Inzwischen ist der offene Machtkampf zwischen den Unionsparteien vorübergehend eingestellt. Die CSU-Führungsriege (Söder, Dobrindt, Seehofer) konnte mit der Drohung, Innenminister Seehofer werde auch gegen die Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin die angekündigten Grenzkontrollen ab Juli in Kraft setzen, zahlreiche ihrer Forderungen durchboxen. Nur in einem entscheidenden Punkt nicht: Merkel verhinderte mit ihrer Richtlinienkompetenz zunächst einen nationalen Alleingang. Sie hat Seehofer den schwarzen Peter zugeschoben. Er muss bilaterale Abkommen aushandeln, bevor Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden dürfen. Aber in den übrigen strittigen Fragen hat sich Merkel viele Forderungen der CSU zu eigen gemacht. Das zeigte sich während des EU-Gipfels, auf dem sie mit zahlreichen Vorstellungen ihrer innerparteilichen Kritiker zur Migrationspolitik auftrat. »Nicht Merkel mit einer inzwischen auch abgespeckten Version einer humanen Flüchtlingspolitik gibt die Richtung vor, sondern die Scharfmacher gegen Migranten, die Orbans und die Salvinis. […] Und irgendwo zwischen Humanität und Abschreckung taumelt die von der CSU getriebene Kanzlerin. Die reaktionär-nationalistischen Kräfte, die von der CSU repräsentiert werden, befinden sich in der Offensive.« (Kommentar von Pascal Lechler, ARD-Studio Brüssel, vom 29.06.2018)
So billigte die CDU-Führung den Masterplan des Innen- und Heimatministers – übrigens noch bevor ihr sein konkreter Inhalt bekannt war. Die einzige, noch strittige Frage konnte in letzter Minute entschärft werden. Die CSU bekam ihre Grenzkontrollen zum Aufgreifen illegal eingereister Migranten mit der nun erneut geschaffenen bayerischen Grenzpolizei. Abweisungen und Rückführungen soll es aber vorerst nach bilateralen Absprachen mit Österreich und Italien geben. Auch wenn es sich hierbei zunächst um reine Symbolpolitik im Rahmen des bayerischen Wahlkampfes handelt, die Notwendigkeit bilateralen Absprachen zeigt wie stark die nationalen Eigeninteressen sind, die zunehmend von den Rechtspopulisten definiert werden. Die EU entfernt sich immer weiter von gemeinsamen Lösungen. Merkel musste ja schon nach dem Gipfeltreffen eine Reihe von tatsächlich oder vermeintlich vereinbarten zwischenstaatlichen Lösungen präsentieren, um den unionsinternen Streit zu entschärfen.
Dass der Konflikt zunächst durch einen rasch zusammen gezimmerten Kompromiss beigelegt wurde, ist der Angst aller Beteiligten vor den unkalkulierbaren Folgen eines Auseinanderbrechens der gemeinsamen Unionsfraktion geschuldet und und der Intervention der Unternehmerverbände. Die Vertreter der Wirtschaft haben nachdrücklich vor den Risiken einer Regierungskrise gewarnt und zur Unterstützung der Bundeskanzlerin aufgefordert. In der FAZ, die sich als Sprachrohr des bürgerlichen Lagers sieht, brachte Mitherausgeber Berthold Kohler am 24. Juni seine Sympathie für die Kritiker von Merkel zum Ausdruck: »Die CSU, die als bayerische Regierungspartei deutlich näher an der Wirklichkeit der Flüchtlingskrise war als viele Träumer und Schönredner in Berlin-Mitte, hat immer noch ein besseres Sensorium für die Unzufriedenheit mit und das Aufbegehren gegen die Flüchtlingspolitik der großen Koalition als CDU und SPD zusammen. […] Merkel beging schon zu Beginn der Flüchtlingskrise schwere und folgenreiche Fehler, im Handeln wie in der Kommunikation. Geradezu verheerende Wirkung im bürgerlichen Lager, aber auch bei den europäischen Nachbarn, hatte der von Merkel vermittelte Eindruck, Staatsgrenzen seien letztlich nur noch eine Illusion.« Zugleich warnte er vor der möglichen Zuspitzung des Machtkampfes zwischen den Unionsparteien: »Ein offener Bruch zwischen CDU und CSU käme einem Erdbeben gleich, dessen Folgen für die politische Landschaft und die Regierbarkeit des Landes man sich nicht ausmalen mag. Wie Berlin unter den dann zu erwartenden Verhältnissen besser als bisher dafür sorgen soll, dass die EU am deutschen Wesen (also den einzig richtigen ordnungspolitischen Vorstellungen) genesen kann, bleibt das Geheimnis jener, die schon immer wussten, wie man es besser macht in der Politik – solange sie es nicht beweisen müssen.«
Gegenwind für die CSU-Führung
Nachdem sich die aufgeregte Debatte über die von der CSU- Führung verursachte Regierungskrise gelegt hatte, kam Gegenwind auf. In Meinungsumfragen zur Landtagswahl rutschte die CSU weiter ab; sie konnte die zur AfD abgewanderten Wähler*innen nicht zurückgewinnen. Es mehrten sich Stimmen auch innerhalb der Partei, die zur Mäßigung aufriefen und den gefahrenen Konfrontationskurs nicht mitmachen wollten. Vor allem die menschenverachtende Rhetorik stieß auf Ablehnung bis hinein in konservative Kreise.
