf den Bezirk, der dem Hostel die Genehmigung verweigern soll. Andernfalls befürchten sie einen Dammbruch, der den Kiez endgültig gewerblichen Interessen und der Touristifizierung unterwerfe. Das Hostel sei von seiner Geschäftsstruktur absolut auf Partytourismus aus.« [taz, 10. Mai 2017]
- Nur wenige Häuser entfernt, in der Friedelstraße 54, wehren sich die Mietparteien gegen internationale Investoren, die mittels energetischer Sanierung versuchen ihre Immobilien aufzuwerten, zu verkaufen und die alte Nachbarschaft zu vertreiben. Das Haus wurde von der Wiener CITEC Immobilien GmbH gekauft und vor kurzem an Luxemburger Briefkastenfirma »Pinehill Sárl« verkauft.
Dies sind nur drei Beispiele für die in Nord-Neukölln entstandenen Miet-Initiativen, die sich auf einer monatlich stattfindenden Kiezversammlung treffen. Sie versuchen die in Berlin erlassene Milieueschutzverordnung – z.B. für den Reuterkiez – zu nutzen. Sie wirkt wie ein kleines Heftpflaster auf einer großflächigen Verbrennung. Die Verordnung kann den Investoren kleine Stolpersteine in den Weg legen, zu zeitlichen Verzögerungen und Mehrkosten für die Hauseigentümer führen. Doch einen wirksamen Schutz vor Verdrängung bietet sie nicht – vor allem weil sie die Eigentums- und Verfügungsrechte der Immobilienbesitzer nicht in Frage stellt.
Die Räumung des Kiezladens in der Friedel 54
Am frühen Morgen des 29. Juni 2017 sahen sich die Anwohner der Friedel- und umliegender Straßen mit einem riesigen Polzeiaufgebot konfrontiert; Zugang zu den Häusern erhielten nur noch Anwohner*innen unter Vorlage ihres Ausweises. Ziel des martialischen Polizei-Aufmarsches war die Durchsetzung der Eigentumsrechte der »Pinehill Sárl«, die einen gerichtlichen Titel zur Räumung des Kiezladens in der Friedelstraße erwirkt hatte.
Der Kiezladen verstand sich als ein selbstverwaltetes, soziales Zentrum im Norden Neuköllns. Verschiedensten Initiativen und der Nachbarschaft diente er als Treffpunkt und wurde so auch zu einem Ort des Widerstandes gegen die Wohnungs- und Mietenpolitik. Mit diesem Polizeieinsatz wurden nicht nur die Eigentums- und Verfügungsrechte des Immobilienbesitzers durchgesetzt, sondern zugleich auch ein Treffpunkt des politischen Widerstands dichtgemacht – unter entsprechender Berichterstattung der Medien. In der Friedel 54 probten die Anhänger des »Schwarzen Blocks« für den G20-Gipfel, wurde behauptet. Die Falschmeldung der Polizei, die »Besetzer« hätten einen Türgriff unter Strom gesetzt und damit bewusst das Leben der eingesetzten Beamten gefährdet, wurde von verschiedenen Zeitungen wie auch in der Radio- und Fernsehberichterstattung begierig aufgegriffen.
Auch wenn die Mehrheit der Mieter*innen im Reuterkiez die politischen Ziele und Auffassungen aus dem Kiezladen 54 nicht teilt, stieß die Räumung auf breites Unverständnis und Ablehnung. Die Betreiber*innen galten vielen als Nachbarn, die eine für den Kiez einen sinnvollen und notwendigen Treffpunkt betrieben.
Berlin, 18.07.2017
Aus der Presseerklärung
NachbarschaftsInitiative WESERKIEZ vom 5. Juli 2017
Am 29. Juni 2017 protestierten viele Mitglieder unserer Initiative gegen die Räumung, die für uns steht für ein weiteres aktives Ausliefern der gewachsenen Berliner sozialen Wohn- und Lebensräume an internationale gnadenlose Finanzspekulation durch Politik, Bezirk und Senat!
Wir fordern vom Bezirk Neukölln:
- Kurzfristige Beschaffung geeigneter Ersatzräume für die Betreiber des Kiezladens Friedel54!
- Förderung des Aufbaus weiterer neuer Kiezläden!
- Milieuschutz auch für nachhaltige Kleingewerbe und Kulturzentren!
- Wirkungsvolle energische aktive Maßnahmen gegen das weitere Vordringen von Finanzhaien und die fortschreitende Ausplünderung und Verdrängung der hier lebenden Bevölkerung!
- Aktive, auch strukturell nachhaltige Unterstützung der bestehenden und sich bildenden Mieter- und Nachbarschafts-Vereinigungen!
Am 29. Juni wurden wir unmittelbare Zeugen der teils gewalttätig-brutalen Übergriffe der Polizei gegenüber uns und anderen DemonstrantInnen. Wir fordern von Bezirk und Senat: Dringend Aufklärung, Verurteilung und Ahndung der Gewaltexzesse von Seiten der Polizei und der Provokationen der Einsatzleitung!
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