100 Jahre Novemberrevolution
Aktivitäten zum Jubiläum in Berlin

Korrespondenz

»100 Jahre Novemberrevolution« war der Titel eines einwöchingen Seminars, das im Rahmen des Bildungsprogramms von »Arbeit und Leben« Anfang Februar 2018 in Berlin stattfand. Aus der Seminarankündigung: »Am 9. November strömten auch die Arbeiter Berlins zum Generalstreik auf die Straße und besetzten die Kraftwerke, das Polizeipräsidium, das Telegrafenamt und das Reichstagsgebäude. Philipp Scheidemann rief vom Reichstag die ‚deutsche Republik‘ und Karl Liebknecht vom Stadtschloss die ‚ freie sozialistische Republik Deutschland‘ aus. Die Arbeiter – und Soldatenräte Berlins riefen am 10. November auf einer Vollversammlung zur ‚raschen und konsequenten Vergesellschaftung der kapitalistischen Produktionsmittel‘ auf. Die Gewerkschaften erklärten sich gegenüber den Arbeitgeberverbänden unausgesprochen bereit, die Produktionsmittel in privater Hand zu belassen. Im Gegenzug verpflichteten sich die Arbeitgeber im sogenannten Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November Koalitionsfreiheit und Tarifverträge zu sichern, den Achtstundentag einzuführen und Betriebswahlen zuzulassen. […] Der Kaiser ging, aber die Generäle blieben. Es blieben die Gegner der Revolution und der republikanischen Freiheiten, des allgemeinen Wahlrechts, insbesondere des Wahlrechts der Frauen, der Presse und Meinungsfreiheit, der erkämpften Arbeitsrechte. Diese Gegner gehörten 15 Jahre später zu den Wegbereitern des Faschismus. Wir werden uns mit wichtigen Dokumenten dieser Revolution beschäftigen, aber auch Orte besichtigen, die heute in Berlin noch Zeugnis ablegen von dieser Revolution.“

Im März gründeten Teilnehmer*innen des Seminars und Vertreter*innen aus verschiedenen Organisationen die Initiative »9. November 2018 – 100 Jahre unvollendete Revolution“. Damit wollen sie nicht nur auf die historische Bedeutung der Novemberrevolution, sondern vor allem auf die auch heute noch aktuellen und nicht realisierten Forderungen der Arbeiter- und Soldatenräte hinweisen. Das Gedenken an den 9. November 1918 soll nicht verkürzt werden auf die Durchsetzung demokratischer Rechte, die im Rahmen der parlamentarischen Weimarer Republik von den Feinden der Revolution zugestanden werden mussten. Beteiligt an der Initiative sind u.a.: Galerie Olga Benario, Berlin; Nachbarschaftsinitiative Dragopolis, ­Berlin-Kreuzberg; Initiative Gedenkort Januaraufstand, Berlin; Mieterecho, Berlin; Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Wir dokumentieren im nachfolgenden Artikel die Erklärung der Initiative.

Die vergessene und »die verratene Revolution«

In der BRD geriet die Novemberrevolution in Vergessenheit; sie war jedenfalls kein Ereignis, dem man auf Kundgebungen und Veranstaltungen öffentlich gedachte. Im Vordergrund der Erinnerung standen in den letzten Jahrzehnten zwei andere Ereignisse: die »Reichspogromnacht« vom 9. November 1938 und der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989.

An einer Aufarbeitung der Novemberrevolution, ihrer militärischen Niederschlagung und den Unruhen, die in den ersten Jahren die Weimarer Republik erschütterten, hatten weder die bürgerlichen Parteien (Union und FDP) noch die SPD eine Interesse; die KPD wurde 1956 verboten. Der Antikommunismus im »Kalten Krieg« ließ keinen Platz für die Erinnerung an die revolutionäre Erhebung, die das Kaiserreich gestürzt und die kapitalistische Ordnung in Frage gestellt hatte. Auch die westdeutschen Gewerkschaften, in denen die Sozialdemokratie eine beherrschende Stellung einnahm, zeigten kein großes Interesse an einer kritischen Aufarbeitung der Novemberrevolution und ihrer eigenen Rolle. Das änderte sich erst Ende der 60er Jahre mit dem Aufkommen der Studentenbewegung. Auf der Suche nach einer Alternative zum Kapitalismus griff die Außerparlamentarische Opposition (APO) auf die Erfahrungen der Novemberrevolution und den Gedanken der »Räterepublik« zurück. Zahlreiche Dokumente und Publikationen über die Novemberrevolution wurden nachgedruckt. 1 1969 erschien das auch öffentlich viele beachtete Buch von Sebastian Haffner mit dem Titel »Die verratene Revolution“ 2. Es war eine Abrechnung mit der Führung der SPD und ihrer Zusammenarbeit mit der Obersten Heeresleitung und der Reaktion zur Niederschlagung des Aufstandes.

Mit dem Ende der APO verschwand auch das in der Öffentlichkeit geweckte Interesse an der Novemberrevolution weitgehend. Die Diskussionen der letzten Jahre verblieben in kleineren Kreisen von interessierten Gewerkschafter*innen und Historiker*innen 3. Das scheint sich zum hundertjährigen Jubiläum zu ändern. In Berlin wird es zahlreiche Veranstaltungen geben, angeregt und getragen von unterschiedlichen politischen Kräften. Die Initiative »die unvollendet Revolution« will mit ihrem Aufruf und eigenen Aktivitäten auf die Bedeutung der Novemberrevolution hinweisen, vor allem auch für die gewerkschaftliche Tätigkeit.

So wird vom 22. bis 26. Oktober 2018 das Seminar »100 Jahre Novemberrevolution« 4 wiederholt. Am Abend des 8. November 2018 ist eine Kundgebung vor dem Brandenburger Tor geplant. Ansonsten werden sich Mitglieder der Initiative »unvollendete Revolution« an den zahlreichen Ausstellungen, Veranstaltungen und Lesungen beteiligen, die bis in das Frühjahr 2019 stattfinden sollen.

Vom 16. bis 21. Dezember 1918 fand im Preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin der erste Reichsrätekongress statt. Nach einer offiziellen Würdigung am 17.12. mit Reden des DGB-Vorsitzenden und des Präsidenten des Abgeordnetenhauses wird es am 18.12. eine Veranstaltung geben ohne die offiziellen Parteien- und Stiftungsvertreter.

Die IG Metall begeht das Jubiläum in ihrem Gewerkschaftshaus am 9. November. Hauptredner ist der Vorsitzende Jörg Hofmann. Selbst die historische Kommission der SPD Berlin gedenkt der Novemberrevolution mit einer Ausstellung und verschiedenen Veranstaltungen, zu denen auch Historiker eingeladen sind, die sich kritisch zur damaligen Rolle von Ebert, Noske und Scheidemann geäußert haben.

A.B. 26.7.2018


 

  1. Die stenografischen Protokolle der Tagungen des Arbeiter- und Soldatenrates vom Dezember 1918 und April 1919; die »Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution«, herausgegeben 1929 von einem Autorenkollektiv
  2. Erstmals veröffentlicht 1968 unter dem Titel »Der große Verrat« als Serie im »Stern“.
  3. Dazu beigetragen hat Ralf Hoffrogge mit der 2009 erschienen Biografie »Richard Müller. Der Mann hinter der Novemberrevolution“.
  4. http://www.berlin.arbeitundleben.de/56004/veranstaltungen.html

 


aus Arbeiterpolitik Nr. 4 / 2018

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