So folgten am 22. Juni 2018 mehrere zehntausend Menschen dem Aufruf zur Demonstration »ausgehetzt«; die Polizei sprach von 25.000, die Veranstalter von 50.000 Teilnehmern. »Es sind längst nicht mehr nur linksradikale Studenten, die sich gegen die Flüchtlingspolitik des CSU stemmen, sondern auch Nonnen und ältere Menschen in Tracht – also auch traditionelle CSU-Wähler.« (fOCUS-online, 23.07.2018) Und die »Süddeutsche Zeitung« schrieb am 22. Juni: »Es war wohl das erste Mal in ihrer Parteigeschichte, dass die CSU eine in München angekündigte Demonstration so ernst nahm, dass sie am Samstag warnende Zeitungsanzeigen dagegen veröffentlichte. […] Offenbar steckt der CSU der Schock vom 10. Mai noch sehr in den Knochen: Da wurde aus einer Münchner Kundgebung gegen die Verschärfung des Polizeirechts, die von der CSU in brachialer Manier durchgezogen worden war, die größte bayerische Demonstration der vergangenen Jahrzehnte; das neue Polizeirecht wirkte da offenbar wie der Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen brachte.«
Die CSU-Führungsriege rüstete verbal ab und beendete den Konfrontationskurs innerhalb der Regierungskoalition. Sie konzentriert sich nun auf den Wahlkampf in Bayern. Der Wiederaufbau einer bayerischen Grenzpolizei und des neuen Landesamtes für Asyl und Rückführungen wurde von Ministerpräsident Söder medial in Szene gesetzt.
Der Machtkampf in den Unionsparteien ist Ausdruck
für die Verschiebungen im bürgerlichen Parteiengefüge
Getrieben wurde und wird die CSU von der panischen Angst vor dem Verlust der absoluten Regierungsmehrheit im Land als auch in zahlreichen bayrischen Kommunen. Damit verbunden wäre eine erhebliche Schwächung ihrer bundespolitischen Bedeutung. Dies erklärt auch die Schärfe des Machtkampfes, der zuvor zwischen Seehofer und Söder ausgetragen wurde. Nach der Maxime von Franz Josef Strauß »Es darf sich keine Kraft rechts von der CSU dauerhaft etablieren« versucht die CSU der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen: durch die Übernahme von deren nationalistischer Rhetorik und von zahlreichen ihrer Forderungen. Die CSU wird damit die von der Regierungspolitik enttäuschten Wähler*innen wohl kaum zurückgewinnen können, sondern stärkt eher das Gefühl, mit der Stimmabgabe für die AfD »es denen da oben mal gezeigt zu haben«.
Die Krise des traditionellen parlamentarischen Parteigefüges, von der bisher die Sozialdemokratie besonders getroffen wurde, hat nun auch die Unionsparteien, die konservative Kraft des deutschen Bürgertums, erfasst. Der rechtskonservative Flügel der Union, der in der Vergangenheit – mit zeitlich vorübergehenden Ausnahmen – auch die völkisch-nationalistischen Kreise binden und integrieren konnte, ist schon lange mit dem Regierungskurs von Merkel nicht einverstanden. Er macht sie für die Verluste von 8,6 Prozent bei der Bundestagswahl verantwortlich. Die CSU hatte versucht, sich zum Sprachrohr dieses Flügels zu machen. »Seehofer verglich die bevorstehende Auseinandersetzung mit einem ‚Werkstück in der Schraubzwinge‘, das nun bearbeitet und poliert werden müsse.« (faz, 14.06.2018) Inhaltlich wird die Kritik der CSU in größer werdenden Teilen der CDU geteilt, nur deren Vorgehensweise stieß auf Ablehnung, weil sie die Einheit der Union und damit ihre Regierungsfähigkeit gefährdet hatte.
