Die Krise in Venezuela: Innere Voraussetzungen und internationale Bedingungen

Wie ist die Wirtschafts- und Sozialordnung Venezuelas einzuschätzen? Erste Hinweise gibt die Rolle des Erdölsektors für Ökonomie und Sozialpolitik Venezuelas. Sie wird deutlich in folgenden Ausführungen (Dario Azzellini, Venezuela Bolivariana. Revolution des 21. Jahrhunderts?, Köln 2006). Die erste Textstelle bezieht sich auf den Erdölkonzern PDVSA (Petróleos de Venezuela Sociedad Anónima), der bereits 1976 in der ersten Regierungszeit des Sozialdemokraten Carlos Andres Perez verstaatlicht worden war und von der 1999 gebildeten Chavez-Regierung übernommen wurde:

»Die Politik der Chavez-Regierung konzentrierte sich zunächst darauf, die OPEC wieder auf gemeinsame Förderquoten zu einigen, um so den wichtigsten Rohstoff Venezuelas wieder aufzuwerten. Tatsächlich war die zweite Versammlung der Regierungschefs der OPEC-Mitgliedsstaaten im September 2000 der Wendepunkt der Erdölpreise, die seitdem stetig anstiegen. Die Politik der staatlichen PDVSA wurde auf eine Diversifizierung der Aktivitäten ausgerichtet und – gemäß den Vorgaben der neuen Verfassung – gegen eine schrittweise Privatisierung des Erdölkonzerns. Zugleich wurden Schritte eingeleitet, um die staatliche Kontrolle über PDVSA zurückzugewinnen. Das Unternehmen agierte zu dem Zeitpunkt wie ein transnationaler Konzern nur auf den eigenen Gewinn ausgerichtet und funktionierte wie ein Staat im Staate. Die Gewinne wurden unter den Führungskräften aufgeteilt und über dubiose Geschäftspraktiken an die venezolanische Oberschicht weitergeleitet, während gleichzeitig transnationale Ölkonzerne enorme Vorteile genossen. Diese arbeiteten gemeinsam mit der Konzernleitung an einer Privatisierung von PDVSA. Die Ablehnung der Privatisierung seitens der Chavez-Regierung war auch die Hauptursache für den Versuch 2002/2003, mittels der Lahmlegung von PDVSA Chavez zum Rücktritt zu zwingen. (S. 103 f.)«

Die folgende Textstelle skizziert das Auf und Ab der Sozialprogramme in der Entwicklung Venezuelas vor der Präsidentschaft von Hugo Chavez und die Weichenstellung der neuen Regierung:

»Programme zur Armutsbekämpfung und sozialen Absicherung existierten in den Jahren vor Chavez‘ Machtantritt für die unteren Schichten, die in den 1990er Jahren an die 80 Prozent der Bevölkerung ausmachten, faktisch nicht mehr. Der Versuch eines Aufbaus einer kostenlosen Gesundheitsversorgung und eines allgemeinen öffentlichen Bildungssystems, Beschäftigungspolitik und die Festlegung eines Mindestlohnes, der die Grundbedürfnisse abdeckte, beschränkten sich auf das ‚goldene Jahrzehnt‘ (1973 – 1983), das Venezuela durch den Erdölboom beschert wurde. Doch selbst in dieser Zeit waren die Programme so stark von Klientelismus und Korruption geprägt, dass einem Großteil der Bevölkerung die nationalistische Entwicklungsdiktatur von Perez Jimenez (1952 – 1958, d. Red.) im nachhinein positiver als die formale Demokratie erschien. Der anschließend einsetzende Verfall der Erdölpreise, der nahezu zwanzigjährige rezessive Wirtschaftszyklus und die damit einhergehende Reduzierung öffentlicher Ausgaben und der Sozialpolitik führte zu einer breiten Verelendung der Bevölkerung. Die verarmende Mittelschicht eignete sich die Reste des öffentlichen Sozial- und Bildungssystems an, für das graduell Zuzahlungen eingeführt wurden, während die untersten Schichten finanziell gar keinen Zugang mehr dazu hatten. Die neoliberalen Regierungen Carlos Andres Perez (1989 – 1993) und Rafael Caldera (1994 – 1998) beseitigten mit ihrer Privatisierungspolitik alle verbleibenden Programme der sozialen Abfederung oder Armutsbekämpfung. Hugo Chavez gewann die Wahlen unter anderem wegen seines Versprechens, die Armut zu bekämpfen. (S. 129 f.)«

