Leserbrief zum Artikel »Wahldebakel« (Arpo 5/17)

Leserbrief

An die Redaktion Arbeiterpolitik

Im Artikel »Wahldebakel« (Arpo 5/17) wird behauptet, die reformpolitischen Erfolge der SPD (brachte die CDU/CSU keine auf den Weg?) in der BRD-West waren nur möglich, weil die DDR »als unsichtbarer Verhandlungspartner« bei Sozialgesetzgebung oder Tarifverhandlungen »mit am Tisch« saß, um »die Überlegenheit des westlichen Gesellschaftsmodells zu demonstrieren«. So seltsam ausgedrückt, stimmt das sogar, denn bis 1961 vor dem Mauerbau in Berlin steigerte sich die Absetzbewegung vor allem jüngerer ausgebildeter Arbeitskräfte aus der DDR in die BRD auf mehr als zwanzigtausend pro Woche!

Kam bis Anfang der fünfziger Jahre das durchschnittliche Lebenshaltungsniveau im Westen nicht über den Vorkriegsstand hinaus, ermöglichten in Folge enorme Wachstumsraten von 8 Prozent bis 1960, über 4 Prozent bis 1970 und eine Abflachung auf unter 3 Prozent bis 1990, dies immer auf jeweils erhöhtem Ausgangsniveau, Tariferhöhungen und sozialstaatliche Standards, die weit eher die Behauptung zulassen, daß der westdeutsche Kapitalismus als beständiger stiller Gast unter den Plankommissionen der DDR weilte. Dies schmälert nicht die Aufbauleistung der Werktätigen in der DDR, allein die Reparationsleistungen und Demontagen für die Sowjetunion als Kriegsfolgelast umfassten umgerechnet 72,2 Mrd. DM (West) auf Preisbasis von 1953. »Es war gelungen aufzuholen, ein Ausgleichen oder gar Überholen erwies sich als Illusion und politisch falsche Orientierung«, so der DDR-Ökonom Klaus Blessing in seiner 2014 erschienenen Streitschrift »Die sozialistische Zukunft«.

Kaum das im Westen die Wachstumskurven abflachten und der Sockel der Dauererwerbslosen seit Mitte der siebziger Jahre auf über zwei Millionen anwuchs, schwand die Bereitschaft der Kapitaleigner zu weiteren Zugeständnissen. Die Bruttolohnquote des Volkseinkommens stieg nicht mehr, sondern sank von über 73% Anfang der achtziger Jahre auf unter 68% bis 1990 ab. Nichtsdestotrotz blieb die Anziehungskraft des westlichen Kapitalismus so stark, dass der Drang zur »Konsumfreiheit« dem Sozialismus nicht nur in Deutschland, sondern auch weiter ostwärts ein vorläufiges Ende setzte.

H., Gö., 01.08.2018


aus Arbeiterpolitik Nr. 4 / 2018

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