Risse innerhalb der CDU
Auch nach der vorübergehenden Beilegung des Machtkampfes, die Diskussionen und Richtungskämpfe innerhalb der Union werden weitergehen – und damit auch die Fragen nach dem Verhältnis zur AfD. Der rechte Flügel, der schon lange seine erzkonservativen Werte durch den Kurs von Merkel verraten sieht, hat sich nochmals hinter die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende gestellt. Solange er über keine personelle, d.h. für die Wähler*innen attraktive Alternative verfügt, kann er den offenen Machtkampf, wie er von der CSU vorangetrieben wurde, nicht aufnehmen. Allerdings verstärken die Erfolge der AfD, vor allem in den neuen Ländern, den Druck innerhalb der CDU. Schon werden dort vereinzelt Stimmen laut, die sich für einen anderen Umgang mit der AfD bis hin zu möglichen Koalitionen mit ihr aussprechen.
Unzufrieden mit dem Kurs von Merkel, wenn auch aus anderen, ganz materiellen Gründen, zeigt sich auch der Wirtschaftsflügel, die Vereinigung des Mittelstandes in der Union. Ihnen gehen die sozialpolitischen Zugeständnisse an die SPD in den Koalitionsvereinbarungen zu weit. Erinnern wir uns, schon in der letzten Legislaturperiode hatten sie Vorhaben, wie z.B. das vereinbarte Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit erfolgreich torpedieren können.
Staatstragende Stillhalten der SPD
Die SPD enthielt sich zunächst jeglicher inhaltlicher Stellungnahmen zum unionsinternen Streit und beschränkte sich darauf, die »Verantwortungslosigkeit« der CSU zu brandmarken. Die Furcht vor Neuwahlen hat sie in die GroKo getrieben und kettet sie weiter an die Regierungskoalition, die sie nicht in Frage stellen oder verlassen darf, ohne selbst Schaden zu nehmen. So blieb den sozialdemokratischen Politikern in der Regierung als auch im Parlament nichts weiter übrig, als dem unionsinternen Machtkampf zuzuschauen und seine Resultate zu akzeptieren. Die im Koalitionsausschuss beschlossene Sprachregelung – Transitverfahren statt Transitzentren – kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die CSU in vielen Fragen der Asyl- und Migrationspolitik durchsetzen konnte, wenn auch zunächst nur als Absichtserklärungen auf dem Papier, im Masterplan Migration. Als Kompensation wurde den Sozialdemokraten die Verabschiedung eines geforderten Einwanderungsgesetzes versprochen. Ein Vorhaben, auf das ebenfalls die Vertreter der deutschen Wirtschaft drängen, um den Arbeits- und Fachkräftebedarf zu regeln. Es wird in der Union deshalb auch nicht grundsätzlich auf Ablehnung stoßen.
Rechte parlamentarische Opposition
Im Bundestag spiegeln sich die bisherigen Verschiebungen in der Parteienlandschaft wieder. Sie bestimmten monatelang die Versuche der Regierungsbildung – das Scheitern der Jamaika-Gespräche und die schleppenden Verhandlungen über die Fortsetzung der Großen Koalition. Sie kam erst zustande, nachdem die SPD, die versprach, sich in der Opposition zu erneuern, mühselig die Skepsis und Widerstände in den eigenen Reihen überwinden konnte.
Im Parlament steht der nun großen Koalition mit der AfD erstmals eine rechtspopulistische Partei, mit einem völkisch-nationalen Flügel, als stärkste Oppositionskraft gegenüber. Deren Wahlerfolge und ihre wachsenden Umfrageergebnisse veranlassten die Regierungsparteien, die Stimmungen, die darin zum Ausdruck kommen, aufzunehmen und unter dem Druck der CSU auch teilweise umzusetzen. Die AfD bestimmt durch ihre Erfolge und ihre parlamentarische Präsenz weitgehend die Themen des politischen Diskurses, wie er sich in der Boulevardpresse, den bürgerlichen Medien aber auch in den öffentlich-rechtlichen Medien und ihren Talkshows niederschlägt.