Hieraus lässt sich ablesen, welchen Stellenwert der Chavismus in der Entwicklung Venezuelas hat: Es handelt sich nicht um Sozialismus1. Der Aufbau einer sozialistischen Ökonomie und Gesellschaft erfordert, dass in die Eigentums- und Produktionsverhältnisse entschieden eingegriffen wird. Dies war zwar im Programm der von Hugo Chavez gegründeten Bewegung vorgesehen, die Maßnahmen der aus seinem Wahlsieg 1998 hervorgegangenen Regierung betrafen aber im wesentlichen die Verteilung des vorhandenen Wertprodukts. Bei der Produktions- und Eigentumsstruktur Venezuelas handelt es sich in ihrer Wirtschafts- und Sozialordnung um einen auf der dominanten Ressource Ölreichtum (über 90 % der Exporte) beruhenden Rentierstaat, der von der Chavez-Regierung durch neu organisierte Umverteilung der Überschüsse in einen sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat verwandelt wurde. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, welche Gefahr eine einseitige Abhängigkeit von einem einzigen Rohstoff (also etwa von der Ölpreisentwicklung) auf dem Weltmarkt darstellt. Für die weitere Entwicklung der politischen Verhältnisse innerhalb des Landes und in seinen außenpolitischen Bedingungen war und ist das von entscheidender Bedeutung.

Zur aktuellen Lage im Land

Es tobt ein offener Machtkampf zwischen Maduro, dem in einem angefochtenen Verfahren gewählten Präsidenten, der das Erbe des Chavismus (Bewegung Fünfte Republik bzw. Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas, PSUV) verteidigt, und dem selbsternannten »Interimspräsidenten« Guaidó, der die Interessen der Mittel- und Oberschicht vertritt. Dazwischen werden die Bedürfnisse der armen Bevölkerung instrumentalisiert und zerrieben.

Die wirtschaftliche und damit soziale Lage ist aktuell desaströs. Die Inflationsrate liegt irgendwo um eine Million Prozent. Der Absturz des Bruttoinlandsprodukts (BIP) wird in 2018 auf 18 % geschätzt (Grund: weltweit sinkender Ölpreis, weiterer Rückgang der Ölproduktion und Zerstörung von Wertschöpfungsketten). Die Rohölförderung ist auf den niedrigsten Stand seit siebzig Jahren gesunken. Selbstbedienung der Führungseliten und Ausbleiben von Investitionen aus ökonomischen und technischen Gründen treiben den Konzern PDVSA in den Niedergang. Die »bolivarische Revolution« beschränkt sich faktisch darauf, den Ölreichtum anders als bisher zu verteilen und verhält sich nun hilflos gegenüber der krisenhaften Entwicklung, steht aber nicht unmittelbar vor dem Sturz. Die Lage im Land ist gespalten.

Azzellini kennzeichnet die Situation folgendermaßen (https://amerika21.de/analyse/222977/venezuela-keine- hilfslieferungen, Interview mit marx 21): »Es herrscht kein Hunger. Die Lage ist nicht so schlimm, wie sie oft dargestellt wird. Wer Geld hat, bekommt alles. Die Oberschicht und Menschen, die Zugang zu Devisen haben, können gut leben. Für einen Großteil der Bevölkerung gibt es Lebensmittelpakete, die über staatliche Strukturen verteilt werden. Über 60 Prozent der Bevölkerung werden so versorgt (Nach unabhängigen venezolanischen Zahlen stieg der Anteil von 69,2 Prozent der Haushalte 2017 auf 87,9 Prozent 2018. Anmerkung der Redaktion marx 21). Dazu kommt der Unterschied zwischen Stadt und Land. Auf dem Land kann die Eigenproduktion die Versorgung besser sicherstellen als in den Städten. Insgesamt aber erfordert die Organisation des Alltags einiges an Phantasie, weil zum Beispiel Babynahrung, Windeln und bestimmte Lebensmittel nur auf dem Schwarzmarkt oder selten erhältlich sind. Viele andere Produkte sind für die arme Bevölkerung ohne Zugang zu Devisen sehr teuer und nicht erschwinglich. Die Menschen verbringen viel Zeit damit, Schlange zu stehen oder Geschäfte zu suchen, wo die benötigten Waren vorhanden sind. Ernsthafte Schwierigkeiten bestehen in der Versorgung mit Medikamenten und medizinischem Gerät.« Dabei liege die Knappheit auch zum Teil an den Blockaden, die von den USA zum ersten Mal schon unter Obama 2015 verhängt wurden.

Nachdem Maduro die Präsidentschaftswahl im April 2015 noch in umstrittener Weise für sich entschieden hatte, verlor die Regierung in der Parlamentswahl im Dezember 2015 ihre Mehrheit in der Assamblea Nacional (Nationalversammlung). Sie griff zu einem in der venezolanischen Geschichte öfter angewandten Mittel (Trick): Sie ließ eine »Verfassunggebende Versammlung« wählen und suspendierte das legitime Parlament. Die Mitglieder der neuen Versammlung waren aber handverlesen. Hierauf stützen sich die Behauptungen der USA und einiger ihrer Verbündeten (darunter Deutschland), Maduros Amtsführung sei illegal und Guaidó der legitime »Interimspräsident«. Solche rechtlichen Konstruktionen sind Instrumente der Auseinandersetzung um die Macht. Entscheidend ist, wer wen repräsentiert und was sich am Ende durchsetzt.

Guaidó vertritt eindeutig die Interessen der Mittel- und Oberschicht. In Venezuela haben diese Schichten ein klares, elitäres Klassenbewusstsein und für die Unterschichten reine Verachtung übrig. Die Mentalität der Besitzenden, dass Venezuela ihnen gehöre und sie einen ausschließlichen Anspruch auf Privilegien und Ressourcen des Landes haben, hat durch die »bolivarische Revolution« einen schweren Schlag bekommen. Dies ist auf jeden Fall dem Chavismus zugute zu halten. Die Lebensbedingungen der armen und arbeitenden Bevölkerung wurden durch die großzügig finanzierten »Misiones« (Sozialprogramme) deutlich verbessert und ihr Selbstbewusstsein gehoben. Umso stärker ist der Hass der elitären Klassen auf das Regime, der schon unter Chavez zu Putschversuchen führte.

Auf der anderen Seite des Blattes steht die Frage, wie der Ausweg aus der jetzigen wirtschaftlichen Misere gestaltet werden kann, wenn auch weiterhin auf passive Zustimmung der ärmeren Teile der Bevölkerung gesetzt wird, die Grundlagen für die nachhaltige Verbesserung der Lage aber ökonomisch sowie innen- und außenpolitisch dahinschwinden. Hinter Maduro stehen drei große gesellschaftliche Gruppen: 1. diejenigen, die von der staatlichen Unterstützung abhängig sind; 2. die ArbeiterInnen in den staatlichen Firmen; 3. das Militär. Auch hier wächst offenbar der Einfluss der Opposition, denn die Massendemonstrationen können allein aus der Mittelschicht nicht zusammenkommen.

Ob sich die Lage immer weiter verschärfen wird, bis eine überwältigende Mehrheit der ArbeiterInnen und der armen Bevölkerung nur noch ein Ende des Schreckens herbeisehnt, oder ob sich neue Konstellationen in Venezuela selbst und/oder in der Weltpolitik einstellen, können wir nicht voraussehen. Die jetzige Entwicklung jedenfalls ordnet sich ein in die politische Tendenz, die wir in diesem Heft im Artikel »Rechter Rollback in Lateinamerika« (S. 4) beschreiben.

Zum außenpolitischen Konflikt um Venezuela

»Es ist falsch, von Hilfslieferungen zu reden!«, so Azzellini in dem erwähnten Interview. Es liegt auf der Hand, dass es hier nicht um wohltätige Spenden zur freien Verteilung an bedürftige Menschen geht. Wenn die US-Regierung von solchen humanen Überlegungen geleitet wäre, könnte sie die Lieferungen einfach an die venezolanische Regierung verkaufen oder ihre Verteilung der UNO bzw. NGO’s überlassen. Aber die Hilfsgüter im Wert von mehreren Millionen Dollar sind politische Instrumente im Kampf um Macht und Einfluss in Caracas, mit denen die Bevölkerung in Geiselhaft genommen wird. Aus der Sicht von Menschen, die je nach Status echte Not leiden oder auch nur über permanente Versorgungsengpässe frustriert sind, sieht die Situation natürlich anders aus. Das ist der Hebel, an dem angesetzt wird.