Auch die FDP versucht auf der Welle nationaler und populistischer Parolen zu reiten. Wie die AfD attackiert sie die Regierung von rechts. Ihre Erneuerung, sprich das Vorhaben, sich als nationalliberale Kraft zu profilieren, war einer der Gründe, weshalb die FDP die Jamaika-Gespräche platzen ließ. Es vertrug sich nicht mit Zugeständnissen an die Grünen, die linksliberale Konkurrenz. Die FDP wollte der Gefahr vorbeugen, erneut von den Wähler*innen abgestraft und unter die 5-Prozent-Hürde gedrückt zu werden, wie in der vorangegangenen Legislaturperiode. Übrigens beendete sie die Koalitionsgespräche Ende letzten Jahres unvermittelt, trotz weitgehender Zugeständnisse von Seiten der Grünen. »Besser gar nicht, als falsch regieren«, lautete die Begründung vom FDP-Vorsitzenden Lindner. Das brachte ihm, wie aktuell der CSU, den Vorwurf der staatsbürgerlichen Verantwortungslosigkeit ein. Er stelle die Interessen der FDP über das Wohl des Landes.
Das Drängen der Grünen in die Regierungsverantwortung
Bei den Grünen hat sich längst der Flügel durchgesetzt, der sich eine Koalition in alle Richtungen offen hält, nicht nur in den Ländern (wie in Baden-Württemberg) sondern auch auf Bundesebene. Die Bildung einer Jamaika-Regierung sollte den Grünen die Anerkennung als ganz normaler Koalitionspartner von seiten der Union und der FDP bringen. Das scheiterte, wie schon gesagt, an der rechtsnationalen Profilierung der FDP. Seither sitzen die Grünen sozusagen zwischen den (Palaments-)Stühlen, als Oppositionskraft bemüht um Wählerstimmen, zugleich jedoch bereit, jederzeit Regierungsverantwortung zu übernehmen. Deutlich wahrnehmbar waren ihre politischen Signale, notfalls in eine Regierung unter Merkel einzutreten bzw. sie zu stützen, sollte durch den unionsinternen Machtkampf die CSU als Regierungspartei ausfallen.
Die Linke: Streben nach Regierungsverantwortung
und Zerstrittenheit über den Weg
Zwar konnte die Linkspartei bei der Bundestagswahl – im Gegensatz zu den Volksparteien CDU/CSU und SPD – ihren Stimmenanteil leicht erhöhen. Aber der erste Blick täuscht; in den neuen Bundesländern, mit ihren besonderen Erfahrungen und Interessen, wurde sie von der AfD als zweitstärkste parlamentarische Kraft verdrängt. Auch etliche Wähler*innen der Linkspartei wechselten dort zur rechtspopulistischen AfD. Die Gründe liegen in den Hoffnungen/Erwartungen, die mit der Wahl der Linkspartei in die Regierungsverantwortung verbunden waren und die sie nicht erfüllen wollte und konnte. Sie erwies sich als eine normale bürgerliche Kraft, die sich in ihrem Regierungshandeln kaum von der SPD oder CDU unterschied.
In den westlichen Bundesländern konnte die Linkspartei ihren Stimmenanteil leicht ausbauen, blieb aber weit hinter dem rasanten Aufstieg der AfD zurück. Ihr gelang es nicht, wie gehofft, in größerem Umfang die von der SPD enttäuschten Wähler*innen zu gewinnen. Es half ihr nicht, sich als Alternative zu präsentieren, die die alten sozialdemokratischen Werte – was immer das sein mag – glaubwürdiger und konsequenter vertreten würde. Die Hoffnungen der Linkspartei, durch parlamentarische Mehrheit von rot-rot-grün die große Koalition ablösen zu können, hat mit der Bundestagswahl einen weiteren Dämpfer erhalten. Diese Möglichkeit ist angesichts der Verluste der SPD in noch weitere Ferne gerückt. Zudem hatten die Parteispitzen von SPD und Grünen dem Streben der Linkspartei nach einer gemeinsamen Koalition eine klare Absage erteilt und sie haben dies in den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl nochmals praktisch unterstrichen. Es gab und wird in absehbarer Zeit keinen »Lagerwahlkampf« geben, wie von der Linkspartei angestrebt.