Worum geht es in diesem Konflikt? Er hat, wie immer in solchen Lagen, innen- und außenpolitische Komponenten, die sich ergänzen. Den Mittel- und Oberschichten passt die ganze Richtung nicht. Sie sind zutiefst beleidigt darüber, dass die Ressourcen der Wirtschaft und des Staates in Fragen des materiellen Wohlstandes, des Gesundheitswesens, der Bildung, der Posten in Verwaltung, Militär und Unternehmen auch an die Unterschicht gehen sollen. Hier sind sie kompromisslos. Der Hass auf das Regime ist aber das einzig Verbindende. Allein schon ihre politische Zersplitterung hindert sie daran, ein gemeinsames Konzept zu entwickeln.

Außenpolitisch geht es um den »rechten Rollback«. Nach dem Fall von Argentinien, Brasilien, Ecuador geht es jetzt um Venezuela, weitergehend um Kuba, Nicaragua, Bolivien, die von venezolanischen Subventionen auf Basis der Ölwirtschaft abhängen und schon jetzt in großen Schwierigkeiten stecken. Eine militärische Intervention der USA, mit der gedroht wird, scheint nicht realistisch in einem Moment der globalen Entwicklung, in der die Trump-Regierung versucht, ihre »Boys«, etwa aus dem Nahen und Mittleren Osten, heimzuholen. Damit zieht sie einerseits Konsequenzen daraus, dass militärische Anfangssiege relativ einfach zu erringen sind, das Festhalten der Position im besiegten Land (»nation building« im Sinne des westlichen Kapitalismus) jedoch auf anhaltenden, nicht überwindbaren Widerstand stößt. Zum Zweiten schlägt sie die Richtung ein, die historisch immer mal wieder als amerikanischer Isolationismus auftauchte, letztlich aber auch nicht sehr lange aufrecht erhalten werden konnte.

In Venezuela stößt sie auf ein zahlreiches und gut ausgebildetes Militär und relativ stabile staatliche Strukturen. Ein Bomben- und Drohnenkrieg aus weiter Entfernung hat hier wenig Sinn. Es kommt hier also entscheidend darauf an, im Lande selbst die verbündete Kraft zu haben. Von daher setzen die USA auf Guaidó, dieser umgekehrt aufgrund seiner innenpolitischen Schwäche auf die USA, die rechts regierten Nachbarstaaten und die Sanktionen gegen das Maduro-Regime.

Sicher spielen auch weltpolitische Verschiebungen im Konfliktverhältnis von USA, Russland und China eine Rolle, aber im Vergleich zu anderen Weltregionen eher eine geringe. Die Situation ist deutlich eine andere als in Syrien. Maduro sucht zwar Unterstützung in Moskau (auch in China, Türkei, Iran, bei allen, die irgendwie gegen den US-Stachel löcken), aber Venezuela ist zu weit weg von Russland, als dass der Kreml mit eigenen Truppen eingreifen oder drohen könnte. Seit der berüchtigten Monroe-Doktrin von 1823 sehen die USA die südlichen Teile des Doppelkontinents als ihren »Hinterhof«, wie das Sprichwort sagt: »Armes Mexiko – so fern von Gott und so nah bei den USA!« Russland (Energiekonzern Rosneft) und China vergeben zwar Kredite an Venezuela, verlangen diese aber auch wieder zurück (im Frühjahr 2018 hatte Venezuela 155 Milliarden Dollar Schulden, während die für die Finanzen wichtige Ölförderung gleichzeitig bis 2018 auf rund ein Drittel des Jahres 2015 sank). Auch China, das durch seine ökonomische Macht sehr viel stärker als Russland wirken kann, sieht seine Bäume nicht in den Himmel wachsen; gezeigt hat sich das z. B. in Nikaragua, wo das versprochene – ökonomisch überflüssige und ökologisch verheerende – Konkurrenzprojekt zum Panamakanal längst in den Anfängen stecken geblieben ist.

Kapitalismus bedeutet Klassenkampf

Im Moment herrscht in dieser innen- und außenpolitischen Gemengelage eine Pattsituation, die sich auflösen könnte, wenn große Teile aus einem Lager ins andere überlaufen. Ob das im Interesse der Arbeiterklasse und der armen Teile der Bevölkerung liegt, ist eine ganz andere Frage. Azzellini gibt aus seiner Kenntnis der Verhältnisse folgende, allerdings sehr allgemeine Empfehlung: »Der einzige Ausweg liegt darin, eine Situation herzustellen, in der die sozialen Bewegungen ihre Kämpfe wieder aufnehmen können. Es gibt auch jetzt Kämpfe, wie zum Beispiel Landbesetzungen, um staatliche Ländereien zur Eigenversorgung zu bewirtschaften. Aber diese Kämpfe richten sich nicht gegen die Regierung, in dem Sinne, dass es um ihren Sturz oder ihre Ablösung ginge. Es geht darum, die Regierung konkret dazu zu zwingen, eine Kurskorrektur zu vollziehen.«

Carolus Wimmer, Sekretär der Kommunistischen Partei Venezuelas für internationale Beziehungen, erklärte in einem Vortrag in Frankfurt am Main: »In Venezuela gibt es keine Krise des Sozialismus. In Venezuela herrscht immer noch Kapitalismus. Die Krise in Venezuela ist die Krise des Kapitalismus in Venezuela!« Das ist eine klare Aussage. Skeptisch zu bewerten sind allerdings seine Versuche, die venezolanische Bevölkerung als fest vereint im Kampf gegen den US-Imperialismus darzustellen. Teile der Linken hier in Deutschland sehen (in Anknüpfung an die bolivarische Ideologie) den Konflikt in und um Venezuela durch die Brille eines »linken Nationalismus«, der die Sicht auf die tiefgreifenden sozialen und politischen Probleme eher verdeckt als klärt.

Selbstverständlich muss es für uns heißen: »Hände weg von Venezuela!« Die Aufgabe ist – hier wie dort -, die Bedingungen des Klassenkampfes zu untersuchen und damit umzugehen. Das Kernproblem, an dem Venezuela zu knacken hat, ist die Abhängigkeit von der einzigen Ressource Öl, die unter dem Chavismus noch gesteigert wurde und sich durch die außenwirtschaftlichen Bedingungen verheerend auswirkte, während die Diversifizierung der Produktion nicht gelang. Die Intervention imperialistischer Kräfte ist dann eine logische Konsequenz und Verschärfung. Deshalb besteht unsere Aufgabe hier darin, gegen die Einmischung der Bundesregierung an der Seite der USA in die Auseinandersetzungen in Venezuela zu protestieren. Der Anerkennung von Guaidó als angeblich legitimen »Interimspräsidenten« und vor allem den Darstellungen in der hiesigen Presse, die in ihrer Einseitigkeit ein völlig falsches Bild vermitteln, muss Aufklärung über die wirklichen Verhältnisse im Land entgegengehalten werden.

Was das für Venezuela heißt, sowohl unter den dortigen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen als auch in der Bedrohung durch den US-Imperialismus, muss die Linke vor Ort feststellen. Aber dass es um mehr gehen muss als um die »Souveränität« eines in der bolivarischen Tradition stehenden Landes und den aktuell regierenden Präsidenten, nämlich um die sozialen und politischen Rechte der armen und ausgebeuteten Masse der Bevölkerung gegen die privilegierten Mittel- und Oberschichten sowie den US-Imperialismus, auch um das, was ihr der Chavismus als konkrete Verbesserungen gebracht hat und das jetzt auf dem Spiel steht, soviel sollte klar sein.

14.4.2019

 


  1. Der vielzitierte Begriff »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« wurde durch mehrere Buchveröffentlichungen ab dem Jahre 1996 geprägt, darunter besonders bekannt die des deutschen, in lateinamerikanischen Ländern, vor allem Mexiko tätigen Soziologen Heinz Dieterich. Er beruht auf der sogenannten »Theorie der Äquivalenzökonomie«, die nur teilweise von marxistischen Ansätzen ausgeht, im übrigen eher demokratietheoretisch argumentiert. Von Kritikern wird die Theorie als untauglicher Versuch gewertet, Wertgesetz und Sozialismus miteinander zu vereinbaren, also letztlich kapitalistische Marktwirtschaft in sozialistischer Verhüllung fortzuführen.

aus: Arbeiterpolitik Nr. 2 / 2019

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