Die fehlende Perspektive einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene hat die innerparteilichen Auseinandersetzungen zugespitzt. Die Gräben zwischen den Parteiflügeln und Interessengruppen sind tiefer geworden, scheinen kaum noch überwindbar zu sein. Auch die zerstrittenen Politiker der Linkspartei versuchen im innerparteilichen Machtkampf die bürgerlichen Medien zu nutzen, von denen sie zugleich benutzt werden. Zwei Kontroversen bestimmten die Debatten auf dem Parteitag und die Berichterstattung in den Medien.
Die von Sarah Wagenknecht erhobene Forderung nach einer Begrenzung der Migration. »Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass der Staat sie vor Dumpingkonkurrenz schützt«, sagte die Linken-Fraktionschefin im Magazin »ZEIT Geschichte«. Sie versucht damit die Stimmung in breiten Teilen der Bevölkerung zu bedienen, um deren Abwanderung zur AfD zu verhindern bzw. um verlorene Wähler*innen zurückzugewinnen.
Der Plan von Wagenknecht zur Gründung einer »Sammlungsbewegung«
So schreiben Wagenknecht und Stegemann in Zeit-Online vom 8. Juni 2018 »Nach jüngsten Umfragen steht die SPD bei rund 17 Prozent, Grüne und Linke kommen jeweils auf etwa 10 Prozent. Was im vorigen Bundestag zumindest rechnerisch noch möglich war, ist in weite Ferne gerückt: eine Mehrheit für linke Politik in Deutschland.« Unter Verweis auf die Wahlerfolge von Podemos in Spanien und La France insoumise in Frankreich fragen sie weiter: »Sollten das nicht hinreichende Gründe dafür sein, auch in Deutschland eine überparteiliche Sammlungsbewegung zu starten, die zusammenführt, was bisher getrennt agiert?« Die Initiative für eine Sammlungsbewegung brachte dem Flügel um Wagenknecht den Vorwurf ihrer innerparteilichen Kontrahenten ein, die eigene Partei überflüssig machen zu wollen. Schließlich gäbe es mit der Linkspartei ja schon den Rahmen, offen für alle linken auch ohne ihr Parteibuch.
Podemos in Spanien ist in dem breiten Widerstand der letzten Jahre entstanden. La France insoumise konnte sich auf verstärkte Klassenauseinandersetzungen und soziale Bewegungen stützen. Mit Bewegung haben die Flügel in der Linkspartei wenig zu tun – Bewegungen kann man nicht gründen. Sie entstehen aus einer Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche und daraus resultierender sozialer Auseinandersetzungen.
An diesen Voraussetzungen mangelt es in der BRD. Die Widersprüche haben sich vertieft, es gibt aber nur vereinzelt sozialen Widerstand. Daraus hat sich bisher keine breite außerparlamentarische Bewegung entwickelt, wie bspw. in Spanien oder Frankreich. Die Linkspartei hat sich seit ihrer Gründung bemüht, als normale, demokratische Kraft im parlamentarischen Gefüge anerkannt zu werden. Dies hat sie als Koalitions- und Regierungspartner bei der Verwaltung der kapitalistischen Ordnung auf Länderebene unter Beweis gestellt. Nichts kennzeichnet die Linke besser, als der Umgang mit diesen Erfahrungen. (Es gibt sicherlich zahlreiche Genoss*innen, die den Regierungsbeteiligungen sehr kritisch oder ablehnend gegenüberstehen. Sie bilden aber eine Minderheit, die mit ihren Positionen die Beschlusslage in der Partei nicht beeinflussen kann.) Eine breite, auch öffentlich geführte Debatte über die Ergebnisse der Regierungsbeteiligungen in Berlin, Brandenburg und Thüringen wird vermieden. Es gibt keinen relevanten Parteiflügel, der die Übernahme von Regierungsverantwortung unter kapitalistischen Verhältnissen und unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen zwischen den Klassen in Frage stellt oder wenigstens die konkreten Bedingungen oder rote Linien für eine Regierungsbeteiligung formuliert.
Bei aller Kritik an der parlamentarischen Fixierung der Linkspartei, sie ist momentan im Bundestag die einzige Partei, welche die »sozialen Missstände« und die Interessen/Forderungen der Betroffenen zur Sprache bringt – solange sie eben nicht selbst an der Regierung beteiligt ist.
26.07.2018
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